"Gerry Star"
Der schlechteste beste Produzent sucht neue Britney Spears
In der Streaming-Show "Gerry Star" wimmelt es nur so von schrägen Typen und peinlichen Situationen, die Parallelen zur Hit-Serie "Die Discounter" sind unübersehbar. Das ist nur logisch, es stecken die selben Produzenten dahinter. Ab sofort auf Amazon Prime.
Der Schauspieler und Entertainer Christian Ulmen revolutionierte mit Formaten wie "Unter Ulmen" oder "Mein neuer Freund" die deutsche Fernseh-Unterhaltung, ein bisschen zumindest: Sein Humor lotete stets die Grenzen des (Un-)Erträglichen aus – und ging darüber hinaus. Und seine Sendungen waren so unangenehm wie unterhaltsam. Im Streaming-Zeitalter legte er "Jerks" nach, war nebenbei aber auch als "Tatort"-Darsteller aktiv.
Neue deutsche Kreativschmiede 2020 gründete Ulmen mit seinem Kollegen Carsten Kelber die Produktionsfirma "Pyjama Pictures", deren erster Hit "Discounter" ebenso eine kleine Revolution war: Selten zuvor war deutscher Streaming-Humor witziger, schamloser, frecher und anarchistischer. Die Kreativarbeit überließen Ulmen und Co. dabei dem Nachwuchs, selbst agierte man als Förderer im Hintergrund, unverkennbar war aber trotzdem die geistige Verwandtschaft.
Blutjunges Team … Nun schießt Pyjama Pictures mit "Gerry Star" - erneut auf Amazon Prime - das nächste Format nach. Dass die 8-teilige Serie sowas wie die Schwester-Produktion von "Die Discounter" ist, wird auf der ersten Blick klar: Erneut Mockumentary, rund 25-minütige Folgen, der Schauplatz wieder ein Mikrokosmos "am Rande der Gesellschaft".
… und peinliche Protagonisten Und Protagonisten, die so peinlich wie unterhaltsam sind. Auch die Autoren (und Regisseure) der Serie erinnern an die "Discounter"-Schöpfer: Blutjung, gerade Mitte 20, sind Max Wolter und Tom Gronau, es ist ihre erste große Sendung.
Selbsternanntes Genie Worum geht es nun? Der etwas sperrige Titel in seiner Langform – "Gerry Star - Der schlechteste beste Produzent aller Zeiten" – gibt darüber ziemlich genau Auskunft: Die Serie handelt von ebenjenem Gerry Star (gespielt von Sascha Nathan), selbsternanntes Musikproduzenten-Genie, der in den Hinterzimmern einer Bowlingbahn wohnt. Das darf er mietfrei, da er der Tochter von Bowlingbahn-Besitzerin Becky (Andrea Sawatzki), Stella (Franziska Winkler), zum Durchbruch als Sängerin verhelfen soll.
Die gute alte Zeit … Daran glaubt eigentlich keiner, außer Becky, die in Stella "die nächste Britney Spears" sieht. Die "Band" besteht aus dem ehemaligen Hausmeister Micha, der in seiner Freizeit mit Vögeln redet, und dem eben angeheuerten Koch "Big B". Während Stella, Micha und Big B. einen Song für Stellas Auftritt beim "DSC", dem Deggendorfer Song Contest, schreiben sollen, schwelgt Gerry selbst in Erinnerungen an bessere Zeiten, als er gemeinsam mit dem bekannten Schlagersänger Ingo Rose (Robert Stadlober) auf Tour war.
Möchtegern-Musikgenie Gerry Star mangelt es an so gut wie allem, was einen guten Produzenten ausmachen würde - außer an überbordendem Selbstbewusstsein und grandioser Selbstüberschätzung. In den (fiktiven) Interviews gibt er regelmäßig seine Weltsicht zum besten, lässt Publikum und Kamerateam, das scheinbar eine Doku über ihn dreht, an seinen Weisheiten teilhaben.
Komik und Tragik eines Wahns Dass die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht größer sein könnte, die Realität eine ganz andere ist und Gerry ein Versager, der nichts auf die Reihe kriegt, erkennt man auf den ersten Blick. Doch Gerry selbst sieht es nicht. Und auch Teile seines Umfeldes, wie eben Stella, stützen seinen Wahn. Und darin liegt die Tragik (und die Komik) seiner Figur.
Schicksalsgemeinschaft Die erinnert dann irgendwie auch an Bernd Stromberg, ebenso ein Megalomane der deutschen Serien-Geschichte, bei dem Fremd- und Selbstbild nicht so recht zusammenpassten. Vom Setting her erinnert "Gerry Star" wiederum an die schon vorher erwähnten "Discounter": Eine "Schicksalsgemeinschaft" aus Außenseitern und gescheiterten Existenzen, die sich täglich mehr schlecht als recht durchs Leben kämpfen.
Vom Stolpern in Fettnäpfchen Bei allen Parallelen ist "Gerry Star" trotzdem keine Kopie, hat aber mit etwas Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Gerade die erste Folge beginnt recht zaghaft, als Zuschauer weiß man nicht so recht, wo es hingehen soll. Ab Folge 2 aber wird die Richtung dann klarer. Und auch die (selbstgewählten) Fettnäpfchen, in die Gerry immer wieder tritt, werden groß und größer.
Lernresistenz So holt er sich bei der Regisseurin Merle, die ein Video seiner "Band" drehen soll, die er aber eigentlich nur anheuert, um sie anzubaggern, eine Abfuhr nach der anderen. Bis er schließlich ihr Auto, das er ohne ihr Wissen "geborgt" hatte, verschrottet. Für eigenes Versagen steht Gerry, so uneinsichtig wie stur, aber nie selbst ein. Im Zweifelsfall macht er sich aus dem Staub oder gibt anderen die Schuld. So stolpert der Protagonist von einem Missgeschick ins nächste, ohne dass es Aussicht auf Besserung gäbe.
Fazit Nach etwas holprigem Beginn trifft "Gerry Star" den richtigen Ton – ganz anders als der Protagonist dieser Mockumentary, die Fans von derartigen Formaten überzeugen dürfte. Auch wenn die Serie den direkten Vergleich mit "Die Discounter" verliert, bleibt spannend zu sehen, ob und wie die Reise des fraglos schlechtesten Musik-Produzenten aller Zeiten weitergeht. Die dafür verantwortlichen Serien-Produzenten hingegen beweisen erneut, dass sie in Deutschland zu den derzeit besten ihres Fachs zählen.
"Gerry Star", Deutschland 2024, 8 Episoden à ca. 25 Minuten, Amazon Prime