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"Wer bin ich ...?"

Was Kardinal Schönborn zum Tod von Niki Glattauer sagt

Vor zwei Wochen schied der frühere Lehrer und Autor Niki Glattauer durch begleiteten Suizid aus dem Leben. In seiner wöchentlichen Kolumne in "Heute" äußert sich nun Kardinal Christoph Schönborn zum Tod. Weitsichtig, angemessen, empathisch. Und überraschend.

Kardinal Christoph Schönborn: "Wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte?"
Kardinal Christoph Schönborn: "Wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte?"Picturedesk
Christian Nusser
Akt. 19.09.2025 00:19 Uhr

Die Beschäftigung mit dem Thema kann belastend sein. Bitte lesen Sie den Beitrag nur, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Am Ende  finden Sie Notrufnummern, unter denen Betroffenen von Suizid-Gedanken geholfen werden kann.

"Wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte, warum jemand diese Art des Todes für sich wählt? Es steht mir nicht zu." Das schreibt Kardinal Christoph Schönborn in seiner Kolumne "Antworten" in "Heute". Der Text erschien in der Freitagausgabe. Und er ist bemerkenswert.

Niki Glattauer war schwer krank, Gallengangkrebs, unheilbar. Anfang des Sommers erhielt er die niederschmetternde Diagnose – und er entschied sich für assistierten Suizid. In einem letzten Interview mit Florian Klenk vom Falter und Christian Nusser von Newsflix erläuterte er seine Beweggründe. Das Gespräch hat viele Menschen im Land bewegt.

Glattauer, 66, früher Journalist, Lehrer, Schuldirektor, Autor, zuletzt Kolumnist, wollte eine Debatte anregen. Er wusste anfangs nicht, dass begleiteter Suizid in Österreich erlaubt ist. Er dachte, er müsste in die Schweiz fahren, um sterben zu können.

Glattauer sah es als seine Aufgabe an, den Menschen diese Information zukommen zu lassen. Er wollte keine Werbung für das begleitete Sterben machen, aber es war ihm wichtig, den Tod als selbstbestimmten Akt zu sehen. Er war ihm bewusst, dass nicht alle seiner Meinung sein würden, aber eine gute Debatte kann nur entstehen, wenn alle Meinung am Tisch liegen – und nicht einige unter den Teppich gekehrt werden.

Glattauer war gläubig. Vielleicht nicht im konventionellen Sinn, er trat aus der katholischen Kirche aus, dann später wieder ein. Auch der Buddhismus hatte es ihm angetan. Einmal redete er mit einem katholischen Pfarrer darüber, ob die beiden Religionen unter einen Hut zu bringen seien. "Passt schon", habe der Priester sinngemäß zu ihm gesagt, erzählte er mir einmal. Guter Glaube kann sehr pragmatisch sein, mit Gutgläubigkeit hat er nichts zu tun.

"Ich glaube, dass nach dem Tod was ist. Ich habe keine Ahnung, was. Aber es ist schon immer tröstlich für mich gewesen". sagte er in seinem letzten Interview. "Ich diskutiere sehr oft mit meinen Kindern, die beide atheistisch sind, so wie meine Ex-Frau auch. Wir diskutieren oft über Religion, und meine Kinder verstehen nicht, wieso der gescheite Vater ausgerechnet in der Frage so daneben sein kann, und bringen immer die Naturwissenschaft ins Spiel."

"Und dann komme ich immer mit Herbert Pitschmann, der Physiker ist, noch dazu Quantenphysiker, aber gerade als solcher ein total gläubiger Mensch. Er sagt: Gerade als Naturwissenschaftler sollte man erkennen können, dass es mehr gibt, was sich einfach unserer Beurteilung und unserem Verständnis entzieht. Einen Sinn – Sinn ist auch ein Hilfsausdruck. Aber eine höhere Ordnung, die wir mit unseren Sinnesorganen einfach nicht erfassen können."

Niki Glattauer in seiner Wohnung vor einem Foto von „Che“ Guevara
Niki Glattauer in seiner Wohnung vor einem Foto von „Che“ Guevara
Christopher Mavric

Der Suizid war für die katholische Kirche immer ein schwierig zu begehender Weg. Es gab eine Zeit, da wurde Menschen, die freiwillig aus dem Leben schieden, sogar eine Grabstelle am Friedhof verwehrt. Am Land war das Thema sowieso tabu.

Vergangene Woche war ich Gast bei "Talk im Hangar-7" auf Servus TV. Auch Gudrun Kugler saß in der Runde, sie ist Juristin, Theologin, ÖVP-Abgeordnete, tief gläubige Katholikin. Im der Tiefe ihres Herzens lehnt sie den assistierten Suizid ab, das sagte sie auch in der Sendung. Nichtsdestotrotz hat sich an der Gesetzgebung in Österreich dafür vor drei Jahren maßgeblich mitgearbeitet.

Auch in der katholischen Kirche gibt es mittlerweile viele Strömungen, die dem selbsbestimmten Tod empathischer und lebensnaher entgegentreten. Die Lehrmeinung ist das nicht. Die Kirche lehnt den assistierten Suizid ebenso wie die Euthanasie klar ab. Diese Haltung ist Teil ihrer grundlegenden Lehre zum Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.

Papst Franziskus: "Jede Form von Euthanasie oder assistiertem Suizid ist unzulässig"
Papst Franziskus: "Jede Form von Euthanasie oder assistiertem Suizid ist unzulässig"
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Laut Katechismus der Katholischen Kirche ist das menschliche Leben ein Geschenk Gottes. Der Mensch ist nicht Herr über Leben und Tod, sondern eine Art Treuhänder. Auch die beiden letzten Päpste stellten diese Sichtweise außer Streit.

Papst Johannes Paul II. bezeichnete assistierten Suizid und Euthanasie in Evangelium Vitae 1995 als "schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes" und einen Angriff auf die Würde des Menschen.

Papst Franziskus nannte es "falsches Mitgefühl", Menschen aktiv das Leben zu nehmen. Echtes Mitgefühl bedeute, Leid zu lindern, aber nicht den Leidenden zu töten. Stattdessen fordert er Ausbau von Palliativmedizin und Hospizen. "Das Leben ist heilig, und wir müssen es vom Anfang bis zum natürlichen Ende schützen. Euthanasie ist eine Sünde gegen Gott, den Schöpfer."

Im Schreiben "Samaritanus bonus“, einem Vatikan-Dokument der Glaubenskongregation, das 2020 unter seiner Autorität veröffentlicht wurde, heißt es: "Jede Form von Euthanasie oder assistiertem Suizid ist unzulässig. Schwerkranke haben Anspruch auf Liebe, Nähe, spirituelle und medizinische Begleitung, nicht auf eine Beschleunigung des Todes."

"Wie wir sterben, ist nicht vorprogrammiert. Nur dass wir sterben, ist gewiss", schreibt Kardinal Christoph Schönborn
"Wie wir sterben, ist nicht vorprogrammiert. Nur dass wir sterben, ist gewiss", schreibt Kardinal Christoph Schönborn
Helmut Graf

Insofern ist bedeutsam, wie bedächtig Kardinal Christoph Schönborn seine Worte in der Kolumne abwägt. Sie trägt den Titel "Wie sterben?" Schönborn erwähnt Glattauer nicht namentlich, aber es ist unstrittig, dass er sich auf ihn bezieht. Hier der Wortlaut:

Heute werden weltweit zahlreiche Kinder geboren. Heute sterben weltweit zahlreiche Menschen: Geburt und Tod, Anfang und Ende des Lebens! Alle sind wir von einer Frau geboren. Niemand kommt anders zur Welt. Wie wir sterben, ist nicht vorprogrammiert. Nur dass wir sterben, ist gewiss.

Unser Leben spielt sich ab zwischen diesen beiden Polen. Unsere Geburt haben wir nicht selber entschieden. Unser Sterben können wir bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen.

Von den vielen Menschen, die heute sterben, haben freilich die wenigsten selber das Datum ihres Todes gewählt. Der Tod kann uns plötzlich treffen, durch Unfälle, Krieg, Herzversagen. Er kann langsam kommen, durch Alter, Krankheit, Verwundung. Manche führen den Tod selber herbei. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Früher sprach man von Selbstmord, heute lieber von Suizid.

Wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte, warum jemand diese Art des Todes für sich wählt? Es steht mir nicht zu. Darüber traurig sein darf ich. Das Leben ist doch ein Geschenk! Es kann aber auch zur fast unerträglichen Last werden. Dann hilft es, nicht allein zu sein.

Wie gut, wenn Menschen den Tod als Heimgang erwarten, als Übergang in die Heimat bei Gott!

"Wer bin ich, dass ich darüber urteilen dürfte, warum jemand diese Art des Todes für sich wählt? Es steht mir nicht zu." Ich denke, diese Sätze hätten Niki gefallen.

"Ich habe überhaupt nicht die Sehnsucht, tot zu sein", sagte Niki Glattauer
"Ich habe überhaupt nicht die Sehnsucht, tot zu sein", sagte Niki Glattauer
Christopher Mavric

Palliativ-Betreuung in Österreich

  • In Österreich sterben pro Jahr durchschnittlich etwa 90.000 Menschen. Während Corona stieg diese Zahl um etwa 6 Prozent an, seither sinkt sie wieder leicht
  • 10 bis 20 Prozent davon – also zwischen 9.000 und 18.000 Menschen – benötigen eine spezialisierte palliativmedizinische Betreuung. Vor allem ältere Personen und Menschen mit onkologischen Erkrankungen sind davon betroffen.
  • Laut Hospiz Österreich (hospiz.at) gibt es bei uns zwischen 460 und 480 Palliativ- und Hospizbetten sowie insgesamt etwa 1.800 spezialisierte Einrichtungen (Stand 2022, neuere Zahlen sind nicht verfügbar)
  • Laut der Österreichischen Palliativgesellschaft (palliativ.at) können damit weniger als 50 Prozent des Bedarfs gedeckt werden

Kontakte

  • Österreichische Palliativgesellschaft, palliativ.at, Tel.: 01 40400 27520
  • Dachverband Hospiz Österreich, hospiz.at

Suidzid-Gedanken? Hier finden Sie Hilfe

  • Liste aller Notrufnummern (auch nach Bundesländern)
  • Telefonseelsorge Tel.: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr
  • Männernotruf Tel.: 0800 246 247, täglich 0–24 Uhr
  • Männerinfo Tel.: 0800 400 777, täglich 0–24 Uhr
  • Frauenhelpline Tel.: 0800 222 555, täglich 0–24 Uhr
  • Ö3 Rotes Kreuz Kummernummer Tel.: 116 123, täglich von 16 bis 24 Uhr.
Christian Nusser
Akt. 19.09.2025 00:19 Uhr