hinter den Kulissen
Kopfnüsse: Wie First Dog "Juli" die neue Regierung herbeibellte
24 Stunden Hofburg: Warum Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Kanzler zu einem Comeback-Versuch verhalf. Wie Herbert Kickl von der Absage erfuhr. Und wieso Klopfen und Läuten in der Präsidentschaftskanzlei so wichtig sind.
Dabei hatte er gar nicht gepumpert. Alexander Van der Bellen war am Dienstag mit seiner Ansprache gerade fertig geworden und durch die rote Tapetentür in sein Arbeitszimmer entfleucht, da war plötzlich aus dem "grünen Salon" Bellen zu hören. Laut und deutlich. Zwei Mal und das recht energisch.
Mit KI-Stimme: Wie First Dog "Juli" die neuen Regierung herbeibellte
Es war der Augenblick, in dem die neuen Zeiten so eine Art Amtsstempel verpasst bekamen. Präsidentenhündin "Juli" hatte angeschlagen. Das tut sie sonst nur, wenn der Chef, ihr Herrl, vergisst anzuklopfen. Also muss es diesmal etwas Besonderes gewesen sein. Tieren werden ja viele Instinkte zugeschrieben, vielleicht ist "Juli" ein Medium. Wenn der ORF seine "Astro Show" umplant, sollte er darauf Rücksicht nehmen.
Ungewöhnlich war in der Tat, was hier vor sich ging. Van der Bellen wich von der Tradition ab, von einer Usance, wie man mittlerweile in Österreich auch abseits der Cottage-Viertel sagt. Er betraute nicht den Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung, sondern den zweiten Sieger. Oder ersten Verlierer, das ist Ansichtssache.
Herbert Kickl nahm das für seine Verhältnisse weitaus gelassener zur Kenntnis als seine Hood. Der FPÖ-Chef glaubt nicht so recht an eine Dreierkoalition aus ÖVP und SPÖ und NEOS. Er sieht eher den Fall der Fälle noch kommen als seine Felle davonschwimmen.
"Heute ist nicht aller Tage Abend", schrieb er gestern auf Facebook. Ich bin neugierig, wie lange die neue Gelassenheit anhält. Der Kessel FPÖ steht gehörig unter Dampf, der Deckel könnte schneller wegfliegen als viele denken.
Die neuen Zeiten brauchten nur 24 Stunden, um neue Zeiten zu werden. Sie wurden am Montag um 13 Uhr eingeläutet und das buchstäblich. Die Hofburg ist ein recht voluminöses Gebäude. Wenn also Besuch zum Präsidenten kommt, dann nutzt es nicht viel, wenn er aus dem Fenster schaut, denn er sieht zwar allerlei, nur nicht den Besuch. Der steht gut 150 Meter weit entfernt und einen Stock tiefer am Tor und wartet auf Einlass.
Deshalb gibt es ein Meldesystem und das ist hierarchisch gegliedert. Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns immer noch in Österreich und "Juli" mag ein Medium für Allerlei sein, ein Wachhund im klassischen Sinn wird aus ihr nicht mehr. Damit der Bundespräsident weiß, wer kommt, wird vom Empfang geklingelt. Einmal für einen "normalen" Gast, zwei Mal für den Kanzler, drei Mal für den Bundespräsidenten.
Der läutet sich natürlich nicht selbst, wenn er unten ankommt, und freut sich dann, wenn er sich eigenhändig die Hände schütteln kann. Es ist nur ein Hinweis an seinen Mitarbeiterstab, dass der Hausherr zurück in der Hofburg ist. Also Füße runter vom Staatsvertrags-Tisch im Maria-Theresien-Zimmer! Wobei natürlich niemand die Füße oben hat, es arbeiten lauter noble Menschen dort.
Am Montag wurde schon recht zeitig geläutet. Kickl kam gut zehn Minuten zu früh. Er nutzte die Gelegenheit, um nach erfolgreicher Erstbesteigung des Treppenhauses nach rechts abzubiegen und die Dienste der Toilette in Anspruch zu nehmen, um sich noch einmal die Nase zu pudern. Die Eule, die später noch eine Rolle spielen sollte, wurde nicht nach Athen getragen, aber auch nicht in den Nassraum der Hofburg mitgenommen. Sie verblieb bei einer Mitarbeiterin.
Die Hände des Bundespräsidenten und des FPÖ-Vorsitzenden fanden dann pünktlich um 13 Uhr zueinander. "Hallo", sagte Alexander Van der Bellen, als er aus der Tapetentür trat, "Grüß Gott", antwortete Herbert Kickl, und als sich die Fotografen einen zweiten Handschlag wünschten, schob er ein "Griaß inan" nach. Das hatte ich länger nicht gehört, es dürfte aber zur selben Wortfamilie gehören wie "Griaß enk" oder "Griaß eich".
Der Dialog der beiden entwickelte sich vor den Kameras nicht mehr in großer Opulenz weiter. Van der Bellen nahm die Hände in die Höhe, winkte und sagte "danke für ihr Interesse", dann marschierte er Richtung Tapetentür los. Er merkte gar nicht, dass ihm Kickl nicht nachging, sondern sich zuerst Aktentasche und eine blaue Schatulle bringen ließ. Die mit der Eule drin, dem Geschenk für Van der Bellen. Die Vorgänge bekamen endlich ihre Symbolik.
Mit großer Genugtuung durfte ich in den darauffolgenden Tagen feststellen, dass die Eule in den Mittelpunkt der politischen Erörterung rückte. Okay, es war schon auch interessant, wie Van der Bellen begründete, warum er Kickl den Job als Kanzler nicht aufbürden will. Aber die Frage, was die Eule kostete, ob der Bundespräsident den Kitsch überhaupt annehmen darf und wann die Greifvogelstation Haringsee den Vogel so weit hat, dass er ausgewildert werden kann, stand im Mittelpunkt und das völlig zurecht.
Im "Kurier" las ich eine Herleitung aus der griechischen Mythologie und eine Deutung, was Eulen für Hegelianer wie Kickl bedeuten. Der "Presse" entnahm ich, dass die "Idyllia Baby Eule" von Swarovski um 129 Euro angeboten wird, die FPÖ will aber unter Ausnutzung eines Sonderangebots nur 90 Euro gezahlt haben.
Ob Kickl den Bundespräsidenten auf das Schnäppchen hingewiesen hat, lässt sich nicht klären, denn alle Unterredungen der letzten beiden Wochen fanden unter vier Augen statt. Wenn man die "Idyllia Baby Eule" für 90 Euro dazuzählt, waren es am Montag sechs Augen, "Juli" nicht mitgerechnet.
Abgesehen von der Eule hatte der wie immer sehr strebsame FPÖ-Chef einen Berg Unterlagen mitgebracht, die Aktentasche war prall gefüllt. Ob davon viel zur Anwendung kam, darf bezweifelt werden. Van der Bellen trieb sowieso nur eine Frage um, nämlich ob sich Kickl einen Verzicht aufs Kanzleramt vorstellen könne. Konnte er nicht.
Weil sich Karl Nehammer nicht vorstellen konnte, eine Regierung mit Kickl einzugehen, und sich Andreas Babler nicht vorstellen konnte, überhaupt nur an der FPÖ anzustreifen, war der Tag schnell gelaufen. Die Vorsitzenden von ÖVP und SPÖ, die danach ihre Aufwartung machten, hatten keine Geschenke mitgebracht, aber es gereichte ihnen nicht zum Schaden.
Am Dienstag lud die Hofburg knapp nach 9 Uhr zum Medien-Rendezvous mit Van der Bellen ein. Der Bundespräsident hatte sich gegenüber den drei Parteichefs am Vortag bedeckt gehalten, wie seine Entscheidung ausfallen würde. Am Vormittag rief er dann zunächst den amtierenden Bundeskanzler an und informierte ihn. Dann verständigte er Andreas Babler. Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger wurden von der Präsidentschaftskanzlei ins Bild gesetzt.
Knapp vor seinem Auftritt um 13 Uhr telefonierte Van der Bellen dann auch mit Herbert Kickl. Spät, aber es dürfte die Befürchtung vorgeherrscht haben, die Freiheitlichen könnten Wirbel schlagen, noch ehe der Grund für den Wirbel verkündet worden war.
Die Bekanntmachung begann, als würde ihr eine Choreografie zugrunde liegen. Die Reporterinnen und Reporter der TV-Sender stellten sich vor ihre jeweilige Kamera und begannen zeitverzögert das mehr oder weniger selbe zu sagen, es hörte sich wie ein Kanon an. Und mitten in diesen Kanon hinein ging die Tapetentür auf und zur geringen Überraschung aller tauchte der Bundespräsident auf.
Van der Bellen redete rund acht Minuten lang, sehr priesterlich. Pater Bellen sprach vom Bedarf nach einer "handlungsfähigen, stabilen, integren Regierung", erläuterte das Patt – keiner wolle mit Kickl, Kickl wiederum nicht ohne Kickl – und erteilte schließlich Karl Nehammer den Auftrag zur Bildung einer Regierung "so rasch wie machbar".
Diese Machbarkeitsstudie soll mit der SPÖ erstellt werden, einen dritten Partner erwähnte Pater Bellen nicht. Das holte Karl Nehammer drei Stunden später in einem Statement nach. Er nahm den Auftrag zur Bildung einer Regierung in "aller Redlichkeit und Ernsthaftigkeit" an. Es werde aber "einen dritten Partner brauchen", um eine stabile Mehrheit zu gewährleisten, sagte der Kanzler.
Österreich wird jetzt offenbar gänzlich neu erfunden. Das Wort Reform lag gestern in Wien überall in der Luft. Jeder will nun mit der Vergangenheit brechen, egal, ob er die Vergangenheit in der Regierung verbracht hatte oder in der Opposition. Es dürfe kein "Weiter wie bisher" geben, sagte Nehammer, dafür stünden er und die Volkspartei nicht zur Verfügung. Warum der Kanzler als Kanzler bisher das "Weiter wie bisher" nicht unterbunden hat, sondern sich das für seine nächste Kanzlerschaft aufsparte, bleibt rätselhaft.
Auch Babler will kein "Weiter wie bisher", die NEOS möchten "dringende Reformen in Sachen Wirtschaft, Bildung, Integration und Budget auf den Weg zu bringen". Das Regierungsprogramm der Dreier-Kombo wird nur so strotzen vor Wagemut, Veränderungswillen und Erneuerungseifer. Hoffentlich ist vorne wenigstens eine Eule drauf.
Ist es klug, was Van der Bellen hier gemacht hat? Darüber gehen die Meinungen auseinander und das in vielen Parteien. Natürlich, er hätte Kickl den Regierungsauftrag geben und ihn damit scheitern lassen können. Der Bundespräsident wäre mit einer blütenweißen Weste dagestanden. Er habe alle Usancen eingehalten, hätte er sagen können, es hat halt nicht geklappt. Kismet!
Schuld am Scheitern wären dann die Parteien gewesen, aber nicht der Präsident. So aber hat er eine Entscheidung getroffen und die Verantwortung geschultert. Van der Bellen absolviert gerade seine letzte Amtszeit, vielleicht hätte er anders geurteilt, wenn er vor einer Wiederwahl gestanden wäre. Nun aber ist er frei, er kann sich festlegen, wie er mag, wie er es für richtig hält und wie es ihm und seinem Weltbild zu Gesicht steht. Das konnte nie und nimmer in einem unmittelbaren Regierungsauftrag an die FPÖ enden.
Ausgeschlossen sind die Freiheitlichen damit nicht. Sie schäumen jetzt, Kickl weiß das. "Das mag für ganz viele von Euch wie ein Schlag ins Gesicht wirken", schrieb er auf Facebook, "aber ich verspreche Euch: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen."
ÖVP und SPÖ und die NEOS haben einen weiten Weg zu gehen, er wird gepflastert sein von gegenseitigen Zumutungen. Und an jeder Hausecke wird Kickl dastehen und seine Hand wird immer noch ausgestreckt sein.
Die Kickl-Eule für den Bundespräsidenten findet übrigens im Keller der Hofburg ihre letzte Ruhestätte. Dort werden die eingesammelten Geschenke aus der ganzen Welt gelagert, viele Karrieren gehen hier zu Ende. Ich habe vor langer Zeit einmal angefragt, ob eine Besichtigung der Räumlichkeit möglich wäre. Ich denke, eher hätte man mir angeboten, aus der Nationalbank ein paar Geldbündel abzuholen, als mich hierhin vorzulassen. Vielleicht legt die Eule ein gutes Wort für mich ein.
Ich wünsche einen wunderbaren Mittwoch. Wenn alles planmäßig verläuft, dann melde ich mich gleich morgen wieder. Es ist mir etwas zu Ohren gekommen, das könnte Sie interessieren. Bis in einer sehr kleinen Weile also!
Mit KI-Stimme: Warum mich Kickls falscher Opa 960 Euro kosten könnte
Alle Wahl-Kopfnüsse
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- Folge 2: Bestäubungs-Staberln und ein Wasserträger
- Folge 3: "Natürlich hat er das, ich bin kein Vollidiot"
- Folge 4: Zwischen starker Mitte und Impotenz
- Folge 5: So führt uns der Kanzler in Wien aufs Glatteis
- Folge 6: Die Volkspartei und ihr Tom Cruise von Kagran
- Folge 7: Brandherde, Brandreden und eine Brandmauer
- Folge 8: Hurra, Hurra, der Bildungsminister ist da!
- Folge 9: Halleluja, endlich wird der Wahlkampf göttlich
- Folge 10: Fasst Euch doch an die eigene Nase!
- Folge 11: Und Ihr wollt echt eine Koalition eingehen?
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