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Londoner City

110.000 bei Demo gegen Migranten, Elon Musk war zugeschaltet

Rechtsextreme Gruppen hatten für die größte Kundgebung seit vielen Jahren mobilisiert. Am Samstag marschierten Migrations-Gegner durch die Straßen von London. 110.000 kamen laut Polizei, die Gegen-Demo brachte es auf 5.000 Menschen. Ist das erst der Anfang?

 "Free speech"-Marsch nannten die Veranstaltung ihre Kundgebung in der City von London
"Free speech"-Marsch nannten die Veranstaltung ihre Kundgebung in der City von LondonPicturedesk
Martin Kubesch
Akt. 13.09.2025 22:45 Uhr

London bangte einem stürmischen Wochenende entgegen und es wurde stürmisch: Am Samstag zogen zwei politische Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern durch das Zentrum der Metropole. Die Polizei trennte die Gruppen so gut es ging, es kam trotzdem zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Weil auch mehrere teils brisante Fußball-Derbys in der Premier League stattfanden hatte die Londoner Polizei eine totale Urlaubssperre für ihre Beamten verhängt. London-Besucher sollten um einige Teile der City jedenfalls einen Bogen machen, wurde gewarnt. Wer wo demonstriert hat, weshalb die Stimmung bereits im Vorfeld aufgeheizt ist und wer hinter den Demos steht. Der wilde Londoner Samstag im Überblick:

Worum geht es?
Am Samstag fand in London die größten Demonstrationen seit Jahren statt. Der rechtsextreme Aktivist Tommy Robinson hat zu einem "Unite the Kingdom Free Speech Festival" aufgerufen. Gleichzeitig war eine Gegendemonstration der Organisation "Stand up to Racism" ("Steh' auf gegen Rasismus") angekündigt, die unter dem Motto "March Against Facism" ("Marsch gegen Faschismus") ebenfalls Tausende auf die Straßen bringen soll.

Wie viele kamen tatsächlich?
Zur Kundgebung von Tommy Robinsons über 100.000 Menschen, die offizielle Polizei-Schätzung liegt sogar bei 110.000 Teilnehmer. Zur Gegendemonstration erschienen lauf Organisatoren 5.000 Teilnehmer.

Rechtsextremer Zündler: Tommy Robinson (l.), dessen richtiger Name Stephen Yaxley-Lennon ist, posiert für ein Selfie. Er war der Kopf der Demonstration
Rechtsextremer Zündler: Tommy Robinson (l.), dessen richtiger Name Stephen Yaxley-Lennon ist, posiert für ein Selfie. Er war der Kopf der Demonstration
JUSTIN TALLIS / AFP / picturedesk.com

Wie ist das einzuordnen?
Die Veranstaltung gilt als eine der größten rechtsextremen Demonstrationen in der britischen Geschichte. AP News sprach von "einem Wendepunkt in der britischen Gesellschaftsdebatte".

Worum ging es bei der "Free Speech"-Demonstration konkret?
Die Veranstaltung wurde von dem bekannten britischen Rechtsextremen Tommy Robinson seit Monaten vorbereitet und propagiert. Dabei sollen diverse internationale Vorzeigefiguren der rechtsextremen und islamfeindichen Szene Reden im Londoner Regierungsviertel halten. Auf den diversen Social Media-Plattformen warben zahlreiche rechtsextreme Protagonisten für die Veranstaltung.

Wer ist Tommy Robinson?
Der Name ist das Pseudonym eines 42-Jährigen namens Stephen Yaxley-Lennon. Er ist Gründer der English Defense League, einer als rechtsextrem und islamfeindlich eingestuften Vereinigung. Robinson kam bereits öfters mit dem Gesetz in Konflikt und saß fünf Mal im Gefängnis. Zuletzt wurde er im Oktober 2024 zu 18 Monaten Haft verurteilt, aber bereits im Mai 2025 wieder entlassen. Seither stilisiert er sich zur Führungsfigur der britischen Rechtsextremen hoch und pflegt auch Kontakte zu rechten Vordenkern auf dem Kontinent.

Und was ist mit der Gegendemonstration?
Diese wurde von der Plattform "Stand up to Racism" organisiert, in der sich auch mehrere Gewerkschaften zusammengeschlossen haben und die sich auf ihrer Fahnen heftet, bereits mehrfach die Veranstaltungen der Rechten um Robinson mit großen Gegendemonstrationen gestört zu haben.

Der Aufmarsch verlief anfangs friedlich, dann sprach die Polizei von „inakzeptabler Gewalt“ gegen Beamte
Der Aufmarsch verlief anfangs friedlich, dann sprach die Polizei von „inakzeptabler Gewalt“ gegen Beamte
Reuters

Was plante die Gruppe?
Sie rief für Samstag landesweit dazu auf, nach London zu kommen und sich am Protestmarsch gegen die "Unite the Kingdom"-Veranstaltung zu beteiligen. Aus Manchester wurde sogar ein eigener Bus-Shuttle nach London organisiert.

Und die Polizei befürchtete Zusammenstöße?
Sie war jedenfalls in Alarmbereitschaft. In der Zeitung Express sprach ein hochrangiger Ermittler über die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung: "Das hat sicherlich das Potenzial, einen Albtraum für die öffentliche Ordnung zu werden, denn alle Zutaten sind vorhanden." Und er befürchtete, dass die Demonstration in London "landesweite Aufstände auslösen" könnte.

Wie reagiert die Exekutive?
Die Metropolitan Police hatte für ihre Beamten eine Urlaubssperre für das kommende Wochenende erlassen. Man ging davon aus, dass es zu Zusammenstößen kommen würde. Zur Veranstaltung der Rechtsextremen waren mindestens 15.000 Menschen erwartet worden. Am Ende waren es über sieben Mal so viele.

Wie war nun der Ablauf am Samstag?
Die Teilnehmer der "Unite the Kingdom"-Kundgebung trafen sich in Waterloo, bevor sie nach Whitehall weiterzogen, wo sie Reden hörten, unter anderem von dem Tech-Milliardär Elon Musk.

Musk war da?
Nein, er war via Video-Screen zugeschaltet. Er rief dazu auf, das britische Parlament aufzulösen und Neuwahlen abzuhalten. Man könne nicht weitere Jahre auf den nächsten regulären Wahltermin warten. Der wäre 2029.

Botschaft als Tattoo: ein Anhänger des Rechtsextremen Tommy Robinson auf der Demo
Botschaft als Tattoo: ein Anhänger des Rechtsextremen Tommy Robinson auf der Demo
Reuters

Was sorgte für Kritik?
Musk sprach von einem "woke mind virus" und warnte, dass „Gewalt kommen wird" („violence is coming“). Er forderte die Menschen auf, "zurück­zuschlagen oder zu sterben". Das sorgte für Kritik. Musk sorge für politische Instabilität und fordere dazu auf, demokratische Prozesse zu untergraben, so seine Gegner.

Blieben die Robinson-Demo friedlich?
Nur anfangs. Dann gab es einige Auseinandersetzungen mit der Polizei, Flaschen- und Böllerwürfe. Mehrere Polizisten wurden verletzt, es wurden mindestens 9 Personen festgenommen.

Wo eskalierte die Lage?
In der Nähe des Trafalgar Square versammelt hatten. Polizisten wurden mit Geschossen beworfen. "Als die Beamten einschritten, wurden sie mit inakzeptabler Gewalt konfrontiert", hieß es in einer Erklärung der Met. "Sie wurden mit Tritten und Schlägen angegriffen. Flaschen, Leuchtraketen und andere Geschosse wurden geworfen."

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Aufgeheizt. In den letzten Wochen kam es immer wieder zu Protesten diverser politischer Gruppierungen. Erst am vergangenen Wochenende hatte vor dem Parlamentsgebäude eine Demo gegen das Verbot der pro-palästinensischen Gruppe Palestine Action mit etwa 1.500 Teilnehmern stattgefunden. Die Polizei nahm dabei fast 900 Menschen fest, da die Gruppe von den Behörden als terroristisch eingestuft und verboten worden ist. Die Festgenommenen, darunter auch viele Senioren, gelten dadurch als Terrorismus-Unterstützer.

Die Anti-Migrations-Demonstranten trugen und schwenkten Union Jacks und das Georgskreuz
Die Anti-Migrations-Demonstranten trugen und schwenkten Union Jacks und das Georgskreuz
Reuters

Haben die rechten Proteste eine Vorgeschichte?
Ja, in zahlreichen britischen Städten kam es zuletzt immer wieder zu Kundgebungen der eingesessenen britischen Bevölkerung. Diese richten sich vor allem gegen sogenannte "Flüchtlingshotels". Das sind klassische Hotels, in denen die Behörden Asylsuchende unterbringen, bis über ihren Aufenthaltsstatus entschieden worden ist. Diese Unterkünfte werden immer wieder Ziel von ausländerfeindlichen Protesten.

Weshalb ist die Stimmung so aufgeheizt?
Großbritannien kämpft mit einer nie da gewesenen Zuwanderungswelle vor allem aus muslimischen Ländern. Alleine zwischen Sommer 2023 und Sommer 2024 kamen fast 700.000 Migranten neu ins Land. Seriöse längerfristige Prognosen besagen, dass die Zahl der Einwohner in England und Wales von aktuell etwa 62 Millionen bis 2032 nur durch Migration auf 72,5 Millionen steigen wird.

Was macht die Politik?
Sie ist ratlos. Die regierende Labour Party von Premier Keir Starmer, erst vor einem Jahr als Sieger aus der letzten Parlamentswahl hervorgegangen, hat inzwischen einen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung erlitten. Umfragen sehen die Arbeiterpartei derzeit nur bei 22 Prozent, die zuletzt abgewählten Konservativen Tories gar nur bei 17 Prozent. Jetzt will man mit einer deutlich verschärften Einwanderungspolitik gegensteuern, aber möglicherweise ist es dafür bereits zu spät.

Nigel Farage machte den Briten zunächst den Brexit schmackhaft, jetzt inszeniert er sich als Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK als britischer Donald Trump
Nigel Farage machte den Briten zunächst den Brexit schmackhaft, jetzt inszeniert er sich als Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK als britischer Donald Trump
OLI SCARFF / AFP / picturedesk.com

Weshalb das?
In allen Umfragen liegt derzeit die rechte Partei Reform UK deutlich in Front. Ihr Chef, der Rechtspopulist Nigel Farage, präsentiert sich seit Monaten als starker Mann, der mit einer rigorosen Abschiebe-Politik à la Donald Trump die Menschen ködert. Farage, der den Briten auch den Brexit schmackhaft gemacht hat, liegt in den Umfragen derzeit mit 31 Prozent klar in Führung. Und Veranstaltungen wie die Demo am kommenden Samstag in London werden ihm weitere Sympathisanten zutreiben.

Okay, und was hatte es mit den Fußball-Derbys auf sich?
Am Samstag fanden in London, zusätzlich zu den Demonstrationen, gleich mehrere Matches der Premier League statt: Arsenal gegen Nottingham,  Chrystal Palace gegen Sunderland, Fulham gegen Leeds, West Ham gegen Tottenham und Brentford gegen Chelsea. Und laut Erkenntnissen der Behörden, organisieren sich britische Rechtsextreme auch in Fußball-Fanklubs und Gruppen wie "Football Lads Against Grooming Gangs" (etwa: "Fußballanhänger gegen sexuelle Ausbeutung Minderjähriger").

Aber wozu der Aufwand?
Um dem Auge der Exekutive zu entgehen. Nicht umsonst sprach Rechtsextremen-Führer Tommy Robinson davon, dass am kommenden Samstag "Fußballer von überall her" nach London kommen werden. Zusätzlich zu den "normalen" Fans, die tatsächlich nur zu den Spielen wollen, wurden also auch hier zahlreiche Demonstranten erwartet.

Die Gegen-Demo Stand Up to Racism war weniger stark besucht
Die Gegen-Demo Stand Up to Racism war weniger stark besucht
Reuters

Wann finden die Demonstrationen konkret statt?
Die Rechten wollen sich bis 11.30 Uhr in der Stamford Street am rechten Themse-Ufer sammeln und dann durch die Innenstadt marschieren. Ziel soll das Regierungsviertel Whitehall in unmittelbarer Nähe des Buckingham Palastes sein. Und die antifaschistische Gegendemo wird sich bis 12 Uhr am Russell Square beim British Museum sammeln und zieht danach ebenfalls nach Whitehall.

Weiß man schon, welche Wege die Demo-Züge nehmen werden?
Nein, das war bis Dienstagabend noch nicht bekannt.

Martin Kubesch
Akt. 13.09.2025 22:45 Uhr