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Pulverfass

Demo gegen Migranten: London steht vor Chaos-Wochenende

Rechtsextreme Gruppen mobilisieren für die größte Kundgebung seit vielen Jahren. Am Samstag krachen die Teilnehmer in der Londoner City auf eine Gegen-Demo. Die Polizei rechnet mit schweren Ausschreitungen. Aber das dürfte erst der Anfang sein.

Pulverfass London: Bei einer pro-palästinensischen Demonstration am vergangenen Wochenende vor dem Parlament wurden fast 900 Personen festgenommen
Pulverfass London: Bei einer pro-palästinensischen Demonstration am vergangenen Wochenende vor dem Parlament wurden fast 900 Personen festgenommenJUSTIN TALLIS / AFP / picturedesk.com
Martin Kubesch
Akt. 10.09.2025 00:46 Uhr

London steht ein stürmisches Wochenende bevor, aber es könnte erst der Auftakt sein: Am Samstag, dem 13. September, werden mehrere politische Demonstrationen mit voraussichtlich zehntausenden Teilnehmern das Zentrum der Metropole lahmlegen. Auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Demo-Teilnehmern und der Exekutive werden nicht ausgeschlossen.

Dazu kommen gleich mehrere teils brisante Fußball-Derbys in der Premier League, zu denen zigtausende Fans in London erwartet werden. Die Londoner Polizei hat deshalb für das kommende Wochenende eine totale Urlaubssperre für ihre Beamten verhängt. London-Besucher sollten um einige Teile der City jedenfalls einen Bogen machen. Wer wo demonstriert, weshalb die Stimmung bereits im Vorfeld aufgeheizt ist und welche Szenarien die Behörden erwarten – der Londoner Chaos-Samstag im Überblick:

Worum geht es?
Am kommenden Samstag, dem 13. September, erwartet London die größten Demonstrationen seit Jahren. Der rechtsextreme Aktivist Tommy Robinson hat zu einem "Unite the Kingdom Free Speech Festival" aufgerufen, zu dem tausende Menschen aus dem ganzen Land erwartet werden. Gleichzeitig wurde eine Gegendemonstration der Organisation "Stand up to Racism" ("Steh' auf gegen Rasismus") angekündigt, die unter dem Motto "March Against Facism" ("Marsch gegen Faschismus") ebenfalls Tausende auf die Straßen bringen soll.

Sind noch weitere Demonstrationen geplant?
Angemeldet sind jedenfalls bis jetzt keine weiteren. Doch laut dem Risikoanalyse-Unternehmen Solace Global könnte es zusätzlich zur "Free Speech"-Veranstaltung auch eine weitere große Demonstration gegen die Zuwanderung im Zentrum von London stattfinden. Jedenfalls deuten Social Media-Aktivitäten, die von dem Unternehmen für seine Lageberichte ausgewertet werden, darauf hin.

Rechtsextremer Zündler: Tommy Robinson (l.), dessen richtiger Name Stephen Yaxley-Lennon ist, posiert für ein Selfie. Er ist der Kopf der Demonstration am kommenden Wochenende
Rechtsextremer Zündler: Tommy Robinson (l.), dessen richtiger Name Stephen Yaxley-Lennon ist, posiert für ein Selfie. Er ist der Kopf der Demonstration am kommenden Wochenende
JUSTIN TALLIS / AFP / picturedesk.com

Worum geht es bei der "Free Speech"-Demonstration konkret?
Die Veranstaltung wird von dem bekannten britischen Rechtsextremen Tommy Robinson seit Monaten vorbereitet und propagiert. Dabei sollen diverse internationale Vorzeigefiguren der rechtsextremen und islamfeindichen Szene Reden im Londoner Regierungsviertel halten. Auf den diversen Social Media-Plattformen werben zahlreiche rechtsextreme Protagonisten für die Veranstaltung.

Wer ist Tommy Robinson?
Der Name ist das Pseudonym eines 42-Jährigen namens Stephen Yaxley-Lennon. Er ist Gründer der English Defense League, einer als rechtsextrem und islamfeindlich eingestuften Vereinigung. Robinson kam bereits öfters mit dem Gesetz in Konflikt und saß fünf Mal im Gefängnis. Zuletzt wurde er im Oktober 2024 zu 18 Monaten Haft verurteilt, aber bereits im Mai 2025 wieder entlassen. Seither stilisiert er sich zur Führungsfigur der britischen Rechtsextremen hoch und pflegt auch Kontakte zu rechten Vordenkern auf dem Kontinent.

Und was ist mit der Gegendemonstration?
Diese wird von der Plattform "Stand up to Racism" organisiert, in der sich auch mehrere Gewerkschaften zusammengeschlossen haben und die sich auf ihrer Fahnen heftet, bereits mehrfach die Veranstaltungen der Rechten um Robinson mit großen Gegendemonstrationen gestört zu haben. Sie ruft für Samstag landesweit dazu auf, nach London zu kommen und sich am Protestmarsch gegen die "Unite the Kingdom"-Veranstaltung zu beteiligen. Aus Manchester wird sogar ein eigener Bus-Shuttle nach London organisiert.

Londoner Polizisten am vergangenen Samstag: Die Nerven bei der Behörde liegen blank, für kommendes Wochenende wurde eine Urlaubssperre verhängt
Londoner Polizisten am vergangenen Samstag: Die Nerven bei der Behörde liegen blank, für kommendes Wochenende wurde eine Urlaubssperre verhängt
JUSTIN TALLIS / AFP / picturedesk.com

Und die Polizei befürchtet Zusammenstöße?
Sie ist jedenfalls in Alarmbereitschaft. In der Zeitung Express spricht ein hochrangiger Ermittler über die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung: "Das hat sicherlich das Potenzial, einen Albtraum für die öffentliche Ordnung zu werden, denn alle Zutaten sind vorhanden." Und er befürchtet, dass die Demonstration in London "landesweite Aufstände auslösen" könnte.

Wie reagiert die Exekutive?
Die Metropolitan Police hat für ihre Beamten eine Urlaubssperre für das kommende Wochenende erlassen. Man geht davon aus, dass es zu Zusammenstößen kommen könnte. Alleine für die Veranstaltung der Rechtsextremen werden mindestens 15.000 Menschen erwartet. Noch einmal so viele könnten die Gegen-Demo besuchen und die Londoner City zu einem Pulverfass machen.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Aufgeheizt. In den letzten Wochen kam es immer wieder zu Protesten diverser politischer Gruppierungen. Erst am vergangenen Wochenende kam es vor dem Parlamentsgebäude zu einer Demonstration gegen das Verbot der pro-palästinensischen Gruppe Palestine Action mit etwa 1.500 Teilnehmern. Die Polizei nahm dabei fast 900 Menschen fest, da die Gruppe von den Behörden als terroristisch eingestuft und verboten worden ist. Die Festgenommenen, darunter auch viele Senioren, gelten dadurch als Terrorismus-Unterstützer.

Stiller Protest: Street-Art-Künstler Banksy demonstriert auf seine Weise gegen die Festnahme von hunderten pro-palästinensischen Demonstranten am vergangenen Wochenende. Das Wandgemälde wurde nach kurzer Zeit von Exekutivbeamten abgedeckt
Stiller Protest: Street-Art-Künstler Banksy demonstriert auf seine Weise gegen die Festnahme von hunderten pro-palästinensischen Demonstranten am vergangenen Wochenende. Das Wandgemälde wurde nach kurzer Zeit von Exekutivbeamten abgedeckt
JUSTIN TALLIS / AFP / picturedesk.com

Es gab zuletzt auch rechte Proteste?
Ja, in zahlreichen britischen Städten kommt es immer wieder zu Kundgebungen der eingesessenen britischen Bevölkerung. Diese richten sich vor allem gegen sogenannte "Flüchtlingshotels". Das sind normale Hotels, in denen die Behörden Asylsuchende unterbringen, bis über ihren Aufenthaltsstatus entschieden worden ist. Diese Unterkünfte werden immer wieder Ziel von ausländerfeindlichen Protesten.

Weshalb ist die Stimmung so aufgeheizt?
Großbritannien kämpft mit einer nie da gewesenen Zuwanderungswelle vor allem aus muslimischen Ländern. Alleine zwischen Sommer 2023 und Sommer 2024 kamen fast 700.000 Migranten neu ins Land. Seriöse längerfristige Prognosen besagen, dass die Zahl der Einwohner in England und Wales von aktuell etwa 62 Millionen bis 2032 nur durch Migration auf 72,5 Millionen steigen wird.

Was macht die Politik?
Sie ist ratlos. Die regierende Labour Party von Premier Keir Starmer, erst vor einem Jahr als Sieger aus der letzten Parlamentswahl hervorgegangen, hat inzwischen einen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung erlitten. Umfragen sehen die Arbeiterpartei derzeit nur bei 22 Prozent, die zuletzt abgewählten Konservativen Tories gar nur bei 17 Prozent. Jetzt will man mit einer deutlich verschärften Einwanderungspolitik gegensteuern, aber möglicherweise ist es dafür bereits zu spät.

Nigel Farage machte den Briten zunächst den Brexit schmackhaft, jetzt inszeniert er sich als Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK als britischer Donald Trump
Nigel Farage machte den Briten zunächst den Brexit schmackhaft, jetzt inszeniert er sich als Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK als britischer Donald Trump
OLI SCARFF / AFP / picturedesk.com

Weshalb das?
In allen Umfragen liegt derzeit die rechte Partei Reform UK deutlich in Front. Ihr Chef, der Rechtspopulist Nigel Farage, präsentiert sich seit Monaten als starker Mann, der mit einer rigorosen Abschiebe-Politik à la Donald Trump die Menschen ködert. Farage, der den Briten auch den Brexit schmackhaft gemacht hat, liegt in den Umfragen derzeit mit 31 Prozent klar in Führung. Und Veranstaltungen wie die Demo am kommenden Samstag in London werden ihm weitere Sympathisanten zutreiben.

Okay, und was hat es mit den Fußball-Derbys auf sich?
Am Samstag finden in London, zusätzlich zu den Demonstrationen, gleich mehrere Matches der Premier League statt: Arsenal gegen Nottingham,  Chrystal Palace gegen Sunderland, Fulham gegen Leeds, West Ham gegen Tottenham und Brentford gegen Chelsea. Und laut Erkenntnissen der Behörden, organisieren sich britische Rechtsextreme auch in Fußball-Fanklubs und Gruppen wie "Football Lads Against Grooming Gangs" (etwa: "Fußballanhänger gegen sexuelle Ausbeutung Minderjähriger").

Aber wozu der Aufwand?
Um dem Auge der Exekutive zu entgehen. Nicht umsonst spricht Rechtsextremen-Führer Tommy Robinson davon, dass am kommenden Samstag "Fußballer von überall her" nach London kommen werden. Zusätzlich zu den "normalen" Fans, die tatsächlich nur zu den Spielen wollen, werden also auch hier zahlreiche Demonstranten erwartet.

Mit dem Slogan "Stop the Boats" demonstrieren tausende Briten seit vielen Monaten gegen Asylsuchende, die mit Booten über den Ärmelkanal kommen
Mit dem Slogan "Stop the Boats" demonstrieren tausende Briten seit vielen Monaten gegen Asylsuchende, die mit Booten über den Ärmelkanal kommen
NIKLAS HALLE'N / AFP / picturedesk.com

Wann finden die Demonstrationen konkret statt?
Die Rechten wollen sich bis 11.30 Uhr in der Stamford Street am rechten Themse-Ufer sammeln und dann durch die Innenstadt marschieren. Ziel soll das Regierungsviertel Whitehall in unmittelbarer Nähe des Buckingham Palastes sein. Und die antifaschistische Gegendemo wird sich bis 12 Uhr am Russell Square beim British Museum sammeln und zieht danach ebenfalls nach Whitehall.

Weiß man schon, welche Wege die Demo-Züge nehmen werden?
Nein, das war bis Dienstagabend noch nicht bekannt.

Was sollen London-Touristen tun, um möglichen Ausschreitungen am Samstag zu entgehen?
Die Londoner Polizei sagt, sie werde "einen Plan haben", wie sie mit den beiden Veranstaltungen umgehen wird. Wer sich am Samstag in London aufhält, tut gut daran, der "Met", wie die Behörde umgangssprachlich genannt wird, auf X zu folgen, da dort auch sehr kurzfristig über Sperren oder sonstige Ereignisse informiert wird. Sobald feststeht, welche Routen die Protestzüge nehmen werden, wird die Behörde ebenfalls auf Social Media darüber informieren.

Und was ist mit den Schlussveranstaltungen in Whitehall?
Auch wenn man davon ausgehen sollte, dass die Lage nicht eskalieren wird, ist es klüger, am Samstag einen Bogen um das Regierungsviertel zu machen. Und sei es nur, um nicht durch Absperrungen in seinem Besuchsprogramm behindert zu werden.

Martin Kubesch
Akt. 10.09.2025 00:46 Uhr