Novo Nordisk erfand die Abnehm-Spritzen Ozempic und Wegovy. Vor einem Jahr war der Pharma-Riese das wertvollste Unternehmen Europas, heute gilt er als Sorgenkind. Wie es dazu kam, was Donald Trump damit zu tun hat, wer wieder für fette Gewinne sorgen soll.
Am Anfang wusste man selbst noch nicht so genau, was man da erschaffen hatte. Als der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk im Jahr 2018 die Marktzulassung für sein Medikament Ozempic erhielt, war dieses zunächst nur für die Behandlung von Typ-2-Diabetes gedacht. Erst langsam kristallisierte sich heraus, dass man mit dem Wirkstoff dahinter die Lizenz zum Gelddrucken erhalten hatte.
Denn dieser Wirkstoff namens Semaglutid eignet sich nicht nur für die Behandlung von Diabetes, sondern hat noch wesentlich mehr auf Lager. Vor allem nimmt er Anwendern das Hungergefühl. Und ermöglicht es so, dauerhaft große Mengen an Gewicht zu verlieren.
Als man das schließlich erkannte, gab es für das Wertpapier der Dänen nur mehr eine Richtung: nach oben. Denn schlank werden und schlank bleiben will jeder. Die Folge: Bis Juni 2024 wurde Novo Nordisk zum Star an den Börsen, das Unternehmen galt als Überflieger, erreichte einen Wert von mehr als 600 Milliarden Euro, war zeitweilig wertvoller als der Luxuskonzern hinter Louis Vuitton.
Ein Jahr später ist von diesem Glanz wenig übrig – obwohl Novo Nordisk mehr Umsatz macht als je zuvor. Doch die Anleger wollten noch mehr – und straften die Dänen für ihre offenbar zu vorsichtige Wachstumsstrategie gnadenlos ab. Das Unternehmen verlor fast zwei Drittel seines Börsenwertes, die Aktie fiel um mehr als 60 Prozent. Dazu kommen ungeahnte Probleme gerade auf dem Schlankheitsmarkt Nummer 1, den USA. Denn der neue Präsident Donald Trump hat sein Visier auf Dänemark gerichtet.
Wie der Pharma-Riese aus dem Norden nun den Neuanfang plant, mit einem strikten Verschlankungsprogramm wieder seine eigene Idealfigur erreichen möchte und was ein Wiener dazu beitragen will – das müssen Sie über den Markt der Abnehmspritzen wissen:
Worum geht es hier?
Kurz gesagt: um Schönheit. Oder das, was man gemeinhin dafür hält. Aber natürlich auch um Gesundheit und Wohlbefinden. Es geht darum, schlank zu werden – und dann nach Möglichkeit auch zu bleiben. Dafür hat der dänische Pharma-Konzern Novo Nordisk mit dem Wirkstoff Semaglutid gleichsam ein Wundermittel entdeckt, das eine Revolution auf dem Abnehm-Markt eingeleitet hat.
Wer ist Novo Nordisk?
Ein 1923 gegründeter dänischer Pharmahersteller, der sich vor allem als weltweit führender Hersteller von Insulin für Diabetiker einen Namen gemacht hat. Das Hauptquartier liegt bei Kopenhagen und es gibt Produktionsstandorte in neun weiteren Ländern.
Und was ist Semaglutid?
Semaglutid ist ein Medikament, das ein bestimmtes Hormon im Körper nachahmt, das den Blutzucker senkt, den Appetit reduziert und die Insulinproduktion stimuliert, während es gleichzeitig die Magenentleerung verzögert. Dadurch wirkt es nicht nur bei Diabetes, sondern es nimmt auch langfristig das Hungergefühl und kann so helfen, dauerhaft Gewicht zu verlieren.
Was war daran so revolutionär, Appetitzügler gab es schon vorher?
Semaglutid wirkt auf den Hormonhaushalt des Körpers und setzt seine Wirkstoffe sehr langsam frei, weshalb die Wirkung auch sehr lange anhält. Herkömmliche Appetitzügler wirken meistens nur auf das Gehirn und viele haben noch dazu den negativen Effekt, dass sie den Blutdruck stark erhöhen, was vor allem bei Personen, die ohnedies Gewichtsprobleme haben, extrem schädlich sein kann.
Und dieses Semaglutid wurde von Novo Nordisk erfunden?
Seine Wirkung wurde von dem dänischen Pharmakonzern entdeckt und in einem marktreifen Medikament umgesetzt. Der Injektions-Pen Ozempic war 2018 das erste Medikament dieser Art, das eine Zulassung erhielt – zunächst nur als Diabetes-Medikament. 2022 folgte dann schließlich Wegovy ebenfalls von Novo Nordisk, das speziell für Übergewichtige entwickelt worden ist.
Was ist der Unterschied zwischen den beiden Medikamenten?
Der Semaglutid-Gehalt in Wegovy ist höher als jener in Ozempic.
Sind das die einzigen Medikamente dieser Art auf dem Markt?
Nein, mittlerweile gibt es weitere ähnliche Präparate von anderen Herstellern. In Österreich erhältlich sind noch Mounjaro (vom US-Hersteller Eli Lilly, seit Juni 2024, der Wirkstoff hier ist Tirzepatid) und Saxenda (Wirkstoff Liraglutid), das ebenfalls von Novo Nordisk stammt, aber auf einen anderen Wirkstoff setzt. Und es sind weitere Präparate von unterschiedlichen Herstellern in der Pipeline.
Wie groß ist der Markt für diese Art von Medikamenten?
Kurz gesagt: gigantisch. Primär, weil die Menschen in den Industrieländern immer dicker werden und immer weniger Bewegung machen. Dazu kommen noch all jene, die ihr Gewicht halten möchten oder medizinisch gesehen gar nicht als stark übergewichtig gelten, aber dennoch schlanker werden wollen, sogenannte Lifestyle-Anwender.
Heißt in Zahlen?
Für Österreich gibt es keine konkreten Zahlen. Man geht davon aus, dass der Markt für diese sogenannten GLP-1-basierten Gewichtsreduktionsmedikamente (GLP-1 ist das Hormon, das die Wirkstoffe Semaglutid oder Tirzepatid nachahmen) alleine in den USA heuer bereits 25 Milliarden Euro schwer ist. Für die EU soll er heuer etwa eine Größe von 4,3 Milliarden Euro haben.
Und die Wachstums-Prognosen?
Sind atemberaubend, zumindest für Anleger. Man geht davon aus, dass der Markt für diese Art von Schlankheitsmedikamenten bis 2035 weltweit auf bis zu 135 Milliarden Euro wachsen wird.
Also sollten in Dänemark bei Novo Nordisk eigentlich die Sektkorken knallen, oder?
Naja, theoretisch schon. Tatsächlich sind die aktuellen Zahlen auch sehr erfreulich – theoretisch. Der Gewinn ist laut dem deutschen Spiegel in den ersten sechs Monaten 2025 auf 7,4 Milliarden Euro gestiegen (2024 waren es 6,1 Milliarden im ersten Halbjahr). Und der Umsatz stieg auf 20,8 Milliarden Euro (von 17,9 Milliarden Euro in 2024). In der Praxis hat der Konzern jedoch das Potenzial seiner eigenen Erfindung sträflich unterschätzt. Und das rächt sich jetzt durch die Abwertung an den Börsen.
Was heißt das?
Man kommt mit der Produktion nicht nach. Der Konzern hat erst viel zu spät erkannt, welche unglaublichen Absatzzahlen mit dieser Art von Medikamenten zu erzielen sind. Sämtliche Werke von Novo Nordisk, in denen Abnehm-Medikamente produziert werden, laufen im Drei-Schicht-Betrieb an 365 Tagen. Die Zahl der Beschäftigten stieg von etwa 43.000 auf gut 77.000 an, vor allem in der Produktion.
Und neue Werke?
Sind in Bau – aktuell werden weltweit etwa 23 Milliarden Euro in neue Werke sowie Akquisitionen investiert. Allerdings: Die meisten dieser zusätzlichen Fabrikationsanlagen werden erst in den kommenden Jahren einsatzbereit sein. So lange hinkt man in den Produktionszahlen hinterher – und überlässt das Feld dem Mitbewerb.
Daher auch die Wut der Anleger?
Wut ist wahrscheinlich zu viel gesagt, aber dem Unternehmen wurde sukzessive das Vertrauen entzogen – und damit Geld, das für Expansion und Forschung fehlt. Wie gesagt, der Börsenwert von Novo Nordisk sank in den vergangenen 14 Monaten um zwei Drittel von 600 auf heute etwa 200 Milliarden Euro.
Und was ist das mit Donald Trump und den USA?
Der Furor des US-Präsidenten, der am 20. Jänner des Jahres sein Amt antrat, wurde in Kopenhagen offenbar ebenfalls unterschätzt. Denn Trump hat es gleich mehrfach auf Europas Pharma-Branche abgesehen. Einerseits werden seit Anfang August 15 Prozent Einfuhrzölle in die USA auch auf Medikamente wirksam – das gilt natürlich auch für Ozempic und Co. Und dann hat Trump bereits mehrfach Europas Pharma-Riesen aufgefordert, die Medikamentenpreise in den USA zu senken, weil er der Meinung ist, die europäischen Hersteller würden sich auf Kosten der US-Bürger unverhältnismäßig bereichern.
Und wurde darauf reagiert?
Von Novo Nordisk jedenfalls schon. Das Unternehmen senkte die Preise für die Abnehmspritzen Ozempic und Wegovy in den USA erst vor kurzem um 50 Prozent. Für Selbstzahler, die das Medikament nicht von ihrer Krankenversicherung ersetzt bekommen, kostet es damit nun 499 Dollar im Monat.
Und das nur, weil Trump gedroht hat?
Nicht nur. In den USA ist es gang und gäbe, dass Apotheken Medikamente, die nicht in genügend großer Stückzahl erhältlich sind, selbst "nachbauen". Diese DIY-Medikamente werden Compounder genannt, müssen keine langwierigen Zulassungs-Prozeduren absolvieren, weil sie für jeden Patienten "nach Maß" gefertigt werden und kosten am Beispiel von Ozempic bzw. Wegovy den Hersteller Novo Nordisk in den USA mittlerweile Unsummen. Auch dieser Praxis will man mit den verbilligten Original-Medikamenten entgegenwirken.
Was hat das alles zur Folge?
Ende vergangenen Juli musste Novo Nordisk seine Gewinn-Prognose deutlich senken. Alleine in den Tagen danach verlor das Unternehmen 90 Milliarden Euro an Börsenwert.
Und wie reagiert man in Dänemark darauf?
Wie in allen Unternehmen weltweit - mit einem Köpferollen. Hier rollte ausnahmsweise gleich der höchste Kopf, nämlich jener von Lars Fruergaard Jørgensen, dem langjährigen Vorstandschef, 2023 noch "Person of the year" der Financial Times. Ihm wird angekreidet, die Zukunft des Konzerns schlicht verschlafen zu haben.
Sein Nachfolger?
Heißt Maziar Mike Doustdar, wurde 1970 im Iran geboren, wuchs in den USA auf und studierte schließlich in Wien an der Webster University. Doustdar besitzt die österreichische und die US-Staatsbürgerschaft und trat 1992 in Wien als Bürokraft bei Novo Nordisk ein. Seither hat er zahlreiche Positionen im Unternehmen besetzt und wurde am 7. August zum ersten nicht-dänischen Vorstand des Pharma-Riesen berufen.
Was muss Maziar Mike Doustdar jetzt als erstes tun?
Vor allem muss er Novo Nordisk wieder in ein ruhigeres Fahrwasser führen. Denn die Prognosen für das Unternehmen sind ja alles andere als schlecht, nur die Überflieger-Zahlen der Jahre 2023 und 2024 werden halt nicht mehr produziert.
Wie wird er das anstellen?
Als erstes wurde ein Einstellungs-Stopp für alle "nicht geschäftskritischen Bereiche" erlassen. In Kopenhagen ist man der Meinung, dass das Unternehmen ein bisschen zu viel Speck an den Hüften angesetzt hat. Den will man jetzt loswerden und die Muskeln – vor allem die Bereiche Produktion und Forschung – wieder mehr trainieren.
Wie soll das gelingen?
Mit neuen, innovativen Produkten. Aktuell in der Pipeline hat man zunächst das Mittel CagriSema, ein weiteres Abnehm-Medikament. Es vereint zwei Wirkstoffe, Semaglutid sowie Cagrilintid, ein synthetisches Peptid. Es ist noch in der Erprobungsphase und soll vor allem bei adipösen Patienten einen schnelleren Gewichtsverlust ermöglichen. Mit der Markteinführung ist in den nächsten Jahren zu rechnen.
Weiter?
Auch neue Anwendungen für die vorhandenen Medikamente aud Semaglutid-Basis werden laufend entwickelt. So erhielt man erst vor kurzem in den USA die Zulassung, Semaglutid bei einer Stoffwechelerkrankung der Leber, die als metabolisch bedingte Steatohepatitis (MASH) bekannt ist, einzusetzen. Zudem erwartet man, den Wirkstoff über die Gewichtsabnahme hinaus zur Anwendung zu bringen.
Etwa in welchen Bereichen?
Zum Beispiel in der Suchtbekämpfung, etwa bei Alkohol und Nikotinsucht. Aber sogar im Bereich der Fertilisation wird geforscht, da man annimmt, das die Einnahme von Semaglutid die Fruchtbarkeit von Frauen erhöht.
Wie sieht es mit Abnehm-Medikamenten auf Pillen-Basis aus?
Auch hier ist man bereits sehr weit. Ende 2025 soll die erste Abnehm-Pille auf Semaglutid-Basis in den USA zugelassen werden. In klinischen Studien zeigte diese eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von bis zu 15 Prozent über 72 Wochen. Damit geht man in direkte Konkurrenz zum Mitbewerber Eli Lilly, dessen Abnehm-Pille Orforglipron ebenfalls noch heuer auf den Markt kommen soll.
Wie ist eigentlich die Kosten-Situation in Österreich? Zahlt die Krankenkasse die Abnehm-Spritze?
Die Krankenkasse übernimmt derzeit nur für Ozempic die Kosten, aber nur bei Patienten mit Typ-2-Diabetes oder mit einen BMI ab 30.
Wieviel kosten die Abnehmspritzen bei uns?
Die Preise hängen immer von der Stärke des Präparates und der Packungsgröße ab:
Braucht man unbedingt ein ärztliches Rezept?
Ja, die Abgabe der Abnehm-Medikamente ist in Österreich streng rezeptpflichtig.
Weiß man, wie viele Menschen in Österreich bereits die Abnehmspritze verwenden?
Nein, dazu gibt es keinerlei gesicherte Zahlen, da die Absätze der Präparate nicht gesammelt erfasst werden. Darüber könnten nur die Hersteller Auskunft geben, die sind mit Zahlen aber generell sehr zurückhaltend. So kann man nur von Schätzungen ausgehen: In Deutschland haben Umfragen ergeben, dass sich jeder Sechste vorstellen könnte, Abnehmspritzen zu verwenden. Auf Österreich umgelegt, würde das bedeuten, dass es mehr als 1,5 Millionen potentielle Anwender bei uns gibt.