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Australien startet

Social-Media-Verbot bis 16: Wollen wir das jetzt auch haben?

Australien prescht vor: Mit 10. Dezember tritt eine "Kindersperre" für YouTube, Insta, TikTok & Co in Kraft. Nicht Teenager oder ihre Eltern haften, sondern den Anbietern drohen Strafen bis zu 28 Millionen Euro. Aber: Wie stellt man Alter eigentlich fest?

Für Teenager unter 16 bleibt der Bildschirm in Australien jetzt oft schwarz
Für Teenager unter 16 bleibt der Bildschirm in Australien jetzt oft schwarziStock
Christian Nusser
Akt. 09.12.2025 23:25 Uhr

Der Nutzername des Reddit-Zugangs von "Helen62" weist den Weg, aber er führt knapp am Ziel vorbei. "Helen62" ist in Wahrheit nämlich schon 63, das sagt sie von sich selbst.

Das würde weiter keine Rolle spielen, aber die 63-jährige "Helen62" bekam nun ein Mail von Reddit. Darin weist die Social Media-Plattform ihre Userin darauf hin, dass am 10. Dezember in Australien ein Verbot in Kraft trete. Wer nicht 16 Jahre oder älter ist, darf jetzt keinen Account auf Reddit mehr betreiben.

Was die 63-jährige "Helen62" mit Sicherheit weiß ist, dass sie schon über 16 Jahre alt ist, sie liegt sogar ein gutes Stück darüber. Verwirrt ist sie deshalb trotzdem nicht, denn auch "Malaikamaut" hat so ein Mail bekommen, er ist 53. "I am albatross" auch, der ist zwar erst 37, aber auch kein Teenager mehr.

Offenbar hat Reddit alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Australien vom Social Media-Bann informiert, ungeachtet des Alters. Als erstes Land der Welt führt der Kontinent eine harte Grenze für die Nutzung digitaler Plattformen ein. Was sie über  das Social Media Minimum Age Framework (SMMA) wissen müssen:

Was gilt nun in Australien?
Jugendlichen unter 16 Jahren wird der Zugang zu vorerst 10 Plattformen untersagt. Das heißt: Es können bis zu diesem Schutzalter keine neuen Accounts  mehr errichtet werden, bestehende Accounts werden stillgelegt.

Australiens Premierminister Anthony Albanese and Medienministerin Anika Wells beantworten Fragen von Teenagers zum Social-Media-Verbot
Australiens Premierminister Anthony Albanese and Medienministerin Anika Wells beantworten Fragen von Teenagers zum Social-Media-Verbot
Reuters

Welche Plattformen sind betroffen?
Facebook, Instagram, Kick, Reddit, Snapchat, Threads, TikTok, Zucken, X, YouTube.

Welche Plattformen sind nicht betroffen?
Ausdrücklich ausgenommen werden im Gesetz Discord, GitHub, Google Classroom, LEGO Play, Messenger, Pinterest, Roblox, Steam and Steam Chat, WhatsApp und YouTube Kids.

Gibt es so ein Gesetz schon anderswo?
Nicht in der dieser Härte. Der australische Premierminister Anthony Albanese nannte den Vorgang "weltweit führend".

Warum ist das in Australien so ein großes Thema?
Eine Anfang 2025 in Auftrag gegebene Studie ergab, dass 96 Prozent der 10- bis 15-Jährigen soziale Medien nutzen und sieben von zehn von ihnen schädlichen Inhalten ausgesetzt waren.

Worum geht es da?
Frauenfeindliche und gewalttätige Inhalte sowie Inhalte, die Essstörungen und Suizid fördern. Jede(r) Siebente berichtete außerdem von Belästigungsversuchen durch Erwachsene oder ältere Kinder, und mehr als die Hälfte gab an, Opfer von Cybermobbing geworden zu sein.

Mehr als die Hälfte der Kinder geben an, schon Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein
Mehr als die Hälfte der Kinder geben an, schon Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein
iStock

Gab es einen Anlassfall, der die Debatte anfachte?
Sogar mehrere. BBC Australien schildert das Schicksal eines 12-Jährigen, der in der Schule Streit mit einem anderen Buben hatte und daraufhin über einen Social Media-Gruppenchat gemobbt wurde. Er bekam via Snapchat ein Video geschickt, in dem ein Bursche mit einer Machete herumfuchtelte. Man werde ihn "finden und erstechen" wurde ihm in Sprachnachrichten gedroht.

Ist die toxische Wirkung wissenschaftlich nachweisbar?
Ja, es gibt umfangreiche Belege für die negative Wirkung der sozialen Medien vor allem auf Heranwachsende. Die Zahl der Selbstverletzungen und der Suizide hat deutlich zugenommen. Social Media macht Teenager einsam, fand die Universität Cambridge heraus und sprach von einer "Einsamkeitsepidemie". Wer häufig auf TikTok & Co surft ist mit seinem Leben weniger zufrieden.

Wie verbreitet ist Social Media?
Enorm und das ist Teil des Problems. Social Media ist längst eine Weltmacht. Im Oktober 2025 nutzten 5,66 Milliarden Identitätensoziale Medien, das entspricht 68,7 Prozent der Weltbevölkerung, mehr als zwei Drittel der Menschen auf der Erde.

Ist das ein wachsender Markt?
Ja, die Zahl der aktiven User ist in einem Jahr um 4,8 Prozent gestiegen. Konkreter ausgedrückt: Zwischen Oktober 2024 und Oktober 2025 kamen 259 Millionen neue Nutzeridentitäten dazu, ein Wachstum von mehr als 700.000 Nutzern pro Tag.

Die Zahl der aktiven User von Social Media wächst um 700.000 Personen pro Tag
Die Zahl der aktiven User von Social Media wächst um 700.000 Personen pro Tag
iStock

Was sind die größten Plattformen?
Nach wie vor hat Facebook die größte Verbreitung, auf den Plätzen folgen YouTube und Instagram. Die Grenze können nicht ganz scharf gezogen werden, es handelt sich um freiwilligen Angaben. Schaut man sich die App-Nutzung an, mischt sich die Reihenfolge anders, die Top 3 aber bleiben gleich.

Plattform mindestens einmal im Monat genutzt (16+)

  • Facebook 56,9 %
  • YouTube 55,4 %
  • Instagram 55,1 %
  • WhatsApp 54,0 %
  • Messenger 38,4 %
  • TikTok 36,0 %
  • Telegram 33,8 %
  • X 29,2 %
  • Pinterest 25,1 %
  • WeChat 25,0 %
  • Snapchat 23,2 %
  • LinkedIn 21,3 %
  • Douyin 19,5 %
  • iMessage 17,0 %

Was heißt das in Zahlen?
Facebook hat weltweit monatlich 3,07 Milliarden Nutzerinnen und Nutzer, WhatsApp und Instagram jeweils 3 Milliarden.

Wie ist das bei den jungen Usern?
Da ist Instagram der eindeutige Hit. In den Altergruppen 16 bis 24 Jahre und 25 bis 34 Jahre ist die Plattform Nummer 1. Unter jungen Frauen liegt TikTok schon auf Platz 2.

Hat Social Media ein Altersproblem?
Schaut so aus. In den USA geben 95 Prozent der Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren an, eine Social-Media-Plattform zu nutzen. Mehr als ein Drittel sagt, sie nutzen soziale Medien "fast ständig". Und: Obwohl das Mindestalter für die Anmeldung 13 Jahre ist, sind auch fast 40 Prozent der Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren auf Social Media.

87 Prozent der 11- bis 17-Jährigen in Österreich nutzen WhatsApp
87 Prozent der 11- bis 17-Jährigen in Österreich nutzen WhatsApp
Picturedesk

Wie ist das in Österreich?
87 Prozent der 11- bis 17-Jährigen sind auf WhatsApp (82 Prozent davon täglich), 80 Prozent nutzen YouTube, 74 Prozent Snapchat, 73 Prozent Instagram, 72 Prozent TikTok, so der "Jugend-Internet-Monitor 2025".

Was war heuer neu?
Drei Viertel der befragten 11- bis 17-Jährigen (75 %) gaben an, bereits mindestens einmal KI-Chatbots wie ChatGPT genutzt zu haben. Die digitalen Nutzung wird sich in den kommenden Jahren neu mischen.

Ist das Social-Media-Verbot eine gute Idee?

Hat das Folgen?
Teenager verbringen am Tag mehrere Stunden in sozialen Medien, in den USA sind es im Schnitt bereits 4,8 Stunden. Jene 41 Prozent mit der höchsten Nutzung bewerten gleichzeitig ihre allgemeine psychische Gesundheit als "schlecht" oder "sehr schlecht", berichtet die "American Psychological Association".

Begründet die australische Politik damit das Verbot?
Premierminister Anthony Albanese sprach jedenfalls von einem "globalen Problem". Er wolle, dass "australische Kinder eine Kindheit haben. Und Eltern ihren Seelenfrieden", sagte er.

Wie ist die Vorgeschichte?
In Australien wurde mit dem Online Safety Act 2021 Online-Sicherheit umfassender und deutlich strenger geregelt. Ende 2024 wurde beschlossen, das Gesetz um das Social Media Minimum Age Framework (SMMA) zu erweitern. Am 29. Juli 2025 erließ der Kommunikationsminister die neuen Online-Altersbeschränkungen.

"Australische Kinder sollen eine Kindheit haben": Premierminister Anthony Albanese mit seinem Hund Toto
"Australische Kinder sollen eine Kindheit haben": Premierminister Anthony Albanese mit seinem Hund Toto
Picturedesk

Wen nimmt das Gesetz in die Pflicht?
Die Plattformen. Sie müssen nachweisen, dass sie "angemessene Maßnahmen" ergriffen haben, um zu verhindern, dass Nutzer unter 16 Jahren ein Konto eröffnen.

Wie funktioniert die Alterssicherung?
Es wurde zunächst eine breit angelegte Studie beauftragt, sie kostete umgerechnet 6,5 Millionen Euro. Es sollte festgestellt werden, welche Technologien der Altersfeststellung es gibt und was sie taugen. Dabei wurden 48 Anbieter und über 60 verschiedene Technologien unter die Lupe genommen.

Was war das Ergebnis?
Eine Altersprüfung ist im Sinne des Gesetzes möglich. Aber es gibt keine Universallösung, jede hat ihre Stärken und Schwächen.

Welche Methoden wurden herausgefiltert?
Drei, sie kommen im offiziellen "Leitfaden zur Regulierung des Mindestalters für soziale Medien" vor. Die Altersschätzung, die Altersermittlung und die Altersüberprüfung.

Wie geht die Altersschätzung?
Es ist die unzuverlässigste Methode. Gesetzt wird auf Modelle, die das Alter anhand beobachtbarer Merkmale wie Gesichtszüge (Gesichtsscans), Stimme oder Verhaltensmuster schätzen. Ist technisch machbar und wird bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Aber: "Der Ansatz kann auch zu einer übermäßigen Sperrung von berechtigten Endnutzern ab 16 Jahren führen".

Snapchat messaging bietet drei Möglichkeiten an, sein Alter zu verifizieren
Snapchat messaging bietet drei Möglichkeiten an, sein Alter zu verifizieren
REUTERS

Wie funktioniert Altersermittlung?
Dafür werden Schlussfolgerungen aus Verhaltensmustern, Kontextdaten, digitalen Interaktionen, Metadaten oder einer Reihe anderer Informationen gezogen. Ebenfalls technisch machbar, aber weniger präzise als die Altersüberprüfung.

Was ist die Altersüberprüfung?
Es handelt sich um die sicherste Methode. User müssen sich mit einem Ausweis, aus dem das Geburtsdatum hervorgeht, legitimieren. Die Behörde empfiehlt eine Mischung aus den Methoden als Filter, um nicht alle User einer Altersüberprüfung unterziehen zu müssen.

Wird eine der Methoden gesetzlich vorgeschrieben?
Nein, die Anbieter sind in der Wahl ihrer Mittel frei.

Was heißt das in der Praxis?
Schauen wir uns Snapchat als Beispiel an. Die Plattform macht deutlich, mit den Vorgängen "strikt nicht einverstanden" zu sein und verstehe, dass User "enttäuscht" sind. Aber man müsse sich an das Gesetz halten.

Heißt was?
Ab dem 10. Dezember 2025 sind die Konten aller Nutzer unter 16 Jahren in Australien gesperrt. Wer jünger als 16 Jahre ist, kann keinen Snapchat-Account erstellen oder beibehalten. Betroffene erhalten drei Jahre Zeit, um ihre Daten herunterzuladen, sie liegen quasi in einem Tresor auf Snapchat.

Was ist, wenn man in dieser Zeit 16 wird?
Dann kann der Account entsperrt werden. Dieses Service bieten mehrere Plattformen an. Die Accounts werden temporär deaktiviert, also geparkt.

Wie weist man sein Alter nach?
Bei Snapchat über sein australischen Bankkonto, über einen Ausweis mit Foto oder über eine Schätzung des Alters. Man schickt ein Selfie, eine Software nennt eine Altersspanne.

Sind für die Eltern Strafen geplant?
Nein. Für die Durchsetzung der Maßnahmen sind die Technologieunternehmen verantwortlich, nicht Eltern oder Jugendliche.

Welche Strafen drohen?
Technologie-Unternehmen, die Teenager nicht vom Zugang abhalten, können mit Strafen von bis zu 49,5 Millionen australischen Dollar (28 Millionen Euro) belangt werden.

Haben es schon andere Länder mit einem Verbot probiert?
Oh ja! 2011 verabschiedete Südkorea ein "Shutdown-Gesetz", das Kindern unter 16 Jahren das Spielen von Internet-Games zwischen 22.30 Uhr und 6 Uhr verbot. Es wurde später mit der Begründung verworfen, man müsse "die Rechte der Jugend respektieren".

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Reuters

Die USA?
Im US-Bundesstaat Utah probierte man es mit einem Gesetz, das dem australischen sehr ähnelt. Es wurde von einem Bundesrichter für verfassungswidrig erklärt. Unter Trump ist das sowieso kein Thema.

Und in Europa?
In Frankreich wurde im September ein parlamentarischer Bericht mit 43 Empfehlungen vorgelegt, die Kinder aus der "TikTok-Falle" retten sollen. Gefordert wird ein Verbot sozialer Medien für unter 15-Jährige. Die spanische Regierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, Eltern müssen den Zugang für ihre minderjährigen Kinder unter 16 Jahren genehmigen.

Podcast-Interview: Ab wann sollten Kinder Handys haben?

Gab es nicht in der EU ebenfalls Bemühungen?
Ja, über Jahre. Zuletzt haben sich die Staats- und Regierungschefs im Oktober auf einem EU-Gipfel in Brüssel für ein Mindestalter bei der Nutzung sozialer Medien ausgesprochen. Es handelt sich aber lediglich um eine Absichtserklärung.

Wie sehen die Australier das Problem?
Rund neun von zehn Erwachsenen sprechen sich für die Alterssicherung aus. 73 % der Kinder, die eine Website nutzen würden, die das Alter überprüft, verstehen, warum Websites das Alter überprüfen.

Wie werden die Australier informiert?
Über eine umfangreiche Kampagne, die seit 19. Oktober läuft. Es gibt TV-Spots, Radiowerbung, Plakate, Inserate in Printmedien und natürlich viel im digitalen Bereich.

Was ist der zentrale Slogan?
"For the good of’" (Zum Wohle von).

Was sagen die Tech-Unternehmen?
Sie nennen das australische Verbot eine "Antwort des 20. Jahrhunderts auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts". Kinder würden in "gefährliche, unregulierte Teile des Internets" gedrängt werden, erklärte die Digital Industry Group Inc. Auch einige unabhängige Expertinnen und Experten sind dieser Auffassung.

Was sagen Kinderschutzgruppen?
Sie sind erstaunlich kritisch, etwa: "Es ist zwar gut, dass wir verstärkt über die Verbesserung der Online-Welt für junge Menschen sprechen, doch UNICEF Australien ist der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Änderungen die Probleme junger Menschen im Internet nicht lösen werden."

Wie reagiert das offizielle Australien auf Kritik?
Sie wolle "flexibel" auf die Anforderungen reagieren, sagte die zuständige eSafety-Commissioner Julie Inman Grant BBC Radio 5 Live. Der technologische Wandel werde "immer schneller voranschreiten als die Politik".

Was heißt das?
"Wir umzäunen den Ozean nicht … aber wir schaffen geschützte Badeumgebungen, die Sicherheit bieten und schon in jungen Jahren wichtige Lektionen vermitteln", sagte Grant laut BBC Anfang des Jahres vor dem Parlament.

Im Klartext?
Australien wird zum Versuchsbecken für die Welt.

Christian Nusser
Akt. 09.12.2025 23:25 Uhr