Tagebuch einer Pandemie

Corona-Kopfnüsse, Kapitel 3: Höhenflüge und Abstürze

Lesen Sie im dritten Teil der Corona-Tagebücher Erhellendes über Klopapier und Babyelefanten.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
Wolfgang Kofler
Christian Nusser
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Kapitel 3 Höhenflüge und Abstürze

30. März 2020 Bankräuber, der neue Traumberuf
Die Regierung macht das Maskentragen zur Pflicht, der Schulbesuch ist nicht einmal mehr eine Kür.

Dialoge im Coronajahr 2020:
"Deine Gesichtszüge wirken heute etwas maskenhaft."
"Danke, lieb dass du das sagst".

Alles ändert sich momentan fast in Echtzeit. Keine drei Jahre ist es jetzt her, dass die damalige türkis-blaue Regierung ein Vermummungsverbot beschlossen hat, "auf den Weg brachte" nennt sich das im neuen ÖVP-Marketingdeutsch. Nun verordnet die nunmehr türkis-grüne Koalition Österreich das genaue Gegenteil, ein Vermummungsgebot. Erst durfte man keine Gesichtsverhüllung tragen, jetzt muss man, wir kommen gar nicht mehr nach mit dem Runterreißen und Raufknüpfen. Vielleicht wäre es praktischer, wir würden uns jetzt alle eine Burka anziehen, dann ersparen wir uns die ganze Streiterei in der Zukunft.

Ab Mittwoch müssen wir alle beim Einkaufen Schutzmaske tragen, aber es genügt auch ein Schal oder ein Tuch. Weil der Weltmarkt nicht mehr hergibt, ist noch bei weitem nicht genug Stoff im Land, deshalb wird es eine Verordnung geben, in der nur von einer "Bedeckung von Mund und Nase" die Rede ist. Europa kauft derzeit die Weltbestände leer und das zu astronomischen Preisen, zu Apothekerpreisen hätte man früher gesagt, aber heutzutage fühlen sich die Apotheker durch den Ausdruck beleidigt.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat leichte technische Problem beim Anlagen der Maske
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat leichte technische Problem beim Anlagen der Maske
Helmut Graf

Das hätte sich vor ein paar Monaten auch niemand gedacht, dass wir uns 2020 um lauter Fetzen Papier raufen werden. Erst das Klopapier, jetzt das. Unsere Mamis werden Tränen in den Augen haben, wenn wir am heurigen Muttertag keine Blumen mitbringen, sondern ein Packerl Schutzmasken, und statt dem Stück Torte ein paar Einweghandschuhe servieren. Es wird ein inniges Fest, küssen verboten. Ostern hat sich das Virus sowieso schon unter den Nagel gerissen.

Ab Mittwoch schauen wir dann alle ziemlich gleich aus, gleich gut oder gleich schlecht, es gibt also von der Optik her Gewinner und Verlierer der Krise, so viel kann man jetzt schon sagen. Wenn sie vor ein paar Wochen mit einer Gesichtsverhüllung in eine Bank marschiert wären, dann hätte jemand umgehend den Alarmknopf gedrückt. Wenn sie jetzt am Schalter stehen und Geld haben wollen, dann fragt sie der Kassier mutmaßlich höflich: "Sind sie privat da oder beruflich als Bankräuber?"

Die Entscheidung, einem Geldinstitut Erleichterung zu verschaffen, kann ganz spontan fallen, auch in der Mittagspause. Eine Maske hat man ohnehin stets dabei, Waffe ist keine nötig: "Geld her oder ich huste dich an" reicht.

Bankräuberei wird zur echten beruflichen Alternative, interessant auch für den zweiten Bildungsweg, für Aussteiger, vielleicht wird das bald als Wifi-Kurs angeboten oder als Nachschulung beim AMS. Eltern werden begeistert sein, wenn sich ihr Nachwuchs für diese Laufbahn entscheidet. "Was, Ärztin willst du werden, bist zu verrückt?", werden sie rufen. "Das ist doch lebensgefährlich. Schau, dass du was Anständiges lernst, wie wäre es etwa mit Bankräuberei? Der Lionel, der Sohn von der Nachbarin, hat jetzt schon seine erste kleine Bank gemacht."

Erster Corona-Lockdown: Am 16.März 2020 ist die Wiener Innenstadt wie leergefegt
Erster Corona-Lockdown: Am 16.März 2020 ist die Wiener Innenstadt wie leergefegt
Sabine Hertel

Mit leichter Verspätung zog das "virologische Quartett" am Montag gegen Mittag zur Pressekonferenz ein. Wie üblich kamen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler als Erste, und sie hatten wie üblich Gesundheitsminister Rudi Anschober und Innenminister Karl Nehammer im Schlepptau. Was auffiel: Keiner der Politiker hatte eine Schutzmaske auf, obwohl es doch die Maskenpflicht für alle zu verkünden galt. Da wurde eine Chance vertan. Oder besser, sie wurde nicht auf den Weg gebracht.

Coronator Kurz hatte keine guten Nachrichten für die "lieben Österreicherinnen und Österreicher" dabei. Es lägen "schwere Zeiten vor uns" sagte er und erzählte von einem Freund, der ihn gerade angerufen habe, weil er damit rechnete, dass Kurz das Ende der Ausgangsbeschränkungen ansagen würde. Ob es den Freund gibt (im ORF-Interview am Abend waren es dann schon Freunde), weiß ich nicht, aber wenn, dann trägt ihn eine gewisse Leichtigkeit des Seins durchs Leben. "Bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist", sagte der Kanzler später im ORF-Interview zur besten Sendezeit. Es gibt Sätze, die schneiden Tage in Stücke.

Nun also müssen alle Hotels zusperren, über generelle Ausgangsverbote von Senioren wird nachgedacht, bald wird es eine Maskenpflicht für den gesamten öffentlichen Raum geben. Alle werden sich verhüllen, sobald sie das Haus verlassen. Ob Masken zu etwas taugen, wer weiß? Wer drei Experten fragt, erhält vier Meinungen, die Weltgesundheitsorganisation WHO ist skeptisch, andere halten die Einführung für eine gute Idee.

Schulen sind volkswirtschaftlich nicht relevant
Kanzler Sebastian Kurz

Für Eltern ist das eine schwere Prüfung im Moment. Der Coronator versetzte ihnen gestern einen Schlag in die Magengrube. Er kündigte an, dass Geschäfte am schnellsten, Schulen eher später aufgesperrt würden, denn sie seien "volkswirtschaftlich nicht relevant".

Die volkswirtschaftlich Irrelevanten sitzen momentan daheim vor volkswirtschaftlich irrelevanten Hausaufgaben, die ihnen volkswirtschaftlich irrelevante Lehrer übermittelt haben, und werden dabei betüddelt von ihren volkswirtschaftlich irrelevanten Müttern. Ja, es sind in der Regel Mütter, die zum Handkuss kommen, das sollte man klar benennen. In der Krise ist das Biedermeier blitzartig zurück, so schnell kann man gar nicht Rokoko rufen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen verschwindet in der Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg  durch die Tapetentüre
Bundespräsident Alexander Van der Bellen verschwindet in der Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg durch die Tapetentüre
Das Leben ist ein auf und ab

2. April 2020 Eine Regierung, zwei Pandemien
Plötzlich ist von einem "Licht am Ende des Tunnels" die Rede, dafür beginnt das Datenmanagement zu entgleisen.

Sitzen wir alle noch im selben Zug? Und wenn wir alle im selben Zug sitzen, in welche Richtung sind wir unterwegs? Wer steuert die Lok? Am Montag dieser Woche hatte Sebastian Kurz noch in sehr eindringlichen Worten vor den Gefahren des Virus gewarnt. "Es mag in Österreich beschaulich und ruhig wirken", sagte der Kanzler, "doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm." Bald werde jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist. Der Satz verstörte viele. Kurz wählte ihn bewusst, er wollte warnen. Den Herrn links von ihm erreichten die Worte offenbar nicht, oder anders als vielleicht geplant.

Denn es dauerte nur drei Tage, da war der Sturm offenbar wieder abgeblasen, noch ehe er richtig zu wehen begonnen hatte. Am Donnerstag gab Rudolf Anschober eine Pressekonferenz, Kurz war diesmal nicht dabei. Der Gesundheitsminister warnte auch ein bisschen, man sei "noch nicht am Ziel", vor allem aber sprach er plötzlich von einem "Licht am Ende des Tunnels", welches er wahrnehme und deutete das als "gutes Zeichen". Nun wissen wir aus der Erfahrung, dass ein "Licht am Ende des Tunnels" mehrerlei bedeuten kann. Es kann tatsächlich ein Signal sein, dass man bald durch den Tunnel durch ist. Oder aber es handelt sich um die Scheinwerfer eines Fahrzeuges, das einem entgegenkommt. Die Konsequenzen der unterschiedlichen Wahrnehmung können gravierend voneinander abweichend ausfallen.

Am Donnerstagabend waren wir dann wieder im Tunnel, aber jetzt war es wieder stockfinster drin. Der Bundespräsident trat in der ZiB auf. Er redete achteinhalb Minuten lang, versuchte zu beruhigen, aber auch den Ernst der Lage darzulegen. "Ich will ehrlich mit ihnen sein", sagte Alexander van der Bellen, und diese Ehrlichkeit umfasste auch das Eingeständnis, nicht sagen zu können, wie lange diese Krise dauern werde – außer lang. "Wir alle miteinander wissen, dass wir erst am Beginn dieser gemeinsamen Anstrengungen stehen", orakelte er.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober fremdelt noch etwas mit den Masken
Gesundheitsminister Rudolf Anschober fremdelt noch etwas mit den Masken
Helmut Graf

Es waren wohlgesetzte Worte, aber am Ende entließ dieser Tag viele in Österreich in eine Nacht großer Ungewissheit. Lassen Sie es mich so sagen: Am Montag fand der Kanzler keine Tunnelröhre, am Donnerstagvormittag sah sich der Gesundheitsminister schon fast durch die Tunnelröhre durch, die der Kanzler drei Tage davor nicht einmal entdecken hatte können. Und am Donnerstagabend sagte der Bundespräsident, dass die Fahrt durch diesen Tunnel noch eine ziemlich lange Weile dauern kann, wie lange wisse man nicht. Von einem Licht am Ende sprach er nicht.

Bei all der Pressekonferitis der Regierung hat man den Eindruck, dass die Kommunikation zunehmend zu entgleisen beginnt. Bei seinem Medientermin sprach Anschober plötzlich von 92.190 Tests, die bisher durchgeführt worden seien, einen Tag davor waren auf der Webseite seines Ministeriums noch 56.000 Tests ausgewiesen worden.

Auch die Zahl der Infizierten schwankt, sie ist sowohl über das Innenministerium, als auch über das Gesundheitsministerium zu erfragen – und stets anders. Das Innenministerium ermittelt die Fakten einmal am Tag, immer um dieselbe Zeit über einen Rundruf in die Bundesländer. Es sind die Daten, die dann dem Krisenstab zur Verfügung stehen, der immer um 8.30 Uhr tagt. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums werden die Zahlen laufend erneuert, ablesbar sind aber nur jene Fälle, die bereits ins System eingegeben wurden, nicht die tatsächlichen. Wir fahren als blinde Passagiere durch den Tunnel, mit oder ohne Licht ist auch schon egal.

Vielleicht wäre ein guter Zeitpunkt für die Regierung gekommen, sich zwei Tage zu sammeln, die Kommunikation auf neue Beine zu stellen, danach sparsamer in den Auftritten zu sein, dafür klarer. Beseitigt endlich den Datensalat! Und ja, wir halten es aus, einen Tag einmal keinen Politiker live bei einer Pressekonferenz im Fernsehen zu sehen. Wir glauben euch auch so, dass ihr gut zu tun habt.

Hier wird noch geübt: Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stehen Österreichs Friseure vor der Wiedereröffnung der Salons
Hier wird noch geübt: Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stehen Österreichs Friseure vor der Wiedereröffnung der Salons
Helmut Graf

6. April 2020 Koste es, was es wolle
Die ersten Lockerungen werden verkündet. Was überraschend viele freut: Die Haarabschneider dürfen zu neuen Locken locken.

Also doch die Friseure. Am vergangenen Wochenende hatte es noch geheißen, wer darauf hoffe, dass im vertikalen Gewerbe bald die Schere aufgeht, werde sich schneiden. Jetzt das große Frohlocken: Ab 1. Mai werden alle wieder über einen Kamm geschert oder geschoren.

Nun war der Tag da, an dem unsere neue Glückssträhne begann. Ich weiß von Menschen, die in der Sekunde ihre Friseure auf Facebook ausfindig machten und sie flugs anschrieben, inhaltlich wurde etwa so auf die Tube gedrückt: "Ich will den ersten Termin am ersten Tag, koste es, was es wolle." Manche ließen dem Wunsch sanfte Drohungen folgen, etwa dem Coiffeur, würde er das Ansinnen abschlägig bescheiden, das eine oder andere Haar zu krümmen.

Das "virologische Quartett" wirkte wie ein Ärzteteam auf Morgenvisite
Regierung trägt nun Maske

Die Friseure werden sich nicht retten können vor den vielen Menschen, die in ihre Salons drängen, die meisten Stammkunden werden sie wegen ihrer Shades of grey eventuell gar nicht mehr gut wiedererkennen. Und auch nach sieben Stunden Wartezeit wird niemand auf Krawall gebürstet sein, sondern eine Engelshaargeduld an den Tag legen.

Nachdem sich die Regierungsspitze in den letzten Tagen nur mehr einzeln auf Pressekonferenzen getraut hatte, wurde wieder der volle Ornat angelegt. Knapp vor Mittag erschienen Kanzler, Vizekanzler, Gesundheitsminister und Innenminister mit Mundschutz vor den Journalisten, das "virologische Quartett" wirkte wie ein Ärzteteam auf Morgenvisite. Nacheinander sagten der Kanzler, sein Vize und die beiden Minister mehr oder weniger dasselbe in anderen Worten, aber es war trotzdem schön, denn nach den Tagen des diffusen Lichts ging die Sonne auf, wenn auch in weiter Ferne.

Die neuen Befehle aus dem Kanzleramt lassen sich so zusammenfassen: Wenn wir über die Osterfeiertage noch ein bisserl brav sind, dann klappt das mit der sanften Öffnung des Landes. Wenn nicht, dann wird der Notstopp gedrückt. Als erstes sperren nach dem Ostermontag einmal die kleinen Geschäfte auf und die Baumärkte, gutes Lobbying hat sich in diesem Land noch immer ausgezahlt, darauf kann man ein Lagerhaus verwetten. Auch die Bundesgärten öffnen, man glaubt es kaum. Ich sehe schon vor mir, wie Tausende Wienerinnen und Wiener den Kies vor Schloss Schönbrunn küssen und sich vor Freude im Burggarten im Gras wälzen wie Maikäfer, die unglücklich auf den Rücken gefallen sind. Am 1. Mai folgen dann die Friseure. Die Regierung macht gute Mähne zum bösen Spiel.

Corona-Sommer 2020: Ein Paar schießt in Sankt Wolfgang im Salzkammergut ein Selfie.
Corona-Sommer 2020: Ein Paar schießt in Sankt Wolfgang im Salzkammergut ein Selfie.
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8. April 2020 Der Sommerurlaub geht baden
Die Regierung will uns die Sommerfrische streichen, der Bildungsminister streicht die Matura zusammen.

Juli und August werden wir also so daheim verbringen wie wir April, Mai und Juni daheim verbringen werden. Die Tourismusministerin und der Außenminister gaben gemeinsam eine Pressekonferenz. Mir fällt auf, dass mittlerweile fast alle aus dem türkisen Teil der Regierung reden wie Sebastian Kurz, also in ganz einfachen Sätzen, mit häufigen Wiederholungen von Worten oder Satzbausteinen, so als würde man versuchen, einer Gruppe Waldorfschüler das Higgs-Boson zu erklären. Beide, Elisabeth Köstinger und Alexander Schallenberg, hatten uns Waldorfklasse mehr oder weniger eine einzige Botschaft zu überbringen: Den Sommerurlaub 2020 könnt ihr euch aufzeichnen. Also fortfahren dürft ihr schon, aber nicht viel weiter weg als einmal um den Block. Reisen ins Ausland? Ihr seid manchmal recht witzig, ihr Wähler.

Schallenkurz drückte es so aus: "Ich glaube, wir freuen uns alle, dass wir hier in Österreich auf einem guten Weg sind. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Staaten auf dem gleichen Weg sind, und dass einige Länder noch länger brauchen werden, um das Virus unter Kontrolle zu bringen." Köstingerkurz erläuterte im Anschluss für die ganz Begriffsstutzigen, was das heißt: Urlaub gibt’s, aber nur daheim, ideal wäre "ein Selbstversorger-Appartement in Österreich".

Millionen Frauen im Land werden in der Sekunde Freudentränen über die Wangen gekullert sein, so viele, als wären in ihren Augen Staudämme geplatzt. Für die Männer bedeutet "Selbstversorger-Appartement" Erinnerungen an Pfadfinderlager, Taschenfeitel, dreckige Gummistiefel, jeden zweiten Tag rasieren, abwechselnd zum Zähneputzen. Für die Frauen heißt "Selbstversorger-Appartement" kochen wie zuhause, putzen wie zuhause und die erschöpfte Truppe aus Mann und Maus, die den Tag genutzt hat, um an einem Bächlein einen Staudamm zu bauen, abends mit gut gespielter Euphorie nahzuversorgen: "Magst ein Bier?" Alles wie daheim. Schön! Schrecklich!

Ein kleines Stück nach Elisabeth Köstinger und Alexander Schallenberg betrat der Unterrichtsminister das Papamobil im Kanzleramt. Die Plexiglasscheiben bestanden ihren Elchtest, sie sind nämlich tatsächlich groß genug, um Heinz Faßmann dahinter verbergen zu können. Der Minister misst 2,03 Meter, leider aber verzichtete er auf den Gag, sich über die Oberkante zu beugen und "Guck-Guck" zu rufen oder mehr Grimassen zu schneiden als die übliche Tagesdosis. Faßmann informierte über die "Weight Watchers Matura" 2020, über die abgespeckte Version der Reifeprüfung also, drei statt vier Fächer, nur schriftliche Prüfungen, die Benotung soll sanft ausfallen.

Bei den Schulen blieb der Minister weiter vage, erst nach Ostern will er sich dazu erklären. Nach wie vor finde ich es seltsam, dass am Dienstag zunächst die Baumärkte aufsperren, die Schulen dann erst frühestens ein Monat später. In den Baumärkten werden sich viele Vertreter der Risikogruppe 60 plus tummeln, während die Jüngeren, die von Corona, nach allem, was wir wissen, seltener hart getroffen werden, daheim ausharren müssen. Pfusch am Bau schlägt Schulkakao. Vielleicht liegt es daran, dass Politik auch ein Handwerk ist. Irgendwie.

Nach dem ersten Lockdown dürfen am 14. April 2020 die Baumärkte wieder aufsperren
Nach dem ersten Lockdown dürfen am 14. April 2020 die Baumärkte wieder aufsperren
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13. April 2020 Ostern vorbei, nun beten wir Baumärkte an
Die Osternester sind geplündert, jetzt haben wir die Eier, um Hammer und Sichel kaufen zu gehen.

Möge der Rindenmulch heute mit Ihnen sein. Es wird ein wunderbarer Dienstag, ein Hammer sozusagen. Die Baumärkte dürfen wieder aufsperren. Spreizdübel, LED-Einbaustrahler, alles wieder käuflich zu erwerben, Rindenmulch auch, vor allem Rindenmulch.

In Ostern war schon einmal mehr Ostern drin, oder? Ostern, das war bisher Weihnachten auf Gras, also nicht das Rauschmittel, sondern das Grüne im Garten. Selbst wer nicht gläubig war, wertschätzte das Fest, die Bräuche, das Essen, das Zusammensein mit der Familie. Es war das Beste aus beiden Welten, was da zusammenkam, das Beste aus der religiösen Welt und der anderen Welt da draußen, die wir salopp Alltag nennen könnten.

Ein-Meter-Abstand? Brauch ma nicht mehr, jetzt hamma Maske
Neue Regeln im Supermarkt

Diese Ostern erlebte ich Bilder, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Die meisten hatten mit Einsamkeit zu tun. Der Papst mutterseelenallein im Petersdom, Andrea Bocelli mutterseelenallein vor und im Mailänder Dom beim "Ave Maria", Kardinal Christoph Schönborn so gut wie mutterseelenallein im Stephansdom. Keiner in echt da, der hustete, falsch sang, sich mit teurer Kleidung aufplustern wollte. Das Wenige machte ziemlich viel her.

Wie wäre Ostern eigentlich abgelaufen, wenn es vor rund 2.000 Jahren eine Pandemie gegeben hätte? Vorm Letzten Abendmahl wären die Jünger vermutlich Germ und Nudeln und Reis und natürlich Klopapier hamstern gegangen. Judas hätte Jesus dann wegen der Nichteinhaltung von Social Distancing bei Pontius Kurz verpfiffen. Den Gag mit den Nägeln, dem Kreuz und den noch nicht geöffneten Lagerhäusern basteln Sie sich bitte selbst zusammen, aber ich vermute, dass Jesus nach der Auferstehung von der Polizei einen Strafzettel über 50 Euro bekommen hätte, weil er ohne Anlegen einer MNS-Maske öffentlich in den Himmel hochgefahren war.

Was bei den Hamsterkäufen vor Ostern in Supermärkten auffiel: Die Schutzmasken machen die Leute unverwundbar. Man steht vor dem Regal mit Linsen, nein Linsen ist kein gutes Beispiel, die sind oft aus, also man steht vor dem Regal mit Sauerrahm, zack schießt eine Hand nach vorn und greift sich den Becher daneben. Ein-Meter-Abstand? Brauch ma nicht mehr, jetzt hamma Maske. Das wird im Baumarkt heute lustig beim Rindenmulch.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober während einer Pressekonferenz mit den Babelefanten
Gesundheitsminister Rudolf Anschober während einer Pressekonferenz mit den Babelefanten
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14. April 2020 Der Babyelefant tritt in unser Leben
Jetzt kommt es dick, die Regierung hat uns neu vermessen. Mit Gerätschaft aus den nun offenen Baumärkten?

Vielleicht läuft der Werbespot schon länger, ich jedenfalls habe ihn jetzt das erste Mal gesehen, irgendwann im Vorabendprogramm von ORF 2. Eine Frau im schwarzen Kleid und in einem beigen Mantel tritt auf, sie ist ganz euphorisch und wirkt ein bisschen wie auf Türkis, als sie folgendes sagt: "Ich halte durch und halte weiter Abstand. Mindestens einen Meter zu anderen, also so viel wie ein Babyelefant." Fürwahr, das sagt sie!

Ja, ja, ich weiß schon, wie Werbung funktioniert. Menschen sollen darüber reden, was gezeigt und gesagt wird, die Botschaft muss im Gedächtnis haften bleiben. Babyelefant merkt sich natürlich jeder besser als, sagen wir einmal, die Höhe der grünen Fläche einer Schultafel. Oder zehn Rollen Klopapier nebeneinander gelegt. Misst auch beides einen Meter. Elefanten sind auch sympathischer, die lachen irgendwie immer. Ob sie uns anlachen oder auslachen, weiß man nicht. Bei Menschen oft auch nicht.

Trotzdem: Was sagen Sie jetzt zu jemandem in der U4, der Ihnen zu nahekommt? "Würden Sie bitte einen Babyelefanten von mir wegrücken?" Trompeten Sie beim Joggen laut "töröö", damit alle Platz machen? Steigen Sie in Schönbrunn über den Zaun, messen das Stockmaß von Kibali nach, schneiden sich daheim einen Babyelefanten aus Pappendeckel zurecht und reiten dann auf ihm durch die neue Begegnungszone in der Schopenhauerstraße? Vorsicht, die Rettung kann auch kommen, wenn man kein Covid-19 hat.

Darf man das überhaupt noch Krise nennen, was wir haben, jetzt wo wieder alle Baumärkte offen haben? Und die Bundesgärten? Und die Waschstraßen? Ein sauberes Auto, Pelargonien am Balkon und ein Bankerl zum Draufsitzen mitten in Wien, es ist uns schon schlechter gegangen. Besser auch, das stimmt, aber schon auch schlechter. Vom ganz großen Glück sind wir vielleicht nur mehr einen Babyelefanten weit entfernt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (später im Jahr) mit einem Kind als "Babyelefant"
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (später im Jahr) mit einem Kind als "Babyelefant"
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Vielleicht empfinde das nur ich so, weil ich eine empfindsame Seele bin, aber seit wir in der Krise sind (wenn es denn noch eine Krise ist), redet die Regierung ein bisschen mit uns wie mit Depperln. Sie macht das vermutlich nicht mit Absicht, wie sie ja vielleicht vieles nicht mit Absicht macht, aber mich erinnert das immer an die Ärzte, die früher zu meiner Omi ans Krankenbett gekommen sind und gefragt haben: "Na, wie geht es uns denn heute?" Ich wollte dann immer sagen, "keine Ahnung wie es ihnen geht, aber meiner Omi eher mittelprächtig, sonst wäre sie nicht im Spital, sondern säße daheim in ihrer Hollywoodschaukel im Garten". Aber ich wollte, dass es ihr gut geht, also schwieg ich.

Der Kanzler zum Beispiel hat begonnen, uns jetzt immer mit "wir" anzureden. Dieses "wir" ist das "uns" der Ärzte von früher bei meiner Omi. Also Kurz sagt nicht, "bitte bleiben sie daheim!", sondern er sagte vor Ostern "wir bleiben daheim und verlassen das Haus nur für Einkäufe, um zur Arbeit zu gehen, jene zu unterstützen, die Hilfe benötigen oder zum Sport". Am Ostersonntag schrieb er uns dann einen netten Brief, er wollte sich vermutlich entschuldigen, dass er uns eingesperrt hat. In dem Schreiben stand unter anderem: "Wir wollen nächstes Jahr zu Ostern gemeinsam zurückblicken und sagen können: Gut, dass wir das Corona-Virus besiegt haben." Bei aller Liebe, ist nichts Persönliches, aber nächste Ostern wäre ich gern allein, ohne Kanzler auf dem Schoß, der mir sagt, warum ich worauf zurückblicken und was ich dabei empfinden soll.

Wenn Ihr euch deppert aufführt, ihr windigen Gfraster, dann sperre ich euch wieder ein
Sagte der Kanzler (mutmaßlich) nicht

Nun trat der Kurz erstmals nach Ostern wieder gemeinsam mit dem Vizekanzler, dem Gesundheitsminister und dem Innenminister öffentlich auf. Man hat sich an die Szenerie schon so gewöhnt, dass sie einem abgehen wird, wenn wir die Coronakrise einmal einen Babyelefanten hinter uns gelassen haben. Anschober hatte wie immer irgendwelche Taferln mit, die er später so schief und schräg in die Kamera hält, dass die Kurven, die nach oben gehen sollen, nach unten zeigten und umgekehrt. Inzwischen mag ich das.

Wir erfuhren wenig Neues an diesem Vormittag, aber man kann dem Virus jetzt nicht vorwerfen, dass es sich nicht ständig etwas Originelles einfallen lässt. Der Kanzler hatte viel Lob für uns übrig. Weil wir über Ostern tapfer gewesen wären und nicht viel geweint hätten, gebe es nun "einen ersten Schritt der Öffnung". Aber: "Sollten sich die Zahlen in die falsche Richtung entwickeln, werden wir selbstverständlich die Notbremse ziehen."

Er hätte natürlich auch sagen können, "wenn Ihr euch deppert aufführt, ihr windigen Gfraster, dann sperre ich euch wieder ein", aber wenn er so sprechen würde, dann wäre er nicht zum Kanzler der Herzen geworden, und das ist er ja jetzt, Umfragen lügen nicht. Und wenn doch, erfährt es niemand.

Nach den endlosen Tagen im Lockdown, winken uns jetzt also Freiheit und Freiheiten. Doch die Pandemie geht nicht, sie holt nur neu Luft. Und das tief. 

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Akt. Uhr
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