Der selbstbestimmte Tod von Niki Glattauer bewegt weiter viele. Die Präsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft und Onkologin, Gudrun Kreye, über den wachsenden Lebenswillen bei Todkranken, ein Ende in Würde und wie sie die Berichterstattung sieht.
Die Beschäftigung mit dem Thema Suizid kann sehr belastend sein. Bitte lesen Sie den Beitrag daher nur, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen. Am Ende des Gesprächs finden Sie Notrufnummern, unter denen Betroffenen von Suizid-Gedanken geholfen werden kann.
Niki Glattauer, Lehrer, Autor und Newsflix-Kolumnist war unheilbar an Krebs erkrankt. Am 4. September schied er selbstbestimmt durch eine Infusion aus dem Leben.
Zuvor hatte seine Entscheidung in einem ausführlichen Gespräch begründet – um auf die Möglichkeit des begleiteten Suizids aufmerksam zu machen und gleichzeitig eine Diskussion über dieses sensible Thema anzustoßen.
Der 66-Jährige hat seinem langjährigen Weggefährten Christian Nusser, Chefredakteur von Newsflix, und Florian Klenk, Chefredakteur des Falter, ein Interview gegeben. Sie können es hier lesen, als eineinhalb Stunden langes Video anschauen oder als Podcast anhören.
Aber die Entscheidung Niki Glattauers erhält nicht nur breite Zustimmung, sondern sorgt auch für Bedenken. Die Onkologin Gudrun Kreye ist Präsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft. Sie bemüht sich seit 20 Jahren, sterbenskranken Menschen einen würdevollen und möglichst schmerzfreien Tod mit den Mitteln der Palliativmedizin zu ermöglichen. Gudrun Kreye im Interview:
Was ist Palliativmedizin?
Palliativmedizin – man spricht eigentlich eher von Palliativer Betreuung – ist eine umfassende Betreuung von Menschen mit einer unheilbaren Erkrankung. Dabei werden einerseits Symptome gelindert – etwa Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Schlaflosigkeit, Blutungen oder Juckreiz. Dazu gehört aber auch die Betreuung von Sterbenden. Wir bieten individuell abgestimmte Konzepte an, die auf die Nöte und Symptome von Menschen ausgerichtet sind.
Was genau umfasst Palliative Betreuung?
Es geht darum, den Menschen ganzheitlich zu behandeln, indem wir zum Beispiel spirituelle Begleitung anbieten, Sozialarbeit, physiotherapeutische oder ergotherapeutische Maßnahmen, Ernährungsberartung, Psychotherapie und Gespräche mit Psychologen. Es geht darum, den Patienten und deren Angehörigen Sicherheit zu geben in der Phase des Abschiednehmens. Also den gesamten Menschen mit all seinen Nöten und Bedürfnissen wahrzunehmen.
Symptomlinderung auf allen Ebenen?
Im Grunde ja. Wenn jemand eine weit fortgeschrittene Erkrankung hat, dann hat er oft starke Schmerzen, aber er leidet vielleicht auch an Einsamkeit, weil er sich nicht mehr so unter Menschen begeben kann oder will. Es kann auch sein, dass es gerade bei jungen Patienten zu finanziellen Einbußen kommt, wenn sie nicht mehr Arbeiten gehen können. Oftmals sind auch Kinder oder die Angehörigen von Patienten betroffen. Palliative Konzepte versuchen, den Menschen auf all diesen Ebenen zu helfen.
Wie wird dabei vorgegangen?
Das funktioniert über das Zusammenspiel von multiprofessionellen Teams. Aus Pflege und Medizin, aber auch aus Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychotherapeuten, Psychologinnen, Seelsorgern, Musiktherapie, tiergestützte Therapie, das gesamte Spektrum. Wir bieten ambulante Betreuung zu Hause an, aber auch stationäre Aufenthalte auf Palliativstationen oder in Hospizen.
Weshalb tut sich die Palliativmedizin offenkundig so schwer mit der relativ neuen Möglichkeit des assistierten Suizids?
Die österreichische Palliativgesellschaft respektiert es zutiefst, wenn jemand sagt: "Ich möchte den assistierten Suizid durchführen." Aber ich bin auch der festen Überzeugung, dass wenn man sehr gute palliative Betreuung hat, Sterbewünsche bei Menschen gut erfasst werden können im Hinblick darauf, ob sie wirklich sofort sterben wollen oder nicht.
Werden Sie in Ihrer Arbeit häufig mit Todeswünschen konfrontiert?
In den 20 Jahren, wo ich jetzt Palliativmedizin mache, wurde ich gefühlt jede Woche gebeten: "Frau Doktor, geben Sie mir eine Spritze, ich möchte nicht mehr leben." Aber es ist so, dass von 100 Menschen, die mich fragen, am Ende vielleicht einer überbleibt, der es tatsächlich möchte. Der Sterbewunsch ist etwas, mit dem wir sehr sorgsam umgehen sollten. Das ist fast immer ein Hilferuf, der Wunsch nach einer Verbesserung der Situation. Und meine Aufgabe sehe ich darin, für diese Menschen da zu sein.
Was ist das Wesen der Palliativen Betreuung?
Der Ansatz der Weltgesundheitsorganisation WHO ist, dass Palliative Betreuung weder darauf abzielt, den Tod zu beschleunigen, noch zu verzögern. Sondern das Sterben so zuzulassen, wie es ist, aber mit bestmöglicher Begleitung und größtmöglicher Selbstbestimmung der Patienten. Wenn etwa jemand sagt: "Ich möchte nicht reanimiert werden, ich möchte keine Antibiotika, nicht beatmet werden oder keine Ernährung mehr haben", dann darf dieser Wunsch nicht missachtet werden. Gleichzeitig ist es aber auch nicht die Aufgabe von Palliativ-Betreuung, das Sterben eines Menschen zu beschleunigen, etwa durch eine Medikamenten-Gabe.
Assistierter Suizid ist für Palliativ-Mediziner also ein ideologisches Problem?
Ideologisch ist vielleicht ein bisschen zu hart gesprochen. Palliative Betreuung kümmert sich um Menschen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung, egal ob sie den assistierten Suizid in Anspruch nehmen möchten oder nicht. Es gibt Menschen,, die sagen: "Ich möchte leben, bis das natürliche Ende des Lebens erreicht ist. Und ich möchte dabei möglichst gut begleitet werden." Assistierter Suizid oder Euthanasie, wie es in einigen Ländern der Welt praktiziert wird, kann von Menschen in Anspruch genommen werden, die sagen: "Ich möchte autonom entscheiden, wann ich meinem Leben ein Ende setze." Den Assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, schließt Palliative Betreuung auf keinen Fall aus.
Ihrer Erfahrung nach: Wie viele Menschen, die eine schwere Erkrankung oder andere gesundheitliche Einschränkung haben, haben tatsächlich die Absicht, ihrem Leben ein Ende zu setzen, egal ob assistiert oder nicht?
Ich denke, das sind weniger, als man glaubt. Vielleicht fünf Prozent. Studien zeigen, dass Menschen, die von sich selbst behaupten, sie würden nicht mehr leben wollen, wenn diese oder jene Einschränkung eintritt, ändern ihre Meinung oft, wenn es tatsächlich dazu kommt. Die meisten Menschen lernen, mit solch einer Situation umzugehen und haben einen sehr starken Lebenswillen. Und diesen Lebenswillen beobachte ich bei alten, als auch bei jungen Menschen gleichermaßen.
Wäre es möglicherweise sinnvoll, Patienten eine Kombination der beiden Behandlungszugänge anzubieten? Also einerseits eine palliative Betreuung und andererseits das Angebot des assistierten Suizids als letzter Ausweg?
Es ist bereits von Gesetzes wegen möglich, aber sehr viele Palliativmediziner tun sich schwer, dies zu kombinieren. Es sind zudem zwei verschiedene Ansätze und ich glaube, eine Vermischung führt zu Irritationen. An erster Stelle sollte immer das Angebot für Palliative Betreuung stehen, da wir sehr viele Menschen mit Sterbewünschen ansprechen und ihnen helfen können, trotz schwerer Krankheit ein qualitätsvolles Leben zu führen. Natürlich kann man es darauf ankommen lassen, aber meine persönliche Meinung ist, dass das nicht a priori kombiniert werden sollte.
Kommt es vor, dass jemand in Palliativer Betreuung seine Meinung ändert und doch assistierten Suizid begehen möchte?
Ja, natürlich. Und wie gesagt, wir respektieren das zutiefst. Wir haben auch schon Menschen betreut, die den assistierten Suizid in Anspruch genommen haben oder die gesagt haben, dass sie das machen wollen. In so einem Fall läuft die Betreuung weiter und wir verweisen an die Organisationen, die sich hier engagieren. Oder an Ärzte, die bei Sterbeverfügungen unterstützen. Kein Mensch darf in so einer Situation alleingelassen werden. Genauso wenig wie seine Angehörigen.
Welche Form der Unterstützung sieht die Palliative Betreuung für Angehörige vor?
Trauerbegleitung für Angehörige eines Verstorbenen gehört zur Palliativen Betreuung. Auch wenn jemand assistierten Suizid begangen hat, fühlen sich die Hinterbliebenen oftmals völlig allein gelassen und brauchen Betreuung. Hier gibt es noch Bedarf an strukturierten Anleitungen für Betreuungskonzepte. In der Regel stehen Palliativteams oftmals zur Betreuung von Angehörigen zur Verfügung.
Wo hört Ihre Unterstützung für Menschen, die assistierten Suizid begehen möchten, für Sie auf?
Es gibt meiner Meinung nach genügend Angebote an Informationen und Unterstützung für Menschen, die den assistierten Suizid in Anspruch nehmen möchten. Ich persönlich habe mich bewusst entschieden, keine Sterbeverfügungen zu machen. Ich habe mich auch entschieden, keine Zugänge für die letale Infusion zu legen. Und ich bin auch nicht diejenige, die das Präparat zubereitet, wenn es getrunken werden soll.
Und wenn Sie ein Palliativ-Patient um Begleitung bei seinem Suizid bittet?
Dann verweise ich auf meine persönliche Wertehaltung und Autonomie und sage: "Ich bin nicht die richtige Person für Sie. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das machen."
Hat diese Ablehnung des assistierten Suizids auch einen religiösen Aspekt?
Überhaupt nicht. Das ist generell ein Aspekt, der Menschen, die den assistierten Suizid nicht begleiten oder befürworten, häufig vorgeworfen wird. Dabei hat das für mich nichts mit einer religiösen Ideologie zu tun. Das ist meine Werterhaltung.
Eine Befürchtung ist, dass die Zahl der Menschen, die sich für assistierten Suizid entscheiden, zunimmt, wenn darüber berichtet wird …
Ich befürchte tatsächlich, dass soziale Faktoren wie Vereinsamung, die zunehmende Auflösung von Familienstrukturen, aber auch ökonomische Aspekte dazu führen könnten, dass diese Art zu sterben immer häufiger wird. Dieses sogenannte Dammbruch-Argument ist ein ganz starkes. Es sollte möglich sein, sein Leben in jeder Situation leben zu dürfen, egal ob gesund oder krank. Und es zeichnet eine Gesellschaft aus, wenn man in ihr auch mit einer schweren Krankheit bis zum Ende würdevoll leben kann.
Ist das bei uns in Österreich tatsächlich so?
Ja, aber die meisten Menschen wollen davon nichts hören, sie wollen grundsätzlich nicht über das Sterben und den Tod sprechen. Die wenigsten Menschen wissen, dass man in Österreich keinen schlimmen, schmerzvollen, würdelosen Tod sterben muss, aufgrund des sehr guten Angebots an Palliativer Betreuung. Und durch die letzten medialen Ereignisse, glaube ich, wird bei vielen noch zusätzlich der Eindruck erweckt, ein schönes Sterben ist nur mit assistiertem Suizid möglich.
Sie sprechen jetzt den Tod von Niki Glattauer an und die Form, wie er im Vorfeld seines assistierten Suizids darüber gesprochen hat. Fanden sie den Umgang von Herrn Glattauer mit seiner persönlichen Situation in Ordnung?
Das war seine Entscheidung. Ich respektiere das. Er hat mein Mitgefühl gehabt und auch seiner Familie möchte ich das aussprechen. Das war seine Autonomie und seine Entscheidung.
Fanden Sie die Form der medialen Berichterstattung über seinen Weg, den er gewählt hat, angemessen?
Das ist eine sehr gute Frage. Es erfolgte damit ja auch schon eine Beschäftigung im Hinblick auf mögliche Nachahmung. Ich glaube schon, dass in den Medien dieses Übereinkommen, dass man über Suizide nicht berichtet, auch für den assistierten Suizid gilt. Auf der anderen Seite führt die Beschäftigung damit jetzt zu einer Enttabuisierung. Aber ich glaube, wenn man schon enttabuisiert, dann müsste man auch endlich einmal Palliativmedizin enttabuisieren.
Warum sind diese Themen bei uns überhaupt weitgehend tabu?
Jeder will ewig leben, also ich zumindest. Oftmals frage ich bei Vorträgen, wie möchten Sie sterben? Da kommen dann immer verschiedene Antworten, zu Hause oder nicht und so weiter. Und ich sage dann immer, ich möchte gar nicht sterben. Ich wollte schon als Kind nicht sterben. Sterben ist etwas, was vielen Menschen, inklusive mir, große Angst macht. Ich möchte weder sterben noch tot sein. Und ich denke, so geht es vielen und dass man deshalb auch nicht darüber spricht. Dazu kommt: In unserer Gesellschaft ist das Sterben, das früher meist zu Hause stattgefunden hat, mittlerweile so weit von uns weg gerückt, dass es Angst macht, weil es nicht mehr als Teil des Lebens gesehen wird.
Aber wäre nicht genau deshalb eine Enttabuisierung sinnvoll?
Ja, unbedingt. Man sollte über diese Dinge sprechen, sie in die Öffentlichkeit tragen. Den Menschen erzählen, dass man auch mit palliativer Betreuung ruhig und würdevoll sterben kann. Und erklären, welche Angebote und Möglichkeiten es gibt, die die Menschen wahrnehmen können. Aber da Problem ist: Dieses Thema ist für die Mehrheit der Menschen nicht so spannend wie der assistierte Suizid. Ich weiß auch nicht, weshalb das so ist.
Nimmt die Zahl der Menschen, die sich am Ende für eine Palliativ-Betreuung entscheiden, zu?
Ja, sowohl das Betreuungsangebot, wie auch die Zahl der betreuten Patienten, nehmen zu. Wir sind da auf einem guten und richtigen Weg. Der Ausbau muss aber weiter vonstatten gehen und sollte flächendeckend und bedarfsgerecht sein. Österreich ist durch das Hospiz- und Palliativausbaugesetz hier auf einem guten Weg.
Welche Bedeutung hat der Faktor Hoffnung bei der Entscheidung, welchen Weg ein Patient letztlich geht?
Die Frage ist: Hoffnung worauf? Hoffnung auf Heilung ist es nicht. Aber hoffen und wünschen, dass es vielleicht ein bisschen besser wird, dass man vielleicht noch mal in den Garten fahren kann, dass der Hund ins Spital kommen darf oder dass man nach Hause entlassen wird, um im eigenen Bett zu sterben. Die Hoffnung ändert sich je nach Lebenslage. Mir ist momentan unklar, welche Bedeutung der Faktor Hoffnung auf die Entscheidung zum assistierten Suizid hat.
Wie können Patienten herausfinden, welcher Weg für sie der richtigere ist? Jener in die Palliativ-Betreuung oder jener zu einem assistierten Suizid?
Ich glaube, das ist eine Frage, auf die gibt es keine generalisierte Antwort gibt. Jeder Mensch ist individuell und jeder wird das für sich selber entscheiden. Aber wichtig ist, dass man den Menschen alles anbietet, damit sie wissen, welche Möglichkeiten es gibt.
Von wem sollten diese Informationen kommen?
Das sind die behandelnden Ärzte, die ihren Patienten die verschiedenen Angebote zur Verfügung stellen sollten. Und dann können die Menschen wählen. Oftmals ist es ja nicht so, dass sich jemand für etwas entscheidet und aus, sondern die Meinungen ändern sich. Es möchte vielleicht jemand heute sterben, morgen aber nicht. Und ganz wichtig ist, dass man akzeptiert, dass das ein Weg ist, den ein Mensch geht, bei dem wir ihm anbieten, ihn zu begleiten, wenn er das möchte. Und wenn sich im Zuge dieses Weges für jemanden herausstellt, er möchte den assistierten Suizid in Anspruch nehmen, dann ist das eben so.
Ein häufig gehörtes Argument gegen den assistierten Suizid ist, dass damit auf sterbenskranke Menschen Druck aufgebaut werden könnte, ihren letzten Weg zu beschleunigen. Sind, Ihrer Erfahrung nach, tatsächlich Menschen damit konfrontiert.
Schon. Es sagen mir immer wieder Patientinnen und Patienten "ich bin ja nur noch eine Last für meine Angehörigen" und dass ihr Sterbewunsch stärker wird: "Hoffentlich dauert es nicht mehr lange." Und die ökonomischen Faktoren werden auch nicht besser werden – Stichwort Pflegemangel. Die Pflege ist schlecht bezahlt und wenn wenige Pflegende sich um viele Menschen kümmern, dann werden diese natürlich schlechter versorgt werden. Das heißt, wenn in Zukunft eine schlechtere Versorgung von kranken und auch alten Menschen da ist, werden vielleicht auch deshalb die Sterbewünsche intensiver.
Also teilen Sie den Befund von Niki Glattauer in seinem letzten Interview, was den Pflegenotstand in Österreich betrifft?
Absolut teile ich den. Und es ist auch nicht so, dass wir eine Schwemme an Palliativmedizinern haben. Auch hier werden das immer weniger, obwohl es auch motivierten Nachwuchs gibt. Man kann die Verantwortlichen nur ermuntern, dass sie das Gehalt der Pflegekräfte anheben und die Rahmenbedingungen verbessern, weil sonst wird das langfristig schlecht ausgehen.
Gibt es genug Palliativplätze in Österreich für die Zahl an Menschen, die diese Art von Betreuung benötigen?
Nein. Das Hospiz- und Palliativgesetz sieht deshalb auch einen Ausbau vor. Denn es werden immer mehr Menschen, die das benötigen.
bekommen alle Patienten, die das möchten, ein Palliativ-Bett, bevor sie sterben?
Nein, aber es muss auch nicht jeder auf eine Palliativstation. Nur Menschen, die eine komplexe Symptombehandlung benötigen, bekommen ein Palliativbett und die meisten können dann wieder nach Hause entlassen werden. Viele Menschen können durch gute Betreuung zu Hause oder in einem Hospiz sterben. In einem Hospiz darf man bis zu sechs Monate bleiben bzw. bis zum Lebensende, wenn man das abschätzen kann. Auf einer Palliativstation in einem Spital mit Symptomlinderung und -versorgung, ist die Aufenthaltsdauer vom Geldgeber mit drei Wochen vorgegeben. Die Verantwortlichen bekommen den Kopf nicht abgerissen, wenn jemand länger liegt. Aber sie sind angehalten, die Aufenthaltsdauer auf drei Wochen zu beschränken, damit möglichst viele Menschen in den Genuss einer komplexen Symptomversorgung kommen.
Wir brauchen also mehr Betten?
Ja, wir brauchen mehr Palliativbetten und wir brauchen mehr Hospizbetten. Wir brauchen aber vor allem auch die nötigen Personalressourcen dafür. Und das wird, glaube ich, in Zukunft der limitierende Faktor sein, wenn sich hier nicht etwas Wesentliches an der Finanzierung ändert.
Was passiert mit einem Patienten, der auf einer Palliativstation länger liegt, als es vom Gesetz her vorgesehen ist?
Da gibt es formelle Sonderregelungen, aber es wird niemand entlassen, der eine Betreuung benötigt. Und dann gibt es ja auch noch die Möglichkeit der palliativen Betreuung durch mobile Palliativ-Teams zu Hause. Das sind Teams mit Pflegepersonen, Ärztinnen und Ärzten, die kümmern sich zu Hause um sterbenskranke Menschen, die nicht mehr ins Krankenhaus möchten. Die Palliativ-und Hospizstruktur in Österreich ist grundsätzlich sehr gut.
Wenn Niki Glattauer auf seiner Suche nach einem Weg für seine Situation zu Ihnen gekommen wäre, was hätten Sie geraten?
Ich hätte ihm eine Optimierung seiner Schmerztherapie, Gespräche, psychologische Unterstützung und appetitfördernde Maßnahmen, so er es gewünscht hätte, angeboten. Und Menschen, die ihm wichtig sind, mit einbezogen. Das palliative Gesamtpaket.
Warum wird man Palliativmedizinerin?
Weil es für mich eine wunderschöne Aufgabe ist, dass ich Menschen helfen kann, die letzte Lebenszeit – und das können manchmal Jahre, Monate oder auch nur Tage sein – in guter Lebensqualität zu verbringen. Ich freue mich, wenn jemand, der nur mehr erbrochen hat, durch unsere Maßnahmen wieder trinken oder vielleicht sogar ein Eis essen kann und das genießt. Mich freut es, wenn Angehörige bei den Menschen sein können, die sie lieben und nicht gestresst sind, weil der Patient vorher vor Schmerzen geschrien hat und die Schmerzen jetzt gelindert sind. Mich erfüllt das, wenn ein Hund oder ein Meerschweinchen zu uns auf die Station gebracht werden, um ihre Besitzer zu besuchen. Oder wenn wir die Geburtstage von Patientinnen und Patienten feiern können. Viele sagen, Palliativmedizin ist eine so schwere Arbeit. Aber ich bin froh, dass ich es mache.