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Das war der Gipfel

Wie sich die NATO vor "Papa Trump" in den Staub warf

Er wurde im Schloss hofiert (und bezeichnete das Königspaar als "beautiful"), bekam Wünsche von den Augen abgelesen (Militärbudgets), der NATO-General nannte ihn auf offene Bühne "Papa". So wurde der Gipfel in Den Haag zur Krönungs-Zeremonie für König Trump.

"Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut"
"Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut"Picturedesk
Christian Nusser
Akt. 26.06.2025 00:24 Uhr

Die erste Rose verteilte der Polit-Bachelor schon, da hatte der Gipfel noch gar nicht begonnen. "Herr Präsident, lieber Donald", eröffnete Mark Rutte seine säuselnde Botschaft an Trump. Vielfach ist zu lesen, der NATO-General habe seine Liebesgrüße nach Washington per SMS übermittelt, Insider tippen eher auf E-Mail oder eine Messenger-App.

Donald Trump sorgte jedenfalls dafür, dass die gesamte Welt zeitnah von dem Schreiben erfuhr. Er stellte es kommentarlos auf seine Plattform Truth Social. Es war eine verschriftlichte Unterwerfungsgeste, solche Chancen auf Erhöhung des eigenen Ichs lässt sich ein Charakter wie Trump nicht entgehen. Rutte hätte das wissen müssen.

So bleibt er als blamierte Figur übrig, es ficht ihn nicht an, denn er hat seine Ziele erreicht: Trump mag die NATO wieder, er bleibt Mitglied. Diesen Triumph hätte Rutte nach dem Gipfel am Dienstag und Mittwoch dieser Woche auskosten können. Aber am Ende stand er eher mit heruntergelassener Hose da und er war nicht der Einzige. Die Schlaglichter eines denkwürdigen Tages:

NATO-General Mark Rutte mit dem Mann, den er als "Daddy" bezeichnete
NATO-General Mark Rutte mit dem Mann, den er als "Daddy" bezeichnete
Reuters

Unterwerfung 1: Kommt ein Brieflein geflogen

Das Posting wurde am Dienstag um 15.36 Uhr abgesetzt, es sammelte schnell 20.000 Likes ein. "Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für Dein entschlossenes Handeln im Iran, das wirklich außergewöhnlich war und das niemand sonst gewagt hat. Das macht uns alle sicherer," lobhudelte der frühere Premierminister der Niederlande.

Später wird Mark Rutte sagen, es sei "kein Problem" für ihn, dass Trump die private Nachricht öffentlich gemacht hat. Aber es gab wohl noch keinen Chef des Verteidigungsbündnisses, der von einem US-Präsidenten so vorgeführt wurde.

Denn Rutte fuhr mit seiner Trump-Anbetung fort: "Du fliegst heute Abend zu einem weiteren großen Erfolg nach Den Haag. Es war nicht einfach, aber wir haben alle die 5 Prozent unterschrieben!"

Gemeint war, dass sich die NATO-Staaten dazu verpflichteten, hinkünftig mindestens 5 Prozent ihres Bruttinlandsproduktes in die Aufrüstung zu investieren. Trump wollte das so und er bekam es auch. Also fast, Spanien schmollt.

"Europa wird teuer bezahlen, wie es sein sollte, und es wird Dein Sieg sein," schmachtete Rutte weiter. "Gute Reise und bis bald beim Dinner Seiner Majestät!"

Immerhin habe er kein Penisfoto geschickt, fasste die Südddeutsche Zeitung das Schriftstück lapidar zusammen und nannte den Vorgang "eine Schleimspur von Den Haag bis Washington".

Albaniens Premierminister Edi Rama (hier mit Rutte und dem niederländischen Regierungschef Dick Schoof) kam in Turnschuhen
Albaniens Premierminister Edi Rama (hier mit Rutte und dem niederländischen Regierungschef Dick Schoof) kam in Turnschuhen
Reuters

Unterwerfung 2: Rutte als Trump-Lockvogel

Lange war nicht klar, ob der launige US-Präsident überhaupt in Den Haag vorbeischaut, oder dem Bündnis die kalte Schulter zeigt. Also wurde alles unternommen, um ihm die Anreise so verlockend wie möglich zu gestalten. Der Gipfel wurde im Grunde rund um Trump herum konstruiert.

Das betraf vor allem die Länge, Trump langweilt sich schnell. Vom G7-Gipfel in Kanada war er in der vergangenen Woche schon nach einem Tag abgereist.

Weil Israel den Iran angegriffen hatte? Oder der französische Präsident Emmanuel Macron am Weg nach Kanada in Grönland gehalten hatte, um die US-Wünsche nach Übernahme zu kritisieren? Oder eher doch, weil er einfach keine Lust hatte länger zu bleiben?

Das NATO-Treffen war ursprünglich für drei Tage angesetzt, es sollte zumindest zwei Sitzungen der Staats- und Regierungschefs geben. Am Ende dauerten die Beratungen nur zweieinhalb Stunden und sie hatten nur einen Tagesordnungspunkt: die Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Der Rest war Disneyland. Trump wurde hofiert, er war der Mittelpunkt aller Ereignisse. Und zwar egal, ob er an ihnen teilnahm, oder nicht.

"He couldn’t have been nicer": Trump mit Wolodymyr Selenskyj
"He couldn’t have been nicer": Trump mit Wolodymyr Selenskyj
Reuters

Unterwerfung 3: Selenskyj bekam eine Nebenrolle

Die Videobilder gingen um die Welt: Am 19. März wurde Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus vorgeführt. Trump und sein Vize JD Vance forderten Dankbarkeit ein, sogar der Umstand, dass der Ukraine-Präsident keinen Anzug trug, wurde bekrittelt.

Bei allen jüngsten Treffen der EU spielte Selenskyj stets eine tragende Rolle. Aber um Trump nicht zu provozieren, wurde dem Staatschef der Ukraine am NATO-Gipfel nun nur eine Nebenrolle zugeteilt. Er durfte beim Gala-Dinner dabei sein, es kam auch abseits zu einer Zusammenkunft mit Trump, aber sie blieb symbolisch. Immerhin: Selenskyj trug diesmal sogar einen Anzug.

Das Gespräch dauerte 50 Minuten, es blieb substanziell unbedeutend. Trump signalisierte Bereitschaft, weitere US-Patriot-Luftabwehrraketen an die Ukraine zu liefern, aber sie seien "sehr schwer zu beschaffen". Für Selenskyj hatte er lobende Wort übrig. "He couldn’t have been nicer", sagte er. Der NATO wird ein Stein vom Herz gefallen sein.

"Wunderschöne Menschen". Trump mit König Willem-Alexander, Königin Maxima and Prinzessin Catharina-Amalia
"Wunderschöne Menschen". Trump mit König Willem-Alexander, Königin Maxima and Prinzessin Catharina-Amalia
Reuters
Unser Frühstückstreffen war großartig!" Donald Trump mit dem Königspaar im Palast
Unser Frühstückstreffen war großartig!" Donald Trump mit dem Königspaar im Palast
Reuters

Unterwerfung 4: Trump als Schlossgespenst

Gleich für den ersten Abend hatten sich die Veranstalter ein Highlight ausgedacht, um Trump in die richtige Stimmung zu versetzen. Nach dem Gala-Dinner wurden alle Staatschefs weggeschickt, der US-Präsident aber durfte im königlichen Schloss Huis Ten Bosch übernachten, direkt am Rand von Den Haag, unweit der US‑Botschaft.

Das war ein Novum: ein US-Präsident logiert in einer königlichen Residenz anstelle eines Hotels. Trump kam Dienstagabend als letzter Gast – in seiner "Beast"-Limousine. Er wurde direkt ins Herzogliche Quartier gebracht, wo er später übernachtete.

Beim Gala-Dinner saß er natürlich auf dem besten Platz, zwischen Willem-Alexander und der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, seiner politischen Verbündeten in Europa. Selenskyj wurde weit abseits davon platziert. König Willem-Alexander brachte ein Toast aus und nannte Trump einen "Freund".

Italiens Ministerpräsidenten Giorgia Meloni bekam den Sitzplatz neben Trump
Italiens Ministerpräsidenten Giorgia Meloni bekam den Sitzplatz neben Trump
Reuters

Das Bankett fand in der historischen "Oranje‑Hall" statt. 20 Köchinnen und Köche und 18 Servierkräfte tischten auf Porzellangedecken mit königlichem Emblemen ein dreigängiges Menü auf. Der erste Gang bestand aus Gegrilltem Thunfisch, begleitet von einer Amsterdamer Pickle-Mousse, mariniertem Gemüse, Schnittlauch-Crème und knusprigen Zwiebeln.

Als Hauptgang gab es Kalbsfilet in Eierschwammerlsauce, Spargel, Gemüsebeilagen und "Pommes Paolo", als Dessert Schokoladentarte mit Tonkabohnen, weichem Karamell und Vanillesauce.

Trump dürfte die Inszenierung gefallen haben, am Morgen darauf frühstückte er mit Königs. Danach schrieb er auf Truth Social: "Der Tag beginnt in den wunderschönen Niederlanden. Der König und die Königin sind wunderschöne und beeindruckende Menschen. Unser Frühstückstreffen war großartig!" Es konnte nichts mehr schiefgehen.

Spaniens Premierminister Pedro Sánchez will weniger aufrüsten und kassierte dafür Trump-Schelte
Spaniens Premierminister Pedro Sánchez will weniger aufrüsten und kassierte dafür Trump-Schelte
Reuters

Unterwerfung 5: Aufrüstung, koste es, was es wolle

Der eigentliche Zweck des Treffens war schnell abgehandelt. Der Abschlussbericht (Communiqué) ist nur fünf Absätze lang und die passten auf eine Seite. Im Vergleich dazu: Die Washingtoner Gipfelerklärung 2024 war 38 Absätze lang, dazu kamen 6 Absätze zur Ukraine, das Kommuniqué von Vilnius 2023 umfasste sogar 90 Absätze.

Auch das war ein Zugeständnis an Trump: er mag es gern kurz und knackig.

Der zentrale Punkt der Vereinbarung zielt auf eine dramatische Erhöhung der Verteidigungs-Ausgaben ab. Das ist der eigentliche Triumph für Donald Trump, der genau das immer gefordert hatte.

Alle 32 NATO-Staaten verpflichteten sich, ihre Verteidigungs- und sicherheitsbezogenen Ausgaben bis 2035 auf 5 Prozent des BIP zu erhöhen. 3,5 Prozent sollen in klassische Militärausgaben fließen, 1,5 Prozent in die Infrastruktur. Darin liegt der eigentliche Kompromiss, denn die Ländern können das sehr flexibel handhaben. Auch Ausgaben für Straßen, Schienen, Digitalisierung zählen dazu.

Prügelfreier Auftritt: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron mit Ehefrau Brigitte
Prügelfreier Auftritt: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron mit Ehefrau Brigitte
Reuters

Im Rest des Vertrages bekräftigte das Bündnis seine "eiserne", unerschütterliche Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung – Angriff auf einen meint Angriff auf alle. Die Ukraine wird weiter unterstützt, Russland als langfristige Bedrohung des Bündnisses gesehen. Und: Der nächste Gipfel findet 2026 in der Türkei statt.

Spanien torpedierte die heile Welt. Ministerpräsident Pedro Sánchez erklärte, sein Land werde nur auf 2,1 Prozent des BIP für Verteidigung aufstocken, da 5 Prozent Mehrkosten von bis zu 300 Milliarden Euro bedeuten würden – "untragbar für Wohlfahrt und öffentliche Dienstleistungen".

Es könnte auch andere Gründe geben. Sánchez steht wegen eines Korruptions-Skandals in seinem Land unter Druck, da ging es im Ausland auch darum, innenpolitisch Punkte zu sammeln. Trump nahm das wenig sportlich. Er drohte damit, Spanien"durch den Handel doppelt zahlen zu lassen". Das bedeutet übersetzt wohl: Sonderzölle.

Mark Rutte rettete sich in einen Kompromiss. Spanien dürfe bei 2,1 Prozent bleiben, solange es seine NATO-Verpflichtungen erfüllt. Trump und der spanische Premierminister gingen sich beim Gipfel aus dem Weg, beim Gruppenfoto stand Sánchez ganz außen.

Knopfloch-Chirurgie: Niederlande-Premier Dick Schoof, Donald Trump, Mark Rutte
Knopfloch-Chirurgie: Niederlande-Premier Dick Schoof, Donald Trump, Mark Rutte
Reuters

Unterwerfung 6: Trump ist der neue NATO-Daddy

Spanien war das einzige Störfeuer. Was sonst vom Gipfel übrig blieb, waren Hunderte Fotos. Jeden der Staats- und Regierungschef juckte es, ein gemeinsames Foto mit Trump zustande zu bringen.

Auch hier schoss Mark Rutte den Vogel ab. Bei einem Pressetermin verglich Trump den Konflikt zwischen Israel und Iran mit prügelnden Kindern auf dem Schulhof, die man kurz toben lassen müsse, bevor man eingreift. Er sagte: "They've had a big fight … like two kids in a schoolyard. … Let them fight for about 2 to 3 minutes, then it's easy to stop them."

"And then daddy has to sometimes use strong language to get (them to) stop," warf Rutte ein. Trump als Papa zu bezeichnen, das ging vielen dann doch zu weit. Nur Rutte nicht. "Trump ist ein guter Freund. Er hat Europa endlich davon überzeugt, die Militärausgaben zu erhöhen, hat er dafür nicht ein Lob verdient?", sagte nachher.

Dem US-Präsidenten hat es jedenfalls gefallen. "Er hat es sehr liebevoll getan“, sagte er. "Papa, du bist mein Papa." Dann verglich er den Angriff auf die iranischen Atomanlagen mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „Ich möchte weder Hiroshima noch Nagasaki als Beispiel verwenden, aber im Wesentlichen war es dasselbe. Das beendete den Krieg."

Am besten fasste den Tag der Unterwerfung vielleicht eine Überschrift in der F.A.Z. zusammen: "Er kam, sah und kriegte".

Christian Nusser
Akt. 26.06.2025 00:24 Uhr