Eine Heldentag oder einfach verrückt? Vier Briten schafften die schnellste je durchgeführte Expedition auf den höchsten Berg der Welt: In 7 Tagen von London auf den Mount Everest und zurück. Ihr Bergführer war ein Tiroler. Aber Nepal leitete nun eine Untersuchung ein.
Es lief – fast – alles wie am Schnürchen. Nicht ganz 7 Tage, nachdem am 16. Mai vier britische Abenteurer in Heathrow einen Flieger Richtung Nepal bestiegen hatten, kehrten sie unversehrt wieder, wie dereinst Phileas Fogg nach seiner Weltumrundung in 80 Tagen.
Dazwischen stand das Quartett kurzzeitig auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt, am Mount Everest in 8.848 Metern Höhe. Eine Anstrengung, für die gewöhnlich mindestens 6 bis 8 Wochen Zeit aufgewendet werden müssen. Die schnellsten Besteigungen dauerten bislang immer noch mindestens 21 Tage.
Wie dieses Kunststück in der neuen Rekordzeit gelang, welchen Anteil ein Österreicher am Gipfelsieg der vier Briten hat, weshalb Nepals Regierung dem Geschwindigkeitsrausch am höchsten Berg der Welt jetzt möglicherweise gleich wieder einen Riegel vorschiebt und was von den Meldungen zu halten ist, dass ein Ukraine-stämmiger Amerikaner den Geschwindigkeitsrekord der vier Briten möglicherweise sogar im Alleingang unterboten hat – hier alle wichtigen Infos über die Bergankunft des Jahres:
Worüber sprechen wir hier?
Über eine Rekordjagd, die in den vergangenen Wochen zumindest die Alpinisten-Welt in Atem gehalten hat. Vier britische Abenteurer, allesamt mit einer Vergangenheit in militärischen Elitetruppen und mittlerweile alle im Zivilleben etabliert, wollten beweisen, dass es möglich ist, von London nach Nepal zu reisen, auf den Mount Everest zu klettern und wieder zurück zu kommen in höchstens 7 Tagen.
Wer sind die vier Abenteurer?
Der britische Staatsminister für Veteranen, Alistair Carns (45), der Pilot Garth Miller (51) sowie die Unternehmer Anthony Stazicker (41) und Kevin Godlington (49). Angeleitet und auf den Weg gebracht – im wahrsten Sinne des Wortes – wurden sie dabei vom Bergsteiger Lukas Furtenbach, der mit Furtenbach Adventures in Innsbruck ein Unternehmen für Extrem-Expeditionen betreibt.
Wie kamen die Männer auf diese Idee?
Die ursprüngliche Idee stammt von Furtenbach. Der hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen gemacht als Veranstalter von außergewöhnlichen Berg-Expeditionen. Bei ihm kann man besonders schnell, besonders luxuriös, auf Wunsch auch beides oder aber ganz normal die höchsten Gipfel der Welt erklimmen. Sein Ruf in der Branche ist hervorragend, seine Erfolgsquote makellos.
Okay, aber weshalb jetzt diese 7-Tage-Sache?
Die Idee kam Lukas Furtenbach, nachdem er von einem deutschen Mediziner auf die Möglichkeiten, die eine Behandlung mit dem Edelgas Xenon für Extrembergsteiger bringen könnte, aufmerksam gemacht worden war.
Welche Möglichkeiten sind das?
Xenon, das sehr aufwändig und teuer hergestellt werden muss, wird in der Medizin als Narkosemittel und im Spitzensport als Doping eingesetzt. Wird es Bergsteigern verabreicht, kann es einerseits die Gefahr durch die sogenannte Höhenkrankheit minimieren, die auftritt, wenn der Körper mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird. Und gleichzeitig erhöht Xenon die Anpassungsfähigkeit des Blutes an die Bedingungen in diesen sauerstoffarmen Regionen.
Und das wurde nun an den vier Briten ausprobiert?
Es wurde zuerst von Furtenbach selbst und einigen seiner Kollegen am eigenen Leib und im Zuge von Höhen-Expeditionen getestet.
Gibt es keine Risiken?
Die gibt es nach den Aussagen mancher Mediziner, andere sehen die Sache eher gelassen. Einige warnten sogar davor, dass das Quartett sein Leben riskieren würde. "Das ist potenzieller Selbstmord, ohne weitere Akklimatisierung innerhalb von ein paar Tagen auf den Everest zu rennen", so etwa der Höhenmediziner Thomas Küpper von der Universität Aachen in der Süddeutschen Zeitung.
Und haben die 4 Briten die Sache gut überstanden?
Wie es aussieht ja. Nach ihrer Everest-Besteigung waren alle 4 putzmunter und zeigten keinerlei Beeinträchtigungen durch die vorangegangenen Strapazen. Und auch bei ihrer Rückkehr nach Großbritannien zwei Tage später wirkte das Quartett kerngesund.
Sonst gab es keine spezielle Vorbereitung?
Doch, die vier absolvierten ein wochenlanges Hypoxie-Training, bei dem sie einerseits in Spezialzelten schliefen, in denen der Sauerstoffgehalt der Luft sukzessive verringert worden ist. Und andererseits absolvierten sie Ausdauer- und Krafttraining-Einheiten ebenfalls mit verminderter Sauerstoffgabe. So wurde der Organismus auf die extremen Verhältnisse am Berg vorbereitet.
Wie funktioniert diese Vorbereitung für gewöhnlich?
Indem die Bergsteiger ihren Körper langsam an die Verhältnisse vor Ort gewöhnen – die sogenannte Akklimatisation. Zunächst gehen sie zu Fuß ins Basislager, dann unternehmen sie über viele Wochen immer wieder Touren in größere Höhen und steigen wieder ab, damit sich der Körper auf die sauerstoffarme Luft einstellen kann. Zwischendurch gibt es immer wieder Ruhetage. Deshalb dauert eine Tour zum Gipfel eines Achtausenders unter normale Umständen mindestens 6 bis 8 Wochen und nicht nur 7 Tage.
Wie lief denn die Expedition ab?
Im Grunde genau so, wie es im imaginären Drehbuch stand. Die vier Männer flogen am Freitag, dem 16. Mai, nachmittags von Heathrow ab und erreichten Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, nach einem Zwischenstopp in Katars Hauptstadt Doha am Samstagnachmittag Ortszeit. Ein Helikopter brachte sie direkt vom Airport ins Everest-Basislager auf etwa 5.300 Metern Höhe.
Weiter?
Nach einem medizinischen Check und einer kurzen Nacht im Basecamp begann am Sonntag der auf 3 Tage anberaumte Aufstieg zum Gipfel auf 8.848 Metern Höhe. Dabei begleitet wurden die Vier von einem bergerfahrenen Kameramann aus Furtenbachs Team sowie 5 Sherpas. Am Mittwoch Früh um kurz nach 7 Uhr erreichten sie den Gipfel des Mount Everest. Nach einem raschen Abstieg – veranschlagt waren 2 Tage, sie schafften es aber in etwas mehr als 1 Tag. Nach einem medizinischen Check-up ging es per Helikopter wieder zurück zum Airport und via Doha nach London, wo die Männer am Freitagnachmittag eintrafen.
Und es ist überhaupt nichts Unvorhergesehenes geschehen?
Doch, schon. Einerseits wurden sie am Khumbu-Eisfall von einer Staublawine gestreift, die durch den unerwartet starken Sturm in der Höhe ausgelöst worden war. Und sie mussten an einem verstorbenen Bergkameraden vorbei, der auf dem Weg zum Gipfel verstorben war und dessen Leichnam noch nicht geborgen worden ist.
Was sagt die Bergsteiger-Community zum Gipfelsieg in Rekordzeit?
Die Meinungen gehen sehr weit auseinander. Die Debatte über die neuartige Methode kochte bereits in den Monaten vor der Rekord-Expedition über. Manche Kritiker von Lukas Furtenbach und seiner Idee überkam dabei vor ihrem Laptop eine temporäre Höhenkrankheit, der Tiroler erhielt Todesdrohungen, einer wollte ihn "nach Auschwitz schicken", so Furtenbach in der F.A.Z.
Warum haben so viele Bergsteiger ein Problem mit den Speed-Kletterern à la Furtenbach?
Weil sie die "reine Lehre" des Alpinismus in Gefahr sehen. Für Leute wie Reinhold Messner, ein Säulenheiliger des Alpinismus, der alle 14 Achttausender der Erde ohne Sauerstoff-Hilfe bestiegen hat, hat das, was heute passiert, nichts mehr mit Abenteuer zu tun, es ist für ihn Tourismus. Nicht selten hört man in Bergsteigerkreisen noch immer den Satz "Klettern heißt leiden".
Was soll das bringen?
Das ist eine Einstellungssache, wie vieles im Leben. Für Teile der Alpinisten-Community ist selbst die Verwendung von Sauerstoff beim Höhenbergsteigen nur dann vertretbar, wenn ein Leben in Gefahr ist. Sie sind der Meinung, dass ein Achttausender mit Sauerstoff-Hilfe nur mehr so viel "wert ist" wie ein Siebentausender. Es geht ihnen um den Kampf gegen die Elemente und den eigenen Körper. Aber letztlich ist es für viele vor allem problematisch, dass Veranstalter wie Furtenbach Adventures mit ihren Angeboten diese Form des Extrembergsteigens für viele ambitionierte Amateure erreichbar machen, die sonst nie auf den Mount Everest kämen.
Und was sagt Lukas Furtenbach dazu?
Er ist ein alter Hase in dem Business und kennt alle Argumente. Bereits vor der "7-Tage-Challenge" hat er die Expedition als "Provokation" bezeichnet, die aber vor allem zeigen solle zeigen, was möglich ist.
Das ist ja gelungen …
Kann man so sagen. Auf Instagram gibt sich Furtenbach versöhnlich – und warnt allfällige Nachahmer: "Der Everest bestraft Hybris. Dieser Berg verlangt Respekt. Die Sieben-Tage-Mission war ein kontrollierter Test, keine Vorlage, der man blind folgen sollte." Und weiter: "Nicht nachmachen, was ihr nicht versteht. Geschwindigkeit bedeutet nichts, wenn Sicherheit geopfert wird. Lasst uns Grenzen verschieben – aber niemals auf Kosten von Leben."
Was hat der Spaß eigentlich gekostet?
Der Preis für eine Mount Everest-Passage in 7 Tagen "door to door" soll 150.000 Euro betragen, wobei Lukas Furtenbach offenbar nicht damit rechnet, dass diese Expedition der große Renner wird, wie der Standard schreibt. Anfragen soll es zwar geben. "Aber das werden nicht viele buchen, weil es ja auch mit sehr intensiver Vorbereitung verbunden ist", so Furtenbach. "Doch es können ja auch 14 oder 21 Tage sein. Wichtig war zu zeigen, dass Xenon für jeden eine schützende Wirkung hat."
Und die vier Briten haben auch jeder so viel bezahlt?
Nein, ihr Ticketpreis war eher ein Unkostenbeitrag. Aber einerseits ging es hier darum, vier motivierte und fitte "Versuchskaninchen" zu finden, die sich auf die monatelange Vorbereitung eingelassen haben. Und andererseits verbanden die Briten ihre Expedition gleichzeitig mit einer Charity-Kampagne für die Familien gefallener Kameraden. Insgesamt 1 Million Pfund (1,2 Mio. Euro) wollten sie auf diese Art sammeln, laut Times seien bislang aber erst 62.000 Pfund (ca. 74.000 Euro) zusammengekommen.
Wie sieht man in Nepal die Rekordjagd?
Mit sehr gemischten Gefühlen. Nach der Gipfelbesteigung durch die vier Briten am Mittwoch schaltete sich das Ministerium für Kultur, Tourismus und Zivilluftfahrt in die Debatte ein. Der oberste Tourismus-Verantwortliche des Ministeriums, Narayan Prasad Regmi, erklärte, dass man vorab nichts über die Behandlung mit dem Xenon gewusst hätte und deshalb nun eine Untersuchung gegen die Bergsteiger und Furtenbach Adventures einleiten wolle.
Was heißt das? Was könnte jetzt passieren?
Den vier Briten kann gar nichts passieren. Sie hätten nach eigenem Bekunden vor ihrer Abreise aus Nepal mit dem Ministerium gesprochen und es gäbe keine Probleme, so Staatsminister Alistair Carns in der Times. Und Furtenbach erklärte, die Xenon-Behandlung habe Wochen vor der Einreise der Männer in Nepal stattgefunden und es seinen keine nepalesischen Vorschriften verletzt worden.
Aber weshalb schlägt Nepal hier jetzt einen Wirbel?
Offiziell gehe es darum, dass "alle Substanzen und Ausrüstungsgegenstände" deklariert werden müssten, mit deren Hilfe man auf den Everest gelangen möchte. Ministeriums-Mann Narayan Prasad Regmi: "Es braucht klare Gesetze, die klären, ob das Gas verboten wird."
Das ist doch aber kontraproduktiv, oder?
Naja, in Nepal stellt man sich offenbar auf den Standpunkt, dass man die Verantwortung für die Menschen habe, die auf den Berg wollen. Und wenn man nicht wisse, wie gut oder gefährlich die Xenon-Behandlung ist, könne man das auch nicht beurteilen. Auch wenn Lukas Furtenbach nicht müde wird zu betonen, dass der Aufstieg durch die Xenon-Gabe die Sicherheit für die Kletterer in jedem Fall erhöht.
Aber worum geht es dann?
Es scheint wohl eher so zu sein, dass es große Ängste im Land gibt, dass neue technische oder medizinische Hilfsmittel das Geschäft, das die Menschen in Nepal mit den Bergsteigern machen, beschneiden könnte. Nicht von ungefähr forderte Rajendra Bajgain, ein nepalesischer Abgeordneter, die Regierung des Landes bereits auf, den Einsatz von Xenon zu verbieten – mit dem Hinweis, dass schnellere Aufstiege und mehr Technik lokale Arbeitskräfte verdrängen würden.
Wie wichtig sind die Mount Everest-Touristen für Nepal?
Eminent wichtig. Zwar werden jedes Jahr nur eine sehr beschränkter Anzahl von Erlaubnissen (sogenannten Permits) für den Mount Everest erteilt. Heuer waren das etwa 468 Permits, die pro Stück 15.000 Dollar kosten (der Preis wurde 2025 erhöht, zuvor waren es "nur" 11.000 Dollar). Alles in allem trägt der Tourismus mehr als 2 Milliarden Dollar zum Budget des bettelarmen Landes bei.
Wie lange dauert die Kletter-Saison am Everest?
Etwa 8 Wochen, von Anfang April bis Ende Mai. Wobei die letzten beiden Wochen im Mai ideal sind, denn kurz vor Einsetzen des Monsun bleibt das Wetter meist stabil, der Wind wird schwächer und es gibt kaum Lawinengefahr. Kein Wunder, dass in diesem "Summit-Window" (Gipfel-Fenster) die meisten der Bergsteiger versuchen, zum Gipfel zu gelangen.
Wie viele haben heuer bereits den Gipfel erreicht?
Bislang etwa 300 Menschen. Alleine am 19. Mai stiegen 135 Menschen auf den Gipfel des Mount Everest. Die Schlange war mehr als 100 Meter lang und die letzten Kletterer warteten Stunden, ehe sie ihre Zeit am Gipfel genießen konnten (siehe Instagram-Video unten).
Und sind auch schon Bergsteiger gestorben?
heuer bislang vier, zwei Gäste und zwei Sherpas. Insgesamt liegt die Zahl der Todesfälle am Mount Everest offiziell bei etwa 340, wobei allerdings alle einheimischen Sherpas, die ihr Leben am Berg verloren haben, nicht mitgezählt werden
Das heißt jetzt also, die vier Briten und ihre Begleiter haben den offiziellen Rekord für die schnellste Besteigung inne?
Das ist schwierig zu beantworten. Denn einerseits werden am Everest keine Rekorde von irgendeiner Behörde anerkannt. Bergsteiger und Expeditionen sagen, was sie geleistet haben (wollen) und die Community bestätigt das Geleistete (oder zumindest die Machbarkeit) oder meldet Zweifel an. Und in Sachen Speed gibt es tatsächlich jemanden, der noch schneller gewesen sein will als die Briten.
Und wer ist das?
Der gebürtige Ukrainer Andrew Ushakov, der in den USA lebt, will nur 2 Tage vor den Briten, also am 19. Mai, den Everest im Alleingang und noch schneller bestiegen haben. In nur 3 Tagen, 23 Stunden und 7 Minuten will er von New York nach Kathmandu geflogen und dann vom Basiscamp (das er ebenfalls per Hubschrauber erreicht hat) alleine auf den Gipfel gestiegen sein.
Ist das glaubwürdig?
Unmöglich ist es nicht. Unterstützt wurde Ushakov, ein Familienvater in New York, vom Nepalesen Nirmal Purja, einem Profi-Kletterer und Unternehmer, der ebenfalls geführte Touren anbietet. Purja will bislang 49 Mal auf einem Achttausender gewesen sein und reklamiert den Rekord für sich, alle 14 Achttausender ohne Sauerstoffunterstützung und in der schnellsten Zeit bestiegen zu haben.
Gibt es noch mehr Rekorde?
ja, der britische Bergführer Kenton Cool, 52, bestieg am 18. Mai den Everest zum bereits 19. Mal – Weltrekord für einen Nicht-Sherpa.
Der höchste Gipfel der Welt beflügelt nach wie vor die Phantasie der Menschen. Und jeder muss für sich den geeignetsten Weg finden, auf dem er den Everest bezwingen möchte. Dem Berg selbst, das kann man mit Sicherheit sagen, ist das alles vollkommen gleichgültig.