In einem neuen Video spricht erstmals jene Bergsteigerin, die beim Unfall an der Seite von Ex-Biathletin Laura Dahlmeier war. Ihre Aussagen rücken einige Aspekte der Tragödie in ein anderes Licht – und werfen neue Fragen auf. Die Entwicklungen im Überblick.
"Es war Laura Dahlmeiers ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille, dass in einem Fall wie diesem, niemand sein Leben riskieren darf, um sie zu bergen. Ihr Wunsch war es, ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen. Dies ist auch im Sinne der Angehörigen, die außerdem ausdrücklich darum bitten, Lauras letzten Wunsch zu respektieren."
In einem Presse-Statement von Mittwoch Nachmittag auf der Instagram-Seite von Laura Dahlmeier lässt das Management der ehemaligen Weltklasse-Biathletin keinen Spielraum mehr für die Hoffnung auf ein Wunder. Zu schwer wiegen nach Darstellung des Managements die Indizien, dass die 31-jährige Sportlerin bereits unmittelbar nach ihrem Absturz am vergangenen Montag am Berg Lailas Peak in Pakistan gestorben sei.
Dahlmeier sei zwar von einem Hubschrauber aus gesichtet worden, Lebenszeichen wären aber "nicht wahrnehmbar gewesen", so das Management in seiner Stellungnahme weiter. Deshalb hat man die Bayerin aus Garmisch-Partenkirchen am Mittwoch schließlich für tot erklärt. Gestorben an den Folgen eines Steinschlags auf etwa 5.700 Metern Höhe. "Auf Grundlage der Erkenntnisse … ist vom sofortigen Tod Laura Dahlmeiers auszugehen", heißt es auf Instagram.
Einen Tag lang, von der ersten Unfall-Meldung am Dienstag kurz vor 14.30 Uhr, bis Mittwoch Nachmittag kurz vor 15 Uhr, hofften und bangten unzählige Menschen weltweit um das Leben der beliebten Sportlerin. Umso größer war die Fassungslosigkeit, als schließlich die Todesnachricht kam. Was in jenen Stunden dazwischen geschah, oder auch nicht geschah, und weshalb man sich schließlich dazu entschloss, der ehemaligen Weltklasse-Athletin "einen sofortigen Tod" zu attestieren – das müssen Sie dazu wissen:
Worum geht es? Die ehemalige deutsche Spitzensportlerin Laura Dahlmeier, 31, wurde am Nachmittag des 28. Juli, also vergangenen Montag, bei einer Bergtour im Karakorum-Gebirge in Pakistan durch einen Steinschlag schwer verletzt und ist dabei abgestürzt. Der Unfall soll sich Montag mittags Ortszeit, also zwischen etwa 8 und 10 Uhr früh europäischer Zeit, ereignet haben. Der Zeitunterschied zu Pakistan beträgt vier Stunden.
Was weiß man über den Unfallhergang? Dahlmeier war gemeinsam mit einer zweiten Bergsteigerin an einem Berg namens Lailas Peak unterwegs, als es zu dem Unglück kam. Ihre Seilpartnerin, Marina Krauss, war nach eigener Aussage mit Dahlmeier beim Abstieg vom Gipfel des 6.069 Meter hohen Berges, als die Frauen in einer Höhe von etwa 5.700 Metern von Steinschlag überrascht wurden.
Wurden beide Frauen getroffen?
Krauss, die sich dabei offenbar unterhalb von Dahlmeier befand, blieb unverletzt. Laura Dahlmeier wurde aber von Felsen getroffen. Der Hergang des Unglücks sowie alle weiteren bekannten Schritte werden auf der Instagram-Seite von Laura Dahlmeier durch ihr Management ausführlich dargestellt.
Wie ging es danach weiter?
Krauss setzte nach eigenem Bekunden sofort einen Notruf ab, worauf "umgehend eine Rettungsaktion" eingeleitet wurde. Anschließend bemühte sich Dahlmeiers Bergsteigerkameradin über Stunden, die Verunglückte zu bergen. Das sei aber aufgrund des schwierigen Geländes und der anhaltenden Steinschlaggefahr nicht möglich gewesen. Außerdem seien keine Lebenszeichen von Dahlmeier mehr zu vernehmen gewesen. Deshalb entschied sie sich nach eigener Aussage in der Nacht schließlich "für einen Rückzug aus der Gefahrenzone und den weiteren Abstieg".
Krauss soll nach dem Absturz aber noch Kontakt mit Dahlmeier gehabt haben?
Darüber berichtete zunächst die pakistanische Zeitung The Dwan, die Deutsche Presseagentur bestätigte diesen Bericht später unter Berufung auf einen Funktionär vor Ort. Demnach hätte Krauss noch mit Dahlmeier kommuniziert, war aber nicht in der Lage, sie zu erreichen. Seitens des Managements gibt es dafür keine Bestätigung. Vielmehr wird berichtet, dass Krauss keine Lebenszeichen von Dahlmeier wahrgenommen hätte, ehe sie sich selbst an den Abstieg machte.
Wohin stieg Dahlmeiers Bergpartnerin ab?
Sie wollte auf jeden Fall zum Basislager des Lailas Peak, das auf einer Höhe von etwa 3.550 Metern liegt. Sie sei dort wohlbehalten, unverletzt und körperlich in guter Verfassung angekommen, so übereinstimmende Berichte, werde aber "betreut". Zudem seien Bergsteiger aus dem Basislager aufgestiegen und hätten sie bei ihrem Abstieg begleitet – so jedenfalls die ersten Meldungen, die allesamt nur über das Management von Laura Dahlmeier bekannt gegeben wurden.
Wie ging die Rettungsaktion weiter?
Aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse konnte erst am Dienstagmorgen ein Hubschrauber der pakistanischen Armee aufsteigen und die Unglücksstelle überfliegen. Dabei sei es der Besatzung zwar gelungen, Dahlmeier zu orten, eine Bergung sei aber unmöglich gewesen, hieß es. Es wurden allerdings "keine Lebenszeichen wahrgenommen", so das Statement des Managements.
Weshalb ist der Helikopter nicht gelandet?
Die topographischen Gegebenheiten machen eine Landung im Hochgebirge für gewöhnlich fast unmöglich. Bergungen finden meist per Seil statt, das heißt, jemand wird an einem langen Stahlseil zur verunglückten Person hinabgelassen. Allerdings, so Pressemeldungen, sei der von der Armee eingesetzte Hubschrauber für solch eine Bergung nicht ausgerüstet gewesen.
Aber wäre eine Seilbergung grundsätzlich möglich gewesen?
Das ist nicht exakt nachvollziehbar, aber aufgrund der Witterung – starker Wind – sowie der anhaltenden Steinschlaggefahr eher nicht.
Und eine Bergung zu Fuß?
Es hätte sich ein Team von vier Bergsteigern – darunter angeblich auch Thomas Huber von den sogenannten Huberbuam aus Oberbayern – sowie zwei lokale Träger auf den Weg gemacht, um die Verunglückte zu bergen, wurde zunächst berichtet. Doch dieser Einsatz wurde nach der Todesnachricht und aufgrund der äußeren Umstände am Mittwoch wieder abgebrochen, wurde verlautbart.
Am Donnerstag wurde ein Video veröffentlicht, in dem Laura Dahlmeiers Seilpartnerin Marina Krauss erstmals über die dramatischen Stunden am Lailas Peak spricht – u.a. Die Welt berichtet darüber. Dort stellen sich einige Details anders dar als bislang angenommen:
+ Dahlmeier und Krauss kamen nicht bis zum Gipfel – die beiden Frauen hätten sich entschieden, vorzeitig umzudrehen – weshalb erklärt sie nicht. Aus dem Kontext lässt sich aber schließen, dass die Steinschläge bereits begonnen haben, weswegen die beiden Bergsteigerinnen wohl versucht hatten, so rasch wie möglich wieder vom Berg zu kommen;
+ Eine halbe Stunde hat den Unterschied ausgemacht – "wären wir eine halbe Stunde früher dran gewesen, wären wir auch sicher wieder heruntergekommen", so Marina Krauss. Dabei nimmt sie offenbar abermals Bezug auf die stärker werdenden Steinschläge;
+ Laura Dahlmeier wurde von einem riesengroßen Stein am Kopf getroffen – "Wir waren am Abstieg, wir waren an der dritten Abseilstelle, ich war schon unten an der nächsten Abseilstelle. Die Laura ist nachgekommen und dann ging der Steinschlag los", so Marina Krauss in der improvisierten Pressekonferenz. "Ich habe beobachtet, wie die Laura ein riesengroßer Stein getroffen hat und wie sie dann gegen die Wand geschleudert wurde", so Marina Krauss;
+ Dahlmeier hat sich nicht mehr bewegt – "Von dem Moment an hat sie sich nicht mehr bewegt und für mich war es auch nicht möglich, da sicher irgendwie hinzukommen", erzählt die Bergsteigerin weiter;
+ Helikopter als letzte Chance für Dahlmeier – "„Für mich war es nicht möglich, zu ihr hinzukommen. Sie hat keinerlei Anzeichen von sich gegeben, ich habe nach ihr gerufen. Für mich war klar, die einzige Möglichkeit, ihr zu helfen, war, den Helikopter zu rufen", sagt Marina Krauss in dem Video-Interview;
+ Eine Bergung von Dahlmeier war nicht unmöglich – in dem Video spricht auch der Pilot jenes Helikopters, der am nächsten Morgen zur Unglücksstelle kam. "Wir bargen Marina und diskutierten dann darüber, wie es weitergehen soll. Aber Lauras letzter Wunsch war es, nicht geborgen zu werden. Es war nicht unmöglich, aber wir entschieden, dass jeder Bergungsversuch auch ein großes Risiko ist und dass wir ihre letzten Wünsche respektieren", so der Pilot;
+ Seilpartnerin Krauss wird alleine ins Basislager geflogen – schließlich brachte der Helikopter nur Marina Krauss zurück ins Basislager von Lailas Peak. Der Leichnam von Laura Dahlmeier hängt demnach noch immer in der Wand des Berges, nahe der Abseilstelle 3 – und soll dort auch bleiben, wie es derzeit aussieht.
Weshalb hat es so lange gedauert, bis die Rettungsmaßnahmen in Gang gekommen sind?
Weil die geographischen Dimensionen hier gewaltig sind. Die Karakorum-Region, zu der auch der K2, der mit 8.611 Metern zweithöchste Berg der Welt gehört, erstreckt sich über eine Länge von 600 Kilometern und eine Breite von etwa 250 Kilometern und ist mit 200.000 Quadratkilometern zweieinhalb Mal so groß wie Österreich.
Wann gab es die erste Meldung über den Unfall?
Am Dienstagnachmittag europäischer Zeit, da war es in Pakistan bereits 18.30 Uhr abends. Darin hieß es, dass Laura Dahlmeier "mindestens schwerst verletzt ist" und keine Lebenszeichen zu erkennen gewesen seien.
Was passierte am Mittwoch, um die Verunglückte doch noch zu bergen?
Wenn man die Meldungen des Managements zur Information heranzieht, dann scheint es, als hätte es am Mittwoch keinerlei weitere Versuche mehr gegeben, zu Laura Dahlmeier vorzudringen. Das würde sich auch mit der jetzt bekannt gewordenen Darstellung decken, dass man bereits am Dienstag beschlossen habe, Laura Dahlmeier am Berg zu belassen, wie sie es sich gewünscht hatte.
Wann wurde die Todesmeldung veröffentlicht?
Am Mittwochnachmittag europäischer Zeit wurde schließlich die Meldung verbreitet, dass man davon ausgehen müsse, dass die Spitzensportlerin "durch Steinschlag tödlich verunglückt" sei. "Auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Hubschrauber-Überflug und den Schilderungen der Seilpartnerin zur Schwere der Verletzungen", vom "sofortigen Tod Laura Dahlmeiers" auszugehen sei.
Zwischen dem Beschluss, Laura Dahlmeier für tot zu erklären und am Berg zu lassen, und der Meldung, dass sie gestorben sei, sind also mehr als 24 Stunden vergangen?
So sieht es derzeit aus, ja.
Aber dass sie da bereits tot war, ist eine reine Annahme, die von niemandem bestätigt worden ist?
Genau, niemand hat Laura Dahlmeier aus der Nähe gesehen, nachdem sie von dem Stein getroffen worden war.
Kann man überhaupt so einfach jemanden für tot erklären?
Nein, offiziell kann das nur eine Behörde. Die Meldung der Managements ist eher so zu verstehen, dass man keinerlei Hoffnung mehr hatte, dass Laura Dahlmeier noch am Leben sein könnte.
Wäre es theoretisch trotzdem möglich, dass Dahlmeier noch lebt oder gelebt hat?
Dass sie noch lebt ist mittlerweile auszuschließen. Auch wenn es keinerlei genauere Aussagen über den Grad der Verletzungen gibt, die sie erlitten hat, so hätten alleine schon die Dehydration sowie die Kälte – nachts fällt die Temperatur am Berg auch im Sommer auf bis zu minus 10 Grad – ein Überleben über drei oder vier Tage hinweg unmöglich gemacht. Ob sie zu dem Zeitpunkt, als der Helikopter am Berg ankam, noch gelebt hat, lässt sich seriös nicht feststellen. Ausschließen könnte das aber vermutlich nur eine medizinische Untersuchung des Leichnams.
Was ist von der Meldung zu halten, dass ihr Leichnam am Berg verbleiben soll?
Auch das beruht auf dem Statement des Managements, wonach es "Dahlmeiers ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille" gewesen sei, dass "in einem Fall wie diesem, niemand sein Leben riskieren darf, um sie zu bergen. Ihr Wunsch war es, ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen". Dies sei auch im Sinne der Angehörigen, die darum bitten würden, Lauras letzten Wunsch zu respektieren.
Ist so etwas üblich?
In einem Fall wie diesem wäre es jedenfalls sehr ungewöhnlich. Vor allem, weil man ja offenbar genau weiß, wo sich Laura Dahlmeiers Leichnam befindet, auch wenn dieser umständehalber vorläufig nicht geborgen werden kann. Am Donnerstag erklärten jedoch die pakistanischen Behörden laut Bild Zeitung, dass es keinen Bergungsversuch des Leichnams von Laura Dahlmeier geben soll.
Das heißt, hier wird ein toter Mensch, der an einem Seil hängt, in der Wand zurückgelassen?
Dieses Bild drängt sich nach den Schilderungen von Kletterpartnerin Marina Krauss auf. Ob es den Tatsachen entspricht, ist derzeit nicht festzustellen.
Was sagt Laura Dahlmeiers Familie? *
Ihre Familie ließ am Donnerstag über das Management der Sportlerin ausrichten, dass "die Angehörigen im Austausch mit den Behörden vor Ort die Situation am Laila Peak beobachten werden und sich offen halten, eine Bergung zu einem späteren Zeitpunkt zu veranlassen."
Wie konnte es überhaupt zu dem Steinschlag kommen?
Grundsätzlich sind vom Berg abgehende Steine keine Seltenheit, vor allem im Sommer und bei starkem Wind. Was allerdings in den letzten Jahren dazu kommt ist, dass aufgrund der Klimaerwärmung der Permafrost auch im Hochgebirge zunehmend auftaut und Steine und Geröll lose werden lässt. Geht dann starker Wind, gehen umso öfter auch größere Gesteinsbrocken ab.
Ist Lailas Peak ein besonders gefährlicher Berg?
Er hat einen besonders steilen Anstieg und einen sehr schmalen Gipfel, was ihn einerseits außergewöhnlich und auch sehr fotogen macht, andererseits aber auch schwierig zum Besteigen. Ausländer benötigen eine Erlaubnis der Regierung, um ihn klettern zu dürfen.
War Laura Dahlmeier eine gute Bergsteigerin?
Sie galt als sehr umsichtige und erfahrene Kletterin. Sie ist in Garmisch-Partenkirchen an der bayrisch-österreichischen Grenze aufgewachsen und wurde von ihren sportlichen Eltern bereits sehr früh auf die Berge mitgenommen. Sie war auch staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin und Mitglied der Bergwacht in ihrer Heimatgemeinde.
War sie öfter in Asien unterwegs?
Ja. Für eine TV-Dokumentation bezwang sie erst vor kurzem einen Gipfel im Himalaya-Massiv, den Ama Dablam in Nepal, in neuer Rekordzeit. Und jetzt waren sie und ihre Bergpartnerin Marina Krauss seit Ende Juni im Karakorum unterwegs (siehe Instagram-Posting unten). Zuerst bezwangen die beiden am 8. Juli den Great Trango Tower (6.287 Meter), der Lailas Peak sollte der zweite Gipfel während dieser Reise für die beiden werden.
Weshalb wandte sich Laura Dahlmeier überhaupt dem Bergsteigen zu?
Die Freiheit im Gebirge, auf einem Gipfel, sei für sie "heilig", hatte sie einmal in einem Interview gesagt. Im Vergleich dazu empfand sie den Wirbel im Biathlon-Zirkus offenbar zunehmend als belastend. Deshalb trat sie 2019 im Alter von nur 25 Jahren zur Überraschung der meisten Beobachter vom aktiven Wettkampfsport zurück und war seitdem hauptsächlich in den Bergen aktiv.
Sie war im Biathlon aber sehr erfolgreich, oder?
Sie war eine der besten Biathletinnen der Zehner-Jahre. Binnen kurzer Zeit gewann Laura Dahlmeier zwei Mal Olympia-Gold in Südkorea sowie sieben WM-Titel. Außerdem gewann sie einmal den Gesamtweltcup und siegte in 20 Weltcuprennen. Ihren Ausstieg begründete sie kurze Zeit später mit dem Argument, sie habe im Biathlon "keine Ziele mehr", die sie interessieren würden. Diese Ziele fand sie schließlich auf den Gipfeln der höchsten Berge der Welt.
* Am 31. Juli um 23.00 Uhr aktualisiert