In "Sean Combs: The Reckoning" wird die Geschichte des Musikers nacherzählt. Dass der Schwerpunkt dabei vor allem auf den dunklen Kapiteln liegt, hat auch mit dem Produzenten zu tun: Curtis "50 Cent" Jackson ist Combs seit Jahrzehnten in Feindschaft verbunden.

Wann der amerikanische Rap-Musiker Sean Combs das letzte Mal aus musikalischen im Rampenlicht stand, weiß er vermutlich selbst nicht mehr so genau. Der Mann mit den vielen Künstlernamen – Puff Daddy, P. Diddy oder schlicht Diddy – gilt seit Ewigkeiten als bösester unter den bösen Buben seiner Branche. Und der Liste der Vorwürfe und Verdächtigungen gegen ihn ist lang.
Der tiefe Fall eines Superstars Betroffene berichteten immer wieder von Gewalt und sexuellem Missbrauch, vieles davon soll im Rahmen von Combs' berühmt-berüchtigten "Freak Off Partys" geschehen sein. Im September 2024 wurde der Musiker und Produzent schließlich verhaftet und angeklagt: Gründung einer kriminellen Organisation, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie Nötigung von Frauen zur Prostitution lauteten die Anklagepunkte.
Nur teilweise schuldig, trotzdem in Haft Der Hauptprozess begann im Mai dieses Jahres, am 2. Juli wurde Diddy – durchaus überraschend – nur wegen des Prostitutions-Vorwurfs schuldig gesprochen. Die schwerwiegenderen Anklagen wurden fallen gelassen. Urteil: 50 Monate Haft, 500.000 Dollar Strafe und fünf Jahre Bewährungsfrist.
Grenzgänger Es ist der vorläufige Schlussstrich unter einer einzigartigen Karriere. Sean Combs war der prägende Hip-Hop-Produzent der 1990er-Jahre und wurde zu einem Jugend-Idol. Schon früh bekam sein Image aber auch tiefe Kratzer: Etwa als ein von ihm organisierter Basketball-Event in einer Tragödie mit neun Toten endete. Zudem steht bis heute im Raum, dass er am Mord an West-Coast-Rap-Ikone Tupac Shakur 1996 beteiligt gewesen ist – oder diesen sogar in Auftrag gegeben hat. Combs bestreitet das bis heute.

"50 Cent" als Produzent Stoff genug also für eine mediale Aufbereitung all dieser Facetten. Von den bislang erschienenen Diddy-Dokus ist die neue, vierteilige Mini-Serie "Sean Combs: The Reckoning" ("Die Abrechnung") auf Netflix wohl die beste und aufschlussreichste. Produziert wurde sie vom Musiker Curtis "50 Cent" Jackson, einem jahrelangen Widersacher Diddys. Und ihr Inhalt ist explosiv.
Steiler Weg nach ganz oben Ende der 1980er-Jahre dockte Sean Combs beim damals prominenten New Yorker Label Death Row Records an und arbeitete sich binnen kurzer Zeit vom Praktikanten zum Co-Chef und einflussreichen Produzenten hoch, der mit dem Suchen, Finden und Vermarkten neuer Talente betraut wurde. Die Sängerin Mary J. Blige war eine seiner ersten Entdeckungen.
Erfolg verändert Mit wachsendem Erfolg offenbarte sich aber zunehmend auch Combs' kontrollsüchtiger, manipulativer Charakter, der selbst vor Gewalt nicht zurückschreckte. Weggefährten wie Kirk Burrowes, der Co-Gründer von Combs' späterem Label Bad Boy Records, erzählen in "Sean Combs: The Reckoning" aus erster Hand, wie sich Diddy zu verändern begann.
Explosives Material In den ersten beiden Episoden der Doku-Serie wird auch der Mord an Tupac Shakur neu aufgerollt, mit neuen Erkenntnissen und schockierenden Aufnahmen, die Combs direkt mit Tupacs Tod in Verbindung bringen. So sind zum ersten Mal Tonbandaufzeichnungen zu hören, in denen einer der damaligen Schützen erzählt, den Auftrag dazu von Combs bekommen zu haben.
East Coast vs. West Coast Vorausgegangen war der Eskalation ein jahrelanger Konflikt zwischen East Coast und West Coast, damals die beiden Zentren der Hip-Hop-Kultur. Neid soll ein nicht unwesentlicher Faktor gewesen sein, warum Combs den Konflikt bewusst eskalierte. Am Ende starb auch Combs' Schützling, der Sänger Notorious B.I.G., – es war wohl ein Racheakt für Shakurs Ermordung.
Aktuelle Vorwürfe im Fokus In den weiteren Episoden konzentriert sich die Doku dann mehr auf jene aktuellen Vorwürfe, bei denen es um Macht, Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch geht. Ins Rollen gebracht hatte diese Combs' frühere Partnerin Casandra Ventura, die 2023 Klage gegen ihn einreichte.

Über den Boden geschleift … Zu sehen sind in der Dokumentation auch jene längst berühmt-berüchtigten Aufnahmen von Cassie Ventura von einem Hotelflur in Los Angeles. Diddy schlug seine damalige Partnerin während eines Streits zu Boden und zerrte sie zurück in sein Hotelzimmer. Zudem kommen ehemalige Mitarbeiterinnen von Combs zu Wort, ein Produzent seines letzten Albums – und jener männliche Prostituierte, der über acht Jahre lang immer von Combs engagiert wurde, um u. a. vor ihm Sex mit seiner Freundin zu haben.
Der Wille zur Macht "Sean Combs: The Reckoning" ist überraschend gut gelungen: Die Inhalte sind gut recherchiert, es kommen zahlreiche Persönlichkeiten zu Wort, die in der Welt des Sean Combs einen festen Platz hatten und aus erster Hand berichten können. So entsteht das Bild eines außer Kontrolle geratenen Megalomanen, der vor allem Kraft seines unbedingten Willens zu jener Macht und jenem Einfluss kam, die ihn lange vor den Konsequenzen seiner Handlungen schützten.
Fazit Eine tolle Serie, die das Potential hat, die Geschichte des Hip-Hop umzuschreiben: "Sean Combs: The Reckoning" präsentiert sich als Psychogramm eines Größenwahnsinnigen ebenso wie als spannender True Crime-Thriller. Nicht nur für Hip-Hop-Fans sehenswert.
"Sean Combs: The Reckoning", Dokumentation. USA 2025, 4 Episoden à ca. 60 Minuten, Netflix