Chuck Lorre, Schöpfer von "Two and a Half Men" und "The Big Bang Theory", hat wieder zugeschlagen: Sein neuer Streich heißt "Leanne" und handelt von einer Mittfünfzigerin, die nach 33 Ehejahren sitzen gelassen wird. Herzerwärmend und witzig – ab sofort auf Netflix.
In krisenhaften Zeiten sehnen sich viele Menschen nach Vertrautem, nach "Sicherheit" und der "guten alten Zeit". Wobei der Übergang zwischen legitimer, wohliger Nostalgie und übersteigerter Veherrlichung der Vergangenheit manchmal fließend ist. Auch Film- und Serienmacher reagier(t)en die letzten Jahre auf dieses Bedürfnis des Publikums. Die Folge sind gefühlt nie enden wollende Sequels und Reboots, nicht immer rechtfertigen sie ihre Existenz. Auch der Korridor zwischen gelungener Neuadaption und Kitsch ist oft eng.
Das Comeback der Sitcom Was sich im Filmbereich bereits seit einigen Jahren vollzieht, greift nun auch im Serienbereich um sich: Die klassische Sitcom ist zurück, im Studio mit überschaubaren Mitteln gedrehte "Seifenopern" mit Lachern aus der Dose. Zuletzt feierte Tim Allen mit "Shifting Gears" ein Comeback, nun läuft mit "Leanne" auf Netflix die neueste Sitcom von Chuck Lorre an.
Erfolgsgarant Chuck Lorre Der inzwischen 72-Jährige gilt als "König der Sitcom", beinahe alle seine Schöpfungen wurden zu Erfolgen: Lorre startete seine Karriere Mitte der 1980er-Jahre als Autor bei diversen Serien, die wohl bekannteste davon war "Roseanne". Mit "Cybill" (1995-1998) feierte er den ersten großen Erfolg mit einer vom ihm kreierten Sitcom.
Blaupause für Sitcoms Es folgte "Dharma & Greg" (1997-2002), die bis heute sowas wie die Blaupause für Lorres Arbeit ist: Unterschiedliche Charaktere aus unterschiedlichen Backgrounds (oder mit konträren Persönlichkeiten) treffen aufeinander, werden in alltägliche Situationen geworfen, aus denen zahlreiche Konflikte entstehen – der ideale Nährboden für langlebigen Erfolg.
Konträre Charaktere Das Prinzip zog sich auch durch Lorres folgende Formate. War es in "Dharma & Greg" die Beziehung zwischen einem steifen Anwalt aus reichem Haus und einer freigeistigen Hippie-Tochter, trafen in "Two and a Half Men" (2003-2015) zwei grundverschiedene Brüder aufeinander: Der eine ein trinkender, hedonistischer Musiker, dem der Erfolg (und die Frauen) in der Schoß fällt, der andere ein erfolgloser Chiropraktiker, dessen Anläufe zu einem geglückten Familienleben ständig scheitern.
(Sub)kulturelle Spannungen In "The Big Bang Theory" (2007-2019), bis heute vielleicht Lorres populärstes Format, das mit "Young Sheldon" (2017-2024) auch ein Spin-Off nach sich zog, traf eine Gruppe hochbegabter Science-Nerds auf ein "All-American-Girl" auf der Suche nach dem Durchbruch als Schauspielerin. Auch hier waren die Spannungen vorprogrammiert.
Dysfunktionale Familien In "Mom" (2013-2021) stand dann die zweite Konstante in Lorres Schaffen im Mittelpunkt: (Dysfunktionale) Familien und die Versuche ihrer Mitglieder, sich trotz aller Differenzen zusammenzuraufen. Hier setzt auch Lorres neue Serie "Leanne" an, die er gemeinsam mit Comedienne Leanne Morgan, die auch die Hauptrolle spielt, schuf. Sie handelt von einer Frau in ihren Fünfzigern aus den US-Südstaaten, deren Ehe nach 33 Jahren in die Brüche geht, weil sie ihr Mann (Ryan Stiles, der in "Two and a Half Men" Herb Melnick, den zweiten Mann von Judith, spielte) für eine Jüngere verlässt.
Neuorientierung Das ganz auf Südstaaten-Traditionen und Zusammenhalt ausgerichtete Familiensystem, bei dem auch der sonntägliche Kirchenbesuch nicht fehlen darf, steht vor dem Kollaps, Leanne vor den Scherben ihre Ehe. Gemeinsam mit ihrer Schwester Carol (Kristen Johnston) versucht sie, das Beste daraus zu machen, zur Unterstützung zieht Carol vorübergehend bei Leanne ein, doch sie hat ihre eigenen Beziehungsprobleme und kann nicht immer helfen.
Zurück ins Dating-Leben Alles an "Leanne" ist altmodisch, nicht nur die Machart und Erzählweise, die an die Sitcoms der 90er- und 00er-Jahre erinnert, auch die durchexerzierten Themen und die dahinter stehenden Werte. Doch die Serie vermittelt keinen reaktionären Konservativismus - das würde auch ganz und gar nicht zu Chuck Lorre passen. Vielmehr wird die Protagonistin, eine "Frau in den mittleren Jahren", in eine Situation geworfen, die in ihrer auf Familie ausgerichteten Lebensplanung nicht vorgesehen war: Plötzlich steht sie ohne Mann da und muss sich mit ihrer neu gewonnenen Freiheit erst arrangieren, auch im Dating-Leben.
Leanne Morgan als Co-Autorin Die Familie, die diesmal im Mittelpunkt steht, ist weniger dysfunktional als in anderen Lorre-Produktionen, wird aber auf eine harte Probe gestellt. In einer seiner berühmten "Vanity Cards" am Ende der Serie erklärt Lorre, wie es zu diesem Projekt gekommen war: Er habe einen Auftritt von Leanne Morgan gesehen, war begeistert und wurde von ihr prompt zu ihrer Familie nach Hauser eingeladen. Da wäre ihm klar gewesen, dass man aus Morgans Ideen, die auf ihrem eigenen Familienleben basieren, eine gute Serie machen könne.
Middle-Aged-Woman Und trotz dieser doppelten, stilistisch wie erzählerisch-inhaltlichen "Aus-der-Zeit-Gefallenheit" funktioniert das: "Leanne" ist eine herzerwärmende Feelgood-Serie geworden. Es ist nichts Großartiges, Außergewöhnliches, das hier präsentiert wird, keine großen, schweren Themen. Vielmehr alltägliche Probleme und Konflikte aus der Sicht einer "ganz normalen Frau" Mitte 50, die damit einer demografischen Gruppe angehört, die sonst eher selten im Mittelpunkt solcher Formate steht.
Cozy Sitcom zum Bingen All das wird auf eine Weise vermittelt, die sich vertraut und cozy anfühlt, getragen von solidem Sitcom-Handwerk und einem gekonnt umgesetzten Drehbuch, das die Handschrift von Chuck Lorre trägt. Und darum wächst einem "Leanne" mit der Zeit irgendwie ans Herz. Bei den 16 Folgen, die alle um die 20 Minuten lang sind, vergeht die Zeit wie im Flug. Wer am Wochenende abschalten will oder am Abend eine Pause braucht, für den ist "Leanne" das ideale "Streaming-Futter".
Fazit "Leanne" ist altmodisch, klassisch, bietet Vertrautes und wenig Neues, macht das aber auf so charmante und liebevolle Art, dass es nicht schwer fällt, in die Serie hinein zu kippen. Und obwohl man das alles in Variationen bereits kennt, macht es einfach Spaß. Chuck Lorre versteht sein Handwerk. Und mit "Leanne" zeigt er einmal mehr, warum er – zu Recht – als der "Meister der Sitcoms" gilt.
"Leanne", Sitcom. USA 2025, 16 Episoden à ca. 20-25 Minuten, Netflix