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"Wir sprechen Minister in Österreich nicht als Fußballmaus an, bitte!"

Kopfnüsse zu einer außergewöhnlichen Woche. Der Kanzler lacht sich einen Bankomaten an, Nationalratspräsident Sobotka spielt Benimm-Papst, die Grünen häkerln wieder die ÖVP.

Glockenspieler Wolfgang Sobotka: Bei dem Lärm kann man ja nicht einmal in Ruhe ein Buch lesen
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Immerhin mit Bankomaten spricht er noch gern. Und die Bankomaten reden gern mit ihm. Sonst wird es eher einsam um Karl Nehammer, in den vergangenen Tagen hat er seinen realpolitischen Wirkungskreis auf die Größe eines Bierdeckels eingeschränkt und das aus freien Schlücken. Mit der Kickl-FPÖ will er nach der kommenden Nationalratswahl bekanntermaßen sowieso nichts zu tun haben, jetzt aber verbannte er auch die Gewessler-Grünen vom Küchentisch. Ein falsches Wort von Andreas Babler und der Kanzler sitzt nach dem 29. September mit ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker allein da und versucht die Reste aus drei Welten zusammenzupuzzeln. Es gibt berauschendere Vorstellungen vom Leben.

Die Definition, was in Österreich als außergewöhnlich gilt, ist außergewöhnlich großen Schwankungen unterworfen. Das Fußball-Nationalteam spielte bei der EM in Deutschland gegen die Niederlande außergewöhnlich gut, hatte dann aber gegen die Türkei außergewöhnlich viel Pech, auch weil es außergewöhnlich intensiv regnete. Vor allem aus den Gesichtern der Spieler nach dem Schlusspfiff.

Der Kanzler war natürlich wieder live in Leipzig im Stadion, als wir uns außergewöhnlich früh ein Tor einfingen. Damit wir daheim zunächst ein bisschen Unterhaltung haben und später Trost finden, hinterließ er uns ein Facebook-Video. Es zeigt Nehammer, der offenbar also doch nicht durchgehend in Deutschland bei der EM weilte, in der Filiale eines Geldinstitutes in typisch postmodern ländlicher Anmutung. Inmitten des Raumes mit viel Glas, Neongeleuchte und balsamicofarbenen Resopalmöbeln ist ein Bankomat zu erspähen, der den Weg verstellt und dort nicht hingehört, wo er steht, außer man legt auf Kundenkontakt keinen außergewöhnlich großen Wert.

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Der Bankomat aber wirkt sehr aufmerksam, fast feierlich herausgeputzt, er steht dem Kanzler zugeneigt da und scheint sich darauf zu freuen, was kommt. Vielleicht denkt er, dass ihm Nehammer jetzt gleich eine Medaille um den Hals hängen wird, als Verdienst, weil ihm immer so viel Geld beim Hals heraushängt, was bei Bankomaten nicht das Schlechteste ist. "Ich stehe hier vor einem Bankomaten, das an sich ist nicht außergewöhnlich", sagt der Kanzler, und steht dabei eigentlich nicht vor, sondern neben dem Bankomaten.

Es erschloss sich im Moment nicht ganz, was an der Szene außergewöhnlich sein sollte oder eben auch nicht, aber in den folgenden zehn Sekunden erklärte Nehammer uns und dem Bankomaten, dass er die Bankomaten am Land gerettet habe wie vor einem Jahr versprochen. Ich will das jetzt nicht klein reden, die Versorgung mit Bargeld wird im regionalen Raum mit einiger Bedeutsamkeit gesehen, aber ich wundere mich immer wieder, wie allumfassend der Job eines Regierungschef ist. Fast außergewöhnlich!

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Es scheint zwischen Nehammer und dem Bankomaten eine Art Beziehung entstanden zu sein, denn zwei Tage später meldete sich der Kanzler schon wieder aus derselben Filiale des Geldinstitutes, wieder stand der verliebte Bankomat neben oder vor ihm, vielleicht nimmt er ihn bald mit zu sich heim. Nun musste der Bankomat dafür herhalten, uns das Wesen der kalten Progression zu erklären. "Jedes Jahr 700 Euro mehr abheben, das klingt nicht nur gut, das ist jetzt auch Realität", sagt Nehammer. "Jetzt" ist natürlich nur eine Metapher, denn die Regelung tritt erst im nächsten Jahr in Kraft, aber das macht nichts, denn auch schon aktuell kann man 700 Euro mehr abheben, man sieht das Ergebnis dann unmittelbar am Kontoauszug.

Nächstes Jahr aber wird alles besser, da bekommt jeder daheim einen verliebten Bankomaten hingestellt, so wie der Kanzler einen hat, und kann sich dann 700 Euro holen, alles auf einen Schlag oder zitzerlweise. Das hätten wir eigentlich schon am Mittwoch erfahren können, da präsentierten Sigi Maurer und August Wöginger, die Sonnenblumenkerne der Koalition, die Vorschau auf die letzte Nationalratssitzung vor der Sommerpause. Die Klubobleute von Grünen und ÖVP wirkten so quietschvergnügt, als hätten sie den Auftrag dazu bekommen, quietschvergnügt zu wirken, damit die Medien schreiben, dass die Regierung wieder quietschvergnügt zusammenarbeitet. Maurer trug ihr Lachen vor sich her wie einen Bauchladen, Wöginger strahlte eher nach innen in seinen Bauch hinein. Innviertler halt.

Mittwoch um 8.30 Uhr, recht zeitig rechtzeitig also, spulten Maurer und Wöginger eher beiläufig ab, was im Parlament in den kommenden drei Tagen so geplant sei. Wie mit warmen Händen das letzte Drittel der kalten Progression hinkünftig verteilt werden soll, erläuterten die beiden nicht, obwohl das zu diesem Zeitpunkt schon fix ausverhandelt war, auch der Beschluss im September. Aber da es sich um ein außergewöhnlich wichtiges Projekt der Koalition handelte, sollte die Präsentation der Regierungsspitze vorbehalten bleiben. Die aber war damit beschäftigt, Österreich in Deutschland bei der Türkenbelagerung zur Hand zu gehen.

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Helmut Graf

Das Foyer nach dem Ministerrat sei auf Donnerstag verschoben worden, gluckste Maurer noch eine Spur quietschvergnügter als davor. Dort werde die finale Abschaffung der kalten Progression "von hochrangigen Politikern" präsentiert, "die sind aber noch nicht zurück von dem Spiel aus Leipzig". Am Donnerstag traten dann die "hochrangigen Politiker", also Kanzler, Vizekanzler, Finanzminister und Sozialminister auf, um zu erläutern, wie nun das Geld ausgegeben werden soll, das wir gar nicht mehr haben. Ehe also die nächste Regierung ein Sparpaket auf den Weg bringt, schaut die aktuelle Regierung darauf, dass dieses Sparpaket nicht zu klein ausfällt, sondern was hermacht. Außergewöhnlich soll es sein.

Die Abschaffung der kalten Progression ist wichtig und richtig, sie wurde im Oktober 2022 im Parlament beschlossen, ÖVP, Grüne, FPÖ und NEOS stimmten zu, die SPÖ nicht, sie vermisste die soziale Treffsicherheit. Warum die kalte Progression kalte Progression heißt, weiß ich nicht, jedenfalls verschaffte sie dem Finanzminister über viele Jahre ein lauwarmes Körberlgeld. Wer ein höheres Gehalt bekam oder die Inflation abgegolten, konnte in eine neue Steuerklasse rutschen. Vom mehr kassierten Geld schnappte sich der Finanzminister dann oft den größten Batzen, 2024 hätte er damit unverdient 3,65 Milliarden Euro verdient, ohne auch nur dafür in die Hände klatschen zu müssen.

Also wurde die kalte Progression abgeschafft, aber nicht ganz, die Regierung behielt sich über ein Drittel die Verfügungsgewalt. Um lenkend einzugreifen oder um jährlich Almosen verteilen zu können, darüber gehen die Interpretationen parteipolitisch auseinander und das ziemlich progressiv. Das ökonomische Quartett, die drei EM-Daumendrücker und die Fußballmaus also, präsentierten nun die Einigung darüber, was mit dem "variablen Drittel" passieren wird. Die 650 Millionen Euro sollen "Leistungsträgern" und "Familien" zugute kommen, bekundeten die Daumendrücker und die Fußballmaus, alle Steuerstufen bis auf die höchste werden 2025 um vier Prozent angehoben. Wasser marsch!

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Helmut Graf

Das kann man natürlich so handhaben, wenn auch die Regelung Besserverdiener bevorzugt. Der Vorstellung der Pläne und der Diskussion im Nachgang fehlte aber eine entscheidende Komponente: Wie halten wir es jetzt grundsätzlich so mit dem Geld? Unsere Wirtschaft ist ein lahmer Ochse, die Staatsschulden dagegen galoppieren dahin wie übermütige Fohlen. Die Arbeitslosigkeit schießt in die Höhe, die Industrie wiederum humpelt, das Baugewerbe hat Betonpatscherln angezogen. Unserer Wettbewerbsfähigkeit kommt die Fähigkeit zum Wettbewerb abhanden. Ist da wer?

Wie Wolken schweben Pläne für ein Sparpaket im Herbst über uns, jeder hofft, dass die Wolken woanders abregnen, aber das wird nicht passieren. Die Abschaffung der kalten Progression ist kein Mäzenatentum der Regierung, sie gibt nur Geld zurück, das sie uns zuvor unbefugt abgenommen hatte. Aber dem Finanzminister entgehen damit Steuereinnahmen, er ist auch so schon klamm und in dieser Situation erwarte ich mir, dass sich Politiker hinstellen und klar sagen, wo gespart werden soll und wo investiert werden muss, damit der Ochse nicht mehr lahmt.

Und nein, ich sehe das nicht allein als Aufgabe der Regierungsparteien an, sondern als Job von allen Parteien. Sie sollen ihre Pläne auf den Tisch legen. Alle! Und noch einmal nein, ich will hier keine Sprachhülsenfrüchte serviert bekommen, sondern Fakten, Ehrlichkeit, wenn es sein muss auch in aller Schonungslosigkeit. Und ein drittes Mal nein, dass muss jetzt passieren und nicht nach den Herbstwahlen. Denn die Wählerschaft hat ein Recht darauf, zu wissen, was auf sie zukommt. Denn auch davon wird abhängen, wo man sein Kreuzerl macht.

Jetzt wolltest mich reinlegen mit dem Handgeben ...
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Helmut Graf
... na gut, da hast das Pratzerl, aber dafür drück ich auch bisserl zu, gell?
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Vom Kreuzerl zum Kreuz ist es nur ein kurzer Weg, wer, wenn nicht wir Österreicher, weiß das. Vor einigen Monaten wurde darüber gestritten, ob man nicht die Sitzungen der U-Ausschüsse live im Fernsehen und im Internet übertragen könnte. Am Ende waren alle Parteien dafür, in Österreich ist das ein Garant, dass nichts passiert und so war es auch diesmal. Die Diskussion endete damit, dass es nicht nur keine TV-Übertragung gab, sondern dass jetzt nicht einmal mehr Fotografen ins Ausschusslokal dürfen, wenn jemand was dagegen hat. Das ist schade, denn diese Woche schaute ich mir im Internet die Übertragung der Nationalratssitzung an und fand das sehr bereichernd.

Kurzweilig waren vor allem die Redebeiträge, als es um die Abwahl von Leonore Gewessler ging. Zur Auffrischung: Die ÖVP wollte die Klimaministerin aus dem Amt jagen, die FPÖ stellte den entsprechenden Antrag und die ÖVP stimmte dagegen.

Die Sachlage ist natürlich ein bisschen kompliziert, aber genau genommen auch wieder nicht. Die grüne Klimaministerin hatte dem Renaturierungsgesetz der EU zugestimmt. Die ÖVP reichte gegen Gewessler daraufhin zwei Klagen ein und sprach ihr damit das Misstrauen aus. Im Nationalrat sprach die ÖVP Gewessler dann aber am Donnerstag das Vertrauen aus, sie stimmte gegen ihre Amtsenthebung. Am selben Tag sprach der Kanzler wiederum in der ZiB 2 Gewessler das Misstrauen aus und das für alle Ewigkeit. Sie habe sich "für künftige Regierungen selbst aus dem Spiel genommen", sagte er. Politik ist halt so, könnte man jetzt mit der Schulter zucken, aber wundern sollte man sich dann nicht, wenn Menschen Politikern das Misstrauen aussprechen.

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Die Debatte über Gewessler begann damit, dass die FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst den Sozialminister, der auf der Regierungsbank saß, "sehr geehrte Fußballmaus" und den abwesenden Vizekanzler ebenfalls "Fußballmaus" nannte, worauf sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu einer Klarstellung veranlasst sah. "Wir sprechen Minister in Österreich nicht als Fußballmaus an, bitte!", sagte er. Ob sich Fußballmäuse auf Instagram selbst weiter Fußballmäuse nennen dürfen, ließ er offen.

Inzwischen hatte auch die zweite Fußballmaus im Hohen Haus Platz genommen. Als Herbert Kickl sprach, konnte sich Werner Kogler aber entspannen, denn dem FPÖ-Chef sind die Grünen weitgehend powidl. Er nannte Gewessler zwar "giftgrün", sonst aber arbeitete er sich an Nehammer ab, den er einen "Schwächling" nannte, der sich von den Grünen "am Nasenring durch die politische Manege" ziehen lasse. Es ist Wahlkampf und Kickl weiß, dass er mit der Volkspartei um Stimmen rittert, bei den Grünen ist für ihn nichts zu holen, deshalb lässt er sie links liegen und das im wahrsten Sinn des Wortes.

Ob die Kommunisten es in den nächsten Nationalrat schaffen, ist noch unklar, es muss aber auch nicht sein, denn sie sind ja schon da. Die freiheitliche Abgeordnete Dagmar Belakowitsch nannte die Grünen eine "kommunistische Sekte" und wusste auch, wer schuld daran ist, dass sich der Nationalrat diese "kommunistische Sekte" eingetreten hat – die ÖVP. "Sie haben diese Kommunisten in die Regierung geholt", rief Belakovich in den Saal.

Die Folgen sind dramatisch. Das Parlament sei "im Chaos", sagte Belakowitsch und "viel schlimmer kann es gar nicht mehr werden". Anderswo aber auch nicht, denn "in Kärnten sind die Grünen nicht einmal im Landtag, das ist ja der Wahnsinn".

Ihr Parteikollege Peter Schmiedlechner ahnte die Gründe für das "Chaos" und den "Wahnsinn". "Die Einheitsparteien", sagte er, "haben theoretisch von der Praxis keine Ahnung". Das sehe man an der Renaturierung, sie bedeute "Zerstörung ..., Verwilderung ... und im Endeffekt dann Hungersnot". Astrid Rössler von den Grünen sah die Natur naturgemäß anders: "Wer bestäubt denn ihre Obstbäume", fragte sie die FPÖ, ohne zu wissen, ob die Freiheitlichen überhaupt Obstbäume besitzen. Wie gesagt, es war sehr bereichernd.

"Fußballmaus" Johannes Rauch soll im Nationalrat nicht Fußballmaus genannt werden
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Helmut Graf

Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag. Die Grünen haben nun der ÖVP offenbar Othmas Karas als EU-Kommissar vorgeschlagen. Werner Kogler fühlt sich an den Sideletter zum Koalitionsprogramm ja nicht mehr gebunden, warum ist nicht ganz klar, ein Ablaufdatum wie etwa bei linksgedrehtem Joghurt oder bei Granderwasser finde ich darin nirgends. Es wird für künftige Regierungen nötig sein, das im Auge zu behalten, vor allem wenn drei Parteien davon betroffen sind. Vielleicht gibt es dann bilaterale Sideletter zwischen den einzelnen Parteien und einen Gesamt-Sideletter, an den alle gebunden sind oder eben nicht.

Es ginge auch, dass man zwei Sideletter macht, in einem steht der Postenschacher und im anderen, welche Sanktionen drohen, wenn man die Lust am Postenschacher verloren hat. Oder man einigt sich auf einen "Sideletter light", in dem wird festgelegt, dass der Partei A die Besetzung etwa des Nationalbank-Gouverneurs zusteht, "außer es braucht ein Minister einen Job". Vermutlich ist es aber vernünftiger, das gleich offener zu formulieren. Also der Partei B wird die Besetzung eines Postens eingeräumt, "es sei denn, es kommt was dazwischen". Das sorgt für die nötige Flexibilität, die vor allem am Ende einer Legislaturperiode gefragt ist.

Othmas Karas hatten schon die NEOS als österreichischen EU-Kommissar vorgeschlagen, dass ihn nun auch die Grünen empfehlen, ist von einer gewissen Heimtücke, Sigi Maurer wird wieder quietschvergnügt sein. Die Volkspartei merkt gar nicht mehr, wie sie von den Grünen derzeit am Schmäh gehalten wird, das ist gut so, sonst müsste sie sich darüber ärgern. Jedenfalls hat die Volkspartei nun zwei Optionen: Sie lässt ihre eigenen Kandidaten, etwa Magnus Brunner oder Karoline Edtstadler, fallen und entflammt sich für Karas. Oder die ÖVP sagt, das ÖVP-Mitglied Karas, das die ÖVP 25 Jahre als ÖVP-Mitglied nach Brüssel entsandt hat, ist kein geeigneter ÖVP-Kandidat. Das wäre dann in der Tat außergewöhnlich.

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