Russlands Wirtschaft beginnt langsam zu schwächeln, aber Europa sorgt dafür, dass sie nicht in die Knie geht Die EU gab heuer 1 Milliarde Euro mehr für Flüssiggas-Importe aus Moskau aus. Geld-Expertin Monika Rosen über die Hintergründe.
"Zuerst kommt das Fressen, und dann die Moral", sagte schon Bert Brecht.
Mitunter fühlt man sich an dieses Zitat aus der "Dreigroschenoper" erinnert, wenn man die Bemühungen des Westens betrachtet, Russland durch Sanktionen zu ehrlichen Friedensverhandlungen mit der Ukraine zu bewegen. Die Maßnahmen werden zwar beschlossen und auch umgesetzt, sind aber entweder von vornherein lückenhaft, oder sie werden durch andere Kräfte auf den Weltmärkten neutralisiert. Wenn der Westen kein russisches Öl mehr kauft, dann greifen eben China oder Indien zu.
Zuletzt mehren sich aber die Anzeichen, dass die russische Konjunktur langsam, aber doch unter Druck kommt. Wie effektiv sind also die Sanktionen wirklich? Was bedeutet der Preisdeckel für russisches Öl, und wirkt er überhaupt? Und welche Rolle spielt Donald Trump in dieser Saga? Monika Rosen nimmt die verschachtelte "Russische Puppe" auseinander …
Welche Sanktionen hat die EU bis jetzt gegen Russland beschlossen?
Nicht weniger als 18 Sanktionspakete wurden schon gegen Russland verhängt, Nr. 19 ist in Vorbereitung.
Was ist das Ziel?
Im Großen und Ganzen geht es immer wieder darum, die Profitabilität des russischen Energiesektors zu dämpfen, das Land vom internationalen Finanzsystem abzuschneiden und militärische Innovationen (High-Tech) zu erschweren. Ein Überblick über die bisher ergriffenen Maßnahmen findet sich hier.
Man hat aber nicht unbedingt den Eindruck, dass diese Sanktionen sehr effektiv sind, oder?
Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Das beginnt bei der fraglichen Verlässlichkeit von Russlands Konjunkturdaten und endet bei den Problemen mit der Durchsetzung der Sanktionen.
Dann beginnen wir mit der Frage: wächst die russische Konjunktur?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat erst im Juli seine Wachstumsprognose für heuer gesenkt, und zwar von zuvor 1,5 auf 0,9 Prozent. Also ja, man geht davon aus, dass die russische Wirtschaft noch nicht in der Rezession steckt. Aber von den Zuwächsen der letzten Jahre (jeweils rund 4 Prozent in 2023 und 2024) sind wir meilenweit entfernt.
Wie hoch ist die Inflation und wo liegen die Leitzinsen?
Die Inflationsrate wird mit knapp 10 Prozent ausgewiesen, die Leitzinsen der russischen Notenbank liegen aktuell bei 20 Prozent. Da darf man bezüglich der Verlässlichkeit der russischen Daten schon skeptisch werden.
Warum?
Keine Notenbank der Welt verhängt Zinsen, die doppelt so hoch sind wie die Inflation. Offenbar sind die Daten zur Teuerung massiv geschönt.
Zurück zum IWF. Welche Gründe nennt der für seine pessimistischere Einschätzung?
Wesentliche Probleme ergeben sich für Russland durch den gesunkenen Ölpreis. Die europäische Rohölsorte Brent ist seit Jahresbeginn rund 10 Prozent im Minus. Außerdem zeigen sich zunehmend Schwächen im privaten Konsum und bei der Industrieproduktion.
Die Energieeinnahmen sinken also. Gibt es dazu konkrete Zahlen?
Das russische Finanzministerium selbst meldete für Juli 2025 einen Rückgang der Einnahmen aus Öl- und Gasexporten im Ausmaß von 27 Prozent gegenüber dem Juli des Vorjahres.
Sie verkaufen also weniger fossile Brennstoffe, aber sie finden immer noch Abnehmer …
Ja, und damit sind wir bei der Frage, wie effektiv die Sanktionen tatsächlich sind. Zu den wichtigsten Kunden der Russen zählen China, Indien, die Türkei, aber auch und immer noch die EU.
Welche fossilen Brennstoffe bezieht die EU aus Russland?
2021 hat die EU rund 45 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland gedeckt, aktuell sind es 19 Prozent. Wir sind immer noch der größte Abnehmer von russischem Flüssiggas (LNG). Dennoch bleiben die USA unser Hauptlieferant für Flüssiggas, wir beziehen von dort etwa dreimal so viel wie aus Russland.
Was heißt das in Zahlen?
Im ersten Quartal 2025 kamen 50,7 Prozent der LGN-Importe aus den Vereinigten Staaten und 17,0 Prozent aus Russland. Die EU überwies Moskau dafür 4,48 Milliarden Euro, fast eine Milliarde mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Gesamt-Gasimporte aus Russland stiege um 9,4 Prozent.
Warum fließt immer noch Russen-Gas nach Europa?
Weil der Import – im Unterschied zu Kohle und Öl – nicht von den Sanktionen erfasst ist. Europa ist nach wie vor zu stark vom Putin-Gas abhängig. Insgesamt wurde im vergangenen Jahr laut EU-Statistikbehörde Eurostat natürliches und verarbeitetes Gas im Wert von 15,6 Milliarden Euro aus Russland importiert.
Kann man kurz zusammenfassen, warum die Sanktionen gegen Russland offenbar nur so langsam wirken?
Statt in die EU fließt das Öl nun vor allem nach China und Indien. Russland muss zwar einen Preisabschlag hinnehmen, verdient damit aber immer noch erheblich. Dazu kommt, dass viele Sanktionen schon von vornherein aufgeweicht wurden, weil ein plötzlicher Ausstieg aus den Verträgen entweder nicht möglich oder politisch kaum durchsetzbar war.
Was hat es mit der Preisobergrenze für russisches Öl auf sich?
Auch das ist eine Maßnahme, um den Einkommensstrom des Landes aus dem Energieexport zu drosseln. Anstatt einer fixen Preisobergrenze wie bisher (60 Dollar je Fass) hat man sich im Juli auf einen flexiblen Deckel geeinigt, der bei 15 Prozent unter dem jeweils geltenden Marktpreis liegen soll.
Und wie wird diese Obergrenze überwacht?
Das ist der nächste Knackpunkt. Verboten wäre an sich sowohl der Transport als auch die Versicherung von Öllieferungen, die per Tanker erfolgen und bei denen der erzielte Preis für das Öl oberhalb der Deckelung liegt.
Und wo ist der Knackpunkt?
Eigentlich sind es zwei. Einerseits gibt es eine sogenannte "Schattenflotte", bei der russisches Öl unter nicht ganz eindeutiger Flagge transportiert wird, um die Sanktionen zu umgehen. Außerdem lässt sich durch die oft undurchsichtige Dokumentation der Schattentanker nur schwer feststellen, zu welchem Preis das so transportierte Öl dann tatsächlich verkauft wird. Also auch die endgültige Einhaltung der Obergrenze ist nur bedingt überprüfbar.
Was bedeuten die sogenannten "sekundären Zölle"?
Die sind Teil eines von US Präsident Trump geplanten Maßnahmenpakets, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen und den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Wie funktionieren diese "sekundären Zölle"?
Sie richten sich gegen jene Länder, die als Hauptabnehmer von russischem Öl auftreten, wobei hier große Unterschiede gemacht werden. Trump bedroht vor allem Indien mit einer Zollrate von insgesamt 50 Prozent, wenn sie weiterhin russisches Öl beziehen. Bei China sieht die Sache anders aus.
Inwiefern?
Die haben mit den seltenen Erden ein wesentlich stärkeres Druckmittel in der Hand. Die meisten Beobachter gehen nicht davon aus, dass Trump ernsthaft sekundäre Zölle gegen China in Erwägung zieht.
Wie würden diese Zölle funktionieren?
De facto wäre das betroffene Land gezwungen, eine Wahl zu treffen. Wenn es weiter das vergleichsweise günstige russische Öl bezieht, müsste es bei den Exporten in die USA den höheren Zoll zahlen.
Und was passiert in dem Fall mit dem Ölpreis?
Das ist der große Schwachpunkt der Maßnahme, auch aus Sicht der USA. Sie würde nämlich den Ölpreis steigen lassen. Wenn ein Land (z. B. Indien), das bisher russisches Öl gekauft hat, dies nicht mehr tut, steigt die Nachfrage nach nicht-russischem Öl am Markt, der Preis steigt. Und dass die Wählerschaft von Trump keine hohen Ölpreise haben will, ist eine gut dokumentierte Tatsache.
Was heißt das alles für die Finanzmärkte?
So schrecklich das menschliche Leid in allen Kriegsgebieten ist, so wenig Auswirkungen hat es derzeit auf das Handelsgeschehen. Der Westen hat bisher davon zurückgeschreckt, wirklich harte Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen, einfach weil diese massiv auf die eigene Bevölkerung zurückfallen würden.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Ja, die Beendigung der Abhängigkeit von russischem Gas, die erst Ende 2027 erfolgen soll. Insofern spiegelt der Finanzmarkt das Thema derzeit eigentlich nur über den Ölpreis wider. Dass der heuer wie gesagt um 10 Prozent nachgegeben hat, spricht also Bände.
Monika Rosen war mehr als 20 Jahre bei einer heimischen Großbank tätig, ist Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft und gefragte Spezialistin rund um alle Geldthemen