Papa erhebt vorwürfe
Toter Bub: "Der wahre Täter läuft seit 887 Tagen frei herum"
Die Behörden verdächtigten den Vater, doch er wurde rechtskräftig freigesprochen. Nun schrieb Florian Apler ein Buch über den "Fall Leon" und geht an die Öffentlichkeit: "Der Täter muss endlich geschnappt werden!" Dafür lobt er eine Belohnung von 30.000 Euro aus.

Es war einer der spektakulärsten Prozesse der letzten Jahre. Am 28. August 2022 ertrank ein sechsjähriger Bub frühmorgens in der Kitzbüheler Ache. Im Sommer 2024 stand in Innsbruck sein Vater vor Gericht. Florian Apler musste sich wegen Mordes an seinem Kind verantworten, die Geschworenen sprachen ihn am Ende einstimmig frei.
2 Jahre Martytium auf 256 Seiten Nun hat Florian Apler seine Erinnerungen an die zwei Jahre, die zwischen dem Tod seines Kindes und seinem überraschenden Freispruch lagen, in einem Buch zusammengefasst. "Der Fall Leon" erzählt detailgenau, was sich seinerzeit zugetragen hatte, wie Apler in den Augen der Exekutive vom Opfer zum Täter wurde und knapp eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft saß, ehe ihm der Prozess gemacht wurde.

"Die Suche muss weiter gehen" Das 256 Seiten dicke Buch erscheint am 6. Februar. Doch bereits jetzt stellte sich der 40-jährige gebürtige Deutsche der Öffentlichkeit, um auf sein Werk aufmerksam zu machen. Und um die Öffentlichkeit daran zu erinnern: "Die Suche nach dem Täter muss weiter gehen!" Was in Florian Aplers Buch steht, wie er mit Polizei und Justiz abrechnet – der Überblick:
Was ist damals, im Sommer 2022, eigentlich passiert?
Florian Apler ging mit seinem Sohn Leon, 6, in den frühen Morgenstunden des 28. August in St. Johann in Tirol, am Ufer der Kitzbüheler Ache, spazieren. Laut seiner Aussage wurde er dabei von einem Unbekannten bewusstlos geschlagen. Als er von einem Passanten schließlich gefunden wurde, war Leon nicht mehr im Kinderwagen. Eine Suchaktion wurde eingeleitet und der leblose Bub schließlich auf einer Sandbank im Fluss gefunden. Er war in der Ache ertrunken.

Wie geriet der Vater in Verdacht?
Zunächst ermittelte die Polizei in alle Richtungen. Aber schon bald schienen den Beamten Zweifel an den Schilderungen von Florian Apler zu kommen – so liest es sich jedenfalls im Buch. Er hätte den BUben ins Wasser geworfen und sich selbst danach mit einer leeren Sektflasche auf den Kopf geschlagen und eine Bewusstlosigkeit vorgetäuscht, so die Vermutung. Etwa 6 Monate nach dem Tod des Buben, wurde der Vater unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen. Er saß anderthalb Jahre in U-Haft, ehe ihm im Sommer 2024 in Innsbruck der Prozess gemacht wurde.
Warum war der Vater überhaupt so früh am Morgen mit seinem Sohn unterwegs?
Das Kind litt von Geburt an unter einem seltenen Gendefekt, dem sogenannten SYNGAP-Syndrom. Leon war dadurch in seiner gesamten Entwicklung zurückgeblieben, konnte nicht sprechen, hatte motorische Einschränkungen und litt und epileptischen Anfällen.

Wie gingen die Eltern damit um?
Die Eltern des Buben richteten ihr Leben über weite Strecken für seine möglichst optimale Betreuung ein. Der Vater schlief mit Leon in einem Bett, da das Kind einen sehr leichten Schlaf hatte. Wenn Leon aufwachte und nicht wieder einschlafen konnte, ging er mit ihm spazieren, so auch an diesem verhängnisvollen 28. August. Er stand um 1 Uhr früh auf, packte den Buben ein, fuhr mit ihm nach St. Johann und ging mit ihm an der Ache spazieren, weil Wasser den Kleinen nachweislich beruhigte. Dabei kam es schließlich zur Tragödie.
Weshalb sind diese Dinge alle so genau bekannt?
Weil sie Florian Apler in seinem Buch sehr detailliert schildert. Er erzählt über die Behinderung seines Sohnes und wie sich diese auswirkte. Was die Familie alles unternahm, um ihrem Kind zu helfen. So wurde etwa eigens ein Verein gegründet, um Spendengelder für Leon zu sammeln und international nach Medikamenten und Behandlungen zur Linderung der Beschwerden des Buben zu suchen.

Hatte die Familie nur Leon?
Nein, es gibt auch noch eine jüngere Schwester. Ihr ein Buch zu hinterlassen, in dem sie später einmal nachlesen kann, was mit ihrem Bruder und ihrem Vater damals geschehen ist, war nach eigener Aussage eine der Motivationen von Florian Apler für das Buch: "Mein Mäuschen sollte später alles aus meiner Perspektive lesen können, falls ich es nicht aus dem Gefängnis schaffen sollte, bevor sie eine erwachsene Frau ist", schreibt Apler gleich zu Beginn von "Der Fall Leon".
Und dieses Buch wurde so rasch nach seinem Freispruch fertig?
Es basiert in weiten Teilen auf einem Tagebuch, dass Florian Apler während der mehr als 500 Tage seiner U-Haft führte. Seine Erlebnisse, Empfindungen und Eindrücke während der Haft nehmen in dem Band dementsprechend breiten Raum ein.

Was steht noch drinnen?
Der Vater schildert im Detail, wie sich die Stimmung der in dem Fall ermittelnden Beamten langsam gegen ihn kehrte und er in den Fokus ihrer Ermittlungen geriet, dies aber zunächst nach eigener Aussage nicht wirklich registrierte. Als er schließlich festgenommen wird, trifft ihn das vollkommen unvorbereitet.
Wie ging es weiter?
Florian Apler wurde nach Innsbruck gebracht und kam dort in U-Haft. Von Anfang an, so schildert er seine Eindrücke, sei demnach vor allem dahingehend ermittelt worden, dass sich seine Täterschaft hätte erklären lassen. Andere Ermittlungsansätze seien hingegen oft nur halbherzig oder gar nicht verfolgt worden. Auch seien zahlreiche Beweise nicht richtig aufgenommen worden.

Weshalb hätte er sein Kind töten sollen?
Um es "zu erlösen", schreibt er. Das sei für die Beamten die einzig schlüssige Erklärung gewesen. Und sie versuchten demnach, ihn zu einem Geständnis zu drängen.
Wie schildert Florian Apler das Vorgehen der Polizei?
Er lässt über weite Strecken kein gutes Haar an den Ermittlern, listet die zahlreichen Ermittlungsfehler (Apler spricht selbst von "mehr als 100 Pannen und Fehlern"), die diese aus seiner Sicht bei den Erhebungen gemacht hätten, auf und nennt die Beamten auch beim Namen, ebenso wie später die Vertreter der Staatsanwaltschaft und des Gerichts.

Hat er das Buch alleine geschrieben?
Nein, er hatte Hilfe eines Freundes, des deutschen Anwalts Volker Schütz, der nach eigener Aussage zuvor bereits 20 Bücher geschrieben hätte. Laut Amazon sind darunter Werke wie "Essen bei Rosi" mit der Kitzbüheler Hüttenwirtin Rosi Schipflinger, das Sachbuch "Die Welpenmafia", die Biografie "Die Lebensreise der Jane Goodall" oder das "Stadlpost Kochbuch".
Was sagt der Verlag zu den Anschuldigungen, die in dem Buch stehen?
"Es gibt vielfältige fragwürdige Vorkommnisse und Einschätzungen im Fall Leon: in den kriminalistischen Ermittlungen, in der juristischen Bewertung, im Gerichtsverfahren und auch in der medialen Begleitung", schreibt Matthias Opis anlässlich der Präsentation. Opis ist Geschäftsführer des zu Styria gehörenden Molden Verlags, der "Der Fall Leon" herausgibt. Opis weiter: "Es war uns wichtig und ein Anliegen, der zentralen Person in diesem Fall, Florian Apler, die Gelegenheit zu geben, sich ohne Einschränkung und in aller Ausführlichkeit zu alldem zu äußern."

Was arbeitet Florian Apler eigentlich?
Apler ist gebürtiger Deutscher und war 8 Jahre lang Zeitsoldat, wobei er auch Auslandseinsätze absolvierte, u.a. in Bosnien. Seine heutige Ehefrau ist Tirolerin und nachdem er sie kennengelernt hatte, zog er zu ihr. In den Jahren vor seiner Verhaftung arbeitete er als Personal Trainer, kümmerte sich jedoch auch sehr intensiv um seine Kinder, vor allem um Leon.
Wie ging es weiter, nachdem Florian Apler in U-Haft saß?
Er musste eineinhalb Jahre auf seinen Prozess warten. Seinen Schilderungen nach, verliefen die meisten Zusammentreffen mit Ermittlungsbeamten oder Sachverständigen so, als ob diese allesamt kein gesteigertes Interesse gehabt hätten, in weitere Richtungen zu ermitteln, auch wenn er immer wieder auf offenkundig falsche Schlussfolgerungen oder Fehler in den Ermittlungen hingewiesen hätte. Und auch bei Gericht seien die allermeisten seiner Anträge abgewiesen worden.

Hat überhaupt wer zu Florian Apler gehalten?
Seine ganze Familie. Viele Freunde. Und seine Anwälte. Sein persönliches Umfeld hätte ihn die gesamte Zeit über massiv unterstützt, Zweifel an seiner Unschuld hätten hier nie bestanden. Und vor allem sein Cousin Marco Büchler, ein IT-Experte, hätte sich monatelang engagiert und digitale Auswertungen an Aplers Handy vorgenommen, um offenbar falsche Schlussfolgerungen der Exekutivbeamten widerlegen zu können. Wie er das konkret tat, schildert Büchler selbst in einem langen Beitrag in dem Buch.
Wie kam es zum Freispruch?
Aplers Prozess begann im Juli 2024 in Innsbruck und war auf 3 Verhandlungstage angesetzt. Der Angeklagte hatte sich auf seinen Auftritt vor Gericht akribisch vorbereitet, wochenlang an seiner persönlichen Erklärung gearbeitet, sich in seiner Zelle bewusst fit gehalten, um möglichst leistungsfähig zu sein, wenn er vor die Geschworenen tritt. Gleichzeitig lieferten offenbar einige der Belastungszeugen schauerlich schlechte Auftritte vor Gericht ab, weshalb die Stimmung im Gerichtssaal spätestens am 2. Prozesstag in Richtung des Angeklagten gekippt sei, beschreibt Apler im Buch die Situation.

Wie ging es ihm nach dem Freispruch?
Es sei unwirklich gewesen und er hätte keine Freude verspürt, aber eine große Erleichterung.
Was hat diese gesamte Verteidigung überhaupt gekostet?
Es geht in die Hunderttausende, sagte Florian Apler bei der Buchpräsentation. Und auch, wenn er jetzt einen Schadenersatz für die insgesamt 522 Tage unschuldig un U-Haft bekäme und einen Teil seiner Anwaltskosten, würde es noch sehr lange dauern, bis er wieder schuldenfrei sei, so der 40-Jährige.
Und wird er die Republik jetzt klagen? Immerhin sind ja bei den Ermittlungen offenbar gravierende Fehler gemacht worden.
Er überlege das, hätte sich aber noch nicht entschieden, sagte Florian Apler bei der Buchpräsentation.

Und wie geht es jetzt weiter?
Florian Apler nutzt derzeit jede Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass "der wahre Täter seit 887 Tagen frei herumläuft". Und er ist beseelt davon, diesem auf die Spur zu kommen. Dafür wurde eigens eine Homepage eingerichtet: Auf der-fall-leon.at schildert Apler noch einmal, was damals, in der Tatnacht, geschehen ist und sucht nach möglichen Zeugen oder sonstigen Tippgebern. Und es wird eine Belohnung von 30.000 Euro ausgelobt auf Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen.
Und wenn tatsächlich neue Tipps kommen sollten, was macht er dann damit?
Das ist tatsächlich ein Problem, dessen ist sich Florian Apler selbst bewusst: "Wir wissen nicht genau, was wir mit allfälligen neuen Tipps tun sollten", erklärte er bei der Buchpräsentation. "Wieder dem LKA geben?" Das Landeskriminalmt hätte bereits beim ersten Mal nicht so gearbeitet, dass man ihnen neue Hinweise beruhigt geben könne.

Und wie gehrt es jetzt von offizieller Stelle in der Sache weiter?
Für die bei den Ermittlungen in dem Fall verantwortliche Staatsanwaltschaft Innsbruck ist der Fall Leon mittlerweile ein "Cold Case": "Ermittlungsmäßig geht es erst dann weiter, wenn es neue Ermittlungsansätze gibt", erklärt der Sprecher Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr. "Der Freispruch ist kein neuer Ermittlungsansatz." Erst wenn es neue Erkenntnisse, Zeugen oder Aussagen gäbe, könne ein neuer Ermittlungsauftrag an die Exekutive ergehen, so Mayr weiter.
Und derzeit gibt es solche neuen Ermittlungsansätze nicht?
Nein, die Staatsanwaltschaft kann jedenfalls keine erkennen.
Und die Vorwürfe im Buch stellen auch keine neuen Ansätze dar?
"Ich gehe davon aus", so Hansjörg Mayr weiter, "dass Herr Apler, wenn er neue Erkenntnisse oder Beweise hat, uns diese auch zur Kenntnis bringen wird und nicht nur in seinem Buch aufschreibt." es sieht also derzeit eher nicht danach aus, als würde der tragische Tod des kleinen Leon so bald aufgeklärt werden.
