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"Für PolinA"

Warum diese Liebesgeschichte zu Tränen rührt (auch Männer)

Sein Debüt war ein Bestseller, für Buch Nummer zwei wurde er zerpflückt und geklagt. Nun legt Takis Würger den Liebesroman "Für Polina" vor. Newsflix-Kritikerin Angela Szivatz hat ihn gelesen und empfiehlt Taschentücher. Und das Buch als Sommerlektüre.

"Eigentlich schreibe ich ja immer Liebesgeschichten", sagt Takis WürgerPicturedesk
Angela Szivatz
Akt. 21.05.2025 00:15 Uhr

Von der Welt hat Takis Würger einiges gesehen und das wissen wir, weil er darüber geschrieben hat. Für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete der Deutsche unter anderem aus Afghanistan, Ägypten, Libyen, Mexiko und der Ukraine.

In seinem zweiten Leben ist Würger Autor, "Für Polina" ist sein fünfter Roman. Er hat auch ein Buch herausgegeben, es heißt "Knockout: Das Leben ist ein Kampf. Die 20 besten Geschichten vom Boxen." Der Sport fasziniert ihn. Sein aktueller Roman ist auf Platz 1 der Bestseller-Listen eingestiegen. Das könnte Sie dazu interessieren:

War Würger in seinem ersten Leben als Journalist erfolgreich?
Sogar sehr, er gewann mehrere Auszeichnungen, darunter den Deutschen Reporterpreis, den Hansel-Mieth-Preis zusammen mit dem Fotografen Armin Smailovic, den CNN Journalist Award, den Journalistenpreis der Christlichen Medienakademie und den European Journalism Prize Writing for CEE.

Was muss man über ihn wissen?
Er wurde 1985 in Hohenhameln geboren. Falls sie Hohenhameln nicht kennen, das liegt im Landkreis Peine. Wenn Sie den Landkreis Peine nicht kennen, der befindet sich im Bundesland Niedersachsen. Würger wuchs in der Nähe der Hauptstadt Hannover auf dem Land auf. Sein Vater war ebenfalls Reporter, die Mutter Sozialarbeiterin.

Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Angela Szivatz ist Autorin, Moderatorin und Literatur-Kritikerin für Newsflix
Helmut Graf

Wie kam Würger zum Schreiben?
Zunächst arbeitete er nach der Matura als freiwilliger Helfer in einem Entwicklungshilfeprojekt in Peru und wollte Arzt werden. Nach einem Volontariat bei der Münchner Abendzeitung absolvierte er eine Journalismus-Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule.

Und dann direkt hinein ins Reporterleben?
Nein, 2014 legte er ein Studienjahr am St. John's College der Universität Cambridge Human, Social and Political Science ein. Auf der Basis der Erfahrungen vor Ort veröffentlichte Würger 2017 seinen Debütroman "Der Club", der mehrfach preisgekrönt und – auch dank eines enormen Marketingaufwands des Verlages - ein Bestseller wurde.

Worum ging es?
Seine Erfahrungen als Boxer für das College und sein Zugang zu dortigen Eliteclubs bildeten die Grundlage. Es handelt sich um eine Mischung aus Krimi und Liebesroman. Die Kritik war eher mäh. Aber er verkaufte sich großartig.

Was macht Würger aktuell?
Er lebt seit 2020 als freier Autor, derzeit in Berlin und Leipzig.

Warum sorgte sein zweiter Roman für einen Eklat?
"Stella" erschien 2019 im Hanser Verlag und entzweite die Fachkritik. Das Buch erzählt die Geschichte der jüdischen Gestapo-Kollaborateurin Stella Goldschlag. Würger wurde vorgeworfen, er bediene sich historischer Realitäten des NS-Regimes, ohne ihnen den nötigen Raum, Umfeld und Faktenbasierung zu geben.

"Für Polina" von Takis Würger. Roman, 304 Seiten, Diogenes Verlag, € 26,80
"Für Polina" von Takis Würger. Roman, 304 Seiten, Diogenes Verlag, € 26,80
Diogenes

Hatte Würger einen persönlichen Bezug zum Thema?
Der Autor widmete das Buch seinem Großvater, der im Rahmen der NS-Krankenmorde (so genannte Euthanasie-Morde) in einer Gaskammer umgebracht worden war.

Wie kam es zu einer Klagsdrohung?
Der Berliner Anwalt Karl Alich erhob im Februar 2019 eine Klage bei der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Würger, unter anderem wegen des "Verdachts der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener", so das Börsenblatt vom 7. Februar 2019. Alich vertrat die Erbin von Ferdinand Kroh, dem Stella Goldschlag 1990 sämtliche publizistischen Persönlichkeitsrechte an ihrer Lebensgeschichte abgetreten hatte, bevor sie sich 1994 das Leben nahm.*

Wer war Stella Goldschlag?
Sie wurde 1922 in Berlin geboren. Die Jüdin wurde unter schwerer Folter und unter Androhung der Deportation ihrer Eltern in den 40er-Jahren dazu gebracht, mit der Gestapo zu kollaborieren. Als "Greiferin" denunzierte sie in Berlin untergetauchte Juden. Von 300 Fällen war die Rede. Im Jahr 1946 wurde sie durch ein sowjetisches Militärtribunal aufgrund ihrer Spitzeltätigkeit für die Gestapo zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt.

Und der Verlag?
Der wurde von Anwalt Alich aufgefordert, insgesamt 14 Textstellen in dem Buch "zu schwärzen beziehungsweise anderweitig unkenntlich" zu machen und keine weiteren Bücher mehr in den Handel zu liefern. Doch das passierte nicht. Buchkritiker machten Takis Würger heftige Vorwürfe, der Buchhandel stellte sich explizit hinter ihn.

Wie kommt sein neuestes Buch an?
Mit "Für Polina", seinem sechsten Buch, hat Würger einen unbestritten höchst beliebten und sehr erfolgreichen Liebesroman geschrieben. Im Ranking der Börsenblatt Belletristik-Charts stieg das Buch sofort auf Platz 1 ein.

Der Roman "Stella" brachte Takis Würger Ärger und eine Klage ein
Der Roman "Stella" brachte Takis Würger Ärger und eine Klage ein
Picturedesk

Und die Kritik?
Diesmal wird das Werk von Leserinnen und Lesern sowie dem Buchhandel gelobt, ja, man könnte sagen, von vielen sogar geliebt und als DER "Liebesroman des Jahres" gepriesen. Aus der Ecke der Buch-Kritik kommt das eine oder andere Gemäkel, meist von den üblichen Verdächtigen im Feuilleton.

Wovon handelt der Roman?
Von der Liebe. Aber er handelt nicht nur von der einen, der romantischen, der Liebe zu der Einen, dem Einen, sondern von verschiedenen Arten der Liebe. Außerdem spielen Begabung, Musik und Klaviere wichtige Rollen. Und das Erwachsenwerden oder, wie es heutzutage in der Romanwelt heißt, das Coming-of-Age.

Wie die Geschichte beginnt
Fritzi Prager wird vor der Matura auf einer Reise bei einem One-Night-Stand mit einem älteren Mann schwanger. Ohne Hilfe ihrer Eltern beginnt sie, ihr Leben zu regeln. Bei der Entbindung ihres Sohnes Hannes im Krankenhaus lernt sie die beinahe gleichaltrige Günes und deren neugeborene Tochter Polina kennen. Günes rollt die beiden Wöchnerinnen-Betten kurzerhand aneinander. Die beiden Babys schmiegen sich aneinander, ein unsichtbares Band muss sich wohl da schon zwischen ihnen verwoben haben.

Wie kommt die junge Fritzi mit dem Baby zurecht?
Zunächst schreibt sie ihre Matura, Hannes daneben im Kinderwagen. Dann beginnt sie als Putzfrau, dank der Vermittlung von Günes, Hannes im Schulrucksack auf den Rücken geschnallt. Fritzi ist eine mutige Frau und hingebungsvolle Mutter. Deshalb ist sie sehr irritiert davon, dass ihr Sohn kaum Laute von sich gibt. Doch auch die ärztlichen Besuche bringen keine Hinweise. Nach einem Annäherungsversuch ihres Nachbarn sucht sie eine neue Unterkunft.

Ehrung in Wien: 2014 erhielt Takis Würger den europäischen Journalistenpreises "Writing for CEE"
Ehrung in Wien: 2014 erhielt Takis Würger den europäischen Journalistenpreises "Writing for CEE"
HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk.com

Wo landen die beiden?
In einer herrschaftlichen, aber leicht heruntergekommenen Villa am Rande eines Moors. Der alte, etwas kauzige und schriftstellernde Heinrich Hildebrand ist dort Aufseher und nimmt die beiden unter seine Fittiche. Gemeinsam hören sie Schallplatten, lesen alte Russen und kochen, eine kleine, feine Wahlfamilie. Heinrich vermittelt Fritzi dann auch einen Job als Moor-Aufseherin.

Was ist mit Günes und Polina?
Die beiden kommen oft zu Besuch in die Villa, Heinrich liebt das lebhafte, neugierige Mädchen ebenso, wie den stillen, in vielem etwas langsamen und wie in seiner Traumwelt versponnenen Hannes. Doch dann muss Günes zu ihrer kranken Mutter in die Türkei und Polina natürlich mit. Hannes lauscht lange auf ihre Schritte, die nicht wiederkommen. Lauschen, das ist seine Spezialität und bald auch das Singen von selbsterdachten Melodien.

Was passiert dann?
Als Hannes achteinhalb Jahre ist, entdeckt er durch Zufall das Klavierspielen und seine Mutter, dass er wohl ein Wunderkind ist: Denn er spielt aus dem Gedächtnis Tschaikowski. Heinrich gibt ihm täglich Unterricht, das Klavierspiel wird für Hannes sein Ein und Alles. Polina kommt vier Jahre später zurück in sein Leben. Er spielt ihr auf dem Klavier ihre Melodie vor:  "Für Polina", seine erste Klaviersonate. Doch Polina ist gerade in einen Basketballer verknallt.

Wie kommt es dann zur großen Zäsur?
Kurz nachdem Fritzi Prager die Zulassung zum Jusstudium in München erhalten hat, verunglückt sie im Moor tödlich. Bei Fritzis Begräbnis spielt Hannes zunächst Chopin, dann eine eigene Melodie. Hannes' Vater, den sie einige Monate davor über seine Vaterschaft in Kenntnis gesetzt hatte, nimmt ihn mit nach Hamburg. Polina und er sehen sich immer seltener. Rund um ihre Matura kommt es doch noch zu einer magischen gemeinsamen Nacht. Doch keiner spricht den Zauber, die Besonderheit ihrer Zusammengehörigkeit aus.

Der Roman "Der Club" wurde am Schauspielhaus Hannover zur Aufführung gebracht
Der Roman "Der Club" wurde am Schauspielhaus Hannover zur Aufführung gebracht
Julian Stratenschulte / dpa / picturedesk.com

Trennen sie sich wieder?
Ja, obwohl Polina eine gemeinsame Zukunft plant: Sie geht zum Studium der Kunst alter Kelims nach Cambridge in England. Hannes soll mitkommen und sich in London an der Royal Academy of Music bewerben. Er willigt ein, doch tut es nicht. Nach dem Tod seiner Mutter will er allein sein. Und schon gar nicht will er wieder Musik machen. Seine Lüge verzeiht ihm Polina lange nicht, fortan geht jeder seinen eigenen Weg.

Was macht Hannes?
Obwohl schmächtig gebaut, bewirbt er sich bei "Transporte Forte" von Sebastian Blau, einem gescheiterten Jazzpianisten, der sich auf Klaviertransporte spezialisiert hat. Dort macht er zwei wichtige Bekanntschaften für sein Leben. Bosch, ein Riegel und Meister unter den Klavierträgern, der sein "Busenfreund", seine Freundschaftsliebe, wird, ihm viel über das Leben beibringt und ihn durch alle Aufs und Abs begleitet.

Wer wird noch wichtig?
Leonie, Ärztin und Kunstliebhaberin, freundlich und brav, mit Ausnahme einiger weniger durchtanzter Nächte unter Drogen, die sie vor allen verheimlicht. Mit ihr hat Hannes nicht nur Sex, er zieht bei ihr ein, sie kauft ihm neue Kleider und möchte ein Kind von ihm. Eine Weile denkt Hannes über diesen Vorschlag ernsthaft nach. Sie liebt ihn, doch er liebt sie nicht genug.

Wie geht es weiter?
Nach einem kurzen Besuch Polinas in Hamburg, der sich für beide sehr befremdlich angefühlt hat, verlieren sie den Kontakt zueinander. Hannes spielt in all den Jahren keine Note auf dem Klavier. In seinem Kopf jedoch entstehen viele Melodien. Und er beginnt, die transportierten Klaviere heimlich zu stimmen. Dann verliert er bei einem Arbeitsunfall einen Finger.

War es das mit dem Spielen?
Ganz im Gegenteil. Der Unfall erweckt Hannes Prager quasi aus seinem selbstgewählten Dornröschenschlaf. Er kündigt, spielt bei seinem letzten Klaviertransport mitten auf der Straße Polinas Melodie. Die heimliche Videoaufnahme einer Studentin geht viral und die Geschichte nimmt ihren Lauf …

In Cambridge hat Würger studiert, hier spielen auch seine Romane immer wieder
In Cambridge hat Würger studiert, hier spielen auch seine Romane immer wieder
Getty Images/iStockphoto

Das sagt der Autor über seine Arbeit
"Eigentlich schreibe ich ja immer Liebesgeschichten", sagt Takis Würger. Diesmal sei zuerst die Musik da gewesen, die ihn sehr stark inspiriert habe. Er habe sich schon im Arbeitsprozess darauf vorbereitet, dass Menschen Liebesgeschichten unterschiedlich darstellen und aufnehmen werden. Doch sein Kompass fürs Schreiben ist die Frage: "Habe ich das Buch geschrieben, das ICH schreiben wollte?"

Noch zwei Besonderheiten
Von jeher ist Würgers Erstleserin und beste Kritikerin seine Mutter. In den letzten Jahren hat er sie immer wieder auch auf Lesereisen mitgenommen. Und der Autor scheint auch ernsthaft interessiert am Feedback seiner Leserinnen und Leser zu sein. Seine E-Mailadresse steht am Ende seiner Bücher mit der Frage: "Wie hat Ihnen das Buch gefallen?"

Warum es sich lohnt, das Buch zu lesen
Takis Würger ist hier ein sehr feiner Ton in der Sprache gelungen. Das Tempo ist Adagio, fast schon Larghissimo, also sehr langsam. Das ist sehr wohltuend, sogar heilsam in all der Hektik unserer Zeit. Die Charaktere weisen allesamt ungewöhnliche Eigenschaften auf und sind gerade dadurch besonders liebenswert. Und dass in dem langsamen, stillen Kind durch die Geduld seiner Umgebung etwas Außergewöhnliches heranreifen darf, macht diese Geschichte noch schöner.

"Für Polina" von Takis Würger. Roman, 304 Seiten, Diogenes Verlag, € 26,80

Angela Szivatz ist Autorin ("Betrug und Liebe - die wahren Fälle einer Detektivin") Moderatorin und Bloggerin ("Oma aus dem Kirschbaum"). Für Newsflix schreibt sie über aktuelle Literatur. Angela Szivatz lebt in Wien. Ihr erster Krimi "Tödliches Gspusi" ist eben erschienen.

* Die Telefonseelsorge Österreich ist unter dem Notruf 142 rund um die Uhr erreichbar.

Angela Szivatz
Akt. 21.05.2025 00:15 Uhr