ansprache an Elite-Uni

Macron-Rede im Wortlaut: "Europa kann an sich selbst sterben"

Frankreichs Staatschef will eine Schnelleingreif-Truppe mit 5.000 Soldaten, Europa als Weltmarktführer in fünf Branchen bis 2030 und Abtreibung in der EU-Charta.

Europa soll bis 2030 in fünf Schlüsselbranchen Weltmarktführer sein, fordert Macron
Europa soll bis 2030 in fünf Schlüsselbranchen Weltmarktführer sein, fordert Macron
Reuters
Newsflix Redaktion
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Im September 2017 hielt er an der Sorbonne seine erste große Rede über Europa. Vier Monate davor hatte Emmanuel Macron die Stichwahl gegen die rechte Marine Le Pen gewonnen, der Spitzenkandidat der von ihm neu gegründeten politischen Bewegung "En Marche" wurde französischer Staatspräsident. Knapp sieben Jahre später kehrte Macron nun an die Sorbonne (55.000 Studierende) zurück. Donnerstag um 11 Uhr begann er eine rund zweistündige Rede, die tief programmatisch ausfiel, wohl aber vorrangig den Auftakt für den Wahlkampf zur Europawahl im Juni markierte.

Geladen waren die komplette Regierung, die Botschafter der 26 anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die Delegation der Europäischen Kommission in Frankreich, Unternehmer, Studenten und Forscher. Sie bekamen live einen erneuten Beleg dafür geliefert, dass Macron sich zur wesentlichsten politischen Führungskraft in Europa emporheben will. Die entscheidenden Passagen der Ansprache:

Sinn und Bedeutung der Rede
"Ich will hierherkommen, um über unsere Zukunft zu sprechen: unsere europäische Zukunft, die aber per Definition die Zukunft Frankreichs ist."

Covid-Politik als Vorbild
"Die Covid-Krise hat die strategische Einheit Europas bewiesen. Impfstoffe in Europa produzieren, Vorräte sichern und überall in Europa vertreiben, das haben wir getan ... Und die Verteidigung? Wer hätte schon am ersten Tag der russischen Aggression in der Ukraine auf die europäische Einheit und auf massive militärische Unterstützung der Europäischen Union gesetzt? Und wir haben es getan."

"Europas Humanisms ist zerbrechlich": Macron am Weg zu seiner Sorbonne-Rede
"Europas Humanisms ist zerbrechlich": Macron am Weg zu seiner Sorbonne-Rede
Reuters

Das Ende der europäischen Naivität
"Wir haben begonnen, den Grundstein für eine größere technologische und industrielle Souveränität zu legen. Eine Initiative mit Deutschland für Batterien, die dann auf Wasserstoff, Elektronik oder auf die Gesundheit ausgeweitet wurde ... Den Panzer der Zukunft, das Luftkampfsystem der Zukunft, und mit unseren niederländischen Freunden die U-Boote. Dahinter steckt die strategische Entscheidung, unsere Abhängigkeiten in Schlüsselsektoren, von Halbleitern bis hin zu kritischen Rohstoffen, zu beenden ... Vor sieben Jahren hat Europa begonnen, aus dieser technologischen und industriellen Naivität herauszukommen, wie es auch begonnen hat, seine Handelspolitik zu korrigieren."

Das neue europäische Selbstbewusstsein
"Europa hat begonnen, die Existenz seiner Grenzen klar zu bekräftigen" (gemeint ist der aktuell beschlossene Asylpakt) und "die großen Herausforderungen zu denken und zu planen" (Green Deal, der aber inzwischen wieder stark aufgeweicht wurde).

Seine Warnung
"Unser Europa ist heute in Todesgefahr. Der Kontinent kann sterben und das hängt nur von unseren Entscheidungen ab ... Diese Entscheidungen sind jetzt zu treffen. Heute geht es um die Frage des Friedens und des Krieges auf unserem Kontinent und unsere Fähigkeit, unsere Sicherheit zu gewährleisten oder nicht ... Die großen Transformationen spielen sich jetzt ab, der digitale Übergang, die künstliche Intelligenz, Umwelt, Dekarbonisierung."

Warum das akut ist
„Der Angriff auf liberale Demokratien, gegen unsere Werte, das eigentliche Substrat der europäischen Zivilisation, eine Beziehung zu Freiheit, Gerechtigkeit, Wissen, das spielt sich jetzt ab. Das sage ich an diesem Ort des Wissens."

Der französische Präsident Emmanuel Macron bei seiner ersten Europarede am 26. September 2017 an der Sorbonne
Der französische Präsident Emmanuel Macron bei seiner ersten Europarede am 26. September 2017 an der Sorbonne
Reuters

Die neue Kriegsgefahr
"Wir sind an einem Wendepunkt ... wir haben ein Erwachen eingeleitet, Frankreich hat sein Verteidigungsbudget verdoppelt. Aber auf der Ebene des Kontinents ist dieses Erwachen noch langsam, zu schwach angesichts der weit verbreiteten Wiederbewaffnung der Welt. Vor den Toren Europas zeigen ungehemmte, regionale Mächte ihre Fähigkeiten, Russland und der Iran, um nur zwei zu nennen. Europa befindet sich in einer Situation der Umzingelung."

Europa am Rande der Weltpolitik
"Die Vereinigten Staaten von Amerika haben zwei Prioritäten: die Vereinigten Staaten von Amerika zuerst, und das ist legitim, und die chinesische Frage. Die europäische Frage ist keine geopolitische Priorität."

Die Bedrohung unserer Kultur
"Wir haben lange an unser unwiderstehliches Modell geglaubt. Die Demokratie ist für viele auf der Welt weiterhin attraktiv, aber sehen wir der Realität ins Auge: Unsere liberale Demokratie wird zunehmend kritisiert, mit falschen Argumenten, mit einer Form der Umkehrung der Werte, weil man es zulässt, weil wir verletzlich sind ... In unserem Europa sind unsere Werte, unsere Kultur bedroht … , weil unsere Träume, unsere Erzählungen, immer weniger europäisch sind und überall die Inhalte, denen unsere Kinder, unsere Jugendlichen ausgesetzt sind, immer mehr amerikanisch oder asiatisch sind."

Das europäische Risiko
"Europa kann sterben. Wir müssen auf diese Herausforderungen der Zeit reagieren, auf diese Beschleunigung der Geschichte, auf ihre Dramatisierung."

Was Europa ausmacht
"Das ist einfach erklärt: Es ist ein Europa, das sich respektiert und seine Sicherheit sichert. Es ist ein Europa, das davon ausgeht, Grenzen zu haben und sie schützt. Es ist ein Europa, das die Risiken sieht, denen es ausgesetzt ist, und sich darauf vorbereitet. Die größte Gefahr für die europäische Sicherheit ist heute offensichtlich der Krieg in der Ukraine."

Die Botschafter aller EU-Staaten waren zur Rede geladen
Die Botschafter aller EU-Staaten waren zur Rede geladen
Reuters

Warum er an atomare Abschreckung glaubt
"Was wir hervorbringen müssen ist eine glaubwürdige Verteidigung des europäischen Kontinents. ... Wenn wir einen aggressiv gewordenen Nachbarn haben, ... der über ballistische Fähigkeiten verfügt, ... der über Atomwaffen verfügt, … dann muss man selbst eine glaubwürdige europäische Verteidigung aufbauen. Deshalb werde ich in den kommenden Monaten unsere Partner dazu einladen ... Die nukleare Abschreckung steht im Mittelpunkt der französischen Verteidigungsstrategie. Sie ist ein unverzichtbares Element der Verteidigung des europäischen Kontinents."

Wie die gemeinsame Verteidigung aufgebaut werden soll
"Ich befürworte nicht eine europäische Armee, es geht darum, eine intensive strategische Zusammenarbeit zu schaffen  ... Ich plädiere für eine schnelle Eingreiftruppe, um bis 2025 rasch bis zu 5.000 Soldaten in feindlichen Umgebungen einsetzen zu können, insbesondere um unseren Staatsangehörigen zu helfen ... Wir müssen auch eine europäische Fähigkeit zur Cybersicherheit und Cyberverteidigung entwickeln ... Wir brauchen eine starke Verteidigungsindustrie ... Unsere Fragmentierung ist eine Schwäche."

Die Rede von Macron in der Sorbonne dauerte rund zwei Stunden
Die Rede von Macron in der Sorbonne dauerte rund zwei Stunden
Reuters

Wie er den Wohlstand absichern will
"Wir müssen mehr und grün produzieren, ... das ist eine Chance für die Reindustrialisierung und Aufrechterhaltung unserer Industrien ... Die zweite Voraussetzung ist die Vereinfachung der Normen. Wir müssen dem komplizierten Europa ein Ende setzen."

Europa soll bis 2030 in fünf Sektoren Weltmarkführer sein
"Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Weltraum, Energie und Landwirtschaft."

Welche Zweifel er sieht
"Europa erlebt einem Moment, in dem es von selbst sterben kann. Weil wir uns in einer Zeit wiederfinden, die unser Europa schon erlebt hat ... Unser Europa liebt sich nicht ... seltsam, aber so ist es ... Europäer zu sein, bedeutet nicht einfach, ein Land von der Ostsee bis zum Mittelmeer oder vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer zu bewohnen, sondern eine gewisse Vorstellung zu verteidigen."

Abtreibung soll Grundrecht werden
"Ich wünsche mir heute, dass wir darüber hinausgehen, indem wir, wie wir es in unserer Verfassung getan haben, das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union eintragen."

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