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Jobkiller China-Züge? "Das ist eine Micky-Maus-Bestellung"

2019 bestellt, seit drei Jahre im Testbetrieb, nun Teufelszeug? Die private Westbahn kaufte Zuggarnituren aus China. Und befeuert damit Ängste bei Arbeitnehmern: Kommt jetzt der große Jobabbau? "Aber nein", sagt Ex-Kanzler und Bahn-Manager Christian Kern.

158 Meter lang und bis zu 200 km/h schnell: der neue "Panda"-Zug der Westbahn wird in China produziert
158 Meter lang und bis zu 200 km/h schnell: der neue "Panda"-Zug der Westbahn wird in China produziertPicturedesk
Martin Kubesch
Akt. 11.11.2025 00:59 Uhr

Donald Trump verhängt Zölle nach Gutdünken, China kontingentiert den Export von Computerchips und Seltenen Erden und die Künstliche Intelligenz lässt im Bereich der Digitalisierung keinen Stein auf dem anderen.

Die Weltwirtschaft befindet sich derzeit im radikalsten Umbruch seit Beginn der Industrialisierung. Und Österreich als verhältnismäßig kleiner Mitspieler muss in dieser Situation schauen, wo es bleibt.

Viele Branchen stehen derzeit besonders unter Druck – allen voran die Automobil- und Autozulieferindustrie. Vor allem E-Auto-Importe aus China setzen ihr gehörig zu. Insgesamt gingen alleine im zweiten Quartal 2025 knapp 20.000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren.

Und auch im Eisenbahn-Business stehen die Zeichen auf Sturm. Wie schon bei den E-Autos, drängt China auch hier mit aller Gewalt in den Markt. Schon in wenigen Wochen könnten die ersten Züge Made in China über das rot-weiß-rote Schienennetz donnern.

Wie Chinas Eisenbahnindustrie in Österreich einen Fuß auf den Boden bekommen hat, wie groß die Gefahr für den Standort Österreich dadurch ist und welche Rolle die private Westbahn-Gesellschaft dabei spielt – das müssen Sie über Chinas Bahn-Offensive wissen:

Westbahn-Haupteigentümer Hans Peter Haselsteiner mit seinen Geschäftsführern Marco Ramsbacher (Mitte) und Thomas Posch
Westbahn-Haupteigentümer Hans Peter Haselsteiner mit seinen Geschäftsführern Marco Ramsbacher (Mitte) und Thomas Posch
RENE STEIGBERGER / APA / picturedesk.com

Worum geht es?
Das private österreichische Eisenbahnunternehmen Westbahn wird in wenigen Wochen die ersten Züge aus chinesischer Produktion durchs Land schicken. Dafür hat man beim weltgrößten Zug-Hersteller, der chinesischen CRRC, eingekauft.

Und weshalb sollte das ein Problem sein?
Weil die heimische Eisenbahnindustrie dadurch mittelfristig unter Druck geraten könnte, kritisieren der Industrieverband VBI, aber auch SPÖ, FPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer einhellig.

Wie bedeutend ist die heimische Eisenbahnindustrie?
Man darf das nicht unterschätzen. Gut 34.000 Personen sind dort österreichweit beschäftigt, die Auftragsbücher sind knallvoll, die Exportzahlen hervorragend. Heimisches Bahn-Know-how ist weltweit geschätzt und angesehen, hier haben wir nach wie vor die Technologieführerschaft und zahlreiche Patente – bis jetzt zumindest.

Und das alles sieht man durch die Westbahn gefährdet?
Primär wird befürchtet, dass die Westbahn ein Türöffner für Chinas Eisenbahn-Industrie sein könnte.

Wem gehört Westbahn?
Mehrheitlich dem Milliardär Hans Peter Haselsteiner, die französische Eisenbahngesellschaft SNCF hat eine Minderheitsbeteiligung.

Was weiß man über die chinesischen Zuggarnituren?
Jede Garnitur besteht aus sechs Wagen inklusive Triebwagen, Gesamtlänge 158 Meter. Die Waggons sind doppelstöckig, die Garnituren bieten insgesamt 536 Sitzplätze und sind bis zu 200 km/h schnell.

Wo sollen die neuen Garnituren zum Einsatz kommen?
Auf der West-Strecke, also zwischen Wien, Salzburg und weiter nach Innsbruck und Lindau bzw. über München nach Stuttgart.

Sind die China-Züge bereits im Einsatz?
Nein, sie sind noch nicht für den Personenverkehr zugelassen, sondern nach wie vor im Probebetrieb. Die Westbahn geht aber davon aus, dass die Garnituren spätestens mit in Kraft treten des Winterfahrplans am 14. Dezember einsatzbereit sein werden.

Weshalb hat Westbahn ihre neuen Züge überhaupt in China gekauft?
Weil die Wartezeiten bei europäischen Herstellern wesentlich länger gewesen wären, sagt Westbahn-Eigentümer Hans Peter Haselsteiner. "Dort ist man mittlerweile kein Besteller, sondern ein Bittsteller", übt sich der Milliardär in Zynismus.

Drei Jahre lang wurde der neue Zug aus China getestet, demnächst soll er die EU-Zulassung erhalten
Drei Jahre lang wurde der neue Zug aus China getestet, demnächst soll er die EU-Zulassung erhalten
Westbahn Management GmbH/Zinell

Was ist damit gemeint?
"Europas Eisenbahn-Hersteller können sich vor Aufträgen kaum retten, da sie quasi eine Monopolstellung haben", erklärt der ehemalige Bundeskanzler, frühere ÖBB-Vorstand und jetzige Manager Christian Kern. Er führt die European Locomotive Leasing Group, mit der er Lokomotiven in ganz Europa an Bahngesellschaften verleast und wartet. Er kennt das Business wie seine Westentasche.

Woher kommt diese Monopolstellung?
Es würden immer wieder Hersteller wegbrechen, weil sie Umstellung vom Hardware-getriebenen zum Software-getriebenen Unternehmen nicht schaffen würden, so Bahn-Manager Christian Kern. "Jene Hersteller, die übrig bleiben, können sich dann aussuchen, welche Aufträge sie zuerst erfüllen wollen." Denn Bahnfahren boomt und die Auftragsbücher sind voll wie die Züge vor Weihnachten.

Was ist mit dieser Hardware-Software-Sache gemeint?
Bei Zügen würde heute nicht mehr die Hardware, also die Lok oder Waggon an sich, den Unterschied machen, sondern die Software, mit der diese betrieben werden. Denn die Systeme werden immer komplexer. Und nur, wer mit dieser Entwicklung Schritt halten und Züge auf die Schiene stellen kann, die auch wirklich funktionieren, wird langfristig übrig bleiben.

Und das treibt die Kosten nach oben?
Richtig. "Die Preise für Loks und Waggons aus europäischer Produktion haben sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt," sagt Bahn-Experte Kern.

Und da kommt China ins Spiel?
Richtig. Vor allem der weltgrößte Hersteller, die chinesische CRRC (China Railway Rolling Stock Corporation, ca. 30 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr) hat großes Interesse daran, in Europa Fuß zu fassen. Deshalb versucht man bereits seit Jahren, das Europa-Geschäft anzukurbeln – übrigens von der Europa-Zentrale im DC-Tower in Wien aus.

Und hat in der Westbahn jetzt einen Partner gefunden?
Ja – wobei "jetzt" etwas schwammig formuliert ist. Denn der Westbahn-Auftrag für die vier Garnituren wurde bereits 2019 erteilt. Ausgeliefert wurden die Züge dann 2022 – das ist ziemlich schnell, im Vergleich zu europäischen Herstellern.

Und der Preis war auch besser?
Davon ist auszugehen. Was man weiß: Laut Westbahn betrug der Kaufpreis für die vier Garnituren (à je sechs Waggons) 70 Millionen Euro. Die Westbahn wird diese allerdings für die ersten zehn Jahre leasen. Ob man die Zuggarnituren danach kauft, wird sich zeigen.

Erklärt die Welt der modernen Eisenbahn: Ex-Kanzler und Ex-ÖBB-Manager Christian Kern
Erklärt die Welt der modernen Eisenbahn: Ex-Kanzler und Ex-ÖBB-Manager Christian Kern
HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Welche Lebensdauer haben solche Züge eigentlich?
Die vier Garnituren aus China sind auf eine Betriebsdauer von 30 Jahren ausgelegt.

Was hätten die Züge gekostet, wenn die Westbahn sie in Europa gekauft hätte?
Schätzungen gehen davon aus, dass der Kaufpreis für vergleichbare Züge aus europäischer Fertigung heute bei etwa 100 Millionen Euro liegen würde.

Aber weshalb sind die vier Garnituren dann nicht längst im Einsatz, wenn sie bereits 2022 ausgeliefert worden sind?
Weil die Zulassungsprüfungen so lange dauern. Das Modell – es heißt übrigens Panda – wurden speziell für den Bedarf der Westbahn entwickelt. Heißt: Es gab bisher keine EU-Zulassung dafür. Und deshalb werden die Züge jetzt seit drei Jahren auf Herz und Nieren geprüft. Die Westbahn geht davon aus, dass die Zulassung in den nächsten Wochen erteilt werden sollte.

Was wird da alles überprüft?
Laut Westbahn werden Systeme wie Bremsen, die komplette elektrische Anlage, die Fahrtechnik und die Sicherheitssysteme genauestens unter die Lupe genommen, ehe die EU-Freigabe dafür erteilt wird.

Sind so lange Zulassungszeiten normal? Oder handelt es sich um eine Retourkutsche, weil man nicht in Europa gekauft hat?
Laut übereinstimmenden Aussagen von Westbahn und Branchenexperten sind solche langen Zulassungs-Überprüfungen vollkommen normal. Christian Kern mit mit einem noch krasseren Beispiel aufwarten: "Als ÖBB-Chef habe ich 2016 die neuen Nachtzüge-Garnituren bestellt" erinnert er sich. "Diese wurden dann erst 2024 zugelassen, also acht Jahre nach der Bestellung."

Kamen die ÖBB-Nachtzüge auch aus China?
Nein, von Siemens aus München. Trotzdem dauerten Planung, Produktion und Zulassung am Ende acht Jahre.

Hat überhaupt bereits jemand in Europa zuvor chinesische Garnituren eingekauft?
Es gibt einige wenige Beispiele, etwa in Ungarn. Aber der Westbahn-Auftrag ist der prestigeträchtigste Auftrag für CRRC bisher.

Hätte man die Züge in Europa gekauft, wäre man dann schneller bedient worden?
Das hängt vom Auftragsvolumen ab. Hätte man bereits bestehende und zugelassene Züge gekauft, wäre es schneller gegangen – theoretisch. Denn die Zulassung wäre reine Formsache gewesen. Aber wie erwähnt, die Auftragsbücher der wichtigsten europäischen Hersteller – Siemens (aus Deutschland), Alstom (aus Frankreich) und Stadler (aus der Schweiz) sind voll. Und hätte man sich in Europa – so wie jetzt in China – einen komplett neuen Zug bauen lassen, hätte die Zulassung vermutlich ebenso lange gedauert wie jetzt.

Prestigeprojekt: Der "Fuxing Bullet Train" von CRRC ist bis zu 350 kmh schnell, fährt aber nur in China
Prestigeprojekt: Der "Fuxing Bullet Train" von CRRC ist bis zu 350 kmh schnell, fährt aber nur in China
Yang Shiyao Xinhua / Eyevine / picturedesk.com

Und mit den Lieferverzögerungen hätte es wahrscheinlich noch länger gedauert, oder?
Wahrscheinlich. Und vor allem wäre es wohl teurer geworden.

Sollte Westbahn die gleichen Modelle nochmals ordern, geht es dann schneller?
Ja, weil dann die komplizierte Neuzulassung wegfällt.

Und ist das geplant?
Dazu will man sich derzeit nicht äußern.

Unterscheiden sich die neuen Garnituren von den bisherigen?
Ja, die neuen Fahrzeuge von CRRC haben mehr Sitzplätze (536 im Vergleich zu 506), sie sind um acht Meter länger und gleichzeitig  energieeffizienter als die bisherigen Modelle – die China-Züge verbrauchen bis zu 10 Prozent weniger Strom.

Wäre CRRC nicht auch ein interessanter Lieferant für die öBB?
"Ich denke schon", sagt Ex-ÖBB-Vorstand Christian Kern. "Auch, weil man die Wertschöpfung zum Teil auch nach Europa holen könnte."

Wie ist das gemeint?
CRRC kooperiert in manchen Bereichen mit europäischen, auch mit österreichischen Herstellern. Bei den Westbahn-Zügen sind etwa die Kaffeemaschinen aus der Schweiz und die Snack-Automaten aus Spanien. Aus Österreich kommen die Türen (IFE, Waidhofen an der Ybbs) und die Bremsen (Knorr, Mödling). Und der Teppich kommt von Forbo Flooring Austria. "Der Zug ist etwa zur Hälfte chinesisch und zur Hälfte europäisch", so Westbahn-Besitzer Hans Peter Haselsteiner.

Also ist China jetzt eine Gefahr für Europas Eisenbahnindustrie oder ein Partner?
Das hängt natürlich vom Standpunkt ab, aus dem man die Sachlage betrachtet. Realistisch gesehen ist die Gefahr, die vom Eintritt von CRRC auf dem österreichischen Markt ausgeht, wohl eher vernachlässigbar.

Was sagt Markt-Experte Christian Kern dazu?
Nein: "Der Marktanteil der europäischen Hersteller liegt in Europa bei etwa 99,8 Prozent." Ein paar Züge – Kern nennt die Westbahn-Order eine "Micky-Maus-Bestellung" – änderten an dieser Überlegenheit gar nichts. Gleichzeitig würden sie aber Türen öffnen und wichtige Signale senden.

Knorr-Bremse ist Weltmarktführer bei Zugbremssystemen. Die Österreich-Tochter in Mödling hat auch an den neuen Westbahn-Zügen mitgearbeitet
Knorr-Bremse ist Weltmarktführer bei Zugbremssystemen. Die Österreich-Tochter in Mödling hat auch an den neuen Westbahn-Zügen mitgearbeitet
Matthias Balk / dpa / picturedesk.com

Was ist damit gemeint?
Nochmals Christian Kern: "China ist längst zu wichtig und zu groß, man kann sie nicht einfach von unseren Märkten aussperren." Dazu käme, so der frühere Bundeskanzler, dass es in der Wirtschaft immer ein Geben und ein Nehmen sei: "Wir wollen ihre Computerchips und ihre Seltenen Erden für unsere Produktion, also müssen sie auch hier Geschäfte machen dürfen."

Und was ist mit der Kritik, dass die Westbahn staatliche Förderung für das Klimaticket erhalte und dementsprechend die heimische Industrie schützen müsste?
Die Westbahn sei per Gesetz dazu verpflichtet, das Klimaticket in ihren Zügen anzuerkennen, so das Unternehmen. Dadurch würden Einnahmen aus regulären Tarifen wegfallen. Dieser Entgang werde der Westbahn, wie auch allen anderen Beförderungsunternehmen, in denen das Klimaticket gilt, vom Staat ersetzt. Mit einer staatlichen Förderung habe das überhaupt nichts zu tun.

Martin Kubesch
Akt. 11.11.2025 00:59 Uhr