Kopfnüsse
Wie sich die ÖVP mit einer Bankerl-Abgabe kicklfit machte
Bei der SPÖ noch Teufelszeug, plötzlich eine göttliche Eingebung: Wieso die Volkspartei umschwenkte und jetzt auch für eine Bankenabgabe ist. Warum es sich um eine Mogelpackung handelt. Und welche Rolle Bunsenbrenner aktuell in der Politik spielen.

Es ist jetzt schon ein paar Jahrzehnte her, da fuhr meine Mutter mit dem Zug von Klagenfurt nach Salzburg. Es war eher eine Trödelei auf Schienen. Die Lok blieb bei jedem Misthaufen stehen, aber selbst bei voller Fahrt hätten Passagiere aussteigen und ein paar Stauden Sauerampfer zum Knabbern abreißen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, Relevantes zu versäumen. Vor allem keinen maßgeblichen Raumgewinn durch den Zug.
Mit KI-Stimme: Wie die ÖVP ein Bankl riss
Es war ein warmer Frühlingstag und als der Schaffner mit dem Entwerten der Karten fertig war, setzte er sich auf die Bank gegenüber meiner Mutter. Er nahm seine Kappe ab, strich sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn, legte die Kappe neben sich und sagte: "Jetz is Ostern, donn san die Sommaferien, Ollerheilign, Weihnachtn und donn homma wieda a Johr obegebogen."
"Obegebogen", das hieß hinter sich gebracht. Er erzählte in der Folge von den Jahren, die ihm noch auf die Pension fehlten, er beschrieb also die Zeitspanne, die er noch "obebiagn" müsste, um in den wohlverdienten Ruhestand hinübergleiten zu können. Diese Jahre bestanden immer aus derselben Abfolge von Ostern, Sommerferien, Allerheiligen und Weihnachten.

An diese Erzählung wurde ich erinnert, als ich in den vergangenen Tagen Menschen über den Jänner schreiben hörte und reden sah. Sie waren allesamt froh, dass sie das erste Monat überstanden hatten, einige regten sogar an, fortan noch 11-mal in diesem Jahr Silvester zu begehen, das nächste Mal Ende Februar.
Der Jänner war tatsächlich ein Monat der Überraschungen, bis unter die Decke vollgepackt mit Vorfällen. Hätte man sie alle auf ein gesamtes Jahr verteilt, dann wären die Leute trotzdem zum Schluss gekommen, dass es ein ereignisreiches 2025 war. So fand alles schon in den ersten 31 Tagen statt. Das Jahr ist eigentlich auserzählt.
In diesem seltsamen Jänner bekamen auch Ereignisse eine Bedeutung, die sich gar nicht ereigneten. Wir bekamen etwa keine Koalition. Die nicht erfolgte Einigung auf ein nicht ausverhandeltes Regierungs-Programm, das eine nicht bekannte Ministerschar vollziehen sollte, löste trotzdem eine Flut an Berichterstattung aus. Sie kann in Teilen oder ganz richtig gewesen sein, oder aber grundfalsch. Das machte aber nichts, die Artikel wirkten zumindest gut obegebogen.
Es besteht berechtigte Hoffnung, dass es sich mit einer Koalition bis Weihnachten ausgeht. Vielleicht erteilt der Bundespräsident nach dem Sommer der KPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung. Die Kommunisten werden zügig mit der Liste Madeleine Petrovic ein Bündnis eingehen, das im Nationalrat von der Bierpartei geduldet wird.
Wenn Sie jetzt einwenden, dass weder die KPÖ noch die Liste Petrovic und auch nicht Marco Pogo im Parlament sitzen, dann darf ich in aller Deutlichkeit sagen: Das stimmt. Aber es ist ja wie gesagt erst Anfang Februar.



Nein, das ist natürlich Humbug. Tatsächlich müsste es in diesem Februar zügig gehen. FPÖ und ÖVP dürften sich jetzt recht rasch auf eine Regierung einigen. Momentan werden die letzten Stolpersteine aus dem Weg geräumt, ohne vorher wirklich Stolpersteine gewesen zu sein.
Mich trifft das nicht ganz unvorbereitet. Vor rund drei Wochen hatte mich der "Report" gefragt, für wie wahrscheinlich ich eine Einigung halte. "Der Zug ist abgefahren", antwortete ich in aller jugendlichen Keckheit. Auch wenn es zuletzt hin und wieder anders aussah, habe ich meiner jugendlichen Keckheit aktuell nichts hinzuzufügen.
Das liegt auch an zwei Wahrnehmungen von diesem Wochenende, die ich miteinander verknüpfe. Mario Kunasek gab der Kleinen Zeitung ein Interview. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie man vielleicht meinen könnte, denn entgegen aller christlichen Traditionen hatte der neue steirische FPÖ-Landeshauptmann vor Weihnachten ein bereits fix vereinbartes Gespräch abgesagt. Weil man der "höfischen Erwartungshaltung" nicht entsprochen habe.
Das schreibe nicht ich, sondern Hubert Patterer. In der "Morgenpost", dem Newsletter der Kleinen Zeitung, erläutert der Chefredakteur, warum er damals ausgeladen worden war. "Als Begründung hieß es, man habe es als respektlos empfunden, dass der Chefredakteur als Besucher der Angelobung nicht wie andere Anwesende post festum den Sitzungssaal betreten und dem 'Herrn Landeshauptmann persönlich gratuliert' habe." How dare you?

Einen "lächerlich-repressiven Züchtigungsversuch" nannte Patterer das, aber inzwischen dürfte sich das Verhältnis eingerenkt haben. Möglicherweise, weil Kunasek nun eine Botschaft unter die Leute zu bringen hatte. Die FPÖ stellt sich bekanntermaßen vehement gegen Sky Shield, dem europäischen Raketen-Abwehrsystem. Sie sieht ein Problem mit der Neutralität, das die neutrale Schweiz nicht sieht. Denn die macht mit.
Für die laufenden Koalitionsverhandlungen im Bund stellt die FPÖ-Haltung ein Problem dar, weil die ÖVP für Sky Shield ist. Nun aber macht Kunasek, von 2017 bis 2019 selbst Verteidigungsminister, die Himmeltür weit auf. "Von mir persönlich gibt es militärisch wahrscheinlich ein Ja zu dem Projekt", meint er in der Kleinen. "Aber es gibt die neutralitätsrechtliche Ebene, wo ich sage: Da muss man genau hinschauen."
Selbst wenn man nicht genau hinschaut, ebnet das den Weg für einen Kompromiss. Ja zur europäischen Raketenabwehr, aber unter der Bedingung einer detaillierteren Festschreibung der österreichischen Neutralität. So ähnlich wird das im Regierungsprogramm stehen. Jetzt, wo die Republik kein Geld mehr hat, sehe ich von Tantiemen ab.
Dann riss die ÖVP auch noch ein Bankl. Sie ist nun ebenfalls für eine Bankenabgabe. Als die SPÖ für eine Bankenabgabe war, da war die ÖVP noch gegen eine Bankenabgabe, und zwar so vehement, dass sie die Verhandlungsbank räumte. Dann war die FPÖ für eine Bankenabgabe, die ÖVP allerdings immer noch gegen eine Bankenabgabe. Aber jetzt ist auch die ÖVP für eine Bankenabgabe. Manchmal ist Politik gar nicht so kompliziert.

Am Samstag tauchten gegen Abend hin auf allen möglichen Webseiten der größeren Medien weitgehend gleichlautende Geschichten auf und sie finden sich weitgehend gleichlautend auch in den Sonntag-Printausgaben. Das legt die Vermutung nahe: die wollte jemand genau so dort haben.
Die nicht exklusiven Exklusivnachrichten kamen geheimnisvoll ummantelt daher. Man habe "erfahren" oder "gehört" oder von einem "Insider" zugesteckt bekommen, berichteten die Reporter atemvoll, dass die Volkspartei mit einem Kompromiss auf die Freiheitlichen zugegangen wäre.
Dieser Kompromiss, von dem man "erfahren" oder "gehört" oder den man von einem "Insider" zugesteckt bekommen hatte, wurde dann näher erläutert. Er besteht aus drei Punkten, ich mutmaße, dass die Beschaffung der Watergate-Unterlagen ein komplexeres Unterfangen dargestellt hat.

So viel scheint fix: Österreichs Geldinstitute sollen durch die geplante neue Bankenabgabe regelrecht ausgeblutet werden. Sie sollen in Zukunft "Häuslbauer mit günstigen Krediten bei der Eigentumsbildung unterstützen", durch Bankomaten "die Bargeldversorgung im ländlichen Raum" gewährleisten und "Investitionen, insbesondere Start-ups und die Exportwirtschaft" unterstützen. Sapperlot!
Das hat natürlich nichts mit einer Bankenabgabe zu tun. Es ist, als würde man Supermärkte dazu zwingen, Brot und Butter zu verkaufen oder vom Mittelstürmer einer Fußball-Mannschaft erwarten, hin und wieder ins Tor zu treffen, oder wenigstens in die Nähe.
Kredite zu gewähren, Bargeld auszugeben oder Investitionen zu unterstützen, das gehört zum Kerngeschäft von Banken. Sie sind in der Regel nicht da, um am Weltspartag Rhabarber-Marmelade oder Sumsi-Sparbücher auszugeben. Zumindest nicht nur.
Aber der Vorschlag, der sicher nicht nur ein Vorschlag ist, bietet FPÖ und ÖVP die Möglichkeit, sich als Rettungshubschrauber-Besatzung des Wirtschaftsstandortes zu präsentieren. Als Ermöglicher von Millionen-Investitionen, ohne auch nur einen Cent in die Hand nehmen zu müssen. Respekt: Die Bankenabgabe erst als Teufelszeug zu brandmarken und sie dann als gottgewollt darzustellen, erfüllt beide Kriterien guten Marketings: Genialität und Chuzpe.

Nein, nein, da wächst schon was zusammen aus FPÖ und ÖVP, das ist deutlich zu merken. Nicht aus einem Akt der gegenseitigen Zuneigung heraus, sondern weil der eine an die Macht will und der andere sich der Realität beugt.
Herbert Kickl ist kein Lebemann wie Heinz-Christian Strache und Christian Stocker kein politischer Hütchenspieler wie Sebastian Kurz. Die mutmaßliche künftige Regierungsspitze wird ihre Agenda exekutieren. Sie wird nicht glamourös werden, sie wird nicht auf den öffentlichen Eindruck schielen. Sie wird arbeiten wie eine Bank. Ohne Rhabarber-Marmelade und Sumsi-Sparbücher.


Es ist putzig, dass sich die Opposition ein Monat nach dem Platzen von Verhandlungen nun daran erinnert, dass sie auch noch da ist. SPÖ, GRÜNE und NEOS bekundeten diese Woche, wieder für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Warum erst jetzt? Wollte man den Jänner auch obebiegen?
Am 3. Jänner war Beate Meinl-Reisinger aufgefallen, dass die NEOS bei den Wahlen nicht die absolute Mehrheit erzielt hatten, und sie zog einen Schlussstrich. Ohne vorher hörbare Warnsignale ausgesendet zu haben. Nun sagt sie im Standard, dass sie "grundsätzlich immer gesprächsbereit" sei.
Auch Andreas Babler zeigte sich in der ZiB 2 "gesprächsbereit", sollte Blau-Schwarz scheitern. "Wir wollten weiterverhandeln. Den Tisch verlassen haben andere".
Auch Werner Kogler will reden. Er war zu Koalitionsgesprächen nie eingeladen, im Kurier kündigte Kogler an, nun das Gespräch mit ÖVP, SPÖ und NEOS suchen zu wollen, um Kickl noch in letzter Minute als Kanzler zu verhindern.
An die Abonnenten seines Newsletters verteilte er diese Woche ein Musterschreiben, es soll an alle "lokalen ÖVP-Vertreter:innen" verschickt werden, als "Appell an Ihr Gewissen und Ihre historische Verantwortung. Um zurück an einen Verhandlungstisch ohne Rechtsextreme zu kehren, ist es noch nicht zu spät."
Vielleicht aber doch!

Ehe Österreich endgültig in die närrische Zeit übergeführt wurde, in den Februar nämlich, kam es diese Woche zu einer bedeutsamen Erweiterung des politischen Diskurses im Land. Eine Gerätschaft, die viele seit dem Chemieunterricht in der Schule aus den Augen verloren hatten, bekam eine Stimme: der Bunsenbrenner.
In gehobenen Haushalten kommen Bunsenbrenner höchstens bei der Herstellung von Crème brûlée zum Einsatz, um die Zuckerschicht zu karamellisieren. Es gibt aber offenbar weitere Verwendungsmöglichkeiten, es lassen sich damit auch Daten karamellisieren.
Peter Pilz bringt am 19. Februar ein Buch über Christian Pilnacek auf den Markt. Der Sektionschef war bis zu seinem Tod am 20. Oktober 2023 über ein Jahrzehnt lang heimlicher Justizminister, egal wer am Papier offiziell als Justizminister geführt wurde.

Das Smartphone des hohen Beamten hatte also sicherlich ein paar interessante Geschichten zu erzählen. Es hat aber nichts mehr auszuplaudern, denn dem Gerät wurde die Hölle heiß gemacht.
Als die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im April 2024 die Witwe von Pilnacek zur Zeugeneinvernahme lud, erlebten die Ermittler eine Überraschung. Die Präsidentin des Straflandesgerichts in Graz erzählte ihnen laut Pilz, dass sie das Handy ihres Mannes mit einem Bunsenbrenner vernichtet habe. "Ich hatte genug Kummer mit den Mobiltelefonen," sagte sie.
Der Vorgang erweitert das Spektrum an politischen Alltags-Dialogen. Wenn jetzt, sagen wir einmal Christian Stocker, nach einem brutalen Verhandlungstag mit Herbert Kickl heimkommt, dann kann ihn seine Frau fragen: "Schatz, isst du heute Abend kalt, oder soll ich dir ein Handy aufwärmen?"
In anderen Ländern werden Daten aus Smartphones von Amtsträgern ausgelesen oder versiegelt. In Österreich werfen Kanzlergattinnen auf der Gartenbaumesse Tulln Handys ins Wasser oder Höchstrichterinnen zaubern aus ihnen mit einem Bunsenbrenner eine Crème brûlée. Vielleicht wird der Vorgang im nächsten Guide Michelin sogar mit ein oder zwei Sternen bewertet.

Wird die bisherige Republik auch gerade mit dem Bunsenbrenner abgefackelt? Der Eindruck drängt sich auf, zumindest im Ausland. Da dient Österreich momentan vor allem als schlechtes Beispiel. Deutschland lernt den Umgang mit rechten Parteien jetzt erst so richtig, als politisches Entwicklungsland schaut man zum Nachbarn und ekelt und fürchtet sich gleichermaßen.
Am 23. Februar wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Wahlkämpfe sind grundsätzlich nirgendwo Phasen der Stille, Zurückhaltung und Reflexion, in Deutschland diesmal ganz besonders nicht.
SPD-Kanzler Olaf Scholz warnte vor einer Koalition aus CDU und rechter AfD. Im Podcast "Alles gesagt" der Zeit verwies er auf die Entwicklung in Österreich. Auch die ÖVP wollte sich nicht der FPÖ an die Brust werfen, inzwischen ist man beim Brusthaarkraulen angekommen.
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wurde beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf die politische Situation "beim südlichen Nachbarn" angesprochen, auf uns also. "Es ist ein Desaster", kritisierte Merz die Schwesterpartei ÖVP. "Sie haben versucht, die Rechten zu mäßigen und sie zurück in die demokratische Mitte zu bringen, indem sie ihnen Teile der Regierung gaben – und das genaue Gegenteil ist passiert".
Man muss der guten Ordnung halber sagen, Davos fand statt, bevor sich Merz in dieser Woche selbst fürs Brusthaarkraulen bei der AfD entschied.
Ich wünsche Ihnen mit dem Brustton der Überzeugung, dass Sie den Sonntag gut obebiagn können. Bis in einer kleinen Weile!