"Two and a Half Men" läuft auch 22 Jahre nach dem Start in Dauerschleife, aber um ihren Hauptdarsteller ist es ruhig geworden. In der neuen Dokumentation "aka Charlie Sheen" blickt Hollywoods ewiges Enfant terrible auf sein bewegtes Leben zurück. Aktuell auf Netflix.
Charlie Sheen war über drei Jahrzehnte lang als "Person der Öffentlichkeit" omnipräsent, auf Kinoleinwänden, TV-Bildschirmen und in den Klatschspalten der Medien. In den letzten Jahren ist es ruhiger geworden um den Star aus Filmen wie "Wall Street", "Hot Shots" und der Dauerläufer-Serie "Two and a Half Men": Keine neuen Skandale, aber auch kaum neuen Rollen. Die größte Schlagzeile in den letzten Jahren war Sheens Geständnis, HIV-positiv zu sein.
Rückblick auf 60 bewegte Jahre Kurz nach seinem 60er Anfang September taucht Hollywoods langjähriges Enfant terrible, dessen Drogen- und Alkohol-Abstürze er selbst immer wieder mit hohem Unterhaltungswert inszenierte (man denke an die "Winning"-Tournee 2011 nach dem Rauswurf bei "Two and a Half Men"), in der zweiteiligen Netflix-Doku "aka Charlie Sheen" wieder auf. Dort lässt er sein Leben, seine Karriere und seine Eskapaden Revue passieren. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern überraschend aufschlussreich.
Achterbahnfahrt Die Karriere und das Leben von Charlie Sheen als Achterbahnfahrt zu beschreiben, wäre eine Untertreibung: Auf Erfolge – und deren gab es einige – folgte stets der Absturz in einen Sumpf aus endlosen Partys, Alkohol, Drogen und Frauen, um dann doch wieder wie Phönix aus der Asche aufzuerstehen. Jon Cryer, Sheens langjähriger Co-Star in "Two and a Half Men", charakterisiert das Leben seines Kollegen zu Beginn des ersten Teils von "aka Charlie Sheen" genau so, und das durchaus kritisch.
Antiheld auf Selbstzerstörungs-Trip Andere Stimmen, die zu Wort kommen, machen das weitaus wohlwollender: Sheens Jugendfreund Sean Penn ist dabei, sein Bruder Ramon Estevez, zwei seiner Ex-Frauen, einer seiner Söhne und sein langjähriger und bester Freund Tony Todd, übrigens auch sein ehemaliger Crack-Dealer. Alle zeichnen das Bild eines klassischen amerikanischen "Antihelden", dessen Selbstzerstörungstrieb ihn beinahe das Leben gekostet hätte und seinen Mitmenschen viele Schmerzen bereitete.
Kein schlechter Mensch Trotzdem will keiner von ihnen – durchaus bemerkenswert – über Sheen als "schlechtem Menschen" reden. Die meisten Befragten spielen immer noch eine große Rolle in seinem Leben, das Sheen, der nun seit acht Jahren "clean" ist, offenbar endlich in den Griff bekommen hat. Zur Premiere von "aka Charlie Sheen" kam der Protagonist mit seiner Ex-Frau Denise Richards, die viele seiner Eskapaden aus nächster Nähe mitbekommen hatte. Und einer seiner Söhne (aus der kurzen Ehe mit Brooke Mueller) lebt inzwischen sogar bei Sheen zuhause, wie am Ende der Doku zu sehen ist.
Cooler Geschichtenonkel Am spannendsten sind aber natürlich die Gespräche mit dem Protagonisten selbst, die auch den Großteil der beiden rund 90-minütigen Filme ausmachen. Das Setting ist einfach: Der "coole Geschichtenonkel Charlie" nimmt in einem American Diner Platz, gegenüber die Kamera, sonst nichts. Und erzählt seine Lebensgeschichte als einer der vier Söhne von Hollywood-Ikone Martin Sheen. Schon früh kam er so mit dem Medium Film in Berührung, das sein Leben prägen sollte.
Keine Selbstbeweihräucherung Sheen unterteilt seine Erzählung und die Stationen seines Lebens selbst in "Partying", "Partying with Problems" und "Only Problems". Er, der Lebemann, in dessen noch nicht abgeschlossenes Leben fünf normale passen würden, hat zahlreiche Geschichten zu erzählen. Und er macht das sehr unterhaltsam, selbstironisch, aber zeitweise auch selbstkritisch. "aka Charlie Sheen" ist definitiv keine einseitige Selbstbeweihräucherung geworden, dafür sorgen auch immer wieder die kritischen Einwürfe von Cryer und Serienmacher Chuck Lorre, der Sheens Sitcom-Karriere zu neuen Höhen führte – und sie 2011 jäh beendete.
Saufen mit Nicolas Cage Sheen erzählt von seinem frühen, plötzlichen Erfolg mit "Platoon", der ihn über Nacht in die Riege der A-Stars katapultierte. Über durchzechte Tage und Nächte mit dem Schauspiel-Kollegen Nicolas Cage. Über zahlreiche Abstürze. Über wiederholte Versuche, "clean" zu werden (erstmals Anfang der 90er, dann zum Ende des Jahrzehnts), seine turbulenten Ehen und sein finaler Fall in die Tablettensucht Mitte der Nuller-Jahre, am Zenit seines Erfolges, als er bestbezahlter TV-Darsteller aller Zeiten wurde.
Bedauern Einige seiner Eskapaden scheint der Protagonist ehrlich zu bedauern, besonders jene, bei denen andere zu Schaden kamen. Eine wirkliche Erklärung für sein Leben in Extremen liefert aber auch "aka Charlie Sheen" nicht, wer darauf hofft, wird enttäuscht.
Licht und Schatten Von manchen Seiten wird der Doku deshalb vorgeworfen, zu unkritisch zu sein. Die Einschätzung wirkt aber unpassend, da einige der Personen, die am meisten von Sheens Fehlverhalten betroffen waren, eben selbst zu Wort kommen. Das Persönlichkeitsmosaik, das sich aus ihren Erzählungen ergibt, passt nicht in die simple Schablone "Bad Guy", auf den man mit dem Finger zeigen kann. Charlie Sheen scheint vielmehr ein komplexe Persönlichkeit zu sein - und das macht ihn und diese Doku so interessant.
Vater-Sohn-Beziehung Eines der größten Mankos der Doku ist die Abwesenheit von Martin Sheen. Charlie selbst sagt, er hätte sich natürlich gewünscht, dass sein Vater auch dabei gewesen wäre, er würde aber verstehen, warum das nicht der Fall ist. Aber auch ohne persönlichen Auftritt wird klar, dass Martin Sheen eine der großen Konstanten im Leben seines Sohnes war und ist. Er war immer für ihn da, unterstützte ihn, als andere ihn bereits aufgegeben hatten. "aka Charlie Sheen" ist so auch eine berührende Geschichte einer turbulenten Vater-Sohn-Beziehung, die alle Widrigkeiten überstand.
Absurder Eskapismus Zu guter Letzt ist "aka Charlie Sheen" natürlich auch Eskapismus, ein Eintauchen in eine andere Zeit, die goldenen Neunzigerjahre, die relativ unbeschwerten Nuller-Jahre, als Drogen-Abstürze von Stars noch Schlagzeilen Wert waren, Gesprächsstoff lieferten, da die Welt wenige andere Sorgen hatte. Angesichts unserer aktuellen Weltlage anno 2025 wirkt das fast schon absurd, wie nicht zuletzt auch Charlie Sheen selbst anmerkt.
Fazit Eine unterhaltsame Geschichte der Dekadenz: So lässt sich "aka Charlie Sheen" am besten charakterisieren. Für Fans der Hollywood-Ikone sowieso ein Muss, ist die zweiteilige Doku auch für alle anderen empfehlenswert, die mehr über den Protagonisten erfahren möchten. Oder schlicht einen filmischen Trip in eine andere Zeit unternehmen wollen.
"aka Charlie Sheen", Dokumentation. USA 2025, 2 Episoden à ca. 90 Minuten, Netflix