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Sommerzeit: "Die ersten drei Tage danach sind kritisch"

Birgit Högl ist Österreichs größte Kapazität für gesunden Schlaf. An der Umstellung auf die Sommerzeit sieht sie nichts Gutes: "Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen kann."

Jeder zweite Österreicher schläft zu wenig, zehn Prozent leiden unter chronischer Schlaflosigkeit.
Jeder zweite Österreicher schläft zu wenig, zehn Prozent leiden unter chronischer Schlaflosigkeit.
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Newsflix Redaktion
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Die Österreicher bekommen generell zu wenig Schlaf, sagt die Schlafforscherin Birgit Högl. Die Neurologin und Professorin mit Schwerpunkt Schlafmedizin leitet seit 1999 das Schlaflabor an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck und ist eine weltweit anerkannte Expertin für verschiedenste Schlafstörungen. In ihrem aktuellen Buch "Besser Schlafen" (Brandstätter Verlag) führt sie durch eine Vielzahl an Schlafstörungen und Schlafkrankheiten und erläutert, wie guter Schlaf funktionieren kann.

Sommerzeit mit schwerwiegenden Folgen In der alljährlichen Umstellung auf die Sommerzeit sieht Birgit Högl den Tropfen, der das Fass bei ohnedies übermüdeten Menschen zum Überlaufen bringen und zu schwerwiegenden Folgen führen kann. Was man dagegen tun kann, wie man generell seine Schlafqualität verbessert und was von angeblichen "Schlaf-Boostern" zu halten ist, darüber sprach sie mit Newsflix. Professor Birgit Högl über:

Wie viele Probleme der Wechsel auf die Sommerzeit den Menschen bereitet

Es hat eigentlich jeder Mensch Probleme damit, nur merken es manche nicht so deutlich wie andere. Aber die Zeitumstellung ist wie ein kleiner Jetlag. Und besonders die Umstellung auf Sommerzeit führt ja dazu, dass man eine Stunde weniger Schlaf hat. Da ohnedies viele Menschen grenzwertig zu wenig schlafen, kann noch eine Stunde weniger Schlaf der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Das merkt man vor allem daran, dass es nach der Umstellung auf die Sommerzeit in den ersten Tagen mehr Unfälle gibt, vor allem in den Morgenstunden, wenn die Leute eigentlich noch schlafen, aber trotzdem bereits zur Arbeit fahren müssen. Die Umstellung hat auch gesundheitliche Auswirkungen und es hat sich gezeigt, dass es längere Zeit benötigt, um sich vollständig auf die Sommerzeit zu adaptieren. Die Umstellung auf die Winterzeit ist weniger dramatisch, denn da bekommt man ja eine Stunde dazu, was die meisten Menschen als eher angenehm empfinden.

Keiner weiß mehr über gesunden Schlag als sie: Birgit Högl, Schlafforscherin an der Universität Innsbruck
Keiner weiß mehr über gesunden Schlag als sie: Birgit Högl, Schlafforscherin an der Universität Innsbruck
privat

Wie lange es dauert, bis sich ein gesunder Mensch auf die Sommerzeit eingestellt hat

Kritisch sind sicher die ersten drei Tage, dazu gibt es auch Studien, die das gezeigt haben. Aber es gibt auch Arbeiten die zeigen, dass die vollständige Anpassung letztlich viel länger dauert. Aber das bemerkt man subjektiv meistens selbst nicht mehr.

Was man tun kann, um sich darauf vorzubereiten

Man sollte prinzipiell darauf schauen, dass man genügend Zeit im Bett verbringt und sich genug Zeit zum Schlafen nimmt. Wenn man etwa versucht, früher ins Bett zu gehen, dann fällt auch das frühere Aufstehen leichter. Das ist aber für viele Menschen im Alltag nur schwer umsetzbar.

Wie lange man grundsätzlich schlafen sollte

Die Empfehlung aller Schlafgesellschaften ist generell sieben bis neun Stunden, was vielen Menschen überraschend lange erscheint. Wir wissen aus Umfragen, dass die Hälfte der Österreicher maximal sieben Stunden oder weniger pro Nacht schläft, das heißt, sie haben eigentlich chronischen Schlafmangel.

Jeder Mensch sollte pro Nacht sieben bis neun Stunden schlafen
Birgit Högl, Schlafforscherin

Ob den Menschen dieser latente Schlafmangel bewusst ist

Wenn ich in meinem Alltag stark eingespannt bin und unter Strom stehe, bemerke ich meist gar nicht, dass ich chronischen Schlafmangel anhäufe. Es kommen immer wieder Menschen zu uns ins Schlaflabor, weil sie bei monotonen Tätigkeiten während der Arbeit kurz einnicken. Oder sie werden zu uns geschickt, weil sie durch Sekundenschlaf am Steuer einen Unfall verursacht haben. Da muss man natürlich abklären was die Gründe dafür sind. Aber dahinter steckt nicht immer eine schlafmedizinische Erkrankung, sondern recht oft ein Schlafmangelsyndrom, also wenn Menschen über lange Zeit chronisch zu wenig Zeit im Bett verbringen und zu wenig Schlaf bekommen. Oft sind diese Menschen aber so sehr in ihre Aufgaben und Pflichten verstrickt, dass sie das selbst gar nicht bemerken.

Frauen brauchen etwa eine Stunde mehr Schlaf als Männer
Frauen brauchen etwa eine Stunde mehr Schlaf als Männer
iStock

Weshalb es sehr schwer ist, daran etwas zu ändern

Theoretisch müsste einfach die Schlafzeit verlängert werden, um eine halbe oder eine Stunde pro Nacht. Aber es ist für die meisten Menschen in der Regel nicht so einfach, das in der Praxis umzusetzen, weil an ihnen von allen Seiten gezerrt wird und sich kaum Ansätze finden lassen, wo sich die nötige Zeit finden lässt. Später zur Arbeit gehen funktioniert meistens nicht, früher ins Bett ist auch schwierig, weil viele erst spät von der Arbeit heimkommen und nach allen familiären Aufgaben und den Pflichten im Haushalt auch etwas Zeit für sich benötigen und nicht nur Aufgaben erfüllen wollen.

Ob Frauen mehr Schlaf benötigen als Männer

Frauen brauchen etwa eine Stunde mehr Schlaf als Männer, und es hat sich bei vielen Studien gezeigt, dass Frauen tatsächlich objektiv mehr schlafen. Als eine mögliche Erklärung dafür wurde angeführt, dass das eventuell damit zu tun haben könnte, dass Frauen mehr Multitasking machen müssen in ihrem Alltag und deshalb mehr Schlaf benötigen.

Wie viele Patienten an echter Schlaflosigkeit leiden

Wir unterscheiden kurzzeitige und chronische Schlaflosigkeit. Hauptkriterium dafür, um eine Schlaflosigkeit als solche zu bezeichnen, ist, dass sie einen Menschen beeinträchtigt und es einen subjektiven Leidensdruck gibt. Daraus ergibt sich dann auch die Behandlungsbedürftigkeit. Behandeln bedeutet nicht automatisch, dass Medikamente gegeben werden, son dern es werden in vielen Fällen zuerst nicht-medikamentöse Ansätze verfolgt. Viele Patienten, die an Schlaflosigkeit leiden, würden im Schlaflabor übrigens gar nicht so deutliche Unterschiede zeigen im Vergleich zu Menschen, die nach ihrer subjektiven Wahrnehmung normal schlafen.

Wie viele Österreicher überhaupt Schlafprobleme haben

Sehr oberflächlich gesagt: Die Hälfte der Österreicher nimmt sich zu wenig Zeit zum Schlafen, leidet also unter Schlafmangel. Ein Drittel der Menschen hat gelegentlich Schlafprobleme, chronische Insomnie nach den exakten Kriterien haben bis zu zehn Prozent der Menschen. Aber es ist schwierig, das genau anzugeben, weil es eben sehr von der Definition abhängt, die man anwendet.

Frauen benötigen generell mehr Schlaf als Männer
Etwa eine Stunde mehr pro Nacht ist normal und gut

Was die individuelle Schlafqualität erhöht

Eine möglichst fixe Aufstehzeit und wenn möglich auch eine fixe Zubettgehzeit. Bei Dunkelheit schlafen und sich am Tag bewusst dem Tageslicht aussetzen, auch ins Freie gehen, am besten bereits morgens Tageslicht tanken. Wenn man schwer einschlafen kann, vor dem Zubettgehen keine Dinge tun oder über Themen nachdenken, die einen emotional aufwühlen. Abends keine Festbeleuchtung in der Wohnung aufdrehen, nicht an hellen Bildschirmen arbeiten und im Bett nicht mehr mit dem Handy hantieren. Denn die Lichtintensität kann die Melatoninbildung unterdrücken und es schwieriger machen einzuschlafen. Und ganz besonders empfindlich reagieren die Zellen in der Netzhaut des Auges auf kurzwelliges blaues Licht, wie es von Handys und Computerbildschirmen abgestrahlt wird. Die Beleuchtung vor dem Zubettgehen dimmen, für warme Hände und Füße sorgen. Und nach Möglichkeit sein Handy stummschalten.

Intensive Düfte können den Schlaf ziemlich stören
Intensive Düfte können den Schlaf ziemlich stören
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Weshalb es besser ist, vor dem Einschlafen in einem Buch zu lesen, als am Handy

Das wurde vor einigen Jahren in den USA wissenschaftlich erwiesen. Dabei wurden Menschen, die ein Buch auf einem elektronischen Lesegerät gelesen haben und welche, die auf Papier gelesen haben, verglichen. Es wurde exakt gemessen, wie rasch diese Personen einschlafen konnten, wie solide ihr Schlaf war und auch, wann die Melatoninausschüttung begann. Und es hat sich gezeigt, dass jene, die auf die klassische Art gelesen haben, schneller eingeschlafen sind, ihr Schlaf stabiler war und die Melatoninausschüttung früher eingesetzt hat.

Was von "Schlaf-Boostern" wie extraschweren Bettdecken oder Kopfpolstersprays zu halten ist

Angenehme Luft im Schlafzimmer ist auf jeden Fall förderlich, intensive Düfte können den Schlaf allerdings ziemlich stören. Deshalb wurden früher in Krankenhäusern stark duftende Blumen während der Nacht weggestellt, um den Patienten eine möglichst störungsfreie Nachtruhe zu ermöglichen. Ich würde nicht darauf bauen, dass irgendwelche Duftmischungen fürs Schlafzimmer auch wirklich den Schlaf fördern.

Auch die Sache mit den speziellen Schlafdecken … in meiner Kindheit gab es noch ganz schwere Bettdecken. Vor allem, wenn man zu Besuch aufs Land gefahren ist, gab es da oft kiloschwere Federbetten, und da hat man meistens hervorragend drinnen geschlafen. Aber irgendwann kamen ganz leichte Daunendecken in Mode und das war dann ganz neu und attraktiv. Derzeit werden wieder spezielle Decken als Mittel gegen Schlafprobleme propagiert, besonders extraschwere Decken, die heute ja nicht mehr mit Geflügelfedern gemacht sind, sondern zum Teil irgendwelche Metallgewichte eingefüllt haben, sind seit einiger Zeit der letzte Schrei.

Ich denke, dass gerade in diesem Bereich sehr viele Gewohnheiten auf kulturellem Background aufbauen. Es gibt etwa Länder, wo die Decke unter die Matratze geschlagen wird, um sie möglichst festzuzurren, auch beim Schlafen. Wer daran gewöhnt ist mag das, für andere Menschen ist allein dieser Gedanke unerträglich. Das alles sind kulturelle Phänomene und individuelle Gewohnheiten, das heißt, man darf auch nach den eigenen Vorlieben gehen.

Man kann nicht generalisieren, dass der Schlaf vor Mitternacht am wichtigsten ist
Man kann nicht generalisieren, dass der Schlaf vor Mitternacht am wichtigsten ist
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Ob der Schlaf vor Mitternacht wirklich gesünder ist

Das so gedacht wird, hat einen historischen Grund. Man hat erwiesenermaßen in den ersten beiden Stunden nach dem Einschlafen die meisten Tiefschlafphasen, weil der Schlafdruck am höchsten ist, wenn man zuvor den ganzen Tag lang wach gewesen ist. Und am Beginn der Schlafforschung war in den Schlaflaboren meist um 22 Uhr Nachtruhe, also hatten die Patienten in den beiden Stunden vor Mitternacht die meisten Tiefschlafphasen. Wer erst um 23 Uhr Schlafen geht, hat eben zwischen 23 und 1 Uhr seine stärkste Tiefschlafphase und so weiter. Man kann das also nicht generalisieren, dass der Schlaf vor Mitternacht am wichtigsten ist, sondern es hängt davon ab, wie lange ich vorher wach gewesen bin und wie meine innere Uhr eingestellt ist. Ein ausgeprägter Abend- oder Nachtmensch ist vor Mitternacht oft noch gar nicht müde, und da nützt es überhaupt nichts, so jemandem zu sagen, vor Mitternacht ist der Schlaf wertvoller.

Ob wir den Schlüssel für guten, erholsamen Schlaf selbst finden müssen

Es ist sinnvoll, in sich hineinzuhören, die Rhythmik seines Körpers und seine Bedürfnisse zu erspüren und sich dann dementsprechend zu verhalten. Wobei, es hat natürlich alles seine Grenzen. Jugendliche und junge Erwachsene haben ihre Zeit oft sehr stark nach hinten verschoben und sind extreme Nachtmenschen. Das kann sich dann schon mit der Ausbildung schneiden und es ist schlicht nicht möglich, einzig auf den eigenen inneren Rhythmus zu hören. Aber langfristig ist es schon so, es gibt Menschen, die sind eher Frühmenschen und welche, die sind eher Abendmenschen. Und wenn man das berücksichtigen kann bei der Wahl des Arbeitsplatzes, ist es optimal.

Wie belastend Schicht- und Nachtarbeit wirklich sind

Der Mensch ist ein Wunderwerk an Anpassungsfähigkeit und es ist erstaunlich, an welche Bedingungen sich Menschen anpassen können. Aber bei der Schichtarbeit muss man sagen, dass es eine oft unterschätzte Belastung für den Körper ist, wenn man jahrelang Schichtarbeit verrichtet. Schichtarbeiter haben auch höhere Gesundheitsrisiken für verschiedene Krankheiten als Folge ihrer Schichtarbeit. Und man muss schon sagen, dass es für uns Menschen die von der Natur vorgegebene Anlage ist, dass wir tagsüber aktiv sind und nachts schlafen – mit sehr wenigen Ausnahmen. Schichtarbeit und einige andere Lebensstilaspekte sind dem entgegengesetzt. Man weiß auch, dass Menschen, die nach der Schichtarbeit nach Hause kommen, selbst bei optimalen Bedingungen für eine gute Ruhezeit, trotzdem weniger Schlaf bekommen als Menschen, die nachts schlafen können. Eben weil sie außerhalb ihres individuellen und biologischen Schlaffensters schlafen müssen. Der Nachtschlaf ist auf jeden Fall der bessere und gesündere Schlaf als der am Tag.

Schichtarbeiter leben nicht gesund, der Nachtschlaf ist der bessere Schlaf als jener am Tag
Professorin Birgit Högl,Leiterin des Schlaflabors an der Universitätsklinik Innsbruck

Ob zu langes schlafen Krebs fördern kann, wie die WHO warnt

Es gibt viele Studien über die Risiken für Krebs, Diabetes, Bluthochdruck oder Demenz, in denen auch der Faktor Schlaf eine große Rolle spielt. Besonders lange Schlafzeiten von über neun Stunden bedeuten hier wahrscheinlich aber etwas ganz anderes. Die Erklärung hier ist, dass Menschen, bei denen gesundheitlich "etwas im Busch ist", oft schon vor dem Ausbruch der Krankheit verlängerte Schlafenszeiten aufweisen. Was ich sagen will: Man kann aus diesen Studien nicht folgern, dass langer Schlaf das Risiko direkt erhöht, sondern es könnte auch andersherum sein. Ein sehr langer Schlaf kann aber durchaus darauf hinweisen, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Ob der Vollmond unser Schlafverhalten wirklich beeinflusst

Bei Befragungen dazu bekommt man sehr viele subjektive Eindrücke, die oft nur schwer zu beweisen sind. Es gibt eine Arbeitsgruppe in Basel, wo das genau untersucht wurde. Da hat sich gezeigt, dass die jeweilige Mondphase tatsächlich einen Einfluss auf den Schlaf hat, diese objektiven Veränderungen sind allerdings sehr gering. Und es ist wahrscheinlich nicht das Mondlicht an sich, das zu diesen Veränderungen führt, weil in den meisten Fällen die Umgebungsbeleuchtung sehr viel intensiver ist als das Mondlicht. Die Veränderungen werden eher mit der Erdrotation und den Gezeiten in Verbindung gebracht.

Bei großen Erhebungen, wo man viele Probanden ein tägliches Schlaftagebuch führen lässt, hat sich kein so deutlicher Zusammenhang zwischen Schlafqualität und Mondphase gezeigt. Es ist vielmehr so, dass wenn man schlecht geschlafen hat, dann sucht man nach Ursachen dafür, und wenn gerade Vollmond ist, dann hat mein seine Ursache rasch gefunden. Aber wenn man gut geschlafen hat, sucht man nicht nach Gründen dafür und es ist ganz gleich, ob Vollmond war oder nicht. Hauptsache man hat gut geschlafen. Das trifft jedenfalls für unsere Umgebung zu, bei den wenigen verbleibenden indigenen Gemeinschaften ohne Elektrizität ist das oftmals anders.

Birgit Högl, "Besser Schlafen", Brandstätter Verlag, 26 Euro
Birgit Högl, "Besser Schlafen", Brandstätter Verlag, 26 Euro
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