Jagd auf 25 Cent

Das Geheimnis hinter den neuen Einwegpfand-Sammlern

Sie gehören zumindest in Wien inzwischen zum Straßenbild: Sammler, die Mülleimer und Container nach Einwegpfand-Flaschen und Dosen durchstöbern. Wie viel Geld im Müll liegt, warum das Sammeln eigentlich illegal ist, aber die Umwelt davon profitiert.

Reiche Beute für Einwegpfand-Sammler: Wer Glück hat, kann Flaschen und Dosen um bis zu 100 Euro sammeln – pro Tag
Reiche Beute für Einwegpfand-Sammler: Wer Glück hat, kann Flaschen und Dosen um bis zu 100 Euro sammeln – pro Tag
Weingartner-Foto / picturedesk.com
Martin Kubesch
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Die Krise ist da, sagen Wirtschaftsexperten. Aber bei vielen Menschen ist sie scheinbar noch nicht so richtig angekommen. Denn sie werfen ihr Geld buchstäblich in den Mistkübel. Aus Unwissenheit. Aus Bequemlichkeit. Oder schlicht, weil es ihnen herzlich egal ist.

Des einen bäh … Es geht – natürlich – ums Einwegpfand. Seit 1. Jänner bezahlen wir – theoretisch – für jede Plastikflasche und jede Getränkedose, die wir kaufen, zusätzliche 25 Cent an Pfand. Die gibt es zurück, sobald wir das leere Gebinde bei einem Supermarkt zurückgeben. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis sieht das schon ganz anders aus.

… des anderen Freud Denn zigtausende Konsumenten kaufen jeden Tag Getränke, um sich zwischendurch zu erfrischen, haben aber nicht die Zeit – oder die Möglichkeit – , die leere Flasche oder Dose entweder gleich zu retournieren, oder nach Hause mitzunehmen, um sie zu sammeln. Also wird die Flasche trotzdem weggeworfen, pfeif auf's Pfand. Nutznießer dieses Laissez-faire sind jene, die bereit sind, sich die Hände beim (Auf-)sammeln dieser Flaschen und Dosen schmutzig zu machen – und das werden immer mehr.

Warteschlangen an den Rückgabeautomaten Mittlerweile ist es in vielen Supermärkten an der Tagesordnung, dass sich an den Rückgabeautomaten für die Pfand-Gebinde Warteschlangen bilden, weil jemand gerade dabei ist, seinen "Fang des Tages" einzuwerfen – und das kann dauern. 200, 300 oder noch mehr Dosen und Flaschen auf einmal sind keine Seltenheit.

Plastikflaschen-Recycling: Seit 1. Jänner 2025 zahlt man pro Einwegflasche 25 Cent Pfand
Plastikflaschen-Recycling: Seit 1. Jänner 2025 zahlt man pro Einwegflasche 25 Cent Pfand
ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Wer diese "Jäger der verlorenen Dosen" sind, wieviel Geld sich auf diese Art zusammensammeln lässt – und ob diese Art des Sammelns überhaupt legal ist – die wichtigsten Antworten im Überblick:

Seit wann gibt es in Österreich Einwegpfand?
Seit dem 1. Jänner 2025. Jede Einwegverpackung aus Plastik oder Aluminium kostet seither um 25 Cent mehr – das Geld erhält man zurück, wenn man die Flaschen oder Dosen beim Händler retourniert.

Wie erkennt man die Pfandflaschen und -dosen?
Am Einwegpfand-Logo über dem Strichcode der Verpackung. Nur auf Gebinden, die dieses Zeichen tragen, sind 25 Cent Pfand.

Aber man bekommt nach wie vor zahlreiche Getränke ohne das Pfand-Logo?
Das ist richtig, der Gesetzgeber hat eine Übergangsregelung erlassen. Das neue Gesetz gilt seit 1. Jänner, seit 1. April dürfen keine Getränke ohne Einwegpfand-Logo mehr abgefüllt werden. Restbestände von Getränken ohne Logo dürfen aber bis Ende des Jahres 2025 noch abverkauft werden.

Dieses Logo muss sich oberhalb des Strichcodes befinden, dann ist es ein Gebinde mit 25 Cent Einwegpfand
Dieses Logo muss sich oberhalb des Strichcodes befinden, dann ist es ein Gebinde mit 25 Cent Einwegpfand
Recycling Pfand Österreich

Wie sieht es mit dem Rücklauf bisher aus?
Überraschend gut. Seit Jahresbeginn wurden etwa 300 Millionen Gebinde mit Einwegpfand-Logo verkauft und bis Ende April wurden 102,7 Millionen Flaschen und Dosen von den Konsumenten wieder retourniert. Wobei zu beobachten ist, dass die Rücklaufquote mit jeder Woche stärker ansteigt, je mehr Einwegpfand-Gebinde ausgeliefert werden. Bei Recycling Pfand Österreich, jener Gesellschaft, die das Recycling-System managt, geht man davon aus, dass bis Jahresende die angestrebte Rücklaufquote von 80 Prozent erreicht wird.

Weshalb weiß man das überhaupt so genau?
Weil jede einzelne Flasche oder Dose einen individuellen Strichcode erhält, damit sie nur einmal zurückgegeben werden kann.

Wo kann man seine Einweg-Gebinde zurückgeben?
Bei so gut wie allen Supermärkten und Geschäften, die sie verkaufen – diese haben Millionenbeträge investiert, um ihre Rückgabeautomaten Einwegpfand-fit zu machen. Für kleinere Shops oder Händler, die nicht genügend Platz haben, um retournierte Einwegflaschen zu sammeln – etwa Würstelstände oder Trafiken – wurden Sonderregeln erlassen. Sie dürfen ihren Kunden eine alternative Sammelstelle im Umkreis von 300 Metern nennen, die ihre Flaschen oder Dosen zurücknehmen.

Und das wird von den Kunden auch angenommen?
Nein – und das ist der springende Punkt. Das Bild, das sich nach 4 Monaten Einwegpfand zeigt, ist dieses: Getränke, die nach Hause getragen und dort konsumiert werden, werden auch zu einem großen Teil wieder retourniert. Das ist für die Konsumenten zwar nicht unaufwändig und braucht vor allem Platz, denn die Flaschen und Dosen dürfen nicht gequetscht werden, sonst erkennt sie der Rückgabeautomat nicht mehr und zahlt kein Geld dafür aus. Aber es funktioniert so weit und wird auch angenommen.

Die schnelle Erfrischung zwischendurch landet nur in den seltensten Fällen im Rückgabeautomat
Die schnelle Erfrischung zwischendurch landet nur in den seltensten Fällen im Rückgabeautomat
Getty Images/iStockphoto

Und bei den To-go-Getränken?
Die sind das Problem. Wer sein Wasser oder seinen Energy Drink unterwegs kauft und irgendwo zwischendurch konsumiert, hat oft nicht die Möglichkeit und noch seltener Lust, die leeren Gebinde weiter mit sich zu tragen, bis sich die Gelegenheit zur Rückgabe bietet. Dosen lassen sich noch dazu nicht wieder verschließen, die klebrigen Reste können auslaufen, wenn die Dose nicht aufrecht steht. Diese Mühsal ist den wenigsten Konsumenten die 25 Cent wert, die es dafür gibt – also wird das Behältnis dennoch weggeschmissen.

Genau da setzen die professionellen Sammler an?
Es sieht jedenfalls so aus. Wer etwa in Wien in stark frequentierten Grätzeln wie der Mariahilfer Straße das Straßenleben aufmerksam beobachtet, sieht immer wieder Menschen mit Handschuhen und diversen Werkzeugen, die Mülltonnen auf der Suche nach Dosen und Flaschen durchsuchen. Aber auch in weniger belebten Ecken der Stadt lässt sich viel aus den Mistkübeln fischen, wie sich zeigt. Vor allem dort, wo viele Jugendliche abhängen und entsprechend zahlreich Soft oder Energy Drinks konsumiert werden.

Wer sind die Menschen, die hier sammeln?
Das ist komplett unterschiedlich. Da gibt es einerseits offenbar sehr professionell agierende Personen, die mit Werkzeugen wie Stöcken und Greifern systematisch eine Mülltonne nach der anderen durchforsten. Es wurden sogar schon Sammler dabei beobachtet, wie sie mit Schlüsseln, wie sie eigentlich nur die Müllabfuhr zur Verfügung hat, die Überbehälter der Mülltonnen in Fußgängerzonen öffnen, den Abfalleimer sondieren und den Müllbehälter danach wieder zuschmeißen.

Klingt nach einem neuen Einnahmequelle
Schaut so aus. Andererseits gibt es Menschen, die ihre Tagesfreizeit nutzen, um sich ein Zusatzgeld zu verdienen. Pensionisten, Menschen auf Jobsuche, aber auch Kinder haben diese Geldquelle für sich erschlossen.

Manche Einweg-Sammler haben sogar Schlüssel für die Müllsammel-Behälter der MA 48
Manche Einweg-Sammler haben sogar Schlüssel für die Müllsammel-Behälter der MA 48
Weingartner-Foto / picturedesk.com

Apropos: Wieviel Geld kann man denn auf diese Art machen?
Das hängt von Zeitaufwand, Ehrgeiz und "Jagdglück" ab. "Nebenbei-Sammler", die aufklauben, was ihnen bei ihren Touren ins Auge sticht, kommen nach eigenen Angaben auf etwa 60 bis 100 Euro pro Woche. Es soll aber auch Sammler geben, die solche Summen an einem – guten – Tag zusammentragen.

Sind diese Sammler organisiert? Gibt es einen "Gebietsschutz" für besonders gut Plätze?
Diese Idee drängt sich tatsächlich auf, wenn man etwa sieht, was in einer Stunde an stark frequentierten Plätzen in der Wiener Innenstadt an Dosen und Flaschen weggeschmissen wird. Bei der Wiener Caritas, die auch diesbezüglich sehr nahe an jenen Menschen ist, die dafür in Frage kämen, hat man bislang nach eigenen Angaben aber noch keine derartigen Beobachtungen gemacht.

Ist das eigentlich legal?
Es hängt davon ab, wo man was aufklaubt. Wer Dosen oder Flaschen von der Straße oder gar aus Grünflächen mitnimmt und entsorgt, kassiert nicht nur ein bisschen Geld dafür, sondern tut gleichzeitig auch dem Stadtbild und/oder der Natur Gutes. Wer allerdings Mülltonnen durchsucht und Dosen oder Flaschen mitnimmt, begeht rein rechtlich gesehen einen Diebstahl. Denn in dem Moment, wo man etwas in eine Mülltonne wirft, geht dieses Objekt in den Besitz jener Körperschaft über, die diese Mülltonne "betreibt" und entleert.

Gilt das auch für die großen Recycling-Container, wie sie etwa in Wien überall stehen?
Ja, auch für diese gilt das. Wer etwa aus einem Altpapiercontainer ein weggeworfenes Buch mitnimmt, stiehlt es. Auch sogenannte "Mülltaucher", also Menschen, die in Abfallcontainern nach noch brauchbaren Waren oder Lebensmitteln suchen, die von Supermärkten vorsorglich weggeworfen worden sind, dürften dies rein rechtlich nicht tun. Gleiches gilt natürlich auch für Pfandflaschen und -dosen.

Wer Einwegpfand-Flaschen oder -Dosen aus Recycling-Container fischt, begeht rechtlich gesehen Diebstahl
Wer Einwegpfand-Flaschen oder -Dosen aus Recycling-Container fischt, begeht rechtlich gesehen Diebstahl
Gerhard Wild / picturedesk.com

Wie gehen die Kommunen mit dieser Situation um?
Am Beispiel Wien festgemacht, könnte man sagen: ziemlich pragmatisch. Die für alle Müll-Themen verantwortliche MA 48 sieht die ganze Sache relativ locker. Auf Nachfrage erklärt die Sprecherin der Magistratsabteilung, dass die Stadt grundsätzlich kein Problem damit hat, wenn Mülltonnen oder Sammelcontainer durchsucht werden, solange kein Müll dabei ausgeleert wird – dann würde auch nicht gegen das Reinhaltegesetz der Stadt verstoßen. Nachsatz: Leider passiere das allerdings doch recht häufig.

Und die "Diebstahls-Sache"?
Wo kein Kläger, da kein Richter, so der sehr menschenfreundliche Ansatz der MA 48. Wer den Mitarbeitern der Straßenreinigung keine zusätzliche Arbeit macht, darf sich also auch ungestraft Pfandflaschen und -dosen aus den Mülleimern der Stadt fischen.

Man sieht immer wieder Mitarbeiter der Straßenreinigung, die selbst ebenfalls Dosen und Plastikflaschen aus den Mülleimern sortieren, die sie entleeren …
Ja, das passiert tatsächlich bereits seit vielen Jahren. Die MA 48 hält ihre Mitarbeiter an, Mülltrennung zu machen, wo immer es möglich ist. Allerdings ist es den "48ern" nicht gestattet, Pfandflaschen oder -dosen einzulösen – das widerspreche den Compliance-Regeln der Magistratsabteilung. Was gefunden wird, wird entsorgt.

Und was hat es mit den Schlüsseln für die Mülleimer-Boxen auf sich?
Wie diese den Weg zu den professionellen Pfandmüll-Sammlern gefunden haben könnten, kann man sich bei der MA 48 nicht erklären.

In Wien sind die Mitarbeiter der Straßenreinigung schon seit Jahren angewiesen, bei ihren Runden Mülltrennung zu praktizieren
In Wien sind die Mitarbeiter der Straßenreinigung schon seit Jahren angewiesen, bei ihren Runden Mülltrennung zu praktizieren
Robert Newald / picturedesk.com

Was sagen eigentlich die Supermärkte zu den "Groß-Retournierern"?
Auch hier ist man relativ gelassen im Umgang mit den Einweg-Sammlern. "Diese Entwicklung war zu erwarten, da geht es allen Supermärkten gleich", ist aus der Rewe-Konzernzentrale in Wiener Neudorf dazu zu hören. Zwar könne es dadurch gelegentlich zu kurzen Wartezeiten bei den Rückgabeautomaten kommen, aber letztlich stünde es jedem Kunden frei, zu retournieren, was er möchte.

Aber entsteht den Supermärkten denn kein Schaden dadurch?
Überhaupt nicht, für sie ist das Pfand ein Durchlaufposten, sowohl wenn es kassiert, als auch, wenn es wieder ausgezahlt wird.

Muss man eigentlich auch etwas kaufen, wenn man seinen Pfandbon einlösen möchte?
Nein, es besteht keinerlei Konsumationspflicht. Wer nur seine Flaschen und Dosen abgeben und das Geld kassieren möchte, hat das Recht dazu. Denn er holt sich nur das Pfand, das er – oder wer auch immer – dafür bereits gezahlt hat, zurück. Das ist der Sinn des ganzen Systems, das ja letztlich die Rücklaufquoten bei Einweggebinden erhöhen soll. Insofern agieren die Groß-Sammler also ganz im Sinne des Erfinders.

Heißt, die Rücklaufquoten wären schlechter ohne Einweg-Sammler?
Ja, gerade im Bereich der aus Bequemlichkeit weggeworfenen Gebinde erhöht der Sammel-Eifer Einzelner hier das Gesamtergebnis.

25 Cent gibt es pro Flasche oder Dose – für viele Konsumenten zu wenig, um sich die Mühe des Retournierens anzutun
25 Cent gibt es pro Flasche oder Dose – für viele Konsumenten zu wenig, um sich die Mühe des Retournierens anzutun
Lino Mirgeler / dpa / picturedesk.com

Ist durch das Einwegpfand die Menge an Recycling-Müll bereits zurückgegangen?
Das kann man noch nicht seriös beantworten, dafür gibt es das Einwegpfand noch viel zu kurz.

Wie sehen die langfristigen Ziele beim Sammeln aus?
Insgesamt möchte man pro Jahr etwa 2,2 Milliarden Flaschen und Dosen durch das Einwegpfand ins Recycling-System bringen. Das wäre dann eine Rücklaufquote von etwa 90 Prozent – ein Ziel, das bis Ende 2027 erreicht sein soll.

Akt. Uhr
#Menschenwelt
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