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Altaussee-Krimistar

Sex, Tschick und Rock'n'Roll: So ging Jugend in den Siebzigern

Herbert Dutzler schreibt die Altaussee-Krimis um Inspektor Gasperlmaier, auf Servus TV ein Hit. Sein neues Buch führt in eine andere Welt, in die Jugend der heute Sechzigjährigen. Schüler Sigi entdeckt Led Zeppelin, Hobby-Tschick und Schmusen mit Zunge. Zauberhaft!

Schreibt wohl auch ein bisschen über seine eigene Jugend: Herbert Dutzler legt mit "Der Plattenspieler unter der Dachschräge" den vierten Band seiner Sigi-Saga vor
Schreibt wohl auch ein bisschen über seine eigene Jugend: Herbert Dutzler legt mit "Der Plattenspieler unter der Dachschräge" den vierten Band seiner Sigi-Saga vorMonika Loeff
Angela Szivatz
Akt. 05.10.2025 01:47 Uhr

Auf Servus TV ist der verträumt-naive Landpolizist Gasperlmaier ein Quoten-Renner. Die Romane dazu stammen aus der Feder von Herbert Dutzler. Zwölf Fälle sind mittlerweile erschienen, zuletzt "Letztes Glückskeks". Alle Bücher tragen das Wort "Letzte" im Titel.

In seinem neuen Sigi-Roman "Der Plattenspieler unter der Dachschräge" nimmt uns der oberösterreichische Autor und Lehrer mit auf eine Zeitreise in die Jugend der "Generation Boomer", oft auch "Babyboomer" genannt. Das sind Menschen, die mittlerweile älter als 60 sind – in Österreich mehr zwei Millionen. Angela Szivatz hat das Buch gelesen – und jede Menge Déjà-vús erlebt:

Worum geht es in "Der Plattenspieler unter der Dachschräge"?
Wir schreiben das Jahr 1974, Sommerferien. Siegfried "Sigi" Niedermayr, den man schon aus drei früheren Büchern Dutzlers kennen könnte, ist inzwischen sechzehneinhalb Jahre alt, aus seiner Sicht also bereits erwachsen. Seine Eltern sehen das naturgemäß anders. Zwischen dem Besuch der siebenten Klasse des Gymnasiums und ihm steht allerdings noch eine Nachprüfung in Latein.

Lernt Sigi für die Nachprüfung?
Die meiste Zeit nicht. Zunächst macht er einen Ferialjob in einer Möbelfabrik. Dort prallen Welten aufeinander. Seine Kollegen hören Schlager, einer schleppt ihn ins Pornokino. Sie lehnen seine Musik ab und nennen ihn einen "Studierten".

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Helmut Graf

Worum geht es für Sigi im Leben?
Musik, aber nicht der "Babysound" von ABBA oder The Rubettes  ("Sugar Baby Love"), den seine zwei Jahre jüngere Schwester Uschi hört. Sigis Helden heißen Deep Purple, The Who, Led Zeppelin oder Slade. Vom in der Möbelfabrik verdienten Geld – 6.149 Schilling und 30 Groschen – kauft er sich eine Stereoanlage. Für einen Plattenspieler muss er aber noch ein paar Extra-Schichten einlegen.

Und worum noch?
Die Liebe – oder das, was Sigi dafür hält. Er verliebt sich nämlich ständig in ein anderes Mädchen. Mit der klugen und gutaussehenden Rita hat er zum Schulschluss einmal geschmust. In den Ferien wird Wiebke aus Deutschland das Objekt seiner Begierde. Zu Schulbeginn ist Rita wieder kurz im Rennen, doch dann tauchen Brigitte und Marlene auf.

So viele Verlockungen …
ja, dabei ist Sigi anfangs noch alles andere als sattelfest: "Ich hab' zuerst gar nicht gewusst, wie das geht, mit Zunge und so, aber ich habe schnell gelernt und von da an war Küssen eines meiner liebsten Hobbies."

Es geht also auch um Sex?
Sex ist ständig präsent, auch wenn sich eigentlich noch nicht viel abspielt. Die Burschen besprechen andauernd, wer auf wen steht und wer besonders heiß ist. In Gedanken ist Sigi sehr viel mit der Frage beschäftigt, wie er seine Chancen bei den Mädels verbessern kann. Weil er etwas mollig ist und noch dazu eine dicke Brille trägt, beschließt er, abzunehmen und zieht das auch konsequent durch.

Und sonst?
Alle Burschen rauchen, die Marke ist dabei Ausdruck des finanziellen Status oder der politischen Gesinnung. Sigi raucht "Hobby", weil sie billig sind. Sein betuchter Freund Günther "Player's". Und Herbert, ein Latein-Genie, raucht filterlose "A3". Es gibt zwei Fernsehsender, alle schauen "Jason King" und "Die Zwei", die Mädchen – und Sigi – zudem "Onedin-Linie". Und alle reden am nächsten Schultag darüber.

"Der Plattenspieler unter der Dachschräge", Herbert Dutzler, Roman, 280 Seiten, 2025 Haymon Verlag, € 25,50
"Der Plattenspieler unter der Dachschräge", Herbert Dutzler, Roman, 280 Seiten, 2025 Haymon Verlag, € 25,50
Haymon Verlag

Seine Familie?
Die Eltern reden kaum noch miteinander, die Oma ist auf dem Weg in die Demenz ist und seine Schwester geht auf ein Musikinternat. Nachdem ein Gspusi des Vaters auffliegt, verlässt die Mutter die Familie.

Was ist mit der Latein-Nachprüfung?
Die schafft er und wird in der Siebenten sogar Klassensprecher. Und er schreibt für die Schülerzeitung. Weil die aber eher links und deshalb der Schulleitung ein Dorn im Auge ist, finden Redaktionssitzungen heimlich statt und alle zeichnen ihre Artikel mit Pseudonymen.

Wie sind Sigis Lehrer?
Wie Lehrer eben so sind – in der Siebzigerjahre-Version. Auf der Wien-Woche rauchen und trinken sie vor den Schülern, ohne denen auch Alkohol zuzugestehen. Sigis Klassenvorsteherin ist eine Gute, sie ermutigt ihn sogar ob seines Schreibtalents. Der Lateinlehrer hingegen ist eine Krätzn und nützt jede Chance, Sigi zu sekkieren.

Wird es mit der Liebe irgendwann ernst?
Ja, das fängt in der Tanzschule im Kolpinghaus an. Am ersten Abend wird ihm Uschi als Tanzpartnerin zugeteilt. Eins führt zum anderen. Und als sich der Abschlussball nähert, ergreift Uschi die Initiative. Sie wird eine Weile später auch seine "Erste". Und plötzlich versteht Sigi die Welt nicht mehr: "Was ist bloß mit Rita los? Jetzt, wo ich mich in eine andere verliebt habe, will sie was von mir?" Frauen …

Wie das Buch aufgebaut ist
Jedes Kapitel wird von einem Rückblick des erwachsenen Siegfried eingeleitet, der die akribisch beschriftete Diasammlung seiner verstorbenen Mutter durchsieht. 1972 hatte sie begonnen, Sigis Teenagerzeit zu dokumentieren, inklusive aller Schmerzen, Sorgen und Reifeprozesse.  Autor Herbert Dutzler gelingt es dabei hervorragend, mit wenigen Zeilen die damalige Zeit wieder aufleben zu lassen.

Woher kennt man Herbert Dutzler?
Vor allem als Autor der erfolgreichen Altaussee-Krimis um den tollpatschigen Dorfinspektor Franz Gasperlmaier Insgesamt zwölf Gasperlmeier-Bücher gibt es bereits, sechs davon wurden auch schon verfilmt.

Klingt ausgezeichnet …
Ist es auch! 2022 bekam Herbert Dutzler den Österreichischen Krimipreis, im selben Jahr wurde er gleich neun Mal mit dem "Platinbuch" für jeweils mehr als 25.000 verkaufte Exemplare seiner ersten neun Altaussee-Krimis belohnt.

Ist Herbert Dutzler selbst Sigi?
Der Verdacht liegt jedenfalls nahe, dass der Autor zumindest eigene Erlebnisse und Erinnerungen in seine Sigi-Bücher hat einfließen lassen. Dutzler, selbst Jahrgang 1958 (wie Sigi), wuchs in Schwanenstadt und in Bad Aussee auf, studierte Germanistik und Anglistik in Salzburg und diplomierte zum neueren deutschen Kriminalroman der 1970er- und 1980er-Jahre. Er unterrichtete Deutsch und Englisch am Bundesrealgymnasium Schloss Wagrain in Vöcklabruck und war auch in der Lehrerbildung tätig.

Burg-Star Cornelius Obonya (hier mit Lisa-Lena Tritscher) war in den ersten beiden Altaussee-Krimis der Inspektor Gasperlmaier
Burg-Star Cornelius Obonya (hier mit Lisa-Lena Tritscher) war in den ersten beiden Altaussee-Krimis der Inspektor Gasperlmaier
Christian Leopold / Franz Neumayr / picturedesk.com

Gibt es noch mehr von Sigi?
"Der Plattenspieler unter der Dachschräge" ist der vierte und letzte Band über das junge Leben von Sigi Niedermayr. Die ersten drei Bände heißen "Die Welt war eine Murmel", "Die Welt war voller Fragen" und "Wenn die Welt nach Sommer riecht". Auf über 1.000 Seiten kann man darin Sigi vom naiven Erstklässler bis zum jungen Erwachsenen (seine Eigendefinition) begleiten.

Ist das Buch auch für jüngere Leser interessant?
Jedenfalls für die Kinder der Babyboomer-Generation, wenn sie authentische Einblicke in das Lebensgefühl, die gesellschaftlichen Entwicklungen und den Zeitgeist während der Kindheits- und Jugendjahre ihrer Eltern gewinnen wollen. Nicht von ungefähr sagen Experten, dass Erlebnisse und Beziehungsmuster bis zu vier Generationen lang wirkmächtig sind – es lohnt sich also.

Also eine Leseempfehlung?
Auf jeden Fall! Herbert Dutzler trifft genau den richtigen Ton und die Stimmung der Teenager in den 1970er-Jahren. Aber nicht nur sprachlich, auch in seinen feinen und genauen Beobachtungen überzeugt "Der Plattenspieler unter der Dachschräge" und macht die Jugend in den Siebzigerjahren in all ihren Facetten lebendig. Und transportiert nicht zuletzt die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit mit Leichtigkeit und sehr viel Humor, ohne dabei je flach zu werden.

"Der Plattenspieler unter der Dachschräge", Herbert Dutzler, Roman, 280 Seiten, 2025 Haymon Verlag, € 25,50

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist heuer erschienen.

Angela Szivatz
Akt. 05.10.2025 01:47 Uhr