Tagebuch einer Pandemie

Corona-Kopfnüsse, Kapitel 4: Tage der Öffnung

Lesen Sie im vierten Teil der Corona-Tagebücher, wie Österreich jetzt Sport machen soll.

Die "Corona-Kopfnüsse – Tagebuch einer Pandemie" gibt es in mehreren Staffeln
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Wolfgang Kofler
Christian Nusser
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Kapitel 4: Tage der Öffnung

15. April 2020 Fingerlutschen und andere Sportarten

Sportminister Werner Kogler setzt nun auf den Hausverstand. Bei der Pressekonferenz dazu fehlte die neue Wunderwaffe. Noch?

Am besten wäre es so: Werner Kogler lädt noch einmal zur Pressekonferenz. Er zieht sich diesmal nicht die Schutzmaske über die Augen, sondern nur über Mund und Nase, das sollte auch reichen. Er positioniert sich in seinem Plexiglas-Papamobil so, dass er mit den Händen ausreichend gut nach links und nach rechts wacheln kann, ohne Karl Nehammer dabei zu ohrfeigen. Von mir aus soll er auch wieder ein rosa Hemd anziehen.

Dann sagt er ungefähr das: "Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, denen nach meinem Vortrag gestern der Schädel gebrummt hat. Mein Kanarienvogel hatte in der Nacht zuvor mein Redemanuskript gefressen, ich musste auf den Entwurf von letzter Woche zurückgreifen und als ich hier vor Ihnen stand, da bin ich draufgekommen, dass ich mir versehentlich das Backrezept für die Osterpinze aufs Rednerpult gelegt hatte. Also, ich sage Ihnen jetzt, wie das wirklich ist beim Joggen und beim Radeln und beim Tennisspielen und beim Kicken und zwar genau, das ist erlaubt, das verboten, Ende Gelände. Sorry, auch Steirer sind nur Menschen." Eigene halt, aber Menschen.

Das wird nicht passieren, leider muss ich sagen, denn selten hat mich eine Pressekonferenz ratloser zurückgelassen als der Auftritt des Vizekanzlers. Beim Laufen soll man jetzt sechs Meter, pardon sechs Babyelefanten, Abstand voneinander halten, beim Radfahren sollten es gleich 20 Babyelefanten sein, in die Berge darf man plötzlich und das ganz ohne Babyelefanten, weil der Firn lockt, aber bitte nicht alle gleichzeitig oder wie war das jetzt gemeint? Irgendwann im Laufe der Pressekonferenz sagte Kogler, wir sollten "uns das nicht jetzt sozusagen aus den Fingern lutschen". Was immer er damit auch gemeint haben könnte, es klang halt wie aus den Fingern gelutscht.

Vizekanzler Werner Kogler teilt unsere Begeisterung für Masken
Vizekanzler Werner Kogler teilt unsere Begeisterung für Masken
Helmut Graf

Der Vizekanzler ist ein pfiffiger Kerl, aber er ist nicht der Mann der einfachen Sätze, beileibe nicht, auch wenn es um etwas grundsätzlich Simples wie Sport geht. Dessen Bedeutung in Zeiten von Corona hätte er mit wenigen Worten umreißen können, also etwa "Bewegung ist wichtig" oder "nur kein Workout ist ein schlechtes Workout". Kogler aber sagte: "Es ist nützlich darauf hinzuweisen was für eine Bedeutung das Bedürfnis nach Bewegung hat und der Stellenwert der Gesundheit und des Sports an sich gerade in Zeiten wie diesen einerseits durch die Ausgangsbeschränkungen steigt natürlich das Bedürfnis nach Bewegung und zwar vor allem außerhalb der vier Wände". Bei den Journalisten vor Ort, die sich innerhalb der vier Wände des Kanzleramts, aber außerhalb der eigenen vier Wände befanden, kam der Satz an wie ein Wasserstoß aus dem Rüssel eines Babyelefanten.

Zum Glück wurde Kogler bald konkreter, es fiel das Wort, das diesen Vormittag bestimmen sollte, es lautete "Hausverstand". Die Regierung hat offenbar aufgegeben, Sachverhalte in Gesetze oder Verordnungen oder Erlässe zu verpacken, das ist ja doch nur Wegwerfware. Sie setzt jetzt auf Schwarmintelligenz. "Wir gehen vom Hausverstand aus und von der Logik", sagte Kogler und betrat dann gefährliches Terrain in diesem Land.

Wir gehen vom Hausverstand aus und von der Logik
Kogler orientiert sich um

Wir werden als Bundesregierung nicht jeden Quadratzentimeter regeln“, sagte er, "Fachverbände sollen das machen". An die neun Millionen Funktionäre, vom Kegelklub bis zum SC Pfitschigogerl Unterstinkenbrunn, erhoben sich in der Sekunde von ihren Obmann- und Obmannstellvertreter- und Kassier- und Kassierstellvertretersesseln, holten die Vereinsstatuten aus der Schreibtischschublade und begann mit heißen Ohren an der Zukunft des Breitensportes in Österreich zu arbeiten bzw. sie maßgeblich mitzugestalten. Auftrag ist Auftrag.

Kogler widmete sich unterdessen den Sportstätten, die er in die neue Freiheit entlassen will, namentlich "Leichthletikanlagen, Tennisplätze, Golfplätze, Pferdesportanlagen, Bogenschießen, Schießstätten überhaupt", auch Segelfliegen soll möglich werden. Da ist wirklich für jeden etwas dabei, für Ross und Reiter quasi. Ich finde es gut, dass die Schießstätten vor den Schulen öffnen, dass man jetzt wieder ein bisschen in der Gegend herumsegeln kann, auch unsere Pidging Wedges hatten zuletzt schon etwas Rost angesetzt, weil wir ja eher Löcher in den Himmel gestarrt haben als es uns gestattet war, Golfbälle in Löcher zu starren.

Nach wochenlanger Sperre wegen Corona werden die Spielplätze in Österreich wieder aufgesperrt
Nach wochenlanger Sperre wegen Corona werden die Spielplätze in Österreich wieder aufgesperrt
Helmut Graf

Beim Tennis aber wurde es dann heikel. Der Vizekanzler leitete die Passage so ein: "Wie ist das mit dem Ball?" Das frage ich mich auch oft, aber anders als Kogler, der eher nur eine Grundahnung vom Spielablauf haben dürfte. Er hatte sich deshalb die Expertise von Alexander Antonitsch geholt, ebenfalls ein pfiffiger Kerl, aber da hat er sich wohl einen Spaß mit dem Minister erlaubt. "Jeder Spieler", sagte Kogler nämlich, bezugnehmend auf Antonitsch, "hat seine eigenen Bälle, der andere greift sie nicht an".

Nur Einzel, keine Doppel, Sitzbänke weit auseinander, kein Handshake am Beginn, alles okay. Kogler forderte auch ein "anderes Verhalten am Netz" ein. Mag sein. Aber jeder Spieler soll seine Bälle verwenden, sie markieren und der andere darf sie nicht berühren? Wie soll das gehen? Muss ich dann nach einem Ballwechsel auf die Seite meines Gegners gehen und meinen Ball aufklauben und der Gegner muss beim nächsten Mal auf meine Seite wechseln, um sich seinen Ball dann bei mir zu holen? Ich stelle mir das, nun ja, etwas mühsam vor. Dann lieber Bogenschießen. Oder Segelfliegen.

Bei Schnellgehen kommen Studien auf vier bis fünf Meter Abstand
Werner Kogler definiert Joggen neu

In die Details will sich Kogler aber sowieso nicht einmengen. "Das ist nicht mehr Aufgabe der Bundesregierung." Der Rest obliege "Fachverbänden", die "dann in bester zivilgesellschaftlicher Tradition weitere Aufgaben übernehmen können". Bälle mit Filzstiften anmalen zum Beispiel, da wird man einige brauchen. Immer wieder appellierte der Sportminister an den "Hausverstand". Wenn der so wichtig ist, der "Hausverstand", dann sollte man ihn in die Verfassung schreiben, deren vom Bundespräsidenten gepriesene "Eleganz und Schönheit" wird deswegen schon nicht zum Teufel gehen.

"Hausverstand" werden wir in Hinkunft auch beim Joggen bitter nötig haben, und das verdanken wir dem Wirken der Technischen Universität Eindhoven und der Königlichen Universität Leuven, aus deren Studie Kogler schlussfolgerte: "Wir müssen, was Empfehlungen betrifft, ein bisschen nachschärfen." Ein kleines Lächeln ergriff Besitz von seinem Gesicht. "Beim Laufen wäre ein wesentlich größerer Abstand zu halten", sagte Kogler. "Bei Schnellgehen kommen Studien auf vier bis fünf Meter Abstand. Beim Laufen auf zehn Meter Abstand. Beim Fahrradfahren im Windschatten mit bei 30 km/h würden diese Empfehlungen auf 20 Meter lauten."

Man sollte auch diagonal versetzt rennen und nicht hintereinander, empfahl der Sportminister, weil der Vordere habe ein anderes Ausatemverhalten, der Hintere ein anderes Einatemverhalten. Hoffentlich wechseln die sich ab, sonst liegen demnächst auf den Joggingstrecken lauter Bewusstlose herum. Jedenfalls empfahl der Vizekanzler "rechtzeitig auszuscheren, wenn sie einen anderen überholen, damit man wieder auf einen diagonalen Abstand kommt". Der "Hausverstand", sie erinnern sich.

Finanzminister Gernot Blümel beim Fiebermessen im Postverteilzentrum Inzersdorf
Finanzminister Gernot Blümel beim Fiebermessen im Postverteilzentrum Inzersdorf
Sabine Hertel

16. April 2020 Nehammer will Corona nun "wegflexen"

Der Innenminister zeigt sich von der Öffnung der Baumärkte inspiriert. So einer muss in Österreich einfach Kanzler werden.

Die Polizei erweitert ihr Betätigungsfeld, sie fratschelt nun Corona-Kranke aus, erfuhren wir jetzt zu unserer Überraschung. Der Gesundheitsminister und der Innenminister pfiffen ausnahmsweise auf den Kanzler und seinen Vize und erschienen allein bei der täglichen Regierungsshow am Ballhausplatz. Es ging wohl auch darum, Österreich ein paar neue Begrifflichkeiten ins Jausensackerl für die Fahrt ins Wochenendhaus mitzugeben. Rudolf Anschober sprach von "Containment 2.0", dabei hatten wir uns noch nicht einmal "Containment 1.0" aufs Smartphone geladen. Dieses "Containment 2.0" beschäftigt sich mit "Kontaktpersonenmanagement".

Der Gesundheitsminister freute sich, dass er den Innenminister für das "Kontaktpersonenmanagement" im "Containment 2.0" gewinnen konnte und der Innenminister freute sich, dass er dem Gesundheitsminister für das "Kontaktpersonenmanagement" im "Containment 2.0" ein Angebot hatte machen dürfen. Wir waren weniger verblüfft, denn schließlich sitzen die beiden in derselben Regierung und eine Regierung ist ja nichts anderes als ein "Containment", in dem "Kontaktpersonenmanagement" betrieben wird, oder irre ich mich?

Aber da ist inzwischen mehr, es knistert zwischen den beiden, das merkt man. Ich will nicht sagen es ist Liebe, die da lodert, aber zumindest eine Freundschaft, eine politische Freundschaft. Die beiden, der Innenminister und der Gesundheitsminister, lobten einander mehrfach und ausdrücklich, fanden wertschätzende Worte für die Zusammenarbeit beim "Kontaktpersonenmanagement" im "Containment 2.0", dazwischen warfen sie sich neckische Blicke zu wie die Seerobben in Schönbrunn.

Es gehe darum, sagte Anschober, innerhalb von 24 Stunden zu klären, mit wem eine erkrankte Person Kontakt hatte. Ich stelle mir das grundsätzlich schwierig vor, überhaupt herauszufinden, an wem man im "Billa" alles unbekannterweise vorbeigegangen ist, aber bitte. Bisher hätten sich die Gesundheitsbehörden darum gekümmert, die seien aber "extrem belastet", die Exekutive wiederum sei "extrem gut und erfahren", eins kam zum anderen und deshalb klopft in Hinkunft nicht mehr das Gesundheitsamt bei Elfi Wondratschek an, wenn sie hustet und schnupft, sondern ein Rudel Polizisten im Schutzanzug. Vielleicht finde nur ich das verstörend, aber ich kann halt aus meinem "Containment 2.0" nicht so ohne weiteres heraus.

Wir sind sozusagen die Flex, die Trennscheibe für die Gesundheitsbehörden
Karl Nehammer über die neue Rolle der Polizei

Dann übernahm Karl Nehammer, dem die Ehegattin über Ostern offenbar wieder die Haare gekürzt hatte. Rechts vorne hat sie ein bisschen viel erwischt, ich sage es nur fürs nächste Mal, falls für Anfang Mai noch kein Friseurtermin vereinbart wurde – wird eng jetzt. Der Innenminister erläutert das "Kontaktpersonenmanagement" im "Containment 2.0" etwas näher, er sprach davon, dass die Polizei ein Sicherungshebel sein könne, "der umgelegt wird". Bei diesem Satz verpasste er dem Mikro mit dem Handrücken eine satte Watschen, es gab einen Brummton von sich, der klang wie ein Rülpser.

Das Mikro aber war nicht weiter nachtragend und so hörten wir, wie sich Nehammer den Polizeieinsatz vorstellt: "Eine Person ist erkrankt, die Gesundheitsbehörde stellt das Coronavirus fest, daraufhin gibt es die Verständigung an die Polizei. Die Polizei nimmt dann in erster Linie telefonisch Kontakt auf mit der betroffenen Person, sofern das möglich ist, damit man auch da keine neue Infektionsrisiken erzeugt. Sollte das nicht möglich sein, dann begibt sich die Polizei in der entsprechenden Schutzausrüstung zu der infizierten Person und fängt dann mit der Befragung an."

Leider fügte er ein Sprachbild an, das so gemalt wurde: "Wir sind sozusagen die Flex, die Trennscheibe für die Gesundheitsbehörden, um die Infektionskette rasch zu durchbrechen." Was heißt das jetzt? Die Polizei läutet an und wenn Elfi Wondratschek nicht gleich öffnet, flext sie die Wohnungstür auf? Sie sammelt Daten ein, die sie nichts angehen, Krankeninformationen nämlich? Nein, nein, versicherten die beiden Seerobben treuherzig, die Daten würden nur von den Gesundheitsbehörden erhoben. Und die Polizei hält sich bei ihren Einsätzen die Ohren zu? Lehnt dankend ab, wenn man ihr einen Ausweis zeigt? Fragt nicht nach Namen? Schreibt sich nichts auf? Macht die Augen zu? Hier ist die nächste Grenze gefallen, ihr könnt uns das ruhig so sagen, wir sind inzwischen einiges gewohnt.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Staatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) während einer Pressekonferenz mit dem Titel "Aktuelles im Bereich Kunst und Kultur sowie Veranstaltungen im Allgemeinen" am  17. April 2020
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Staatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) während einer Pressekonferenz mit dem Titel "Aktuelles im Bereich Kunst und Kultur sowie Veranstaltungen im Allgemeinen" am 17. April 2020
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19. April 2020 Der nächste Griff ins Klo

Nun werden auch für die Kultur Öffnungen angekündigt. Sie beginnen mit Schließungen.

Wieder so ein Wochenende mit einer erstaunlich großen Zahl an Corona-Experten, die alles aufsperren oder alles zusperren wollen, möglichst beides zur gleichen Zeit. Das Virus wird uns manchmal als Monster, dann wieder als Babyelefant vor Augen geführt. Eine Impfung gibt es in einem halben Jahr, einem Jahr, erst 2022, oder 2023, bis dahin wird unser Leben die Hölle, vielleicht aber schon in drei Wochen wieder ganz supi.

Wir sind ein gelehriges Volk. 8,8 Millionen Teamchefs, alle in der spielfreien Zeit blitzschnell umgeschult per WIFI-Kurs zu Epidemiologen. Weil es keine Europameisterschaft im Fußball gibt, könnte man heuer doch ein Panini-Album mit Virologen auf den Markt bringen. "Ich habe Drosten doppelt, willst Du vielleicht einen Streek eintauschen, der fehlt mir noch?" Die Deutschen, entnehme ich dem Online-Portal "Watson", suchten in den letzten vier Wochen auf Google häufiger nach Christian Drosten, neben Hendrik Streek der bekannteste Corona-Experte im Land, als nach Helene Fischer oder Heidi Klum. Vielleicht gibt es bald eine TV-Show "Germany’s next Virologe", mit "Atemlos" läge die passende Titelmusik ja schon vor.

In den USA und in Deutschland formieren sich jetzt die ersten Demos gegen die Ausgangssperren, Verschwörungstheorien bekommen plötzlich Arme und Beine. In Österreich gibt es noch keine Demos, unser Resonanzraum ist das Klo, das mit der Hamsterei von Toilettenpapier kann kein Zufall gewesen sein. Am Freitag gab Ulrike Lunacek eine Pressekonferenz. Die Kulturstaatssekretärin legte die Problemfelder offen, die sich durch Corona bei Theateraufführungen ergeben würden und landete, sie erraten es, am Häusl. "Wie schaut's aus bei den Toiletten?", fragte sie mehr sich selbst als die Anwesenden. "Muss Abstand gehalten werden ein Meter?"

Leider folgte keine nähere Erläuterung, was hier von wem einen Meter Abstand halten müsste. Es kann nämlich zu ziemlich unschönen Szenen kommen, wenn in Toiletten der Abstand zwischen dem Toilettenbesucher und dem Urinal einen Babyelefanten beträgt. Nicht jeder trifft auf die Entfernung, nicht jeder schafft sie überhaupt. Von Klomuscheln und den damit verbundenen üblen Geschäften will ich jetzt einmal gar nicht reden. Etwas später resümierte Werner Kogler: "Man muss am Schluss nur aufpassen, sage ich dazu, dass man selber nicht skurril wird." Tja!

Lunacek und Kogler informierten die Öffentlichkeit darüber, wie man die Kultur durch die Viruszeit bringen will. Angekündigt waren "Lockerungen", seltsamerweise bedeutet bei uns neuerdings "Lockerung" nicht, dass man etwas lockert, sondern nur, dass man etwas nicht fester zuzieht. Kinos, Theater, Opernbühnen, Sommerevents, Werkstätten, Ateliers, Tonstudios, Probebühnen bleiben vorerst einmal geschlossen, Konzerte gibt es vorderhand keine, wurscht wo. Die "Lockerung" bezog sich vielleicht darauf, dass man sich locker machen sollte für die Zeit der "Wiederauferstehung", wann das sein wird, blieb unklar. Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage: Jesus war schneller aus dem Grab.

Blick auf eine Filiale der Fastfood-Kette Mc Donalds, von der Pandemie leergefegt, jetzt ging eine Luke auf
Blick auf eine Filiale der Fastfood-Kette Mc Donalds, von der Pandemie leergefegt, jetzt ging eine Luke auf
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20. April 2020 Burger-Polizei fasst Big Mac

Fast and Furious. In Österreich öffnete McDonalds wieder – zumindest eine Luke.

Fünf Wochen dauert unsere Haft schon. Oder sind es bereits sechs? Dazwischen gab es irgendein Fest, Ostern vielleicht, oder war es doch Weihnachten? Sebastian Kurz hatte vier Gründe genannt, warum man vor die eigene Wohnungstür gehen darf, nicht drei und nicht fünf, die Regierung war in letzter Zeit recht streng mit uns, zurecht natürlich, wir sind ja doch ein wilder Haufen Hippies. Wir durften folglich raus, um einzukaufen, um jemanden zu pflegen, um Sport zu machen oder arbeiten zu gehen, wegen der vier großen M also: Markt, Mutti, Mucki, Mörtel.

Wenn keiner passte, dann hat man halt Pech gehabt, dann blieb man drin. Die ganzen fünf oder sechs Wochen lang, auch rund um Weihnostern. Der Kanzler wird schon wissen, was er sagt. Und wenn nicht, wer soll das beweisen? Die Opposition? Ich weiß, sie haben es gern lustig.

Jedenfalls war es am Montag so weit, plötzlich hatten alle einen neuen triftigen Grund, um rauszugehen, denn McDonald’s sperrte auf. Also eigentlich sperrte er nicht auf, sondern er öffnete eine Luke, ein Fenster zum Hof, wie die Cineasten vielleicht eher sagen würden, und über dieses Fenster zum Hof wurde Essen gereicht. Sackweise.

Die Österreicher, gut genährt, aber trotzdem hungrig und durstig nach Wochen im verschärften Arrest, stürmten das Food aber so was von Fast, dass man direkt Angst bekommen konnte, selbst nichts mehr zu kriegen, auch wenn man gar nichts wollte. Nach Engpässen bei Klopapier und Germ droht nun der Burgernotstand, es geht immer noch eine Stufe absurder in diesem Land.

Überall gab es lange Staus vor der Essensausgabe, sogar der Verkehrsdienst im Radio warnte, manche Blechkolonne war bis zu einem Kilometer lang. Eine Stunde und mehr benötigte man in vielen Filialen, man wartete sich zum Laberl, ehe man eines in die Hände gedrückt bekam. Weil Zeit etwas ist, das derzeit nichts kostet, blieben die meisten geduldig, es wurde matt gehupt, wenn sich wieder jemand nach vorne geschwindelt hatte. Ein paar Mal kam die Polizei. Aber so ist das halt beim Mittagessen in Österreich.

Nach dem Aufsperren der Baumärkte ist das Fenster zum Hof unser zweiter Schritt in Richtung Normalität. Man könnte jetzt einwenden, dass es für ein Kulturland wie Österreich vielleicht schmückender wäre, wenn es Festspiele gäbe statt Festessen, aber wenn man fest isst, dann ist das ja auch eine Art Event und schon ist wieder alles im Lot. Mitte Mai sperren dann die restlichen Gastro-Lokale auf, man darf ungeschützt rein, auf Dauer wäre es auch mühsam gewesen, mit Maske zu trinken und zu essen. Vor allem Backerbsensuppen.

Flashmob von Wiener Gastronomen gegen die Coronaschließung am 29. April 2020
Flashmob von Wiener Gastronomen gegen die Coronaschließung am 29. April 2020
Sabine Hertel

21. April 2020 Brotaufstrich attackiert Innenminister

Die Regierung zeigte sich von ihrer verletzlichen Seite. Mit der "neuen Normalität" spielt man halt nicht.

Er kam, sah und sagte nichts. Also natürlich sagte Kanzler Sebastian Kurz etwas, er sagte vor allem, wer uns in den nächsten Tagen etwas sagen wird. Aber vom Informationsgehalt war es eine eher dünne Suppe, die hier angerichtet wurde, mehr eine Inhaltsangabe als eine Pressekonferenz, aber trotzdem sehr schön.

Als das "virologische Quartett" sich am Dienstag unter Einhaltung des Mindestabstandes von einem Babyelefanten, eines Ameisenbären oder von 14 Flaschen Wein Richtung Papamobil vorarbeitete, war ein bisschen was anders. Trickreich traten der Kanzler, der Vizekanzler, der Gesundheitsminister und der Innenminister diesmal aus einer anderen Tür als die letzten Male. Karl Nehammer ging erstmals voran, dann folgten Werner Kogler, Sebastian Kurz und zuletzt Rudolf Anschober, der eine grüne Schutzmaske aufhatte, soweit ich das sehen konnte sogar richtig herum.

Von der Herrenoberbekleidung her blieb alles weitgehend gleich, Kurz, Anschober und Nehammer trugen die Anserpanier, also blauer Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte, Kogler wählte diesmal beim Hemd ein dezenteres Blau. Von der Begrifflichkeit her stellte uns das "virologische Quartett" das Wort "Eigenverantwortung" neu zur Disposition zur Verfügung, es kam im Laufe der Veranstaltung häufig vor. Ich glaube "Eigenverantwortung" gehört jetzt zur neuen Normalität. "Die neue Normalität ist nicht die alte Normalität, die wir kennen, sondern eine neue Normalität", sagte der Kanzler später, er wird wissen, was gemeint ist.

Ich darf jetzt auf die Details eingehen
Sebastian Kurz macht einen Witz

Was kaum jemand bemerkte: Karl Nehammer absolvierte die als Pressekonferenz getarnte Inhaltsangabe unter großen Schmerzen, er biss die Zähne noch mehr zusammen als er die Zähne sonst schon zusammenbeißt. Am Zeigefinger seiner linken Hand sah man ein kleines Pflaster, das notdürftig eine Wunde verdeckte, die sich der Innenminister dieser Tage zugezogen hatte und schuld daran war eine lachende, rote Kuh, kein Witz. Als Nehammer nämlich spätabends von einer Sitzung aus dem Kanzleramt heimkam, übermannte ihn der Hunger. Er griff zu "La Vache qui rit" und versuchte den Brotaufstrich unter Zuhilfenahme eines Wellenschliffmessers auf ein Stück Gebäck zu bringen, was einerseits gelang, andererseits scheiterte.

Also "La Vache qui rit", laut Eigenangabe des Herstellers von "sahnig-cremigem Geschmack", landete schon auf dem Brot, das Wellenschliffmesser aber zwischen dem ersten und zweiten Glied des Zeigefingers. Alles ging gut aus, Nehammer überlebte knapp. Haushaltsverletzungen dieser Dimension sind eine Untergruppe des Männerschnupfens, also natürlich sehr ernst zu nehmen, aber in der Regel gut behandelbar. Jedenfalls stand der Innenminister ansonsten unversehrt an der Seite von Werner Kogler und wartete, um wie üblich als Letzter des "virologischen Quartetts" ans Wort zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt ist vor dem Fernseher üblicherweise bereits ein erheblicher Teil des Publikums eingeschlafen, auch das zweite Frühstück kann müde machen, es muss gar keine lachende Kuh auf dem Teller gewesen sein.

Zu Beginn redete der Kanzler, er brachte rasch das Kapitel Dank und Anerkennung hinter sich, sah zwei Wochen nach Anschober ebenfalls das "Licht am Ende des Tunnels", warb dann erneut für seine Einräumungs-Gleichung ("so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig") und sagte dann einen Satz, der sich schnell als reichlich übertrieben herausstellen sollte, denn er lautete: "Ich darf jetzt auf die Details eingehen."

Besuch von Ministerin Elisabeth Köstinger im Wiener Lokal "Ofenloch" anlässlich der Wiederöffnung der Gastronomiebetriebe
Besuch von Ministerin Elisabeth Köstinger im Wiener Lokal "Ofenloch" anlässlich der Wiederöffnung der Gastronomiebetriebe
Helmut Graf

Eingehen kann ja mehrerlei bedeuten, Vertiefung etwa, beim Wäschewaschen allerdings heißt "eingehen", dass etwas kleiner wird als es vorher war und so geschah es auch hier. Der Kanzler ging auf ein Thema ein, das sehr schnell einging, ständig warf er neue Stücke in die Trommel, die dort in Windeseile schrumpften. Dieses eingehende Eingehen, erbrachte folgende Erkenntnisse:
Die Ausgangsbeschränkungen kommen Ende April neu, Details dazu kommenden Dienstag. Am 15. Mai starten die Schulen wieder mit Unterricht, Details am Freitag. Die Gastronomie öffnet ebenfalls am 15. Mai wieder, Details dazu am Dienstag. Auch in die Kirchenhäuser darf man ab 15. Mai wieder rein, Details am Donnerstag. Der Sommerurlaub wird irgendwie neu geregelt, Details dazu irgendwann.

Bis es so weit ist, Sommer also, wird in diesem Land noch einiges rauf- und runtergefahren. Ich finde es erstaunlich, wie schnell sich Begriffe durchsetzen. Alles wird derzeit rauf- und runtergefahren. Gastro? Fahren wir rauf. Krankheitszahlen? Fahren wir runter. Schulen? Fahren wir rauf. Es sei "keine Schande", seine Kinder in Betreuung zu geben, sagte Kurz, als es um das Rauffahren der Kindergärten ging. Das freut uns. Man gibt seine Kinder einfach leichteren Herzens weg, wenn der Kanzler einem das nicht an den Kopf wirft.

Dann ist Kogler dran, eine Zusammenfassung seines Vortrages ist wie immer schwierig, "Eigenverantwortung" kommt darin vor, das habe ich mir gemerkt, und auch er fährt alles Mögliche rauf, droht gleichzeitig aber mit dem Runterfahren, wenn wir uns nicht reif genug für die "Eigenverantwortung" erweisen. Er will nämlich "keine 1.000 Ischgls streuen in Österreich". Seine Maske hat er einfach so hingeworfen vor sich auf das Glaspult, vor Kurz sieht es so aus als hätte er für den Besuch der Schwiegermutter zusammengeräumt. Die Maske ist feinsäuberlich gefaltet, die beiden Spickzettel liegen akkurat nebeneinander, die neue Normalität halt. Kogler spricht lieber von einer "gewohnten Normalität", die es nicht geben wird, "bis ein Impfstoff da ist". Wir freuen uns wie die Kühe auf weitere 50 bis 100 Pressekonferenzen bis dahin. "La Vache qui rit".

Eine Kuh macht muh, viele Kühe machen Mühe. Wer dachte, mehr Verwirrung geht nicht, hatte nicht mit unserer Regierung gerechnet.

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