In Schweden sind ab 1. Juli Webcam-Shows und OnlyFans-Services verboten. In Frankreich musste der größten Porno-Anbieter seine Webseiten abdrehen. Die EU steigt Pornhub & Co auf den Schlips. Was hinter dem Kampf gegen das Milliardengeschäft Sex steht.
Aufklärung, das war früher eine rein private Angelegenheit. Nun übernehmen das internationale Konzerne, sie fluten das Internet mit Pornographie. Der Einstieg ist niederschwellig gestaltet, ab dem Alter, an dem sich ein Handy gut halten lässt, wird Kindern in der Praxis vorgeführt, was vor drei Jahrzehnten höchstens der Fantasie vorbehalten blieb.
Nun ist auch der Politik aufgefallen, dass der Zustand unbefriedigend ist. Pornos führen eine Sexualität vor, die eine Scheinrealität abbildet, die meisten Filme sind männerzentriert, Frauen werden versachlicht. Für Heranwachsende ist das toxisch.
Nun werden weltweit Anstrengungen unternommen, um Halbwüchsige von Inhalten fernzuhalten, die nicht für sie angemessen und vorgesehen sind. Auch in Europa gibt es inzwischen eine intensive Debatte zum Problem. In Schweden geht man sogar noch einen Schritt weiter. Was Sie dazu wissen sollten:
Worum geht es eigentlich?
Zunächst einmal um Jugendschutz und die Frage: Wie lässt sich verhindern, dass Heranwachsende zu früh Zugriff zu Pornoinhalten haben? Die EU und Frankreich wurden dabei schon aktiv. Schweden wiederum greift auch in den Porno-Konsum von Erwachsenen ein.
Was macht Schweden?
Dazu muss man ausholen. Das Land ist in Sachen Sexualität immer schon einen eigenen Weg gegangen. Schweden war eines der ersten Länder, das sehr liberale Gesetze in Bezug auf Pornografie hatte. 1964 wurde das Verbot weitgehend aufgehoben, 1971 wurde auch "harte" Pornografie (explizit sexuelle Darstellungen) legalisiert, sofern sie freiwillig und zwischen Erwachsenen produziert wurde.
Wann änderte sich das?
In den Achzigerjahren setzt eine Diskussion über sexuelle Gewalt, Frauenrechte und Pornografie ein. Das führte 1999 schließlich zur Einführung des "Sexkaufverbots" („Sexköpslagen“). Der Kauf sexueller Dienstleistungen wurde verboten, der Verkauf jedoch nicht. Ziel war, Prostitution zu bekämpfen.
Was heißt das?
Es wurde der Ansatz umgedreht. Nicht mehr Personen, die sich prostituieren, werden seither strafrechtlich verfolgt. Sie gelten als Opfer von Ausbeutung oder als Menschen in schwierigen Lebenslagen, nicht als Täterinnen. Nunmehr macht sich strafbar, wer bezahlt, um Sex zu erhalten. Auch der Versuch, sexuelle Dienste zu kaufen, hat Konsequenzen.
Wie hoch sind die Strafen?
Wie auch im Straßenverkehr bemessen sich Geldstrafen (darum handelt es sich meistens) nach dem Einkommen der Person, es gibt Tagessätze. Bei wiederholten Verstößen oder in besonders schweren Fällen (etwa Kauf von Sex bei Zwangsprostituierten) ist eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr möglich.
In welchem Rahmen bewegen sich die Geldstrafen?
Bei Ersttätern meist zwischen 10.000 und 30.000 schwedischen Kronen, umgerechnet 400 bis 1.200 Euro. Es kann aber zu einem Vermerk im Strafregister und zu berufliche Folgen kommen: Öffentliche Ämter, Führungspositionen oder Behördenposten können verloren gehen.
Welche Auswirkungen hatte die neue Gesetzeslage?
Die Straßenprostitution ging zurück (besonders in den ersten Jahren). Schweden wurde als weniger attraktives Land für Menschenhändler eingestuft. Aber gleichzeitig wanderte ein Teil der Prostitution ins Internet oder in versteckte Bereiche ab. Die Haltung zur Sexualität wirkte sich auch auf die öffentliche Debatte über Pornografie aus, obwohl sie nicht direkt gesetzlich betroffen war.
Fand das Gesetz Nachahmer?
Ja, etwa Norwegen, Island, Kanada oder Frankreich. Deswegen wird der schwedische Weg auch das "Nordische Modell" genannt.
Gelten die Regelungen auch heute noch?
Ja, sie wurden sogar verschärft, zuletzt 2022. Seither können Strafen schneller angehoben werden, wenn der Sexkauf mit Zwang, Drogen, Minderjährigen oder Menschenhandel in Verbindung steht. In solchen Fällen können auch Untersuchungshaft und Gefängnisstrafe verhängt werden.
Was hat das aber mit der aktuellen Situation zu tun?
Viel, denn Schweden greift bei der Neuordnung von Internet-Pornographie auf die Regelungen aus den Neunzigerjahren, dem „Sexköpslagen“, zurück. Was analog eingeführt wurde, gilt nun auch digital.
Was bedeutet das?
Schweden hat ein Gesetz verabschiedet, das den Kauf von Sex im Internet unter Strafe stellt – einschließlich personalisierter digitaler Inhalte, wie sie auf Websites wie OnlyFans oder XHamsterlive angeboten werden.
Was ist OnlyFans?
Eine Online-Plattform, die 2016 eigentlich für harmlose Inhalte (z. B. Fitness, Kochen, Musik) gegründet, dann aber von der Sex-Industrie entdeckt wurde. Nun werden hier überwiegend erotische der pornografische Inhalte angeboten. Fans zahlen eine monatliche Gebühr, meistens zwischen 5 und 25 Dollar.
Was ist das Problem?
Anbieterinnen können auch Einzelbeiträge verkaufen, Trinkgelder erhalten oder private Chats anbieten. Die Käufer bezahlen dann etwa eine Sexarbeiterin für die Ausführung einer bestimmten Handlung. Nach dem neuen Gesetz in Schweden wird dies als gleichwertig mit der Bezahlung von Sex im realen Leben angesehen.
Was heißt das konkret?
In Schweden bleiben Pornovideos legal, auch OnlyFans kann weiter benutzt werden. Aber: Es wird es nicht mehr legal sein, für bestimmte Inhalte im Stil von "Ich möchte, dass du X mit Y machst" zu bezahlen. Das aber ist der lukrativste Teil des Geschäfts. Die Plattform ist in Schweden damit erledigt.
Ist das Gesetz fix?
Ja, es wurde vom schwedischen Parlament verabschiedet und tritt am 1. Juli 2025 in Kraft.
Betrifft es nur OnlyFans?
Nein, auch etwa Webcam-Plattformen.
Wie hoch sind die Strafen?
Wie in der analogen Welt. Es gibt also Geldstrafen, im schlimmsten Fall Haft.
Finden alle das neue Gesetz gut?
Nein. Viele Bürgerrechtsorganisationen gaben gegenüber dem Parlament negative Stellungnahmen ab. Eine Sexarbeiterin erzählte der Tageszeitung Dagens Nyheter, dass sie sich dazu gezwungen fühlen könnte, Schweden zu verlassen. "Als ich begriff, dass niemand gegen diesen Vorschlag stimmen würde, bin ich panisch nach Hause gegangen, habe mich auf das Sofa geworfen und geweint", sagt die angebliche Jus-Studentin.
Wovor sie Angst hat?
Etwa dass ihr Partner wegen Beihilfe zur Prostitution verurteilt werden könnte, wenn sie von ihrem gemeinsamen Wohnort aus arbeitet – ein Vergehen, das mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden kann.
Ist auch der Jugendschutz in Schweden ein Thema?
Ja. Die sozialdemokratische Politikerin Annika Strandhäll forderte jüngst in der Zeitung Expressen eine Altersbeschränkungen für Pornoseiten, um Kinder vor schädlichem Material zu schützen. "Aus der Perspektive schwedischer Frauen sehen wir ein großes Problem darin, dass sehr kleine Kinder in Schweden heute Zugang zu grober Gewaltpornografie haben, indem sie einfach eine Taste auf ihrem Telefon drücken".
Hier sind andere Länder schon aktiv, oder?
Ja, Frankreich vor allem, die EU als solche ebenfalls.
Was passierte in Frankreich?
Da sind seit Mittwoch die besucherstärksten Porno-Seiten nicht mehr erreichbar. Die Betreiber kamen einem Verbot oder sogar einer Bestrafung zuvor und stellten ihre Dienste ein.
Was ist der Hintergrund?
Seit Mai 2024 gilt in Frankreich ein neues Gesetz, das Kinder vor dem Zugang zu pornografischen Inhalten schützen soll. Ein Jahr lang wurde die technische Infrastruktur aufgebaut, um bei jedem Login das Alter der Nutzer überprüfen zu können. Im April 2025 waren die Arbeiten abgeschlossen. Nun zogen die Betreiber den Stecker.
Warum?
Die Aylo-Gruppe nennt die Regelung "unverantwortlich, unverhältnismäßig und ineffektiv ". Die Altersverifizierung durch Dritte sei einen "Eingriff in die Privatsphäre" und öffne "Online-Datendieben Tür und Tor. Frankreichs Politik kontert: der neue Standard garantiere "Privatsphäre mit doppelter Anonymität".
Was ist die Aylo-Gruppe?
Einer der größten Anbieter von Pornowebseiten weltweit. Sie gehört der kanadischen Private-Equity-Firma "Ethical Capital Partners" und betreibt Plattformen wie Pornhub, YouPorn, RedTube, Brazzers, Mydirtyhobby, Tube8 oder XTube.
Welchen Jugendschutz gab es bisher?
Praktisch keinen. Es reichte, auf eine Schaltfläche "Ich bin über 18" zu klicken. Das geht nun nicht mehr. In mehreren US-Bundesstaaten, in denen ähnliche Gesetze verabschiedet wurden, hat Pornhub bereits auf ähnliche Weise protestiert und seine Türen geschlossen.
Von welcher Dimension reden wir hier?
Pornhub ist eine der weltweit meistbesuchten Websites. Genaue Nutzerzzahlen werden nicht bekannt gegeben, aber im Februar 2024 soll das Portal auf 10,8 Milliarden Besuche gekommen sein. In Österreich soll die Seite im Besucher-Ranking auf Platz 22 liegen. Die Zahl aus 2019 ist aber mit Vorsicht zu genießen. Sie stammt von Alexa Internet, einem Tochterunternehmen von Amazon, das seine Dienste im Mai 2022 einstellte.
Was tut die EU für den Jugendschutz?
Auf europäischer Ebene wird verstärkt an Maßnahmen gearbeitet, um Minderjährige vor dem Zugriff auf pornografische Inhalte zu schützen. Zentraler Teil ist der Digital Services Act (DSA). Dieses EU-Gesetz verpflichtet große Online-Plattformen dazu, Risiken für Minderjährige zu minimieren und effektive Altersverifikationssysteme einzuführen.
Geht auch die EU gegen Plattformen vor?
Ja. Die Europäische Kommission hat Untersuchungen gegen Pornhub, Stripchat, XNXX und XVideos eingeleitet, da deren Altersfeststellungen als unzureichend gelten.
Wie soll der Jugendschutz künftig geregelt werden?
Die EU plant im Juni 2025 die Einführung einer App zur Altersverifikation. Diese soll es Nutzern ermöglichen, ihr Alter nachzuweisen, ohne persönliche Daten preiszugeben. Die App ist Teil der Vorbereitung auf die Einführung des EU Digital Identity Wallet (EUDI) Ende 2026.
Was ist EUDI?
Eine digitale Brieftasche, die von der Europäischen Union entwickelt wird, ähnlich der ID Austria. Damit soll man etwa digitale Amtswege erledigen, Bankkonten eröffnen oder Reisedokumente ablegen können.
Hat die App schon eine genaue Bezeichnung?
Nein, in offiziellen Dokumenten und Medienberichten wird sie allgemein als "EU-Altersverifikations-App" oder "temporäre Altersverifikationslösung" bezeichnet. Manchmal wird sie auch als "EU Mini Wallet" erwähnt, da sie als Übergangslösung zur umfassenderen EU Digital Identity Wallet dient.
Wer entwickelt die App?
Die EU-Kommission hat die Deutsche Telekom und Scytáles mit der Entwicklung dieser Altersverifikationslösung beauftragt. Es handelt sich um eine sogenannte White-Label-Lösung: Sie kann von den Mitgliedstaaten angepasst werden, etwa was Aussehen und Sprache betrifft.