Podcast-Interview

"Ist die Jugend heute wirklich zu faul zum Arbeiten, Frau Glaser?"

Wie viel Arbeit glücklich macht, was Unternehmen bei Mitarbeitern falsch machen, wie KI unsere Jobs ändern wird. Lena Marie Glaser, Expertin für New Work, im Interview.

Lena Marie Glaser ist Juristin und Expertin für neue Arbeitswelten
Lena Marie Glaser ist Juristin und Expertin für neue Arbeitswelten
Helmut Graf
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Lena Marie Glaser war acht Jahre lang Juristin im Finanzministerium, dann schmiss sie hin. Heute ist sie Expertin für neue Arbeitswelten, berät Unternehmen, hat mit basically innovative ihr eigenes Institut und zwei Bücher zum Thema geschrieben: "Arbeit auf Augenhöhe – Die New Work Revolution", erschienen 2022, und "Künstliche Konkurrenz – KI als Jobkiller und Chance", das ist ganz neu. Im Newsflix-Podcast spricht sie über die rasanten Entwicklungen in unseren Jobs. Die wichtigsten Passagen:

Wie sie Arbeitsexpertin wurde
Ich habe so kurz vor 30 einfach gespürt: Als Juristin im Finanzministerium werde ich nicht alt. Dadurch hat sich eigentlich auch schon das Interesse entwickelt. Ich habe mir die Frage gestellt, wie muss sich Arbeit eigentlich in Zukunft anders gestalten? Wie macht mir Arbeit mehr Freude? Wie erschöpft Arbeit weniger?

Im Buch steht der Satz: "Ich war lieber krank als ins Büro zu fahren". Was so schrecklich war
Es gibt einfach Zeiten, wo man sich in der Arbeit quälen muss, wo es keine Freude macht. Als junge Frau habe ich mir in so einem sehr hierarchischen, sehr strikten Umfeld schon schwergetan, einfach Gehör zu finden. Wirklich Dinge zu tun, die mir Freude machen. Das hat dazu geführt, dass ich einfach sehr erschöpft war und mir deswegen auch gedacht habe, es muss anders gehen.

Beamtenjob ade, ob das Umfeld nicht gesagt hat: "Du bist verrückt"
Ja, tatsächlich. Dieser Prozess ist über Jahre gegangen. Mein Umfeld hat das am Anfang gar nicht verstanden, weil es ein sicherer Job war, weil es sehr gute Rahmenbedingungen gegeben hat, gut bezahlt, mit vielen Freiheiten. Aber ich hatte eben auch die Erkenntnis, ich muss und ich will hier raus. Und ich habe allen gezeigt, dass es anders auch gehen kann.

Ob Österreicher die Arbeit anders sehen
Österreich ist in vieler Hinsicht schon sehr konservativ, die gewachsenen Strukturen sind hierarchisch. Es gibt wenig Mitsprachemöglichkeiten, die Hierarchie ist in anderen Arbeitskulturen, etwa in Skandinavien oder England, flacher. Arbeit auf Augenhöhe, wie das in einem Buch heißt, habe ich dort schon mehr beobachten können.

"Ich beobachte nicht, dass Arbeit unbedingt nicht mehr so wichtig ist, aber man will anders arbeiten"
"Ich beobachte nicht, dass Arbeit unbedingt nicht mehr so wichtig ist, aber man will anders arbeiten"
iStock

Ob sich die Österreicher mehr vor Jobwechseln fürchten
Es gibt schon eine gewisse Angst vor Veränderung. In vielen Unternehmen wird heute gefordert, wir müssen innovativer sein, neue Wege wagen, aber die Menschen kommen oft nicht mit. Deswegen setze ich da auch an und sage, wir müssen den Raum bieten, den Menschen die Angst nehmen, sie einladen, kreativ zu werden.

Ob wir fleißig oder faul sind
Aus der Beobachtung des Arbeitsmarkts und ganz vielen Gesprächen, die ich in den letzten Jahren geführt habe, schließe ich, dass dies sehr individuell ist. Grundlegend sind wir definitiv nicht faul. Den meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, ist Arbeit sehr wichtig. Aber was zu beobachten ist, sie wollen einfach unter anderen Bedingungen arbeiten. Der Wille, die Lust, das Interesse, anders zu arbeiten, ist gestiegen in den letzten Jahren.

Ob junge Menschen heute faul sind, wie ihnen unterstellt wird
Was ich schon beobachten kann, sogar mit einem Blick auf die "Generation Z", also die Mitte der 90er-Jahre Geborenen, dass sich die Werte verschoben haben. Ich sehe nicht, dass Arbeit unbedingt nicht mehr so wichtig ist, aber man will anders arbeiten. Man will auch weniger arbeiten. Aber ich glaube, alle, die mit jungen Menschen zu tun haben, wissen, da gibt es sehr viel Engagement, da gibt es sehr viel auch Begeisterung und da kann man sich viel auch abschauen.

Warum jemand weniger arbeiten will
Das ist ein sehr komplexes Thema. Ein Aspekt ist, dass viele junge Menschen spüren, sie können sich mit dem, was sie verdienen, nichts mehr aufbauen. Der Blick in die Zukunft, in die Pension, der ist auch sehr unsicher. Also da ist ein Gefühl von: "Zahlt sich das überhaupt aus?" Und da verschiebt sich eben der Fokus. Ich will das Leben jetzt leben. Ich will jetzt ein gutes Leben haben.

Was einen guten Arbeitgeber ausmacht? "Ganz sicher die Führungskraft"
Was einen guten Arbeitgeber ausmacht? "Ganz sicher die Führungskraft"
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Welche Gründe es noch gibt
Wir dürfen nicht übersehen, dass die digitale Transformation auch dazu geführt hat, dass die Belastungen und die Geschwindigkeit steigen. Dieses Gefühl kennen wir alle. Man merkt, dass man nicht mehr nachkommt und ist sehr gehetzt. Und es gibt auch, gerade bei den jungen Menschen, das Gefühl, ich will mehr Zeit haben für andere Dinge. Da geht es auch um persönliche Verpflichtungen, Familie, Freundinnen, Hobbys. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist eine große Herausforderung.

Ob Menschen, die weniger arbeiten, ein besseres Leben haben
Wenn sie das bewusst so wählen, dann lässt sich das schon beobachten, auch anhand von Studien. In England wurde die Vier-Tage-Woche getestet. Da zeigte sich, dass es den Menschen besser geht, aber auch nicht nachteilig für Unternehmern war. Der Schluss, je mehr man arbeitet, desto produktiver ist man, stimmt so nicht.

Ob sie sich selbst auch daran hält
Seitdem ich selbstständig bin und mein eigenes kleines Unternehmen habe, muss ich mich viel besser selbst regulieren. Ich mache natürlich, was ich sehr gerne tue. Aber die Gefahr ist, dass ich dann auch viel arbeite. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, die eigenen Grenzen wahrzunehmen.

Im Buch zitieren sie eine Studie, wonach Millennials nicht mehr Chef werden wollen. Warum?
Es ist die Arbeitslast, die Verantwortung bei Führungskräften massiv gestiegen. Die Aufgabe ist jetzt nicht mehr nur, Arbeit zu verteilen und zu kontrollieren, dass es gut erledigt wird. Es ist auf einmal gefragt, auch soziale Kompetenzen an den Tag zu legen. Man hat sehr viele unterschiedliche Hüte auf. Man muss die Menschen weiterentwickeln. Der Druck von oben steigt auch massiv. Aber ich möchte das nicht pauschalisieren. Es gibt sehr wohl noch junge Menschen, die Führungskraft werden wollen, die ein eigenes Unternehmen aufbauen möchten.

Frauen erleben die Arbeitswelt oft als sehr ungerecht. Insbesondere wenn es Kinder gibt, man eine Familie gegründet hat"
Frauen erleben die Arbeitswelt oft als sehr ungerecht. Insbesondere wenn es Kinder gibt, man eine Familie gegründet hat"
iStock

Work-Life-Balance, Sabbatical, Bildungskarenz: Sind die Jungen Weicheier?
Das hört man immer wieder, am Stammtisch oder privat, aber das würde ich so nicht sagen. Wir können von den Jungen sehr viel lernen. Ich bin selbst ein "Millennial". Wenn ich mir die Jüngeren anschaue, mit welcher Sensibilität sie auch auf die eigene Gesundheit achten, auch auf die mentale Gesundheit, das ist schon bemerkenswert.

Was das für die Arbeitswelt bedeutet
Die betrieblichen Anforderungen müssen in Einklang gebracht werden mit den Wünschen und Anforderungen der Beschäftigten.

Ob sich Führungskräfte an ihrer Schulter ausweinen, weil die Jungen weniger arbeiten wollen
Ja, tatsächlich, es ist eines der Hauptthemen. Sie verstehen einerseits nicht mehr, was diese jungen Menschen wollen. Man hat das Gefühl, man bietet eh schon so viel und es wird auch so wahrgenommen, dass man selbst so unter Druck ist und so viel Arbeit hat, aber man findet keine Leute, die das auch so tun wollen. Aber, und das macht mich schon optimistisch: Es gibt immer mehr Führungskräfte, die da andere Wege gehen. Die sagen, wir sehen, es gibt einfach unterschiedliche Wertigkeiten, Bedürfnisse, Anforderungen und wir versuchen das für alle gut zu organisieren.

"Was viel zu selten tatsächlich überlegt wird: Wie kann man KI nutzen, um die Menschen zu entlasten?"
"Was viel zu selten tatsächlich überlegt wird: Wie kann man KI nutzen, um die Menschen zu entlasten?"
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Was einen guten Arbeitgeber ausmacht
Drei große Themen. Ganz sicher ist die Führungskraft auf Top 1. Die Person. Weil es ist der Mensch, mit dem du täglich zu tun hast. Dann das Gefühl zu haben, man kann sich weiterentwickeln. Das dritte Thema sind die Rahmenbedingungen. Also etwa Arbeitszeitmodelle. Politisch wird es immer sehr zugespitzt diskutiert, aber ich merke in den Betrieben, mit denen ich zu tun habe, da gibt es zunehmend auch eine Aufgeschlossenheit, neue Modelle auszuprobieren.

Ob es im Zugang einen Unterschied zwischen Männer und Frauen gibt
Frauen erleben die Arbeitswelt oft als sehr ungerecht. Insbesondere wenn es Kinder gibt, man eine Familie gegründet hat. Aber ich merke gerade bei den jungen Frauen ein ganz klares Bewusstsein, dass sie so nicht mehr arbeiten wollen. Und was sehr spannend ist, sie haben dann auch konkrete Ideen, wie es anders gehen kann.

Wie viel Arbeit macht glücklich?
Die einheitliche Antwort auf diese Frage kann ich nicht geben, weil es sie aus meiner Sicht auch nicht gibt.

Paul Lafargue wollte im 19. Jahrhundert ein gesetzlich verankertes Recht auf Faulheit. Soll es das geben?
Das ist natürlich schon sehr polemisch, gerade in der heutigen Zeit, wo man kollektiv sagt, die Jungen sind alle faul. Das Wort Faulheit müsste man wahrscheinlich dann auch anders denken. Es wird sehr negativ ausgelegt.

Lena Marie Glaser im Newsflix-Podcast mit Christian Nusser
Lena Marie Glaser im Newsflix-Podcast mit Christian Nusser
Helmut Graf

Ob die Pandemie unser Arbeitsleben verändert hat
Ich kenne niemanden, der in dieser Zeit nicht begonnen hat, das eigene Arbeitsleben zu hinterfragen. Alle mit Bürojobs waren plötzlich gezwungen, im Homeoffice zu arbeiten. In vielen Unternehmen war das noch keine geübte Praxis, da gab es auch noch keine Regelungen dafür,  die Technologie war noch gar nicht vorhanden, die Führungskräfte waren überfordert. Wie in einem Brennglas konnte man sehen, wie sich die Dinge verändert und auch massiv beschleunigt haben. Auch zu beobachten war, diese zunehmende Belastung, die Erschöpfung der Menschen und das Umdenken.

Ob das etwas Nachhaltiges war
In den Betrieben und Unternehmen hört man tatsächlich wieder so einen Rückgang zu den alten Mustern oder auch zu den alten Regelungen. Nicht überall, aber doch. Was man allerdings nicht wegnehmen kann, ist dieses Anders-auf Arbeit-Schauen und diese Wertigkeiten und die Prioritäten. Also da hat sich doch einiges verschoben, und es wird sich ja auch so schnell nicht mehr verändern.

Wie die KI unser Arbeitsleben verändern wird
Ich habe auch deswegen das Buch geschrieben, weil ich gespürt habe, gerade auch bei jungen Menschen, dass sie Angst davor haben. Angst selbst dann keinen Job mehr zu haben, weil eine Technologie das besser machen kann. Das war meine Ausgangssituation. Mir ist dann aufgefallen, dass in Unternehmen KI eingesetzt wird, um die Effizienz zu steigern. Aber was viel zu selten tatsächlich überlegt wird: Wie kann man KI nutzen, um die Menschen zu entlasten?

Ob uns die KI enlasten kann
Manche sind sehr, sehr gut darin, KI einzusetzen, um sich von Arbeit zu entlasten. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Menschen, die das noch nicht einmal ausprobiert haben. Wir sind mittendrin in einer Transformation, wir können da recht viel mit gestalten – wenn wir das wollen.

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