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Zerreissprobe

EU-Krisengipfel: Was tun mit Russlands 210 Milliarden Euro?

In Belgien ist russische Vermögen in Höhe von 210 Milliarden Euro gebunkert. Einige EU-Länder wollen das Geld der Ukraine geben, andere warnen. Am Monta trafen sich die Regierungschefs von Deutschland und Frankreich mit Briten-Premier Starmer. Die Uhr tickt.

Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Deutschlands Kanzler Friedrich Merz
Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Deutschlands Kanzler Friedrich MerzAPA-Images / AFP / JOHN MACDOUGALL
The Economist
Akt. 08.12.2025 21:19 Uhr

London war Schauplatz des ersten wichtigen Treffens dieser Woche in der endlosen Reihe von Gipfeltreffen, die den Krieg in der Ukraine begleiten. Wolodymyr Selenskyj flog am 8. Dezember ein, um Friedrich Merz aus Deutschland, Emmanuel Macron aus Frankreich und Sir Keir Starmer aus Großbritannien zu treffen.

Die Staats- und Regierungschefs der sogenannten E3 sind in letzter Zeit zur Hauptachse der europäischen Entscheidungsfindung geworden. Doch die dringlichsten Entscheidungen dieser Woche bezüglich der Zukunft der Ukraine werden in Brüssel getroffen – nicht in seiner Funktion als Sitz der Institutionen der Europäischen Union, sondern in seiner Rolle als Hauptstadt Belgiens.

Am 3. Dezember legte die Europäische Kommission einen lang erwarteten Vorschlag vor, eingefrorene russische Vermögenswerte in Höhe von rund 210 Milliarden Euro in Europa als Sicherheit für einen Kredit an die Ukraine zu verwenden. Dieser Kredit, zunächst in Höhe von 90 Milliarden Euro, könnte aber letztendlich deutlich höher ausfallen und der Ukraine ermöglichen, ihre Regierung und ihren Kriegseinsatz zumindest für die nächsten zwei Jahre zu finanzieren.

Ohne weitere Hilfen wird der Ukraine Prognosen zufolge bereits im März oder April das Geld ausgehen. Belgien, wo sich der Großteil der Vermögenswerte befindet, hat den Vorschlag von Anfang an verurteilt, und seine Ablehnung hat sich in den letzten Wochen noch verschärft.

Der belgische Premierminister Bart De Wever warnt vorm Kapern der russischen Vermögenswerte
Der belgische Premierminister Bart De Wever warnt vorm Kapern der russischen Vermögenswerte
Reuters

Ob die Ukraine den Kredit erhält, hängt maßgeblich davon ab, ob die großen EU-Staaten die Belgier zu einer Einigung mit der Kommission bewegen können – ein Konflikt, der sich immer mehr zu einem erbitterten Kräftemessen zwischen den Brüsseler Staaten entwickelt.

Es ist unklar, was den belgischen Premierminister Bart De Wever umstimmen könnte. Seine größte Sorge ist, dass sein kleines Land für die 185 Milliarden Euro an eingefrorenen russischen Vermögenswerten haften muss, die derzeit von Euroclear, einem belgischen Finanzclearinghaus, verwahrt werden. Russland könnte nach Aufhebung der Sanktionen versuchen, das Geld zurückzuerhalten.

Die EU argumentiert, ihr Plan umgehe dieses Problem: Banken, die russische Vermögenswerte halten, müssten der EU einen entsprechenden Betrag (zinslos) leihen, die diesen dann an die Ukraine weiterleiten und für die Rückzahlung an die Banken verantwortlich sein würde. Das Risiko trüge somit die gesamte EU.

Die clevere Idee der EU besteht darin, dass Russland im Gegenzug für die Aufhebung der Sanktionen letztlich seine Vermögenswerte als Reparationszahlungen an die Ukraine nach dem Krieg abgeben muss. De Wever befürchtet jedoch, dass ein EU- Mitgliedstaat (möglicherweise das russlandfreundliche Ungarn) die Fortsetzung der Sanktionen ohne russische Reparationszahlungen per Veto verhindern könnte.

Der britische Premierminister Keir Starmer ist Gastgeber des Gipfels
Der britische Premierminister Keir Starmer ist Gastgeber des Gipfels
Picturedesk

Dies würde Russland die Möglichkeit eröffnen, die Rückgabe seiner Vermögenswerte zu fordern. Der Plan würde es jedoch unmöglich machen, dass ein einzelnes Land die Sanktionen aufhebt. Und zwar indem er eine andere Grundlage für deren Fortführung anführt – eine EU -Notstandsklausel, die in solch komplizierten Umständen noch nie zuvor angewendet wurde . Und die lediglich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten erfordert.

Doch De Wever befürchtet auch, dass Russland Belgien auf anderem Wege angreifen könnte. Einige Experten halten die rechtliche Logik des Plans für fragwürdig. Es ist unklar, ob die Übernahme des Ukraine-Kredits selbst einen wirtschaftlichen Notstand für die EU darstellen würde : Er entspricht etwa 1 % des BIP des Blocks.

Jedenfalls konnte der Plan De Wever bisher nicht überzeugen. Er argumentiert, dass andere Finanzierungsmechanismen für die Ukraine zur Verfügung stünden, darunter auch solche, die durch die EU-Bilanz abgesichert seien.

Der Premierminister gehört der rechtsgerichteten Partei "Neue Flämische Allianz" an, die nominell die Abspaltung Flanderns unterstützt. Seine Ablehnung des Kommissionsvorschlags zur Einfrierung von Vermögenswerten findet in Belgien breite Zustimmung. Als De Wever am 4. Dezember im Parlament zu diesem Thema sprach, widersprach ihm keine Oppositionspartei.

Europäische Diplomaten befürchten, dass sich De Wever so tief in die Bredouille gebracht hat, dass ein Ausweg schwierig werden dürfte. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz, der dem Reparations-Kreditplan offenbar am meisten zugetan ist, reiste am 5. Dezember nach Brüssel, um mit dem Belgier und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu Abend zu essen.

Russlands Geld an die Ukraine? Präsident Wladimir Putin würde das als Provokation auffassen
Russlands Geld an die Ukraine? Präsident Wladimir Putin würde das als Provokation auffassen
Reuters

Doch ein Abkommen scheint weiterhin in weiter Ferne. Die USA betreiben aktiv Lobbyarbeit dagegen und argumentieren, die Rückgabe der Vermögenswerte solle als Anreiz dienen, Russland zu einem Friedensabkommen zu bewegen. Sollte Europa das Problem nicht bald lösen können, droht der Ukraine eine akute Finanzkrise.

Die Tagesordnung des Treffens in London wurde nicht öffentlich bekannt gegeben, dürfte sich aber weniger mit der Frage der eingefrorenen Vermögenswerte als vielmehr mit den jüngsten Entwicklungen in der amerikanischen und russischen Diplomatie befassen.

Ein ukrainischer Regierungsvertreter bezeichnete das Treffen als "Unterstützungsclub" für ukrainische und europäische Führungskräfte, die in den vergangenen zwei Monaten wiederholt von amerikanischen Initiativen überrascht wurden. Wladimir Putin wies letzte Woche den jüngsten amerikanisch-ukrainischen Friedensvorschlag zurück, der ihm während eines Besuchs des US-Sondergesandten Steve Witkoff in Moskau überreicht worden war.

Europäische Beamte sind sich unsicher, ob sie es als beruhigend empfinden sollen, dass Russland nun die Schuld für die festgefahrenen Friedensverhandlungen trägt, oder ob sie sich Sorgen darüber machen, was die Amerikaner als Nächstes vorschlagen könnten.

US-Präsident Donald Trump würde die Russland-Milliarden lieber als Faustpfand in den Friedensverhandlungen verwenden
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Reuters

Der Vorschlag, eingefrorene russische Vermögenswerte zur Absicherung eines großen EU -Kredits für die Ukraine in den kommenden Jahren zu nutzen, hat sich zu einer entscheidenden Bewährungsprobe für die Entschlossenheit Europas entwickelt. Bis dahin müssen die Regierungen weiterhin Millionenbeträge aus ihren eigenen Haushalten bereitstellen.

Allein letzte Woche zahlte Deutschland 100 Millionen Euro für die Instandsetzung der ukrainischen Energieinfrastruktur und die Niederlande 250 Millionen Euro für Waffenkäufe. Die nordeuropäischen Regierungen, die diese Hilfe überproportional leisten, sind zunehmend verärgert darüber, dass die Last nicht innerhalb der EU gerecht verteilt wird.

Auf Grundlage ihrer derzeitigen rechtlichen Argumentation könnte die EU den Plan zur Einfrierung von Vermögenswerten auch ohne belgische Zustimmung durchsetzen, riskiert dabei aber eine tiefe interne Spaltung. Der Vorschlag muss auf dem für den 18. Dezember anberaumten Gipfeltreffen gebilligt werden.

Sollte er scheitern, erwägen einige Regierungen die Ausgabe gemeinsamer EU- Schulden, um der Ukraine einen Überbrückungskredit zu gewähren. Bis dahin werden die europäischen Staats- und Regierungschefs fieberhaft nach Wegen suchen, De Wever zum Einlenken zu bewegen .

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"From The Economist, translated by www.deepl.com, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com"

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