Österreich hat seit Juni eine neue Buchstabiertafel. Dafür wurden angestaubte Männernamen wie Siegfried, Theodor oder Norbert durch chice Frauennamen ersetzt. Wie rasch das neue Alphabet in den alltäglichen Sprachgebrauch einsickern wird, bleibt abzuwarten.
"Dann also vier Personen auf Klappauer"
"Nein, Glattauer. In der Mitte zweimal t"
"Gern, Herr Klattbauer"
"Nein, nur Glattauer, ohne b. Und mit K am Anfang."
"Aha. Dann also Klatt … pauer?"
"Nein. Kein p und kein b. Einfach Glattauer. Glatt.au.er"
Da war dann meistens Schluss: "Ham 'S vielleicht an Vornamen?"
Gustav – Ludwig – Anton – Theodor … Wann immer ich in jungen Jahren meinen Namen durchzutelefonieren hatte – das hieß früher wirklich "durchtelefonieren" – , musste ich auf Gustav – Ludwig – Anton – Theodor, Theodor … für die ersten Buchstaben zurückgreifen, um ihn später wiederzufinden. Sei es auf dem Kuvert mit reservierten Karten, im Restaurant oder um zurückgerufen werden zu können.
Alles Dinge, die Gang und Gäbe waren, als man das Telefon noch zur Hand nahm, um von einem leibhaftigem Vis-à-vis angehört zu werden bzw. diesem zuzuhören.
Manchmal geht Glattauer Inzwischen hat mein Name – auch meinem bestsellenden Schriftsteller-Bruder geschuldet – zumindest in kleineren Kreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Da funktionierte "Glattauer" in den letzten Jahren mitunter auch ganz ohne Gustav – Ludwig - Anton …
Aber manchmal hört er nicht Dafür sind meine Ohren keine Hochleistungsorgane mehr. Und wenn ich im Radio höre, dass jemand aus der SPÖ dies und jemand aus der FPÖ das gesagt hat, muss ich ganz genau auf den Inhalt hören, um sicher zu sein, dass es nicht umgekehrt war.
Überhaupt dann, wenn die S und F – und das meine ich jetzt keineswegs despektierlich – über die Lippen von Leuten wie der Wiener Neos-Stadträtin Bettina Emmerling kommen, deren Zungenspiel mit sanftem akustischem Vibrieren einherzugehen pflegt. Lispeln hat man das früher genannt.
Für A, S und Friedrich Was ich sagen will: S und F via Radio, Fernsehen oder am Handy klingen für mich oft gleich. Die Buchstabiertabelle wäre hier zweifellos hilfreich. Aber finde einmal eine Moderatorin* oder Nachrichtensprecherin, die die SPÖ in ihrem Beitrag "Siegfried-PÖ" und die FPÖ "Friedrich-PÖ" nennen würde …
Jetzt aber: Georg – Leo – Anna – Tina Wobei Siegfried und Friedrich eh Schnee von gestern sind. Genauso wie Gustav, Ludwig, Anton und Theodor. Seit 10. Juni wäre "Sarah-PÖ" und "Felix-PÖ" angesagt bzw. anzusagen, und bei mir hieße es Georg – Leo – Anna – Tina. Österreich wurde nämlich eine neue so genannte Buchstabiertafel verordnet. Und diese – damit pickt, was liegt – auch gleich im neu aufgelegten "Österreichischen Wörterbuch" (ÖWB) verankert.
Goslar – Eszett – Unna nicht leiwand Damit hat Österreich nach sieben Jahren de jure Buchstabierlosigkeit nun wieder ein landeseigenes Buchstabieralphabet, eines, das sich von dem unseres nördlichen Bruders Deutschland in nahezu allen 30 Namen unterscheidet. "Leiwand" unterscheidet, möchte man als praktizierender Wiener hinzufügen. Die germanische Version besteht in ihrer 2022 neu erschienenen Version nämlich aus Wörtern wie "Goslar, „Eszett", "Quickborn", "Unna" und "Völklingen". Geht bei uns nicht, sagten die für das Buchstabieren zuständigen Ösis und beauftragten Linguistinnen mit einer Eigenkreation.
Das ist sie: Von Anna bis Zita Damit wir wissen, worüber wir reden, hier die neue Buchstabiertafel made for Austria. Erstellt wurde sie von der "Österreichischen Sprachnormenkommission bei der Gesellschaft für Österreichisches Deutsch (GSÖD)". "Früher" bezieht sich auf die ÖNORM A 1081, in der das Buchstabieren unter dem Titel "Richtlinien für die Diktiersprache" bis 2019 geregelt war, beginnend im Jahr 1985, also vor immerhin 40 Jahren.
Anna (früher: Anton)
Ärmel (früher: Ärger)
Bernhard (früher: Berta)
Cäsar
China
David (früher: Dora)
Emma (früher: Emil)
Felix (früher: Friedrich)
Georg (früher: Gustav)
Hannes (früher: Heinrich)
Ida
Jakob (früher: Julius)
Karin (früher: Konrad)
Leo (früher: Ludwig)
Marie (früher: Martha)
Nora (früher: Nordpol und Norbert)
Otto
Österreich
Peter (früher: Paula)
Quelle
Rosa (früher: Richard)
Sarah (früher: Siegfried)
Schule
ß scharfes S
Tina (früher: Theodor)
Udo (früher: Ulrich)
Übung (früher: Übel)
Vera (früher: Viktor)
Walter (früher: Wilhelm)
Xaver
Ypsilon
Zita (früher: Zeppelin und Zürich)
Vergleiche ich die neue mit der alten Tafel, fällt mir auf den ersten Blick Folgendes auf:
Viele Buchstabinnen, kein Peter Da ist einmal ein Überhang weiblicher zweisilbiger Namen: Anna, Emma, Ida, Karin, Marie, Nora, Rosa, Sarah, Tina, Vera und Zita. Gleich elf Buchstaben werden quasi zu Buchstabinnen. Warum gegen diesen Trend "Paula" zugunsten von "Peter" geopfert wurde, erschließt sich mir nicht.
Wenn es der Kommission um Männersolidarität gegangen wäre, hätte es genügt, die Paula einfach zum Paul zu machen. Paul war 2024 der am meisten vergebene Bubenname in Österreich. Während umgekehrt: Welcher Mann ≤ 50 heißt heute noch Peter?
Zita statt Zeppelin Auch Zita (statt Zeppelin oder Zürich) und Leo (statt Ludwig, der immerhin Wiener Bürgermeister ist) verstehe ich nicht. Ein Online-Poster meinte dazu: "Keine Ahnung, was ein(e?) Zita ist. Ich kenne nur Zither. Zürich oder Zeppelin ist eindeutig die bessere Wahl." Ich denke: Vielleicht gedachte man hier Österreichs letzter Kaiserin. Und bei der Wahl von Leo des für vermutlich noch längere Zeit amtierenden neuen Papstes … ?
Immerhin: Kontinuität des Begriffs war ein Auswahlkriterium. Lesen Sie weiter unten, was noch alles …
Aus mit Nordpol Auffällig auch: Geographische Namen – wie Nordpol und Zürich früher bei uns und im aktuellen deutschen Pendant wieder reichlich vorhanden – fehlen fast vollkommen. Ausnahmen: Österreich (okay, etwas Patriotismus darf sein) und – China. Dies nicht für K, sondern für den (neu eingeführten) Doppelbuchstaben Ch. Ob diesen Doppelbuchstaben je jemand verwenden wird? Anders herum: Ob jemand, der gewohnt ist, für die Buchstaben C und H "Cäsar – Heinrich" zu sagen, tatsächlich auf China umsteigen wird?
Charlotte auch nicht besser In Deutschland, wo das phonetische Kina ja ein Schina wäre, hatte man sich auf dieser Position übrigens für Charlotte entschieden. Auch nicht besser … Für mich hätte sich für Ch ja Chaos aufgedrängt oder auch ChatGBT, aber das würde vermutlich wiederum alle Menschen ≥ 50 verwirren und ist in spätestens zehn Jahren sowieso digitale Steinzeit.
Apropos Deutschland Damit zu ein bisschen Buchstabier-Geschichtsaufarbeitung. Denn die deutsche Buchstabiertabelle wurde 2022 nicht grundlos "völlig neu gestaltet", wie der Linguist Rudolf Muhr** von der GSÖD in Interviews zur Präsentation des neuen "Österreichischen Wörterbuchs" erklärte. Es habe sich vielmehr um eine – wiewohl späte – Reparaturmaßnahme von Reformen aus der Zeit des keimenden Nationalsozialismus gehandelt. Damals – genauer in den 1930er-Jahren – hatte man jüdische Namen wie David, Nathan, Samuel oder Zacharias aus der Liste gestrichen.
Ausmerzen jüdischer Namen Es war, siehe Wikipedia, die Postkarte eines gewissen "Joh. Schliemann" vom 22. März 1933, die den Anlass zu einer Änderung der Buchstabiertafel im Sinne der NS-Ideologie gab. Schliemanns Karte wurde am 24. März mit folgender Notiz an die Oberpostdirektion Schwerin weitergeleitet: "Anliegend wird ein Schreiben des hiesigen Teilnehmers Joh. Schliemann – 2155/56 – wegen Ausmerzen der in der Buchstabiertafel auf Seite 5 des Fernsprechbuches enthaltenen jüdischen Namen vorgelegt."
Männer des Alten Testaments In Berlin kam man zurerst noch ins Grübeln: "Es [das Anschreiben aus Rostock] verkennt hierbei indes, daß es sich zwar um Namen (gemeint: David, Samuel & Co.) von Männern des Alten Testaments handelt, die später aber nicht nur von Juden, sondern vielfach auch von allgemein angesehenen Männern beider christlicher Konfessionen getragen worden sind. Bei Ausräumung dieser Namen aus der Buchstabiertafel zum augenblicklichen Zeitpunkt kann mit Sicherheit angenommen werden, daß diese Maßnahme nicht nur bei dem Judentum Anstoß erregen …"
Änderung nicht angebracht "(…) sondern auch bei den Angehörigen der beiden christlichen Konfessionen nicht überall Verständnis finden wird und möglicherweise auch im Ausland Angriffe zufolge haben würde, die der nationalen Bewegung in Deutschland nicht dienlich sind. Die OPD (gemeint: Postdienststelle) erachtet daher eine Änderung in der angestrebten Weise zum mindesten jetzt noch nicht für angebracht und beabsichtigt, den Antragsteller durch das Postamt Rostock dahingehend im Wege mündlicher Besprechung bescheiden zu lassen. […]"
Zacharias landete im Zeppelin … So ging es damals ein paar Tage hin und her (würde heute vermutlich Monate oder gar Jahre dauern). Am 22. April 1933 fiel die Entscheidung – im Sinne der beginnenden "Entjudifizierung": Aus David wurde Dora, aus Jakob Julius, Nathan wurde zum Nordpol geschickt, Samuel mutierte zu Siegfried und Zacharias landete im Zeppelin.
… und kehrte 1950 wieder zurück Die meisten dieser Änderungen – erstmals dokumentiert im Telefonbuch von 1934 – wurden nach Ende des 2. Weltkriegs und der Entnazifizierung wieder zurückgenommen. Ab 1950 waren in der deutschen Buchstabiertafel Ida und Samuel genauso wieder enthalten wie Zacharias. Nicht so in Österreich.
Nicht aber in Österreich Hier wurde keiner der ursprünglichen jüdisch-biblischen Namen wiedereingeführt. Was man bei uns tat: Dem Nordpol einen Norbert hinzuzustellen und dem Zeppelin ein Zürich. Beides in kleinerer Schrift, mager und das nur in Klammern.
Es war ein Akt der Notwehr Jetzt also Buchstabieren neu auf (mehr oder weniger) gut Österreichisch. Liest man den Linguisten Rudolf Muhr zwischen den Zeilen, klingt nach Notwehr, was da geschah. Muhr: Das Vorgehen der Deutschen bei der Überarbeitung der neuen Tabelle sei ein "typisches Beispiel" dafür, "wie eine in einem Sprachraum dominante Nation Tatsachen zu schaffen versucht bzw. nicht an die Anwendung außerhalb der eigenen Grenzen denkt."
Dagegen ist angesichts von "Quickborn" und "Salzwedel" tatsächlich kaum zu argumentieren ...
Nur 9 überlebten die Reform Leicht will es sich die Gruppe von Linguistinnen und Linguisten nicht gemacht haben. Und der Wille zur Veränderung ist offensichtlich. Tatsächlich sind von den früheren Substituten für die jeweiligen Anfangsbuchstaben nur noch neun erhalten geblieben: "Cäsar", "Ida", "Otto", "Österreich", "Quelle", "Schule", "Xaver", "Ypsilon" und "scharfes S".
Einige Namen habe man gecancelt, weil sie "nicht mehr zeitgemäß" waren: Das habe Dora sowie Friedrich, Gustav, Ludwig oder Richard betroffen. Andere seien der oben angesprochenen Entnazifizierung wegen ausgetauscht worden (Siegfried, Zeppelin). Dritte erschienen zu kompliziert (Heinrich, Theodor).
"Friedrich" ist zu schwierig Bei der Qual der Neu-Wahl sei man von der Häufigkeit in der Vornamensstatistik der "Statistik Austria" ausgegangen. Vornehmlich habe man nach ein- oder zweisilbigen Wörtern ohne Konsonantenhäufungen am Wortbeginn (wie etwa bei Friedrich) gesucht. Solche machen selbst Vornamen schwer aussprechbar. Muhr: "Man darf ja nicht vergessen, dass es Deutschlerner gibt, die sich mit so einem Cluster am Anfang schon schwertun."
Prägnant, bekannt, aktuell Grundsätzlich habe man nach folgenden Kriterien ausgesucht:
"Erstens kurz und prägnant, zweitens weithin bekannt, drittens geläufig und viertens auf absehbare Zeit länger aktuell."
Wo es einen passenden Vornamen nicht gab, habe man zu "häufig verwendeten Substantiva" gegriffen (Ärmel, Quelle). Geografische Namen seien weitestgehend vermieden worden, "weil es dazu zusätzliches Wissen erfordert", so Muhr.
Oder besser gleich das Flieger-Alphabet? Bei der GSÖD gibt man sich allerdings nicht der Illusion hin, dass das neue Buchstabieralphabet einschlagen wird wie eine Bombe: "Wir gehen davon aus, dass es viel Zeit brauchen wird, bis das einsickert." Falls die "terra austriacus" ein solches Einsickern denn überhaupt zulässt.
Angesichts der zunehmenden Anglisierung unserer Alltagssprache halten es Beobachter da schon für wahrscheinlicher, dass sich über kurz oder lang das internationale Fliegeralphabet durchsetzen könnte. Dann klingen wir am Telefon alle wie Tom Cruise in "Top Gun":
Alpha
Bravo
Charlie
Delta
Echo
Foxtrot
Golf
Hotel
India
Juliett
Kilo
Lima
Mike
November
Oscar
Papa
Quebec
Romeo
Sierra
Tango
Uniform
Victor
Whiskey
X-ray
Yankee
Zulu
Dann heißt es bei der nächsten Tischreservierung vielleicht "Golf – Lima – Alpha – Tango – Tango – Alpha – Uniform – Echo – Romeo.
Hätte was, oder?!
* Wie stets, verwende ich die weibliche und männliche Form willkürlich wechselnd, alle anderen sind jeweils freundlich mit gemeint
** Rudolf Muhr ist Germanist, Assistenzprofessor i. R. an der Karl-Franzens-Universität Graz und einer der prominentesten Vertreter eines eigenständigen österreichischen Standarddeutsch (was das ist, lesen Sie hier: österreichischen Standarddeutsch). Auf Muhrs Initiative geht das seit 1999 jährlich gewählte österreichische Wort und Unwort des Jahres zurück.
Nikolaus "Niki" Glattauer, geboren 1959 in der Schweiz, lebt als Journalist und Autor in Wien. Er arbeitete von 1998 an 25 Jahre lang als Lehrer, zuletzt war er Direktor eines "Inklusiven Schulzentrums" in Wien-Meidling. Sein erstes Buch zum Thema Bildung, "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", erschien 2010