Der Druck wurde übermächtig. Immer mehr ÖVP-Politiker legten Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer den Rücktritt nahe, am Donnerstag trat er ab. Experte Peter Hajek im Video-Podcast über Eitelkeiten, Hofnarren und den Schweige-Kanzler.

Von einem "Frontalschaden" sprach Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner am Mittwoch. "Die Wirtschaftskammer ist nun gefordert, rasch Vertrauen zurückzugewinnen", so Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer im Standard. Nachsatz: "Mit wem an der Spitze, haben die Gremien in der Wirtschaftskammer oder Harald Mahrer selbst zu entscheiden."
Immer mehr Parteifreunde stellten dem Kammerchef den Sessel vor die Tür. Am Donnerstagabend trat Mahrer zurück, nicht mit einem persönlichen Auftritt, sondern mit einem kurzen Filmclip als Erklärung. Im Video-Podcast spricht Meinungsforscher und Politik-Experte Peter Hajek über das System Mahrer und die Strukturen dahinter. Die wichtigsten Passagen:
Wie es ihm persönlich als Wahlforscher ohne Wahl geht
Ich liebe diese Zeiten. Wir haben in Wahljahren mehr Stress, der unbezahlt ist, weil er nämlich mediengetrieben ist. Die nächste Wahl ist erst im Herbst 2026 Graz. Die wird uns nicht rasend tangieren. Und dann kommt erst 2027 Oberösterreich. Wunderbar.
Ob ihn die Politik manchmal an den Fasching erinnert
Ich orte schon bei den meisten politischen Akteuren, dass sie zumindest den Wunsch und das Vorhaben haben, in diesem Land was weiterbringen zu wollen. Das finde ich, sollten wir Politikerinnen und Politiker nicht absprechen, sonst wird der Job wahnsinnig beliebig und es kommen andere Akteure, die sich leichter tun, weil die Menschen sagen, da ist eh kein Unterschied.
Warum Mahrer die Affäre in der Wirtschaftskammer passiert ist
Das ist relativ einfach, weil Politiker in diesen Systemen, die möglicherweise tatsächlich eine eigene Blase darstellen, sozialisiert worden sind und dort für sich abgekoppelt leben. Dann kommt hinzu: In diesen Organisationen gibt es nicht das, was früher die Fürsten hatten, nämlich einen Hofnarren, der dem Fall Präsidenten sagt: "Du, das kannst nicht machen."
Warum das so ist
Weil alle in diesem System von diesem System leben und auch profitieren. Und alle sagen, dieses System ist ganz, ganz wichtig. Und wir leisten einen super Job.
Wie die Betroffenen das empfinden
Wir wissen aus Umfragen, wenn Mitglieder sowohl bei Wirtschaftskammer als auch bei der Arbeiterkammer auf die Kammer treffen, weil sie Unterstützung brauchen, weil Sie eine Rechtsberatung brauchen, dann sind diese Menschen meistens sehr zufrieden.
Ob sich daraus das große Selbstbewusstsein ableitet
Man hat die Kammern aus einer Art von Wettbewerb genommen, indem man sie in den Verfassungsrang gehoben hat. Ich glaube, das tut mit einer Organisation schon etwas. Die Wirtschaftskammer nimmt im Jahr 1,3 Milliarden Euro ein. Können Sie sich das vorstellen?
Ob das System aus der Zeit gefallen ist
Nehmen wir die drei Player in der Sozialpartnerschaft, die Landwirtschaftskammer, die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer. Die stammen in ihrem Selbstverständnis aus einer Zeit, die es heute so nicht mehr gibt.
Was jetzt anders ist
Früher waren tatsächlich die Unternehmer und die Bauern auf der einen Seite und auf der anderen Seite waren halt die Arbeiter und Angestellten. Das verschwimmt komplett. Das heißt, man hat ein politisches Mindset, das von den zwanziger und dreißiger Jahren geprägt ist, das sich aber heute nicht mehr so abbildet.

Was die Folge davon ist
Dass viele Unternehmerinnen und Unternehmer das Gefühl haben, die vertreten uns gar nicht mehr, weil dieses System abgekoppelt ist und auf der anderen Seite aus einem vormodernen Kontext kommt.
Ob Mahrer Opfer seiner Selbstverliebtheit wurde
Also sagen wir es einmal so: Harald Mahrer ist dafür bekannt, dass er durchaus ein gewisses Selbstbewusstsein hat und auf sein Äußeres achtet. Belassen wir es dabei.
Ob die Entbürokratisierung des Landes nicht an der falschen Stelle beginnt
Ja, wobei das natürlich bei der Kammer insbesondere die ganz großen Unternehmen betrifft. Ich habe einmal gelesen, dass die VOEST 12 Millionen Euro Mitgliedsbeitrag bezahlt. Aber auch die Arbeiterkammer nimmt 700 bis 800 Millionen im Jahr ein, auch nicht wenig. Also zusammen haben die zwei Milliarden auf der Seite.
Welchen Eindruck das vermittelt
Wenn die beiden Kammern mit weniger Geld dieselbe Leistung erbringen würden, wäre auch niemand unglücklich. Aber Sie sind ja auch ein Sinnbild dafür, was sonst in dem Land auch nicht passiert.
Nämlich …
Man sieht das am Budget. Der Finanzminister setzt sich mit den Bundesländern zusammen und der Landeshauptmann von Oberösterreich fordert gleich einmal mehr Geld vom Bund. Anstatt dass man wirklich hergeht, wie Margit Schratzenstaller vom WIFO das in Ö1 gesagt hat. Man möge bitte einmal nicht übers Geld sprechen, sondern einfach nur: Wer soll was leisten und wie entflechten wir das am besten so, dass es am besten verwaltbar ist.

Ob Harald Mahrer die Affäre politisch überleben kann
Na ja, eine Lame Duck ist er auf jeden Fall. Jedes Mal, wenn er sich jetzt zu Wort meldet und Entbürokratisierung und Lohnzurückhaltung fordert, wird man zu ihm sagen: "Na ausgerechnet du!"
Wozu das führt
Er hat das Problem, dass er als Wirtschaftskammerpräsident nicht mehr das politische Gewicht auf die Wegstrecke bringt. In der Öffentlichkeit, gegenüber den anderen Sozialpartnern und natürlich auch innerparteilich ist er schwer angeschlagen. Am Ende das Tages ist seine Ära zumindest in einem sinkenden Stadium.
Also Rücktritt …
Man muss sagen, es gibt auch Überlebenskünstler. Zum Beispiel August Wöginger.
Ob der Kanzler nicht längst eingreifen hätte müssen
Wenn Christian Stocker das Heft in die Hand nimmt, dann nicht als Kanzler. Als ÖVP-Parteichef müsste er sich schon zu Wort melden, wenn der Wirtschaftskammerpräsident einen Bock schießt. Der Wirtschaftsbund ist einer der sechs Bünde der ÖVP und eigentlich hätte nicht nur eine Krisensitzung in der Wirtschaftskammer stattfinden müssen, sondern auch eine in der ÖVP.
Mit welchem Ergebnis?
Man hätte Harald Mahrer sagen müssen: "Du, wir glauben, wir haben zumindest ein Problem."

Warum Christian Stocker das nicht entschieden hat
Die Frage ist: Will er oder kann er nicht?
Und?
Ich glaube, er kann nicht.
Warum?
Weil er nicht diesen Rückhalt in der Partei hat, wie ihn zum Beispiel ein Sebastian Kurz hatte.
Stocker "derhebt" das nicht?
Ja, genau.
Ob das ein strukturelles Problem ist
Ja, das hat man auch in der SPÖ. ÖVP und SPÖ sind verengte Kaderparteien. Sie speisen sich nur noch aus Menschen, die schon immer dabei sind. Das ist ein unglaublich selbstreferenzielles System. Jeder schaut nur noch darauf, dass es für ihn in seinem Bereich funktioniert. Statt dass man sich fragt, funktioniert unser Modell eigentlich noch?
Wie sich das Umfragetief der Regierung erklärt
Wir haben eigentlich seit dem Herbst 2024 ein sehr stabiles Feld. Die einzige Partei, die sich wirklich nach unten bewegt, sind die Sozialdemokraten. Wir hatten sie im Herbst bei knapp über 20 Prozent, jetzt haben wir sie bei 17 Prozent.

Aber die ÖVP kommt ja auch von 26 Prozent
Ja, aber die bleibt halt bei diesen Plus-Minus 23 Prozent.
Ob das bei der SPÖ an den nicht umgesetzten Wahlversprechen liegt, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer …
Ja, aber das wusste man. Man hat einen Koalitionsvertrag unterschrieben. Und da steht das klipp und klar drinnen.
Was für eine Trendwende fehlt
Der Witz in Österreich ist ja, dass es eigentlich wahnsinnig leicht wäre, dieses Land zu reformieren. Wahnsinnig einfach. Ich brauche nur die föderalen Strukturen bereinigen. Das heißt nicht, dass man den Föderalismus abschafft. Man kann den Ländern sagen, da, nehmt’s euch die ganze Bildung, Wiederschauen. Von mir aus geben wir euch noch eine Steuerhoheit und dann schaut, wie ihr das selber bewerkstelligt.

Woran das scheitert
Es ist nicht das Problem, dass es diese Konzepte nicht gäbe. Das Problem ist, dass man sie, A, nicht erkennt, oder B, nicht will.
Was die Hoffnung ist
Vielleicht kommt durch die neuen Budgetzahlen etwas ins Rollen. Dass man sagt, wir müssen 2026 nützen, das ist noch das offene Zeitfenster. Mit Anfang 2027 schauen alle schon auf die Wahlen nach Oberösterreich.
Aber haben wir das mit dem Zeitfenster nicht vor einem Jahr auch schon gehört?
Ja, aber da zitiere ich Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der gesagt hat, sechs Monate muss man einem Minister Zeit geben, dass er ins Amt findet. Wenn er es dann nicht gefunden hat, kann er es nicht.