Der grosse SChwindel
Wie eine "Schamanin" in Wien ihrem Opfer 700.000 Euro abnahm
Die gemeine Masche der mutmaßlichen Millionen-Betrügerin: Wie sie ihr Opfer mit emotionaler Erpressung um den vermeintlichen Tod ihrer Tochter dazu brachte, ihr immer mehr Geld zu geben. Das Protokoll. Und weshalb die Polizei zahlreiche weitere Opfer vermutet.

Auch wenn der finanzielle Schaden für viele Betroffene enorm ist, für die meisten ist die Scham das Schlimmste dabei. Die Scham darüber, "so dumm" gewesen zu sein, sich "so übertölpeln" haben zu lassen.
Viele Opfer schweigen Wegen dieser Scham schweigen auch nach wie vor zahlreiche Opfer. Lieber den Verlust von Geld oder Schmuckstücken in Kauf nehmen, aber dafür nicht dumm da stehen müssen. Als eine oder einer von denen, die sich von "der Schamanin" haben ausnehmen lassen. Als ein Opfer im wahrscheinlich größten mutmaßlichen Betrugsfall Österreichs der vergangenen Jahre.
Darüber reden heißt aufklären Dabei wäre es wichtig, darüber zu sprechen. Einerseits um zu verstehen, was hier eigentlich geschehen ist. Und um so gewarnt und vorbereitet zu sein, wenn die nächste falsche Heilsversprecherin auftaucht, die nur "unser Bestes" will – und damit einzig und alleine unsere Habschaften meint. Denn darin sind sich Exekutive wie Psychologen einig: Das, was hier gutgläubigen Opfern passiert ist, das kann im Grunde jedem geschehen.
Warum aufklären auch wichtig ist: Um feststellen zu können, wie viele Opfer es bislang überhaupt gegeben hat. Denn die Exekutive ist sicher, dass sich noch längst nicht alle Geschädigten, die der Betrügerin auf den Leim gegangen sind, gemeldet haben.
Der Fall der "Schamanin"
Publik wurde die Geschichte im Jänner dieses Jahres, aber wie lange die mutmaßlichen Täter mit ihrer Masche bereits aktiv gewesen sind, ist den Ermittlern bis heute nicht vollkommen klar. Losgetreten wurde der Fall, als Mitte 2024 eine Frau bei der Polizei vorstellig wurde und eine schier unglaubliche Geschichte erzählte. Sie sei von einer Frau, die sich Amela nannte und sich als Schamanin bezeichnete, angesprochen worden, weil diese "ihre Aura" gesehen und darin "drohendes Unheil" erkannt hätte.

Geld gegen Glückseligkeit Sie, die Schamanin, könne hier helfen, aber das würde natürlich etwas Geld kosten. Die Frau schenkte dem Glauben und ließ sich auf den Deal ein. Am Ende war das gesamte Familienvermögen – mehr als 700.000 Euro – weg und die Schamanin Amela über alle Berge. Doch statt sich vor Scham zu verkriechen, ging die Betrogene zur Polizei – und setzte damit eine Lawine in Gang.
Die Polizei wird aktiv Die Exekutive startete ihre Erhebungen und stach damit in ein Wespennest. Denn wie sich herausstellen sollte, war die Anzeigerin offenbar nur eines von Dutzenden, vielleicht sogar hunderten Opfern, die auf die Verheißungen der selbsternannten Schamanin hereingefallen sind. Der Schaden, da sind sich die Ermittler mittlerweile sicher, geht in den zweistelligen Millionen-Bereich.
Was man bisher über die "Schamanin" weiß
Mittlerweile ist bekannt, dass die vermeintliche "Amela" in Wahrheit Mariana M. heißt. Sie ist 44 Jahre alt, stammt ursprünglich aus Serbien, lebt seit Jahrzehnten in Österreich und hat auch die österreichische Staatsbürgerschaft.
Viele Kinder, viele Strafen Sie hat, obwohl erst 44 Jahre alt, mehrere erwachsene Kinder – laut ihrer eigenen Aussage seien es 4 Kinder und 6 Enkel. "Amela" stand in der Vergangenheit auch bereits in Deutschland und der Schweiz wegen Betrugs im Visier der Behörden und wurde 2016 in Österreich bereits wegen Okkultbetrugs zu 3 Jahren unbedingter Haft verurteilt. Und sie kassierte, wie Heute berichtet hat, seit mehr als 10 Jahren in Österreich eine Invalidenrente.

Falsche Schamanin auf der Flucht Ins Netz ging die mutmaßliche Betrügerin den Behörden indes noch nicht. Zwar wurden bislang einer ihrer Söhne (29 Jahre alt), ihre Schwiegertochter (29) und ein weiterer Mann (47) unter anderem wegen Verdachts der Beitragstäterschaft bzw. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche festgenommen, doch Mariana M. selbst ist wie vom Erdboden verschluckt. Nach ihr wird per europäischem Haftbefehl gefahndet.
Razzia im Villenviertel Im Zuge der Ermittlungen entdeckte die Polizei aber eine neuerrichtete Nobelvilla in Maria Enzersdorf, südlich von Wien. Dort wurde nicht nur der – mittlerweile festgenommene – Sohn von Mariana M. angetroffen. Die Exekutive entdeckte auch – teilweise in Geheimverstecken – große Mengen an Bargeld, Uhren, Schmuck und weitere Wertgegenstände, die auf das ganze Ausmaß der Betrügereien der Bande schließen lassen.
Was sichergestellt wurde
- Große Mengen Bargeld in Euro (ca. 4 Mio.) und Schweizer Franken (ca. 2 Mio.) sowie in anderen Währungen im Gesamtwert von mehr als 6,5 Millionen Euro
- Zahlreiche Luxusuhren im Wert von jeweils mehreren Zehntausend Euro
- Unzählige Schmuckstücke wie Ringe, Ketten, Anhänger, Broschen etc.
- Weitere Wertgegenstände wie Münzen aus Edelmetall, Gold- und Silberbarren oder Edelsteine
- Der Gesamtwert der sichergestellten Gegenstände beträgt mehr als 10 Millionen Euro

Der aktuelle Stand der Ermittlungen
Mittlerweile sind nach Polizeiangaben mehr als 130 Hinweise auf Mariana M. und ihre "Schamanen"-Spur" durch Europa eingegangen. 23 Opfer (16 aus Österreich und 7 aus Deutschland) konnten sicher identifiziert werden. Bei vielen weiteren Menschen, die sich bei den Ermittlern gemeldet haben, weil sie das eine oder andere sichergestellte Stück als das ihre wiedererkannt haben wollen, wird nun überprüft, ob sie wirklich Opfer von Mariana M. geworden sind.
Gleichzeitig erschließt sich langsam, wie die Frau vorgegangen ist, um das Vertrauen ihrer späteren Opfer zu gewinnen. Und diese schließlich dazu zu bringen, ihr teils unglaubliche Summen Bargeld im guten Glauben zu übergeben. Und das Bild, das sich hier ergibt, wie Mariana M. mit den Ängsten und Hoffnungen der Menschen spielte und diese scheinbar nach Belieben manipulierte, könnte auch aus einem Psychothriller stammen.

Wie die "Schamanin" ihr Opfer gefügig machte
Die Geschichte beginnt im Frühling 2024 in Wien. Eine Frau, Mitte 50, – nennen wir sie der Einfachheit halber Eva – wird auf offener Straße von einer freundlichen Fremden angesprochen. Sie habe eine "besonders schöne Aura", erklärt die Frau, die sich als Amela vorstellt, Eva. Und "ob sie denn wisse", was eine Aura überhaupt sei. Als Eva bejaht, erklärt ihr Amela, dass sie eine Schamanin sei und in ihrer "besonders schönen Aura" leider auch "einen Fehler "sehe – und ob sie mehr über diesen wissen wolle.
Amela baut Vertrauen auf Eva will mehr wissen und man geht in den Extraraum eines nahen Cafés – später wird Eva das Gefühl haben, dass Amela nicht zum ersten Mal in diesem Café gewesen ist, so vertraut waren ihr die Umstände dort. Doch zunächst schöpft Eva keinen Verdacht. Sie fragt Amela, woher sie komme, und diese erzählt ihr eine glaubwürdig klingende Geschichte über ihre multikulturelle Herkunft und dass sie jetzt in Wien wohne.
Zum Durchklicken: 50 Fotos von mutmaßlichen Beutestücken

Das Umfeld wird abgetastet Aber Eva will viel mehr wissen, was mit ihrer Aura los sei. Also geht Amela gleich in die Vollen. Sie erzählt von Evas Schutzengeln und dass der "Ober-Schutzengel Metatron", einer Figur aus der jüdischen und islamischen Mythologie, sie beide zusammengeführt hätte. Amela spricht über Evas Familie, über Verluste und Sucht-Problematiken. Und dass sie in Eva "eine Schwere" sehe, die sie daran hindere, ihr wahres Naturell auszuleben. Eva fühlt sich von der einfühlsamen und liebevollen Frau verstanden.
3.000 Euro gleich beim ersten Gespräch Amela erklärt, dass sie als Schamanin diese "Schwere" von Eva nehmen könne – doch das würde Geld kosten. Eva willigt ein und gemeinsam fahren die beiden Frauen mit der U-Bahn zu einer Bank, wo Eva 3.000 Euro von ihrem Konto abhebt und diese Amela gibt. Die "Schamanin" lässt sich noch Namen und Geburtsdaten von Evas Mann und ihren Kindern geben sowie Evas Handynummer und verschwindet so rasch, wie sie ins Leben von Eva gekommen war.

Das nächste Treffen, es geht wieder um Geld Ein paar Tage später meldet sich Amela telefonisch von einem Wegwerfhandy (wie sich später herausstellen sollte) bei Eva und vereinbart ein weiteres Treffen, diesmal in einer Kirche. Dort erklärt Amela, sie habe bereits "viel für Eva gebetet", dass es aber noch mehr zu tun gäbe. Konkret müsse Eva ein Geldopfer bringen, um ihre Familie zu beschützen. Amela gibt Eva eine Faden und lässt sie Knoten hinein knüpfen – für jedes Familienmitglied ein Knoten. Dann beten die Frauen gemeinsam.
Eva hatte einen Traum Eva glaubt an manche Dinge, etwa an Energiearbeit. Oder an die Bedeutung von Träumen für unser Leben. Und da sie erst wenige Tage, ehe sie Amela traf, einen Traum hatte, in dem ihr bedeutet wurde, dass sie jemanden treffen werde und sie sich zudem von Geld lösen müsse, fand sie alles, was Amela ihr bei diesem zweiten Treffen sagte, irgendwie schlüssig.
30.000 Euro pro Familienmitglied Am Ende des gemeinsamen Gebetes erklärte Amela, dass sie Eva und ihrer Familie nur dann helfen könne, wenn sich die Knoten in dem Faden, die Eva hineingeknüpft hatte, während des Gebetes aufgelöst hätten. Da dem so war – ein Umstand, der Eva auch später noch beeindruckte – sagte Amela, sie könne Eva helfen. Für 30.000 Euro pro gelöstem Knoten würde sie Unheil von ihre Familie abwenden.
Mit Geld-zurück-Garantie Als Eva zögert, vertraut ihr Amela ein Geheimnis an: Eva würde das Geld natürlich am Ende des Rituals zurückbekommen, es müsse nur jetzt an Amela übergehen, um den Zauber wirksam werden zu lassen. Dann bespricht sie mit ihr, wie sie das geforderte Geld – eine auch für Eva nicht unerhebliche Summe – zusammen bekommen könnte. Und sie wiederholt immer wieder, dass Eva mit niemandem darüber sprechen darf, um das Gelingen des Rituals nicht zu gefährden.

Plötzlich ist die Tochter in Lebensgefahr Eva hebt Geld von mehreren Sparbüchern ab, doch es kommt nicht die von Amela gewünschte Summe zustande. Die nimmt das Geld dennoch und versichert Eva, dass sie alles zurückbekommen werde. Es müsse nur "gereinigt" werden. Doch ein paar Tage darauf meldet sich Amela erneut. Es gehe ihr nicht gut, an dem Geld hafte viel negative Energie. Und dass sie alles verfügbare Geld benötige, um es zu reinigen – sonst würde Eva ihre Tochter an einem bestimmten Tag tot auffinden.
670.000 Euro für Amela Bereits bei einem früheren Gespräch hatte Eva der Schamanin gesagt, sie hätte insgesamt auf knapp 700.000 Euro Zugriff, wenn sie alle Reserven auflöse. Somit ist für sie klar, dass das die nötige Summe ist, die benötigt wird, um das Leben ihrer Tochter zu retten. Dem Bankbetreuer, der sie fragt, was sie mit all dem Geld vor habe, erklärt Eva es gehe "um etwas Energetisches". Anschließend übergibt sie Amela die gesamte Summe in einer Tasche, wieder in einer Kirche.
Rohe Eier und ein Cash-Barbecue Um sich eine Bestätigung der "höheren Mächte" zu holen, vollführt Amela in der Kirche ein Ritual mit einem Hühnerei, an dessen Ende klar ist, dass sie das Geld nicht hier reinigen kann, sondern mitnehmen müsse. Und sie erklärt Eva, dass die Möglichkeit bestünde, einen Teil des Geldes karitativen Organisationen zukommen zu lassen und den Rest zu verbrennen. Doch einige Stunden später ruft Amela noch einmal an und erklärt Eva, das gesamte Geld müsse verbrannt werden, um ihre Tochter zu retten.
Kurz vor dem Zusammenbruch Zu diesem Zeitpunkt ist Eva längst mit ihren Nerven am Ende. Sie sieht nur mehr zwei Möglichkeiten - ihr Geld retten – oder ihre Tochter. Also willigt sie ein, das Geld zu verbrennen. Doch trotz der Drohungen von Amela, dass "das Ritual" nicht wirken würde, wenn Eva mit irgendjemandem über die ganze Sache spricht, vertraut sie sich an diesem Abend ihrem Partner an.

Gemeinsam zur Polizei Dieser erkennt den Ernst der Lage und geht schließlich gemeinsam mit Eva zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Einmal noch hat Eva Kontakt mit Amela. Als die Schamanin Eva anruft, fordert die ihr Geld zurück. Amela sagt zu, Eva einige Tage später etwas Geld zu geben – doch daraus wird nichts mehr. Ihre angebliche Tochter meldet sich am Übergabetag bei Eva und erklärt ihr, Amela sei "aufgrund der enormen Anstrengung" ins Koma gefallen. Es ist das letzte Mal, dass Eva etwas von Amela hört.
Wie es jetzt weiter geht
Aktuell sucht die Polizei nach weiteren möglichen Betroffenen, um so neue Ermittlungsansätze zu bekommen, wo sich Amela vulgo Mariana M. aufhalten könnte. Auf der Homepage der Landespolizeidirektion Niederösterreich sind sämtliche sichergestellten Uhren, Schmuckstücke und Wertgegenstände abgebildet in der Hoffnung, dass mögliche Opfer der mutmaßlichen Betrügereien ihre Wertsachen wieder erkennen und sich bei der Exekutive melden.

Gibt es weitere Betrugsmaschen? Diese Frage können auch die Ermittler nicht mit Sicherheit beantworten. Komplett ausgeschlossen ist es nicht, da die sichergestellte Menge an Geld und Wertgegenständen mit einem Gesamtwert von mehr als 10 Millionen Euro extrem hoch erscheint, um sie "nur" mit derartigen Okkultismus-Betrügereien zu erzielen. Aber auch hier benötigen die Behörden die Angaben von weiteren Opfern, um neue Spuren zu erkennen.
Gibt es weitere Täter? Auch diese Frage kann nicht sicher beantwortet werden. Möglich ist es, doch genaue Erkenntnisse haben die Behörden dazu bisher keine – oder sie halten sich bedeckt. Auch hier wären weitere Zeugenaussagen von möglichen Opfern hilfreich.
Wo die Schamanin sein könnte Die Verdächtige Mariana M. ist, wie gesagt, bereits vor Monaten von der Bildfläche verschwunden, nachdem die Fahnder mit Phantombildern nach ihr suchten. Drei ihrer mutmaßlichen Mittäter sitzen derzeit in Untersuchungshaft und entschlagen sich der Aussage bzw. lassen über ihren Anwalt jeden Verdacht der Ermittler dementieren.
Doch für Stefan Pfandler, den Chef des Landeskriminalamtes Niederösterreich, ist die Verhaftung der Schamanin nur eine Frage der Zeit: "Man kann sich nicht auf ewig verstecken. Irgendwann macht jeder einen Fehler, und dann sind wir da."