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über 100 Tote

Texas-Todesflut: Das Wasser stieg pro Minute um 30 Zentimeter

Binnen kürzester Zeit wurde der Guadalupe River zu einem reißenden Strom, viele Menschen am Ufer wussten gar nicht, was auf sie zukommt. Die neuesten Erkenntnisse über die Flutkatastrophe in Texas, welche Mit-Schuld die Politik daran hat – das müssen Sie wissen.

In Camp Mystic kamen mindestens 27 junge Mädchen ums Leben, 10 werden noch vermisst
In Camp Mystic kamen mindestens 27 junge Mädchen ums Leben, 10 werden noch vermisstRONALDO SCHEMIDT / AFP / picturedesk.com
Martin Kubesch
Akt. 09.07.2025 15:37 Uhr

Die Dimensionen der Naturgewalt, die hier über die Menschen hereingebrochen ist, sind kaum vorstellbar.

Bei der verheerenden Sturzflut, die am vergangenen Wochenende im Süden des US-Bundesstaates Texas eine Katastrophe ausgelöst hat, stieg das Wasser des Flusses Guadalupe an manchen Stellen binnen weniger als einer Stunde um acht (!) Meter an. Stellenweise sei der Pegel pro Minute um 30 Zentimeter gestiegen, berichteten Einsatzkräfte am Montag danach.

Die vorläufige Bilanz der Flutkatastrophe: Mindestens 109 Tote, davon 28 Kinder. Mehr als 160 weitere Menschen werden noch vermisst. Die Zahl der Vermissten stieg zuletzt stark an, da mittlerweile die Vermissten-Suche von den Behörden koordiniert wird und sich daraufhin zahlreiche weitere Menschen mit Suchmeldungen an die Behörden gewandt haben.*

Wie es dazu kommen konnte, weshalb es für die Menschen in der betroffenen Region kaum Warnungen vor dem Wasser gab, weshalb der Politik eine Mitverantwortung an der Katastrophe gegeben wird – was Sie über die Tragödie von Texas wissen müssen:

Am Ufer des Guadalupe River türmt sich das von den Wassermassen mitgerissene Treibgut meterhoch
Am Ufer des Guadalupe River türmt sich das von den Wassermassen mitgerissene Treibgut meterhoch
Julio Cortez / AP / picturedesk.com
Bäume, Sträucher, Straßenschilder: Von der Gewalt des Wassers blieb kaum etwas verschont
Bäume, Sträucher, Straßenschilder: Von der Gewalt des Wassers blieb kaum etwas verschont
REUTERS/Marco Bello

Was ist geschehen?
Am Freitag, dem 4. Juli, kam es ab etwa 6 Uhr früh Ortszeit (13 Uhr in Österreich) am Guadalupe River im Süden von Texas zu einer Sturzflut, nachdem im Oberlauf des Flusses ab 4 Uhr früh heftig zu regnen begonnen hatte. Dabei fielen binnen weniger Stunden bis zu 300 mm Regen pro Quadratmeter – das ist knapp die Hälfte der durchschnittlichen Regenmenge eines Jahres hier (ca. 720 mm).

Was hatte das zur Folge?
Der starke Regen ließ den insgesamt etwa 700 Kilometer langen Fluss binnen kürzester Zeit massiv anschwellen. Der Guadalupe River ist im Oberlauf laut Wikipedia ein "kleines, schnell fließendes Gewässer mit Kalksteinufern". Aufgrund der geografischen Gegebenheiten floss der starke Regen unmittelbar ab, was stromabwärts dazu führte, dass die Wassermassen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit anstiegen. Videos in den Sozialen Medien zeigen, mit welchem Tempo die Flut anschwoll.

Woher kam all der Regen überhaupt?
Laut US-Meteorologen handelte es sich dabei um die Überreste des Tropensturms Barry, der sich Ende Juni über dem Golf von Mexiko gebildet hatte, am 30. Juni auf Land traf und sich dann relativ rasch auflöste. Die in den Wolken verbliebene Feuchtigkeit entlud sich aufgrund einer lokalen Wetterlage über Zentraltexas und verursachte so die Sturzflut.

Weshalb floss das Wasser so rasend schnell ab?
Weil der Guadalupe River im Texanischen Hügelland entspringt, einer kargen, karstigen Landschaft, die vor allem durch Kalkstein und Granit geprägt wird. Hier gibt es kaum fruchtbaren Boden, der größere Wassermassen aufnehmen kann. Was vom Himmel fällt, wird sofort weiter geleitet. Bei herkömmlichen Wassermassen ist das kein Problem, hier wurde es zur todbringenden Wasserwalze.

In manchen Bereichen stieg das Wasser des Fusses binnen weniger als einer Stunde um bis zu 8 Meter an
In manchen Bereichen stieg das Wasser des Fusses binnen weniger als einer Stunde um bis zu 8 Meter an
JIM VONDRUSKA / AFP Getty / picturedesk.com
Auch zahlreiche Brücken hielten dem Guadalupe River nicht stand
Auch zahlreiche Brücken hielten dem Guadalupe River nicht stand
REUTERS/Marco Bello

Was waren die Folgen der Sturzflut?
Das Wasser raste mit enormer Geschwindigkeit talwärts und stieg gleichzeitig massiv an. Das Tal des Guadalupe River wird nicht umsonst als "Flash Flood Alley" (etwa "Sturzflutgasse") bezeichnet, der Fluss gilt als einer der gefährlichsten des Kontinents. USA-weit ist das Risiko für Sturzfluten hier am größten, berichtet die New York Times. Alleine zwischen 1959 und 2019 starben hier mehr als 1.000 Menschen bei Hochwassern. Die aktuelle Überflutung mit mehr als 100 Todesopfern gilt als tödlichste der vergangenen hundert Jahre.

Weshalb die hohe Opferzahl?
In den USA war das vergangene Wochenende ein verlängertes, da am Freitag Nationalfeiertag war. Zudem haben in vielen Bundesstaaten bereits die Schulferien begonnen. Das nutzten tausende Menschen, um am Ufer des Guadalupe River zu campen, da der Fluss gleichzeitig ein Paradies für Kanu- und Kajakfahrer ist. Viele von ihnen wurden Opfer der Sturzflut.

Und die Mädchen in dem Ferienlager?
Zusätzlich gibt es entlang des Ufers auch mehrere Feriencamps für Kinder. So etwa das 1926 gegründete christliche Camp Mystic for Girls nahe der dem Städtchen Hunt. Insgesamt waren hier zum Zeitpunkt der Katastrophe etwa 750 Mädchen zu Gast. Mindestens 27 von ihnen kamen in den Fluten ums Leben, zehn Mädchen werden noch vermisst.

Wo gab es die meisten Todesopfer?
In Kerr County am Oberlauf des Guadalupe. Hier liegt das schwer getroffene Camp Mystic. Insgesamt wurden bisher 84 Tote geborgen.

Wie viele Menschen konnten gerettet werden?
Allein am 4. Juli, dem Tag der Katastrophe, konnten von Rettungskräften etwa 200 Menschen lebend aus den Fluten geborgen werden.

Das Jugendlager Camp Mystic direkt am Ufer des Guadalupe River gelegen: Noch werden hier zehn Mädchen vermisst
Das Jugendlager Camp Mystic direkt am Ufer des Guadalupe River gelegen: Noch werden hier zehn Mädchen vermisst
Julio Cortez / AP / picturedesk.com
Insgesamt waren zum Zeitpunkt der Katastrophe etwa 750 Mädchen in dem christlichen Ferienlager
Insgesamt waren zum Zeitpunkt der Katastrophe etwa 750 Mädchen in dem christlichen Ferienlager
REUTERS/Marco Bello

Kam es noch zu weiteren Überflutungen?
Ja, etwas weiter nördlich, im Gebiet des Colorado River, kam es ebenfalls aufgrund der starken Regenfälle zu weiträumigen Überflutungen. Glücklicherweise entwickelte sich hier jedoch keine so verheerende Sturzflut und es sind wesentlich weniger Opfer zu beklagen als am Guadalupe River.

Besteht weiterhin Gefahr, oder ist zumindest das Schlimmste vorüber?
Laut US-Wetterstellen waren für Montag und Dienstag weitere schwere Regenfälle in der Region mit bis zu 250 mm pro Quadratmeter vorhergesagt. Je nachdem, wo diese niedergehen werden, könnte es wieder zu Sturzfluten oder Überschwemmungen kommen.

Zu Pferd und mit Hunden suchen Freiwillige nach Vermissten. Die Tiere kommen hin, wo die Rettungskräfte mit Boot oder Auto scheitern
Zu Pferd und mit Hunden suchen Freiwillige nach Vermissten. Die Tiere kommen hin, wo die Rettungskräfte mit Boot oder Auto scheitern
REUTERS/Sergio Flores

War die Katastrophe denn nicht vorhersehbar?
Diese Frage stellt sich tatsächlich sehr dringend, da ja offenbar einerseits bekannt gewesen ist, wie gefährlich die geografischen Gegebenheiten dort sind. Und andererseits muss zumindest für Meteorologen klar gewesen sein, dass die Überreste des Tropensturms Barry mit ihren Wassermassen irgendwo zu Boden gehen werden. Die Computermodelle sind ja diesbezüglich mittlerweile sehr genau.

Was bedeutet das konkret?
Tatsächlich gab es bei diversen Behörden sehr wohl ein klares Verständnis dafür, dass sich hier etwas anbahnte. Bereits am 2. Juli warnte offenbar die Texas Division of Emergency Management vor starken Regenfällen, am 3. Juli nachmittags veröffentlichte das National Weather Service via Social Media einen Hinweis auf mögliche Überschwemmungen.

Satellitenkarte vom 4. Juli: Binnen weniger Stunden fiel so viel Regen wie sonst oft in einem halben Jahr
Satellitenkarte vom 4. Juli: Binnen weniger Stunden fiel so viel Regen wie sonst oft in einem halben Jahr
Wikipedia

Wann erkannte man, dass sich eine Katastrophe anbahnt?
Kurz vor Mittnacht (3. Juli, 23.41 Uhr Ortszeit) wurde die Erste "Flash Flood Warning" ausgegeben. Bis 2 Uhr Früh des 4. Juli wurde die Alarmstufe auf "Catastrophic" angehoben. Damit wurden die Sturzflutwarnungen automatisch auf alle Handys im betroffenen Gebiet weiter geleitet. Da hatte es noch gar nicht zu regnen begonnen.

Und weshalb wurde das Tal des Guadalupe River dann nicht sofort geräumt?
Weil es schlicht nicht die technischen Möglichkeiten dafür gibt, obwohl die Gefahren bekannt gewesen sind. Bereits im Jahr 2018 war diskutiert worden, ein Warnsystem aus Pegelstandsanzeigen und Sirenen für exakt solche Fälle wie diesen zu installieren, um die Bevölkerung rasch zu warnen. Doch die Idee war damals wieder verworfen worden – aus Kostengründen, wie der höchste zuständige Beamte des Bezirks noch am 4. Juli freimütig bekannt gab: "Die Steuerzahler hatten kein Interesse, dafür aufzukommen."

Tonnenschwere Maschinen wurden weggespült wie Spielzeug
Tonnenschwere Maschinen wurden weggespült wie Spielzeug
REUTERS/Sergio Flores

Warum reagierten die Menschen nicht auf die Handy-Warnung?
Möglich, dass die Menschen die Warnungen nicht ernst nahmen. Auch möglich, das viele die Warnung nicht oder zu spät erreichte. Ob es daran lag, dass die Menschen ihre Mobiltelefone ignorierten, oder ob die Nachrichten mangels Netzabdeckung gar nicht erst bis zu den Handys kamen, wird zu untersuchen sein. Tatsache ist, dass viele Menschen auf die Handy-Warnungen nicht reagierten.

Angeblich sind auch die Budgetkürzungen der Trump-Regierung mit Schuld an der Katastrophe?
Diese Theorie gibt es. Sie basiert primär auf Medien-Recherchen, u.a. der New York Times, die mit einem Gewerkschaftsvertreter des National Weather Service (NWS) sprach. Laut dem seien in den von den Niederschlägen besonders hart getroffenen Gebieten in Texas Schlüsselpositionen in den lokalen NWS-Niederlassungen nicht besetzt gewesen.

Die Spuren an den Wänden zeigen, wie hoch das Wasser in Camp Mystic anstieg
Die Spuren an den Wänden zeigen, wie hoch das Wasser in Camp Mystic anstieg
REUTERS/Sergio Flores

Also gab es niemanden, der es hat kommen sehen?
So könnte man es zusammenfassen. Laut dem Bericht würde es zu wenige Meteorologen und Hydrologen geben, die das, was sie auf den Wetterkarten sehen würden, auch interpretieren könnten. Zudem hätte es seitens des Wetterdienstes Kommunikationsmängel mit den lokalen Behörden gegeben, die deshalb das verheerende Ausmaß der Flut nicht hätten richtig einschätzen können.

Und was hat Trump damit zu tun?
Unter seiner Regierung habe sich der Personalmangel in den lokalen NWS-Büros verdoppelt, so Gewerkschafter Fahy. Denn viele erfahrene Kräfte hätten im Frühjahr die Golden Handshake-Angebote der Regierung angenommen, und die Stellen seien nicht neu besetzt worden, da die Regierung Trump ja die Ausgaben für Bundesbeamte drastisch zurückfahren wolle.

Das Unglücksgebiet liegt im Süden von Texas, etwa 100 Kilometer von San Antonio entfernt
Das Unglücksgebiet liegt im Süden von Texas, etwa 100 Kilometer von San Antonio entfernt
APA-Grafik / picturedesk.com

Und stimmt das?
Schwer einzuschätzen. Aber wie die F.A.Z. schreibt, hatten bereits im vergangenen Mai fünf frühere Direktoren des Nationalen Wetterdienstes in einem offenen Brief vor den Folgen der geplanten Kürzungen in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar bei der "National Oceanic and Atmospheric Administration" gewarnt, welcher der Wetterdienst NWS unterstellt ist.

Weil sie was befürchteten?
In dem offenen Brief hieß es weiter: Auch wenn beim NWS selbst nicht gespart werde, werde es "wegen der engen Verzahnung aller Bereiche" Auswirkungen auf die Wettervorhersagen geben. "Unser schlimmster Albtraum ist, dass die Behörden für Wettervorhersagen so unterbesetzt sein werden, dass es zu unnötigen Todesfällen kommt", so die Ex-Direktoren.

Nach wie vor werden im Unglücksgebiet insgesamt mindestens 41 Menschen vermisst
Nach wie vor werden im Unglücksgebiet insgesamt mindestens 41 Menschen vermisst
REUTERS/Marco Bello

Was sagt Präsident Trump dazu?
Er bezeichnete Vorwürfe demokratischer Politiker, die seine Budgetkürzungen für den katastrophalen Verlauf der Sturzflut verantwortlich machen, als "widerlich" und verwies auf seinen Vorgänger Joe Biden, in dessen Amtszeit der Katastrophenschutz nicht entsprechend ausgebaut worden sei. Gleichzeitig wies der Präsident darauf hin, dass es sich "um ein Jahrhundertereignis" gehandelt habe, das keiner hätte kommen sehen können.

Und sonst?
Der Präsident sagte Bundesmittel zu, um die Auswirkungen der Katastrophe rascher in den Griff zu bekommen. Und er kündigte an, "möglicherweise" am kommenden Freitag ins Unglücksgebiet nach Texas zu reisen. Nicht wenige Beobachter bezweifeln allerdings, dass Trump sich tatsächlich am Ort der Katastrophe sehen lässt – zu groß könnte seine Abneigung gegenüber negativen Bildern sein.

Ein Bild mit Symbolkraft: Beobachter machen die Sparpolitik von Präsident Trump für die Katastrophe mit verantwortlich
Ein Bild mit Symbolkraft: Beobachter machen die Sparpolitik von Präsident Trump für die Katastrophe mit verantwortlich
Eric Gay / AP / picturedesk.com

Wie geht es jetzt in Texas weiter?
Zunächst gilt es für Bevölkerung wie Behörden, die noch kommenden Regenfälle zu überstehen und alle Vermissten zu finden. Danach ist das große Aufräumen angesagt. Ob man sich doch noch dazu durchringt, einen lokalen Schutzmechanismus zu etablieren, der die Menschen entlang des Guadalupe River unmittelbar warnt, wird sich zeigen. Nimmt man die unglaubliche Dynamik aktuellen Ereignisse als Gradmesser, gibt es dazu eigentlich keine auch nur halbwegs vernünftige Alternative.

* aktualisiert am 9. Juli um 15.30 Uhr

Martin Kubesch
Akt. 09.07.2025 15:37 Uhr