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das tor zum krieg?

Aufmarschgebiet Arktis: Putins Fuß in der Tür zum Westen

In den russischen Planspielen für einen Angriff auf den Westen kommt dem Nordpol besondere Bedeutung zu. Denn gerade dort hat der westliche Abwehrschirm Löcher. Eines liegt sogar direkt auf NATO-Gebiet: die russische Bergbaustadt Barentsburg auf Spitzbergen.

Und Lenin wacht über allem: Die russische Bergbaustadt Barentsburg liegt auf Spitzbergen – und damit auf NATO-Gebiet. Für Putins Pläne ist die Exklave ein Geschenk
Und Lenin wacht über allem: Die russische Bergbaustadt Barentsburg liegt auf Spitzbergen – und damit auf NATO-Gebiet. Für Putins Pläne ist die Exklave ein GeschenkJONATHAN NACKSTRAND / AFP / picturedesk.com
The Economist
Akt. 21.08.2025 23:15 Uhr

Ein Lenin-Standbild blickt finster auf den Platz in Barentsburg herab. Die öffentlichen Schilder sind in kyrillischer Schrift verfasst, Wandmalereien und Banner feiern russische Wissenschaftler und Künstler. Die russische Trikolore weht neben den Gebäuden der russischen Bergbaugesellschaft Arktikugol.

Ein russischer Anbieter stellt den Telefondienst bereit, und in den Geschäften werden russische Gewürzgurken, Fischkonserven und kohlensäurehaltige Getränke verkauft. Russische wissenschaftliche Institute prägen das Stadtbild. Vor einem davon, in das das Mitternachtssonnenlicht fällt, erklären zwei Geologen, dass sie sich auf ihrer jährlichen Forschungsreise aus St. Petersburg befinden.

Man könnte meinen, diese Siedlung sei Teil Russlands. Das ist sie jedoch nicht. Barentsburg ist eine geopolitische Kuriosität: eine russische Firmenstadt auf Svalbard, einer arktischen Inselgruppe, die zu Norwegen gehört. Bekannter ist sie unter ihrem anderen Namen, Spitzbergen.

Das NATO-Land Norwegen hat dank eines am 14. August 1925 in Kraft getretenen Vertrags die unangefochtene Kontrolle über Svalbard. Der Vertrag gewährt jedoch auch Staatsangehörigen und Unternehmen anderer Länder weitreichende Rechte zur Ausbeutung der Ressourcen, insbesondere zum Abbau von Kohle. Die Russen tun dies seit den 1930er-Jahren.

Alle Beschriftungen auf Kyrillisch: In Barentsburg wird seit den 1930er-Jahren minderwertige Kohle abgebaut. Bis vor wenigen Jahren waren viele der Arbeiter Ukrainer
Alle Beschriftungen auf Kyrillisch: In Barentsburg wird seit den 1930er-Jahren minderwertige Kohle abgebaut. Bis vor wenigen Jahren waren viele der Arbeiter Ukrainer
JONATHAN NACKSTRAND / AFP / picturedesk.com

Einige westliche Geheimdienstmitarbeiter befürchten, dass diese Regelung Russland eine Möglichkeit bietet, Unruhe zu stiften. Der norwegische Geheimdienstchef Admiral Nils Andreas Stensonses warnte im Juni, dass die Arktis in letzter Zeit "mehr Aufmerksamkeit" von Russland erhalte, unter anderem weil die Ostsee seit dem Einmarsch in die Ukraine zu feindlichem Gewässer geworden sei.

Vor drei Jahren sabotierten russische Trawler ein Kommunikationskabel, das sich über Hunderte von Kilometern bis zum norwegischen Festland erstreckt. Im Jahr darauf stufte die Regierung von Wladimir Putin Norwegen als unfreundlich ein. Im März warf Russland Norwegen vor, mit seinen militärischen Aktivitäten in Svalbard gegen den Vertrag zu verstoßen.

Für die Menschen in Barentsburg und die wenigen Einwohner der noch kleineren Kohlebergbaustadt Pyramiden in der Nähe bedeutet dies eine zunehmende Isolation. Eine Frau, die nach eigenen Angaben vor einem Monat aus Moskau gekommen ist, um mit Touristen zu arbeiten, vertraut uns an, dass sie unbedingt weg will.

Die Einwohnerzahl der Stadt war bereits von einem Höchststand von fast 2.000 im letzten Jahrhundert auf schätzungsweise 340 gesunken. Das unrentable Bergwerk fördert minderwertige schwefelhaltige Kohle, die vor Ort verbrannt wird: Die beiden Schornsteine des Kraftwerks speien rußige Wolken über die nahe gelegenen Gletscher.

Die russisch-orthodoxe Kirche von Barentsburg wurde komplett aus Holz errichtet
Die russisch-orthodoxe Kirche von Barentsburg wurde komplett aus Holz errichtet
Martin Zwick / Visum / picturedesk.com

Die Ukrainer, die früher im Bergbau arbeiteten, sind größtenteils weggezogen. Auch liberale Russen sind geflohen. Einige sind ins prosperierende Longyearbyen gezogen, das mit dem Boot, Schneemobil oder Hubschrauber 40 Kilometer entfernt liegt. Eine Russin dort erklärt, es sei zu "kompliziert" geworden, in Barentsburg zu bleiben, nachdem sie sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hatte. Ein anderer sagt, er sei ohne Pass auf der Insel gefangen, da er schwört, niemals nach Russland zurückzukehren.

Selbst ein kurzer Abstecher nach Barentsburg birgt Risiken. Russen, die aus Longyearbyen angereist waren, um bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr ihre Stimme abzugeben, berichten, dass sie bei ihrer Ankunft durchsucht wurden und unter den Augen lokaler Beamter wählen mussten.

Der norwegische Gouverneur von Svalbard, Lars Fause, beaufsichtigt die von Russland verwalteten Städte. Er berichtet von keinen Spannungen, aber die Behörden raten Norwegern und ausländischen Touristen derzeit davon ab, diese Städte zu besuchen. Einige kommen dennoch, um zu wandern, Ski zu fahren und Wildtiere wie Eisbären, Walrosse und Wale zu beobachten.

Die alternde sowjetische Architektur ist ein weiterer Anziehungspunkt. Ein grell orange-weißer Block aus dem Jahr 1974, die Stele, wird als "nördlichster Wolkenkratzer der Welt" beworben. Er ist vier Stockwerke hoch.

"Unser Ziel ist der Kommunismus!" steht nach wie vor auf dem Monument vor der Stele, der vierstöckigen Bergarbeiterunterkunft von Barentsburg
"Unser Ziel ist der Kommunismus!" steht nach wie vor auf dem Monument vor der Stele, der vierstöckigen Bergarbeiterunterkunft von Barentsburg
Martin Zwick / Visum / picturedesk.com

Während des Kalten Krieges waren die Beziehungen zwischen den Städten besser. Der Bürgermeister von Longyearbyen, Terje Aunevik, stellt fest, dass die Einwohner keine Besuche mehr an Nationalfeiertagen austauschen. Die russischen Paraden seien heute militaristischer und würden Symbole kultureller Unterschiede wie ein orthodoxes Holzkreuz zeigen.

In Barentsburg wurden einige sowjetische Flaggen auf Gebäude gemalt. Russen können ohne Visum nach Svalbard einreisen, wenn sie mit dem Schiff von Murmansk aus anreisen. Ein Putin-freundlicher Bischof hat wiederholt Besuche gemacht, um sich neben orthodoxen religiösen Gegenständen filmen zu lassen.

Einer der Geologen aus St. Petersburg sagt, er habe jahrzehntelang zusammen mit polnischen, deutschen und norwegischen Wissenschaftlern das Gebiet in Svalbard nach Seltenerdmetallen und anderen Mineralien untersucht. Heute arbeite er nur noch mit russischen Kollegen zusammen. Eine norwegische Meeresbiologin in Longyearbyen sagt, ihre frühere Forschung mit russischen Kollegen zur Überwachung des Meeres und des Eises im nahe gelegenen Fjord sei beendet.

Das Wappen von Arktikugol, der seit 1931 auf Spitzbergen ansässigen russischen Kohleminengesellschaft in Barentsburg
Das Wappen von Arktikugol, der seit 1931 auf Spitzbergen ansässigen russischen Kohleminengesellschaft in Barentsburg
Olaf Krüger / imageBROKER / picturedesk.com

Russland will seine verfallende Siedlung nicht schließen. Es hat ein Forschungszentrum auf der Insel für Wissenschaftler aus dem Globalen Süden vorgeschlagen, doch die Norweger werden dem wohl nicht zustimmen. Die Stadt hat für Putin nach wie vor Propaganda- und vielleicht auch Geheimdienstwert.

Die Kohle in Barentsburg ist vielleicht nicht wert, abgebaut zu werden, aber sie gibt den Russen einen Vorwand, dort zu bleiben.

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"From The Economist, translated by www.deepl.com, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com"

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