Neuer US-Rekord

Warum der Chefsessel 2024 oft zum Schleudersitz wurde

320 Chefs großer US-Unternehmer mussten heuer den Hut nehmen, so viele wie noch nie. Geld-Profi Monika Rosen erklärt die spektakulärsten Fälle und was Corona damit zu tun hat.

Monika Rosen war über 20 Jahre lang Chefanalystin im Private Banking einer österreichischen Großbank. Sie ist auch Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft
Monika Rosen war über 20 Jahre lang Chefanalystin im Private Banking einer österreichischen Großbank. Sie ist auch Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft
Helmut Graf
Monika Rosen
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In den obersten Chefetagen der börsennotierten US Unternehmen rotierte die Drehtür 2024 besonders schnell. Mit mehr als 320 Rücktritten von Vorstandsvorsitzenden gab es die meisten Führungswechsel seit 2010 und damit seit Beginn der Aufzeichnungen.

Betroffen waren oft Unternehmen, die ihre Branche lange Zeit dominiert hatten. Der Trend ist auf den ersten Blick umso verwunderlicher, als die US Konjunktur gerade jetzt exzellent läuft. Oder ist genau das Teil des Problems? Bei welchen großen US-Multinationals im neuen Jahr neue Besen kehren, und was das auch über gesellschaftliche Trends aussagt:

Zunächst: wovon genau sprechen wir?
Eine große US-Personalvermittlung verfolgt seit vielen Jahren die Trends am Arbeitsmarkt und damit auch die Häufigkeit von Ablösungen an der Konzernspitze. Hier gilt es zu betonen: Wir beschränken uns in der Analyse auf die Vorstandsvorsitzenden von börsennotierten US Unternehmen. 2024 gab es mit mehr als 320 Rücktritten hier einen neuen Rekord. Der Wert stellt auch eine Steigerung von fast 10 Prozent gegenüber 2023 dar.

John Donahoe hatte als CEO bei Nike keinen guten Lauf: gefeuert
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Ist das einfach zufällig so, oder unterliegen auch die Chefetagen gewissen Trends?
Man kann schon langfristige Muster erkennen. Üblicherweise nehmen Führungswechsel während einer Rezession zu. Das hat natürlich mit der Tatsache zu tun, dass der CEO für die Zahlen des Unternehmens verantwortlich ist. Wenn diese hinter den Erwartungen zurückbleiben, wackelt sein Sessel.

Aber diese Erklärung trifft doch derzeit nicht zu, oder?
Nein, derzeit sind wir in den USA von einer Rezession weit entfernt. Aber gerade der wirtschaftliche Boom ist wahrscheinlich manchen CEOs zum Verhängnis geworden. Wenn sie Fehler machen, werden diese besonders schnell sichtbar, denn die Rahmenbedingungen sind ja für alle quasi gleich, nämlich gleich gut.

Aber einen gewissen Einfluss hat die aktuelle Konjunkturlage schon, oder?
Ja, durchaus. Schätzungen gehen davon aus, dass die US Wirtschaft 2025 mit rund 2 Prozent etwas weniger dynamisch wachsen wird als 2024 (2,7 Prozent). Das heißt, eine gewisse Verlangsamung ist schon zu beobachten. Das allein reicht als Begründung für die vielen Rochaden aber wahrscheinlich nicht aus.

Barry McCarthy musste als CEO des Hometrainer-Unternehmens Peloton abdanken
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Was ist es dann?
Wir sehen wahrscheinlich noch eine der Nachwirkungen von Covid. Während der Pandemie herrschten Bedingungen, wie sie niemand von uns zu Lebzeiten je gesehen hatte. In dieser Situation ging die Zahl der Führungswechsel drastisch zurück, niemand wollte große Veränderungen vornehmen. Man war vielmehr froh, wenn man die Krise halbwegs unbeschadet überstand.

Jetzt, wo sich die Lage wieder normalisiert hat, werden Richtungswechsel vermehrt angegangen. Man kann also schon von einem gewissen Rückstau sprechen, der "abgearbeitet" wird.

Gibt es außer Covid noch andere Faktoren, die hier hereinspielen könnten?
Einerseits haben die gestiegenen Zinsen sicher viele Unternehmen mit hohen Kapitalkosten unter Druck gesetzt. Und auch der Siegeszug von KI wird eine Rolle spielen. Wir erleben gerade wieder eine Phase der schnellen technologischen Umwälzung. Wer hier aufs falsche Pferd setzt, gerät rasch ins Hintertreffen.

Kann man daraus schließen, dass kürzere Amtsperioden für CEOs ein neues Phänomen sind?
Nein, dieser Schluss ist eigentlich nicht richtig. Eine Studie der Harvard University hat ergeben, dass die "Verweildauer" von CEOs in den letzten 10 Jahren generell zurückgegangen ist. Der Druck auf die Konzernchefs ist auch schon vor Covid, Inflation & Co deutlich gestiegen und hat zu häufigeren Führungswechseln geführt.

David Calhoun Boeing konnte sich nur kurz an der Spitze von Krisen-Boeing halten
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Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind?
Das ist ein exzellenter Punkt. Ja, die gibt es. Konsumbezogene Branchen, wie Unterhaltung oder Freizeitgestaltung, erleben generell häufiger eine Ablösung an der Spitze. Sie müssen immer mit den neuesten Trends mithalten und unterliegen stärker dem Zeitgeschmack. Hier können viel schneller Strategiefehler passieren. Demgegenüber gibt es zum Beispiel bei Versorgern oder Energieunternehmen weniger oft Rochaden.

Dann kommen wir doch zu einigen prominenten Beispielen des Jahres 2024 …
Da wäre beispielsweise Nike zu nennen. Das Unternehmen war und ist einer der bekanntesten Markennamen der Welt. Das Wachstum war zuletzt aber ins Stocken geraten, die Produktlinie gilt als zu wenig innovativ. Das machte aggressive Abverkäufe notwendig, was die Margen unter Druck brachte. Im Oktober wurde der CEO ausgetauscht, er will durch Rückbesinnung auf das Thema "Sport" den Turnaround schaffen.

Eine weitere prominente Rochade des Jahres kommt ebenfalls aus dem Sport, oder?
Absolut, und zwar Peloton. Das ist eine geradezu klassische Covid-Geschichte. Der Hersteller von Heimtrainern, die mit dem Internet verbunden sind, erlebte während der Pandemie einen beispiellosen Boom. Danach kam allerdings das böse Erwachen. Viele Konsumenten wollten (oder konnten) die teuren Abos, mit denen Peloton sein Geld verdient, nicht erneuern und stiegen aus.

Hier hat man auch im Oktober den CEO ausgetauscht. Der neue Mann hat Erfahrung mit dem Abo-Geschäft und soll das Wachstum wieder ankurbeln.

Chipotle-CEO Brian Niccol schlug 2024 bei Starbucks und bekam einen Traumvertrag
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DYLAN BUELL / AFP Getty / picturedesk.com

Dann gibt es aber auch Fälle, wo der neue CEO gleich einmal für Schlagzeilen sorgt …

Das war bei Starbucks der Fall. Nachdem der Absatz in den Kernmärkten zurückging, holte das Unternehmen im August den CEO von Chipotle (mexikanische Restaurant-Kette) an die Spitze.

Der machte allerdings weniger mit neuen Strategien als mit seinen Forderungen von sich reden. Mit einer Antrittsprämie von 10 Millionen Dollar und weiteren umfangreichen Kompensationen gehört er zu den bestbezahlten Managern des Landes. Außerdem wird er seinen Wohnsitz in Kalifornien belassen und per Flugzeug nach Seattle (Sitz von Starbucks) einpendeln. In Zeiten des Klimawandels ist das vielleicht eine problematische Botschaft.

Kommen wir zur Technologie. Auch da gab es einen prominenten Abgang …
Ja, der Rücktritt von Intel CEO Pat Gelsinger kann in vieler Hinsicht als emblematisch für die Umwälzungen in der Technologie gesehen werden. Der einstige Chip-Gigant sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, den Siegeszug der KI verschlafen zu haben. Mitbewerber Nvidia hat Intel hier in gigantischem Umfang den Rang abgelaufen.

Dabei erlitt Gelsinger ein fast österreichisches Schicksal. Er wurde per 1. Dezember (offenbar nicht ganz freiwillig) in den Ruhestand versetzt, ein permanenter Nachfolger wird noch gesucht.

Intel-CEO Pat Gelsinger traf falsche KI-Entscheidungen und privatisiert nun
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Das heißt, Intel hat derzeit einen interimistischen CEO …
So ist es, und das ist ebenfalls ein aktueller Trend. Eine Reihe von Unternehmen ernennt im Fall des Falles erst einmal einen Übergangskandidaten, der dann aber auch einfacher wieder auszutauschen ist. Die Suche nach der ultimativ passenden Lösung wird offenbar immer komplexer, auch und gerade auf der Führungsebene.

Und dann wäre da noch Boeing …
Der Flugzeughersteller kämpft seit Jahren mit Sicherheitsproblemen, im März 2024 gab es einen weiteren schlagzeilenträchtigen Vorfall bei Alaska Air. Darauf hin wurde im Vorstand kräftig umgerührt, der CEO sollte noch bis Jahresende 2024 im Amt bleiben. Im August wurde er dann aber doch vorzeitig abgelöst. Die Aufgabe, den strauchelnden Luftfahrtriesen aus der Krise zu führen und das Vertrauen in die Sicherheit der Boeing Maschinen wiederherzustellen, gilt als eine der größten Management-Herausforderungen derzeit.

Monika Rosen war mehr als 20 Jahre bei einer heimischen Großbank tätig, ist Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft und gefragte Spezialistin rund um alle Geldthemen

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