In seinem neuen Roman" Wut und Liebe" reizt Bestsellerautor Martin Suter die Bandbreite zwischen diesen Gefühlen aus. Dazu kommen überragende Beobachtungsgabe, Gespür für lebensnahe Szenarien und feiner Humor. Angela Szivatz ist in seine Welt eingetaucht.
Um Bilder geht es sehr viel in Martin Suters neuem Buch. Um die gemalten von Noah, um die im Kopf von Camilla, seiner Lebensgefährtin, und um die aus der Vergangenheit der trauernden Witwe Betty …
Muss man Martin Suter noch vorstellen?
In der Literaturwelt ist der Erfolgsautor ein vielfach und vielseitig beschriebenes Blatt. Und sicherlich gehört er zu den am besten bekleideten Schreibern der Branche. Geboren am 29. Februar 1948 in Zürich, lebt er heute wieder dort. Nach dem Collège Saint Michel in Freiburg schloss er an der University of London seine Studien ab und wurde zunächst Werbetexter in einer renommierten Basler Werbeagentur. Später gründete er in Kooperation die Werbeagentur Stalder & Suter. Parallel dazu hat er immer geschrieben.
Was hat Martin Suter als Autor veröffentlicht?
Der Vielschreiber – so bezeichnet er sich auch selbst – arbeitet seit 1991 ganz als Autor. Er veröffentlichte bisher acht "Business Class" – Bücher, prägnante und mit ironischer Distanz beobachtete Geschichten aus dem Management, die zunächst als Kolumnen erschienen. Außerdem schrieb er fünf Theaterstücke, sieben Drehbücher, Songtexte, sieben Krimis mit dem etwas zwielichtigen Ermittler Johann Friedrich von Allmen, einige davon wurden auch verfilmt, mit dem Schauspieler Heino Ferch in der Rolle des Titelhelden.
Wie gelang ihm der Durchbruch?
Mit seinem ersten Roman aus 1997, "Small World", 2010 mit Gérard Depardieu und Alexandra Maria Lara in den Hauptrollen verfilmt. Insgesamt schrieb Martin Suter 13 Romane, viele wurden verfilmt. "Melody" (2023) war 39 Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste, einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Romane aus dem Literaturjahr 2023. Inzwischen ist Suter vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis sowie dem Friedrich Glauser Preis und wurde als regelmäßiger Bestsellerautor und erfolgreichster Schriftsteller der Schweiz mit dem SwissAward 2010 in der Kategorie Kultur ausgezeichnet.
Wovon handelt "Wut und Liebe"?
Das Buch erzählt von Noah Bach, einem Maler, der auch mit Anfang 30 noch keinen eigenen Stil gefunden hat, aber immer noch auf den großen künstlerischen Durchbruch hofft. Selbst sein Galerist verliert allmählich die Hoffnung. Dem entsprechend erfolglos dümpelt Noah durchs Leben. Wäre da nicht seine Lebensgefährtin Camilla, bei der er auch wohnt, würde er am Hungertuch nagen. Doch nun reicht es auch Camilla, 31, Buchhalterin und eine Schönheit. Sie kündigt an, Noah zu verlassen, weil sie keine Lust mehr hat, in einem verhassten Job zu bleiben, um ihn zu finanzieren.
Was schwebt ihr statt dessen vor?
Camilla möchte ein Leben in Luxus und Genuss. Weil sie sich ihrer Schönheit und Wirkung bewusst ist, sucht sie jetzt einen reichen Mann, der für sie sorgt und ihr das Leben ermöglicht, das mit ihren Bildern im Kopf zusammenpasst. Obwohl sie Noah innig liebt, verlässt sie ihn. Rasch findet sich ein Mann, der ihr den ersehnten Standard bieten kann – zumindest auf den ersten Blick: 52, aber topfit dank eigenem Gym im Nobelhaus und Personal Trainer, er fährt einen Range Rover, gibt ihr 50.000 Franken, damit sie bei ihrer Freundin Liz ins Geschäft einsteigen kann.
Wie reagiert Noah darauf?
Er will um Camilla kämpfen, dafür wäre er bereit, sein oberstes künstlerisches Ethos zu verleugnen, nämlich, dass Marketing für die eigene Kunst schädlich ist. Das passte bisher nicht in sein Bild von künstlerischer Freiheit. Sein bester Freund Bernhard Himmel, ebenfalls Künstler, konstatiert: "Deiner Kunst fehlt die Geschichte." Als sich Noah aus Frust und Traurigkeit in einem Lokal mit Mojitos betäubt, lernt er die 63-jährige, schwer herzkranke Betty Hasler kennen, eine offensichtlich gut situierte Frau. Sie betrinkt sich wegen einer bösen medizinischen Diagnose, aus Trauer um ihren verstorbenen Mann Patrick und aus Wut.
Worauf ist Betty so wütend?
Auf den ehemaligen Geschäftspartner ihres Mannes. Peter – Pete – Zaugg ist Inhaber der Unternehmensberatung, die er ursprünglich mit Patrick Hasler gegründet und zum Erfolg gebracht hat. Dabei sei ihr Mann, so Betty, immer stärker ausgebeutet worden, während Pete nur die Lorbeeren erntete. Seinem dritten Herzinfarkt ist Patrick vor drei Jahren erlegen. Was Betty noch am Leben hält, ist die Hoffnung, dass Peter Zaugg vor ihr sterben könnte. Nun, mit der bösen Prognose, findet sie, sie müsste nachhelfen, um Zaugg zu überleben. Ob Noah nicht jemanden wisse, der das diskret erledigen könnte?
Wie reagiert Noah darauf?
Nach einem kurzen Schreck erinnert er sich an seine ausgezeichneten Erfolge als Schütze in der Rekrutenschule. Das Talent hat er von seinem Vater. Noah beginnt, unaufgeklärte Mordfälle zu studieren. Die in Aussicht gestellte Million Schweizer Franken könnte er gut gebrauchen. Um Camilla, die inzwischen ausgezogen ist, etwas bieten zu können, ist er sogar bereit, einen Mord zu begehen. Als er sich Betty als Vollstrecker ihrer Wünsche anbietet, macht diese einen Rückzieher. Stattdessen kauft sie ihm um 14.000 Schweizer Franken ein Triptychon ab, drei Akte von Camilla. Blöderweise will auch Peter Zaugg das Gemälde kaufen, also fertigt Noah eine Fälschung seiner eigenen Arbeit an.
Wie geht es weiter?
Camilla zieht in die Villa ihres Neuen, Carl. Sie langweilt sich, steigt aber immerhin bei Liz in deren Fashion-Business ein. Noah stellt ihr so lange nach, bis sie den Kontakt unterbindet. Das bestärkt ihn sogar noch in seinem Entschluss, Zaugg für Betty zu töten. Die wiederum überlegt es sich ständig anders, mal ja, mal nein. Nach ein paar Wochen stellt sich heraus, dass Camillas Zukunftshoffnung Carl verheiratet ist. Es beginnt ein weit verbreitetes Spiel unter gut Betuchten: Er mietet ein schickes Apartment für sie und kommt einmal die Woche für Sex vorbei.
Wie reagiert Camilla darauf?
Sie versucht sich damit abzufinden. Doch rasch merkt sie, dass das schon gar nicht das Leben ist, das sie wollte. Sie verlässt Carl und kehrt in ihre Wohnung und zu Noah zurück. Der ist überglücklich, will aber, trotz ihrer Bitte, den Blödsinn zu vergessen, Zaugg töten. Wegen des Geldes und auch wegen Betty, der es immer schlechter geht. Dann entdeckt Camilla auch noch, dass Liz sie die ganze Zeit hintergangen und die 50.000 von Carl einfach auf den Putz gehaut hat, mit tollen Reisen zu Fashion-Weeks und ihrer zu teuren Wohnung. Camilla sucht sich einen neuen Job und landet ausgerechnet bei Zaugg & Partner.
Was passiert noch?
Nein, auch diesmal, kein Spoilern. So viel sei aber verraten: Ganz neue Perspektiven tauchen auf und führen zu unerwarteten Wendungen. Noah leiht sich von seinem an Parkinson erkrankten Vater ein Sako TRG Präzisionsgewehr, eine bei Armeen beliebte finnischen Marke. Dann legt er sich tagelang auf die Lauer entlang von Zauggs Joggingstrecke. Die Stellen, an denen er dort auf der "Pirsch" liegt, sind besonders situationskomisch und bringen ihn endlich auf die Idee, was sein künstlerisches Markenzeichen sein könnte – Nebel über alle Bilder legen. Auch andere neue Perspektiven tauchen auf und führen zu unerwarteten Wendungen in der Story.
Erfahrung mit schweren Verlusten
Sehr greifbare Figuren und ein feiner, ironischer Blick zeichnen den Stil von Martin Suter aus. Besonders die Trauer von Betty ist sehr nachfühlbar geschildert. Kein Wunder, der Autor hat damit selbst einige Erfahrung. 2009 starb Martin Suters Adoptivsohn bei einem Unfall, im Mai 2023 seine zweite Ehefrau, die Mode-Designerin Margrith Nay, im Alter von 72 Jahren, und kurz darauf seine Mutter.
Wie Suter damit umging
"Einige Monate nach Margrith ist ja auch meine Mutter gestorben. Und ich habe dann nicht meiner Mutter nachtrauern können, weil ich nicht zwei Schmerzen gleichzeitig haben kann. Ein Schmerz ist immer kleiner als der andere", verriet er im Buch "Kein Grund, gleich so rumzuschreien" seinem Gesprächspartner, dem Schriftsteller, Journalisten und Moderator Benjamin von Stuckrad-Barre. Die sehr unterschiedlichen Autoren sind sich freundschaftlich und literarisch verbunden.
Was der Autor Suter sonst noch bietet
Seine Outfits sind ebenso schick wie seine Website, man findet darauf jede Menge Backgroundinfos, Fotos, Interviews und einen "KritiQuiz" mit der Literaturredakteurin und Moderatorin Nora Zukker. Sie wählt dafür aus Internet-Plattformen Lesermeinungen aus, liest sie Martin Suter vor, und dieser darf dreimal raten, welches Buch sie betreffen. Zahlende Member erhalten für 50 Euro pro Jahr Zugang zu mehr Backstage-Info, Vorab-Lesetexten und anderem.
Ist das Buch empfehlenswert?
Was Suter seinen Figuren über Wut, Verzweiflung, Liebeskummer und Rache in den Mund und auf die Gefühlspalette legt, ist klug, einfühlsam und voll aus dem Leben gegriffen. Passagen wie "In der Liebe ist das Ziel die Niederlage, die Selbstaufgabe. Auf beiden Seiten. Nicht die Eroberung", und "Ich liebe dich, aber nicht das Leben mit dir", oder "Wenn man stirbt, stirbt auch die Wut" (alles Buch-Zitate), wirken nach. Auch deshalb ist "Wut und Liebe" lesenswert.
Ende August startet Martin Suter eine Aufführungs-Tour mit einer eigens dafür entwickelten Fassung des Werkes für die Bühne, erarbeitet von Dramaturg Joachim Lux, mit Schauspiel-Stars wie Katja Riemann, Caroline Peters, Dirk Stermann und anderen. Am 11. September findet der Wien-Termin im Konzerthaus statt.
"Wut und Liebe" von Martin Suter, Roman, 304 Seiten, 2025 Diogenes Verlag, € 27,50
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Sie lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist eben erschienen.