Podcast-Interview

Wie gefährlich ist Kickl wirklich für Österreich, Herr Hajek?

Österreich soll erstmals einen FPÖ-Kanzler bekommen. Politik-Experte Peter Hajek über die biegsame Volkspartei, was die Freiheitlichen groß gemacht hat und ob das Land tatsächlich Sebastian Kurz zurück will.

Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Peter Hajek, Meinungsforscher, Politologe, Uni-Lektor und Politik-Experte
Helmut Graf
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Die Dreier-Koalition geplatzt, jetzt darf sich Herbert Kickl an einer Regierungsbildung versuchen. Schafft er das? Will er das überhaupt schaffen oder eher in neuerliche Wahlen gehen? Und: Wie stark muss sich die ÖVP jetzt verbiegen? Peter Hayek, Meinungsforscher und Politikexperte, analysiert die Lage. Die wichtigsten Passagen aus dem Podcast-Interview:

Wie er die Vierschanzentournee fand
Die habe ich mir, glaube ich, das letzte Mal angesehen mit Armin Kogler und Hubert Neuper. Aber ich habe das Ergebnis gelesen und das finde ich natürlich ganz großartig.

Das Podcast-Interview: Ist Kickl gefährlich?

Warum wir Skispringer gut auf den Boden bekommen, aber keine Koalition
Warum diese Koalitionsverhandlung zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS gescheitert ist, kann man noch gar nicht beschreiben. Ich würde sagen, die beiden Traditionsparteien haben grundsätzlich ausgelassen. Ich finde es ein bisschen billig, dass man das den NEOS umhängt. Wenn die beiden Traditionsparteien, wie sie immer sagen, die Republik im Auge haben, dann hätten sie das schon stemmen können. Und damit haben sie ihre politische Lebensberechtigung aufgegeben.

Ob er wie alle überrascht war
Ich war überrascht und wurde überrascht, nämlich von einem Anruf aus einem Bundesland. Die Person hat mir gesagt: "Übrigens, die Meinl-Reisinger hat gerade den Nehammer angerufen und die Koalitionsverhandlungen platzen lassen". Ich habe gesagt: "Aha, das wundert mich jetzt auch." Aber mein Gott, so ist es.

Am Freitag räumt Karl Nehammer das Kreiskyzimmer im Bundeskanzleramt
Am Freitag räumt Karl Nehammer das Kreiskyzimmer im Bundeskanzleramt
Helmut Graf

Wer der Verlierer dieses Scheitern ist
Die österreichische Bevölkerung.

Warum?
Ich möchte gar nicht dieses Links- Rechts oder FPÖ gegen alle Spiel spielen, sondern die Bevölkerung hat schlicht und ergreifend noch einmal Vertrauen in die handelnden Akteure verloren. Auf wen soll man sich denn heute noch verlassen? Ich glaube, das ist das allergrößte Problem.

Ob die NEOS schuld an einem Kanzler Kickl sind
Gott sei Dank bin ich Meinungsforscher und nicht Philosoph.

Ist das nicht dasselbe?
Nein, definitiv nicht. Aber wenn die NEOS für dieses Konstrukt so wichtig gewesen wären, dann kann man nicht gleichzeitig dieser Partei in Verhandlungen ausrichten, ihr seid nur eine 9-Prozent-Partei, so viel kommt nicht auf euch.

Was der grundsätzliche Fehler dabei war
Ich weiß nicht, wie viele in diesem Land seit Jahrzehnten lauthals nach Reformen schreien, nach großen Reformen. Dann gibt es eine junge, naive, pinke Truppe, die da hinein geht und tatsächlich so etwas fordert, wie die Bundesstaatsreform und plötzlich heißt es: "Na, des geht nicht."

Herbert Kickl hat die Kurve Richtung Regierungsverhandlungen gekratzt
Herbert Kickl hat die Kurve Richtung Regierungsverhandlungen gekratzt
Helmut Graf

Was in so einem Fall passiert
Dann schlägt, wie ich immer sage, die österreichische Heilige Dreifaltigkeit zu. Nämlich: "Das haben wir immer schon so gemacht. Da könnte jeder kommen. Das wäre ja noch schöner". Und damit werden die Dinge vom Tisch gewischt. Anstatt das ÖVP und SPÖ hergehen und sagen, das ist eigentlich eine Chance.

Wie das gehen hätte sollen
Indem wir sagen: Liebe Freunde, in einem Jahr rufen wir einen Verfassungskonvent ein und schauen, wie wir tatsächlich den Föderalismus in diesem Land regeln. Aber an das hat man, glaube ich, gar nicht gedacht. Und das finde ich schade.

Ob die Vorstellung nicht naiv ist, da packen doch in der Sekunde neun Landeshauptleute die Mistgabeln ein und fahren nach Wien
So what? Ich muss einfach einmal die Dinge größer denken. Es gibt diesen alten Spruch: Nur wenn ich den ersten Schritt denke, dann komme ich auch irgendwann ins Handeln. Und nicht dieses Klein-Klein und das Bohren harter Bretter. Das machen wir seit 70 Jahren, das ist 50 Jahre gut gegangen und jetzt geht's die längste Zeit schlecht.

Was die Konsequenz dieses Denkens ist
Der Aufstieg der Freiheitlichen ist mit diesem Klein-Klein verbunden. Das hat dieses Mal nicht funktioniert. Und das hat die letzten Jahre nicht funktioniert, sonst wären die Freiheitlich nicht dort, wo sie sind. Let’s face it: Die Freiheitlich sind so stark, weil die anderen so schwach sind, ganz einfach.

Ob sich das belegen lässt
Wir wissen aus den Umfragen, dass von diesen jetzt 35 Prozent, die von der FPÖ erreicht werden, vielleicht 20 Prozentpunkte das verfestigte freiheitliche Potenzial sind. Aber die 15 Punkte Add-on, die sind sehr, sehr flexibel.

Andreas Babler will SPÖ-Vorsitzender bleiben, abwählen kann ihn nur die Basis
Andreas Babler will SPÖ-Vorsitzender bleiben, abwählen kann ihn nur die Basis
Helmut Graf

Ob die Verhandlungen unprofessionell geführt wurden
Solche großen Verhandlungen und Umbrüche und neue Organisationen werden in Unternehmen und Organisationen seit Jahrzehnten von externen Beratern betreut. Nur die Politik glaubt noch immer, dass sie nach den alten Mustern verfahren kann. Ich verstehe nicht, warum ich mir nicht jemanden hereinhole, der mir dabei hilft, eine Brücke zu schlagen, wenn ich es schon selbst nicht schaffe.

Warum die SPÖ bei Vermögens- und Erbschaftssteuern die Hose heruntergelassen hat
Ich glaube nicht, dass sie es aufgegeben haben. Aber sie sprechen einen sehr, sehr wichtigen Punkt an. Wie glaubwürdig sind denn die beiden Traditionsparteien noch für ihre Wählerschichten? SPÖ und ÖVP sollten sich überlegen, warum sie nicht mehr gewählt werden. Die Antwort liegt auf der Hand. Man ist nicht mehr glaubwürdig.

Ob die ÖVP nach der forschen Antrittsrede von Kickl nicht hätte sagen müssen: Danke, das war’s?
Ja, wenn man noch so etwas wie Selbstachtung hat. Aber der Zug ist abgefahren. Das muss man ganz offen sagen. Es gibt offensichtlich einige Gruppierungen, die sagen, wir machen da jetzt mit und wir schauen, dass wir in diese Koalition kommen.

Warum das riskant ist
Der Gedankenfehler, der in der Politik herrscht, ist immer: Dann sind wir in der Regierung und dann erholen wir uns in den nächsten fünf Jahren …

… das ist so wie in der Opposition gesunden
Ja, genau. Es stimmt beides nicht, weder für die Opposition noch für die Regierung.

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger löste mit dem Austritt aus der Regierungsverhandlungen das Mikado aus
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger löste mit dem Austritt aus der Regierungsverhandlungen das Mikado aus
Helmut Graf

Ob sich die ÖVP gerade abschafft
Es kommt jetzt auf die Koalitionsverhandlungen an. Da haben wir für die ÖVP drei, vier größere Klippen zu nehmen. Sie muss in der Budgetsanierung der freiheitlichen Partei zumindest so viel abfordern wie der Sozialdemokratie. Der zweite Punkt ist: Wie hält sie es mit den Medien? Dann kommen Europa und Außenpolitik. Das schaue ich mir an.

Was also entscheidend ist
Wie weit kann die ÖVP ihr Ansehen in diesen Verhandlungen noch wahren? Wenn sie sich allzu sehr verbiegt, dann ist sie als Bundespartei hinüber.

Ob die ÖVP in fünf Jahren noch eine Existenzberechtigung hat
Ja, wenn man eine Organisationsreform vornimmt. Das ist etwas, was eigentlich Sebastian Kurz vorzuwerfen ist. Dass er damals seine interparteiliche Macht nicht dazu genutzt hat, die ÖVP zu reformieren. Weg von dieser Bündestruktur hin zu einer einheitlichen Denke. Die Länderparteien werden sie nie aushebeln, aber das ist halt einmal so.

Und das reicht?
Viel, viel wichtiger in der österreichischen Politik: Wir haben leider Gottes, insbesondere bei ÖVP und SPÖ, eine personelle Negativauslese. Es schaffen es jene mit dem dicksten Sitzfleisch nach oben, die gewieftesten Taktiker und Fraktionierer. Früher war üblich, dass die Wirtschaft in die Kabinette hineingesehen hat und gesagt hat, "oh, das sind aber tolle Leute, die holen wir uns". Das ist heute nicht mehr der Fall. Und das ist eigentlich das Hauptproblem.

"Interimskanzler": Der Einspringer: Alexander Schallenberg darf zum zweiten Mal Erster sein
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Helmut Graf

Muss sich Österreich vor Herbert Kickl fürchten?
Fürchten ist prinzipiell ein ganz, ganz schlechter Ratgeber. Man muss bei Herbert Kickl und der freiheitlichen Partei aufmerksam sein, was ihre politischen Anleihen zum Beispiel bei einem System wie Orbàn sind.

Was dabei das Problem ist
Ich habe mich eine Zeit lang für diverse Vorträge damit beschäftigt, wie Orbàn das Land umgestaltet hat. Und dafür wäre die freiheitliche Partei, wie sie das ja auch selber immer sagt, durchwegs gewinnbar. Der Erste, der das gesagt hat, war übrigens Heinz -Christian Strache im Ibiza-Video, wo er die Medienpolitik von Orbàn gelobt hat.

Wie groß die Gefahr ist
Wir müssen wachsam sein, der Staat muss wachsam sein, die Gesellschaft muss wachsam sein. Ich glaube, dass die österreichischen staatlichen Institutionen sehr gefestigt sind. Aber man wird da oder dort hinschauen müssen. Und die ÖVP bekommt natürlich auch eine gewisse Rolle zugeschrieben. Sie muss danach trachten, der freiheitlichen Partei zu sagen: "Freunde, das machen wir besser nicht, weil da biegen wir vielleicht in die falsche Richtung ab."

Also ist die Gefahr beherrschbar?
Die Freiheitlichen waren von 1983 bis 1986 in der Regierung, von 2000 bis 2002 und von 2017 bis 2019. Die Welt ist nicht untergegangen, also wird jetzt auch nicht untergehen.

Da stellte die FPÖ allerdings nicht den Kanzler
Ja. Aber im Gegensatz zu Deutschland, wo der Kanzler eine Richtlinien-Kompetenz hat, ist das in Österreich nicht der Fall. Das heißt, man ist trotz alledem vom Partner abhängig. Dann gibt es etwas in Österreich, dass für die Weiterentwicklung des Landes ein Nachteil ist, diesbezüglich aber fast schon wieder ein Vorteil. Nämlich, dass in diesem Land alles so eng miteinander verwoben ist.

Generalsekretär Christian Stocker beerbte Karl Nehammer als ÖVP-Chef, zumindest vorläufig
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Sabine Hertel

Ob wir eine Republik der Wendehälse sind
Karl Nehammer hat das Gegenteil bewiesen.

Das hat ihm auch nicht geholfen
So ist das nun einmal, ja. Also er hat einfach die Konsequenz für sich gezogen. Auch Beate Meinl-Reisinger hat eine Konsequenz gezogen, die NEOS nicht in die Regierung geführt hat und sie ist nicht Ministerin geworden.

Also keine Republik der Wendehälse?
Ich möchte das auch nicht glauben. Das kann nicht sein, dass Politik einfach nur als schmieriges, windiges Geschäft betrachtet wird. Aber politische Akteure, fast allen Coleurs muss man dazusagen, arbeiten eifrigst daran, dieses Bild aber zu vermitteln. Das ist halt tatsächlich ein Problem. Wie sollen die Wählerinnen und Wähler da draußen Achtung und Respekt vor den staatlichen Institutionen und ihren Akteuren haben, wenn sie so agieren?

Was ihm zu Christian Stocker einfällt
Eines verstehe ich nicht. Also soll sein, dass eine Partei so eine Volte hinlegt. Aber wenn ich Christian Stocker bin, sage ich, ihr könnt jeden dort hinstellen, aber mich nicht. Das mache ich einfach nicht. Aber gut, das muss sich Christian Stocker mit sich selber ausmachen. Reinhold Lopatka hat einmal gesagt: "Die Katholiken haben es leicht, sie können beichten können."

Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat am 19. Jänner fast 50 Prozent zu verteidigen
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Denise Auer

Welches Bild die Österreicher von Kickl haben
Das Eigenschaftsprofil ist relativ klar. Die freiheitliche Wählerschaft sieht Herbert Kickl wahnsinnig positiv, als Menschen, der das Land wieder nach vorne bringt. Und da geht es nicht nur um das Thema Migration und Integration, sondern um viele, viele andere Themen. Bildung, Freiheit, leistbares Leben.

Und die restliche Wählerschaft?
Die anderen, na sagen wir einmal 60 bis 70 Prozent, sehen ihn sehr, sehr kritisch. Kickl wird als sehr intelligent eingestuft, es werden ihm zu einem gewissen Grad autoritäre Tendenzen unterstellt. Das ist die Sorge auf der anderen Seite. Er wird als durchschlagskräftig wahrgenommen. Sympathieträger ist er natürlich keiner, aber auf das legt er, glaube ich, auch keinen Wert.

Ob die Comeback-Chancen von Sebastian Kurz maßlos überschätzt werden
Das ist tatsächlich so. Wir haben das für einige Medien im vergangenen Jahr schon abgetestet. Wir haben gefragt, soll Sebastian Kurz in die österreichische Spitzenpolitik zurückkehren soll. Ich glaube, da war im besten Fall ein Drittel, die Ja gesagt haben.

Ein Drittel ist nicht wenig
Es kommt auf die freiheitlichen Wähler an und von dort bekommt er nur einen von zehn, und zwar weil die wirklich sauer sind.

Meinungsforscher Peter Hajek bei einem Interview im Podcast-Studio
Meinungsforscher Peter Hajek bei einem Interview im Podcast-Studio
Helmut Graf

Ob es Blau-Türkis geben wird
Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, aber für ganz ausgemacht halte ist es nicht.

Also keine Wahlen?
Man vergisst einen Zwischenschritt. Wenn diese Koalitionsverhandlungen scheitern, heißt es noch lange, dass es Wahlen gibt. Wäre ich der Bundespräsident und die Verhandlungen scheitern, würde ich die Parlamentsparteien zu mir holen und zu ihnen sagen: "Ich werde jetzt eine Expertenregierung einsetzen. Finanzminister wird Herr Badelt, der wird ein schönes Budget erstellen. Sie stützen diese Experten-Regierung ein Jahr lang."

Was dann passiert
Daraufhin wird eine Partei "Nein" sagen. Das sind die Freiheitlichen. Und die andere vier werden sagen, das machen wir, weil das ist uns allemal lieber als Neuwahlen.

Warum hat der Bundespräsident das nicht jetzt schon gemacht?
Er konnte es politisch nicht. Er hat das in seinem Statement, als er Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag erteilt hat, auch in einem der ersten Sätze gesagt. Er möchte dem Wahlergebnis Rechnung tragen und er ist an Herbert Kickl einfach nicht mehr vorbeigekommen. Und ich finde, das ist auch richtig und gut so.

Peter Hajek ist Geschäftsführer und Eigentümer von "Unique Research", promovierter Politikwissenschafter und akademisch geprüfter Markt- und Meinungsforscher. Beschäftigt sich seit 25 Jahren mit empirischer Sozialforschung. Lehraufträge an Universitäten, Fachhochschulen

Akt. Uhr
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