Der Angriff Israels auf die Atomanlagen des Iran schüttelte die Welt durch. Die Märkte allerdings reagierten erstaunlich gelassen, sogar der Ölpreis überwand den ersten Schock. Expertin Monika Rosen nennt die Gründe. Und erklärt, warum das nicht so bleiben muss.
Die Welt befinden sich offenbar in einem permanenten Krisenmodus. Mit dem Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran wurde ein neuer Höhepunkt erreicht. Überraschend unbeeindruckt zeigen sich hingegen die Finanzmärkte – zumindest bis jetzt.
Der US Leitindex S&P 500 steuert auf das beste Quartal seit Anfang 2024 zu, und der Ölpreis als führendes Barometer der Konflikte im Mittleren Osten hat seit Jahresbeginn nur rund 3 Prozent zugelegt.
Wenn man das menschliche Leid, das natürlich immer eine Kategorie für sich bleibt, außer Acht lässt, so drängen sich sehr wohl ein paar Fragen zur Anlagestrategie auf: Nehmen die Märkte die vielen geopolitischen Krisen zu sehr auf die leichte Schulter? Wie reagieren eigentlich Investment-Profis auf die neuen Gegebenheiten? Und wie nützlich ist Disziplin beim Investieren in dieser unsicheren Lage? Monika Rosen mit ein paar Orientierungshilfen für unruhige Börsenzeiten:
Bevor wir zu den Märkten kommen: Was ist die politische Dimension des Konflikts?
Selbstverständlich gibt es dazu online viele Quellen. Ob die USA sich bald direkt engagiert, können Sie hier nachlesen, die Abwägung, ob Israel den Krieg gewinnen kann, finden Sie hier. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg bietet ein Dossier zu den historischen Wurzeln des Konflikts und einen Nachrichten-Ticker.
Die Finanzmärkte zeigen sich von der jüngsten Eskalation im Mittleren Osten bis jetzt eher unbeeindruckt, oder?
Der Eindruck drängt sich derzeit wirklich auf. Wobei man schon sagen muss, dass es dafür durchaus ein paar Gründe gibt.
Nämlich welche?
Man muss unterscheiden zwischen den direkten Auswirkungen eines Konflikts. Die wären gegeben, wenn die Angriffe etwa Infrastruktur für den Export von Öl oder Gas zerstören. Indirekte Einflüsse sind zum Beispiel gegeben, wenn in einer solchen Situation der private Konsum zurückgeht. Die Menschen sind verunsichert und schnallen schon präventiv den Gürtel enger, was die Konjunktur dämpft.
Und liegt einer dieser beiden Faktoren derzeit vor?
Nein, eigentlich sehen wir aktuell keines von beiden. Die Angriffe Israels haben sich bis jetzt auf die lokale Energieinfrastruktur des Iran beschränkt und damit deren Exporte nicht beeinträchtigt. Und die weltweite Konjunktur mag ein paar Dellen erlitten haben, die Wachstumsraten sind aber immer noch respektabel. Dazu kommt, dass die Zollpolitik der USA der Wirtschaft potentiell mehr Schaden zufügt als der Konflikt im Mittleren Osten.
Was ist mit dem Ölpreis? Er gilt doch als Gradmesser für die Unruhen im Mittleren Osten …
Absolut! Mehr als jede andere Anlageklasse hat der Ölpreis auf den Ausbruch der Kampfhandlungen zwischen Israel und dem Iran reagiert. Nach einem Anstieg von bis zu 13 Prozent in den ersten Stunden hat sich die Lage an den Ölmärkten zuletzt aber wieder beruhigt.
Wie lässt sich das interpretieren?
Auch das kann man als Indiz für den Gleichmut der Finanzmärkte nehmen. Sie gehen zunächst einmal davon aus, dass wir den sogenannten "worst case" vermeiden.
In Bezug auf Öl: Was wäre der "Worst Case"?
Ohne Frage eine Sperre der Straße von Hormus durch den Iran. Knapp 30% des weltweiten Erdöls werden durch dieses Nadelöhr verschifft. Jede Beeinträchtigung dieser Route könnte den Ölpreis in der Sekunde massiv nach oben treiben.
Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier?
Man geht davon aus, dass der Ölpreis sofort auf über 100 Dollar steigen würde. Einige besonders pessimistische Prognosen gehen von über 150 Dollar aus, das wäre eine Verdoppelung des aktuellen Niveaus.
Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Viele Experten meinen, nicht sehr. Der Hauptabnehmer des iranischen Öls ist China, insofern würde das Land dem eigenen Verbündeten am meisten schaden. Außerdem stellt sich die Frage der militärischen Durchsetzbarkeit. Trotz allem hat allein die Möglichkeit einer solchen Maßnahme schon Auswirkungen.
Und zwar?
Einerseits bemerkt man schon, dass die Straße von Hormus gemieden wird. Andererseits haben die Frachtkosten bereits deutlich angezogen. Die Transportkosten für ein Fass Rohöl vom Persischen Golf nach China sind im Zuge der jüngsten Eskalation um rund 25 Prozent gestiegen. Darin drückt sich das erhöhte Risiko aus: die Route wird einerseits weniger befahren, andererseits verlangen die Frachter einen höheren Tarif.
Die höheren Kosten werden aber doch auf die Verbraucher übergewälzt, oder?
Das natürlich, und damit steigt zumindest das Risiko für eine wieder anziehende Inflation. Das hat die US Notenbank in ihren jüngsten Prognosen auch zum Ausdruck gebracht. Die US-Währungshüter gehen zwar weiter davon aus, bis Ende 2025 zwei Zinssenkungen zu je 25 Basispunkten (0,25 Prozent) unterzubringen. Immer mehr Investmenthäuser halten das aber für wenig wahrscheinlich und erwarten heuer maximal eine oder sogar keine Senkung.
Wenn die Zinsen in den USA nicht gesenkt werden, müsste das den Dollar unterstützen. Ist dem so?
Eigentlich nein. Die US-Währung hat zuletzt einiges von ihrem Status als sicherer Hafen eingebüßt. Das hat man gerade in der jüngsten Eskalation im Mittleren Osten gesehen. Üblicherweise hätte der Dollar in einer solchen Situation deutlich aufwerten müssen. Das war diesmal aber nur in einem überaus bescheidenen Ausmaß der Fall.
Was sind die Gründe dafür?
Hier geht es um die Frage, inwieweit die USA ihre Sonderstellung gerade an den Finanzmärkten noch verteidigen können. Die Tatsache, dass die USA nicht mehr der 100 Prozent verlässliche Partner sind, der sie einmal waren, hat sich besonders an den Währungsmärkten niedergeschlagen.
Was bedeutet das?
Der Dollar ist zwar immer noch die führende Reservewährung weltweit, er gerät aber zumindest ansatzweise unter Abwertungsdruck. Anfang Juni ist der Dollar, gemessen an einem internationalen Währungskorb, auf den tiefsten Stand seit drei Jahren gefallen.
Wie reagieren eigentlich Profi-Anleger auf all das?
Die Bank of America befragt jeden Monat mehrere Hundert Fondsmanager weltweit nach ihrer aktuellen Positionierung. Mittlerweile ist die überwiegende Mehrheit der Meinung, dass internationale und nicht US-Aktien in den nächsten fünf Jahren am besten abschneiden werden. Also auch hier zeigt sich, dass man den USA nicht mehr zutraut, ihre globale Sonderstellung im bisherigen Ausmaß zu verteidigen.
Auf den Punkt gebracht heißt das was?
Die USA werden weiterhin ein dominanter Player auf den Finanzmärkten sein, aber daneben tun sich zunehmend auch anderen Chancen auf. Das war in den letzten 15 Jahren nicht so. Auch wenn sich diese Entwicklung nur sehr langsam vollzieht, ist sie doch überaus bedeutsam.
Befürchten die Profis einen Börsencrash?
Nein, das tun sie dezidiert nicht. Die Cash Bestände wurden zuletzt reduziert, das heißt, man ist wieder in den Markt eingestiegen. Natürlich bleibt das geopolitische Szenario eine Unbekannte. Aber für den Moment lassen sich die Profis in ihren Anlageentscheidungen davon nicht beirren.
Kommen wir zu den privaten Anlegern. Was sollen die angesichts all dieser Schlagzeilen tun?
Neben den oft wiederholten Ratschlägen (Ruhe bewahren, keine Schnellschüsse) sollte man vielleicht auch eine schwierige, aber lohnende Tugend üben, nämlich Disziplin. Eine einmal gewählte Strategie auch in einer krisenhaften Situation beizubehalten ist nicht leicht, der Zugang lohnt sich aber.
Wie hat sich das zuletzt ausgezahlt?
Ich darf daran erinnern, dass die Märkte nur etwas über einen Monat gebraucht haben, um die Verluste von Anfang April (Zoll-Schock) aufzuholen. Auch hier haben sich Disziplin und Ruhe also ausgezahlt.
Monika Rosen war mehr als 20 Jahre bei einer heimischen Großbank tätig, ist Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft und gefragte Spezialistin rund um alle Geldthemen