Brenner-Autor

Neuer Wolf Haas: Setzt uns "Wackelkontakt" unter Strom?

Bestseller-Autor Wolf Haas legt seinen neuen Roman vor. Er ist voller verspielter Wendungen, parallel laufender Handlungen, auch die Mafia kommt vor. Angela Szivatz hat "Wackelkontakt" vorab gelesen. Das ist ihr aufgefallen.

Wolf Haas verstrickt uns am 9. Jänner in ein neues Kriminalrätsel
Wolf Haas verstrickt uns am 9. Jänner in ein neues Kriminalrätsel
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Angela Szivatz
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Vielleicht Zufall, vielleicht nicht. "Wackelkontakt" passt perfekt in die aktuelle Instagram-Welt. Hier boomen Kurzfilme, die in Endlosschleife laufen. Sie sind so geschickt geschnitten, dass es keinen Anfang und kein Ende gibt. Daran wird man in dem Buch erinnert.

Nomen ist im neuen Roman von Wolf Haas Omen für seinen Protagonisten. Denn dieser heißt nicht nur Franz Escher, er wird auch in eine, nennen wir es "Escher’sche Schleife" gezogen, in eine Art unmögliche Geschichte. Klingt verwirrend? Ist es auch! Was man über das Buch wissen muss:

Wer ist Wolf Haas?
Er wurde 1960 in Maria Alm am Steinernen Meer geboren. Die Eltern arbeiteten im Gastgewerbe, Haas wird Internatsschüler in einem katholischen Privatgymnasium. Schon als Juniortexter bei Werbeagenturen schrieb er legendäre Radiospots wie "Lichtfahrer sind sichtbarer" oder "Ö1 gehört gehört". Bekannt wurde er durch seine Kriminalromane um den Privatdetektiv Brenner, die Millionenauflagen erreichten. Vier davon wurden mit Josef Hader als Simon Brenner verfilmt. Wolf Haas lebt in Wien.

Wolf  Haas 2009 mit Josef Hader bei der Premiere von "Der Knochenmann" im Wiener Gartenbaukino
Wolf Haas 2009 mit Josef Hader bei der Premiere von "Der Knochenmann" im Wiener Gartenbaukino
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Ist Haas ausgezeichnet?
Mehrfach. Für sein Werk erhielt Haas unter anderem den Bremer Literaturpreis, den Wilhelm-Raabe-Preis und den Jonathan-Swift-Preis. Er veröffentlichte die Romane "Das Wetter vor 15 Jahren" (2006), "Verteidigung der Missionarsstellung" (2012) und“ Junger Mann“ (2017) sowie insgesamt neun Brenner-Krimis, zuletzt "Müll" (2022). Sein 2023 erschienener Roman "Eigentum" wurde mit dem Erich Kästner Preis 2024 ausgezeichnet.

Wer ist die Hauptfigur des neuen Buches?
Gute Frage. Zuerst denkt man, es ist Franz Escher, von Beruf Trauerredner, ein Job, in den er eher zufällig hineingewachsen ist. Obwohl gutaussehend, hatte er mit Frauen nie viel Glück. Zu langsam, zu umständlich, zu sehr von grüblerischer Natur.

Um nicht allzu viel über sein Leben nachdenken zu müssen, puzzelt Franz häufig, mit Vorliebe Gemälde von alten Meistern, die in mindestens 500, besser aber 1000 Teile zerlegt sind. Außerdem liest Franz Escher, wann immer er Zeit hat. Während er auf das Erscheinen eines Elektrikers in seiner Wohnung wartet, liest er in seinem Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo.

Wer ist Elio?
Er entpuppt sich als die zweite, ebenso wichtige Hauptfigur von "Wackelkontakt" und als überaus liebevoller, talentierter und herzensguter Mensch.

Zu Beginn sitzt Elio noch im Gefängnis in Italien und wartet auf die Entlassung in ein neues Leben im Zeugenschutzprogramm. Er hat so viele Leute aus der Mafia-Welt verraten, dass er um sein Leben fürchtet. Aus Angst liegt er nachts wach und liest ein Buch. Es handelt von Franz Escher. Der wartet auf den Elektriker. Seine Steckdose hat einen Wackelkontakt…

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Helmut Graf

Was passiert dann?
Als der Elektriker endlich mit der Arbeit bei Franz Escher beginnt, fällt er kurz darauf leblos um. Escher wähnt sich schuldig, weil er die Sicherungen kurz wieder eingeschaltet hat. Seine Wiederbelebungsversuche fruchten nicht, Escher ruft die Rettung und liest zur Beruhigung weiter in der Geschichte von Elio, der nun Marko Steiner heißt.

Marko findet in Gabi die Liebe seines Lebens, sie heiraten, bekommen eine Tochter. Die Ehe läuft auch deshalb so gut, weil die beiden einander keine Fragen zu ihren früheren Leben stellen. Selbst als Gabi sagt, man müsse in eine andere Stadt ziehen. Auch Marko liest in seinem Buch, wie es bei Franz Escher weiter geht.

Wie verschränkt sich die Geschichte immer weiter?
Die Geschichte von Escher spielt in der "Jetzt-Zeit", die von Marko erstreckt sich über mehr als 14 Jahre bis zum Ende des ersten Buchteils, der mit OFF betitelt ist. Escher möchte Trauerredner auf der Beerdigung des verstorbenen Elektrikers werden. Zunächst aus schlechtem Gewissen, allmählich aber, weil ihn die Indizien der Verschränkung plagen.

Im zweiten Teil, ON genannt, sind die beiden Geschichten im Hier und Jetzt gelandet und legen auch tempomäßig zu. Ala, Markos und Gabis Tochter, hat über eine Genplattform herausgefunden, woher ihr Vater stammt. Kurzerhand macht sie sich per Zug auf den Weg nach Italien und liest im Buch ihres Vaters. Bei Escher wiederum wird während des Weiterlesens aus dem Verdacht die Gewissheit, dass "sein" toter Elektriker Marko Steiner, Alas Vater, war.

Auch das Cover des neuen Romans hat einen "Wackelkontakt"
Auch das Cover des neuen Romans hat einen "Wackelkontakt"
Hanser Verlag

Wie ist das jetzt mit der Mafia?
Wir wollen hier nicht spoilern, aber so viel sei noch verraten: Ein kleines bisschen Krimiplot bekommt Raum, wenn die Mafia wie üblich die Verfolgung eines Verräters angeht – quasi ein zweites Omen, den Regeln des organisierten Verbrechens. Es wird immer turbulenter, Ala wird in Kalabrien als Geisel genommen und wie durch ein Wunder bekommt Franz Escher die Chance, mitzumischen.

Was macht das Buch interessant?
Die Verschlingungen, die die Geschichte macht, sind ausgesprochen harmonisch aneinandergereiht. Der Wechsel der jeweiligen Story-Perspektive läuft wie von selbst aus dem Erzählen heraus. Alle zentralen Charaktere wirken sehr greifbar und authentisch. Franz Eschers Bockigkeit gegenüber seiner Kollegin Nellie Wieselburger, die sich sehr um eine Beziehung bemüht, liest sich gleichzeitig lustig und vertraut, lässt einen aber auch den Kopf schütteln über so viel männliche Sturheit.

Die Sprachübungen, die der Neo-Deutsche Marko beim Joggen macht, sind sehr amüsant. Verblüfft stellt man auch als Muttersprachler fest, wie viele Missverständnis-Möglichkeiten allein in der Konjugation einzelner Verben wie "raste", oder in den Teil-Verwandtschaften von Hauptwörtern liegen, wie das Laub und die Erlaubnis.

Der Graphiker Maurits Cornelis Escher liebte das graphische Verwirrspiel
Der Graphiker Maurits Cornelis Escher liebte das graphische Verwirrspiel
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Das klingt auch nach Übertreibung, oder?
Da und dort treibt Haas das Spiel mit dem Zufall und den Parallelen etwas weit. Dass Gabi ebenfalls in einem Zeugenschutzprogramm lebt, zum Beispiel. Oder damit, dass Escher ausgerechnet Anteile an einem Self-Publishingverlag gekauft hat, als er in jungen Jahren den Vorschuss für ein erfolgloses Buch erhalten hat – das wäre nicht nötig gewesen.

Was hat es nun mit der "Escher’schen Schleife" auf sich?
Maurits Cornelis Escher (1898-1972) war Niederländer und zählt zu den berühmtesten Grafikünstlern der Welt. Er spielte bei seiner Arbeit mit Architektur, Perspektive und unmöglichen Räumen.

Viele seiner Werke sind weltbekannt wie etwa "Drawing hands", zwei Hände, die einander zeichnen, oder "Relativity", ein Stiegenhaus mit unendlichen, einander bedingenden, gleichzeitig widersprechenden Treppen. Seine Bilder haben oft keinen Anfang und kein Ende, wie eine Möbiusschleife, die der Grafiker Escher ebenfalls öfter dargestellt hat.

"Fluid Concepts and Creative Analogies" by Douglas R. Hofstadter war 1995 das erste Buch, das Jeff Bezos über Amazon verkaufte
"Fluid Concepts and Creative Analogies" by Douglas R. Hofstadter war 1995 das erste Buch, das Jeff Bezos über Amazon verkaufte
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Ist diese Idee für ein Buch neu?
Nein, in "Gödel, Escher, Bach – ein Endloses Geflochtenes Band" hat Douglas R. Hofstadter, ein US-amerikanischer Physiker, Informatiker und Kognitionswissenschaftler, 1979 schon das Bild der endlosen - er nannte sie seltsame - Schleife verwendet. In seinem Buch geht es um den "Gödelschen Unvollständigkeitssatz", einen der wichtigsten Sätze der modernen Logik.

Hostaedter verweist in seinem Buch auch auf Lewis Carolls "Alice hinter den Spiegeln", die Fortsetzung von "Alice im Wunderland", in dem sich Alice fragt, wer denn hier träumt – sie oder ihre Katze, oder der schwarze König, den ihre Katze darstellt. Gegen Ende befasste sich Hofstaedter auch mit "Rückblicken und Ausblicken" auf die Künstliche Intelligenz. Alles voller Rätsel.

Wolf Haas hat mit "Wackelkontakt" seine eigene "Escher’sche Schleife" erfunden und lockt uns Leser jedenfalls gekonnt ins Verwirrspiel.

Was sagt der Autos über sein Buch?
Er sei bei Schreiben "von vornherein davon ausgegangen, es wird nicht funktionieren", sagte er dem NDR. Er habe sich manchmal "Sorgen um meine geistige Gesundheit" gemacht. "Aber es war so unterhaltsam, dass ich mir dachte, ich lass es drauf ankommen."

"Wackelkontakt" von Wolf Haas, Roman, 240 Seiten, Erscheinungstermin 9. Jänner, Hanser Verlag, € 26,50

Angela Szivatz ist Autorin ("Betrug und Liebe - die wahren Fälle einer Detektivin") Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Angela Szivatz lebt in Wien

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