Über die Weihnachtsfeiertage stieg eine Einbrecherbande in den Tresorraum einer Bank im deutschen Gelsenkirchen ein. Sie brach 3.200 Schließfächer auf und verschwand mit der Millionenbeute so still, wie sie gekommen war. Die Chronologie des Coups.

Die Stadt Gelsenkirchen im Ruhrgebiet war außerhalb Deutschlands bisher vorrangig für eine Sache wirklich bekannt: den Fußballverein FC Schalke 04 und seine sportliche Heimstätte, die Fußballarena "Auf Schalke".
Doch das könnte sich jetzt schlagartig ändern. Denn die Industriestadt wurde über die Weihnachtsfeiertage Schauplatz eines filmreifen Verbrechens, wie es bislang in Deutschland noch nicht vorgekommen ist.
In einer ausgeklügelten Kommandoaktion drang eine mehrköpfige Einbrecherbande still und heimlich in eine Bank ein, bohrte sich durch die Wand des Tresorraums, brach in aller Seelenruhe mehr als 3.000 Schließfächer auf und verschwand auf dem selben Weg, auf dem sie gekommen war, ohne Alarm auszulösen, ohne jemanden als Geisel zu nehmen oder gar zu verletzen.
Was klingt wie das Drehbuch zu einem "Heist-Movie" aus Hollywood, hat jetzt bereits das Zeug, deutsche Kriminalgeschichte zu schreiben. Denn es könnte sich um den größten derartigen Coup handeln, der bislang stattgefunden hat.
Was man über den Ablauf des Einbruchs, der an den Filmklassiker "Rififi" erinnert, weiß, weshalb die Polizei während des Coups am Tatort war und trotzdem wieder abrückte, ohne die Verbrecher zu entdecken, wie viel die Diebe erbeutet haben und wie die bestohlenen Bankkunden auf den dreisten Einbruch reagierten – so viel ist über den Millionen-Coup von Gelsenkirchen mittlerweile bekannt:

Was ist geschehen?
In den frühen Morgenstunden des 29. Dezember, exakt um 3.58 Uhr, wurden Feuerwehr und Polizei von Gelsenkirchen durch einen Brandalarm zur Filiale der Sparkasse Gelsenkirchen in der Nienhofstraße im vornehmen Stadtteil Buer im Norden der Ruhrpottmetropole gerufen.
Was fanden die Einsatzkräfte vor?
Bei der Suche nach dem Brandherd (den es nicht gab) entdeckten die Beamten ein Loch in einer Wand des Tresorraums der Sparkasse – der Auftakt zu einem der größten Rätsel der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte.
Was weiß man bisher über den Einbruch in den Tresorraum?
Laut der Sparkasse befinden sich in dem Tresorraum insgesamt knapp 3.300 Schließfächer unterschiedlicher Größen, die an etwa 2.700 Kunden des Geldinstitutes vermietet worden sind (viele Personen haben mehr als ein Schließfach gemietet). Von den knapp 3.300 Schließfächern seien gut 95 Prozent (laut Deutscher Presseagentur 3.200 Schließfächer) bei dem Einbruch aufgebrochen worden.
Wie kamen die Täter überhaupt in die Bank?
Laut Polizei seien die Einbrecher über ein angrenzendes Parkhaus in das Gebäude gelangt, in dem sich auch die Sparkasse befindet. Die Bild Zeitung zitiert die Einsatzkräfte dazu so: "Der Vorstoß der Täter erfolgte über das Parkhaus Marientor. Von dort arbeiteten sie sich durch mehrere Türen, zum Archivraum der Sparkasse. Schließlich brachen sie direkt durch die Wand in den Tresorraum."
Okay, aber wie kam man überhaupt vom angrenzenden Parkhaus in das Bankgebäude?
Das ist nur eine der vielen offenen Fragen bei diesem spektakulären Kriminalfall. Bislang gibt es dazu von Seiten der Polizei keine befriedigende Antwort. Die Zeitung Rheinische Post will zudem in Erfahrung gebracht haben, dass die Täter über das 3. Untergeschoß des Parkhauses in jenes Kellergeschoß der Bank gelangt sein sollen, in dem der Tresorraum liegt.
Was bedeutet das?
Ein macht die ganze Sache nur noch rätselhafter. Denn laut der Zeitung sind die oberirdischen Stockwerke des Parkhauses öffentlich zugänglich (allerdings laut Homepage nur zwischen 7 und 20 Uhr), während die Untergeschoße an Dauerparker vermietet sind, die dafür eigene Einfahrtskarten haben. Sind aber die Täter auf diesem Weg in das Bankgebäude gekommen hieße das, sie hätten eine Einfahrtskarte für Dauerparker gehabt.

Hat die Polizei darauf keine Antwort, oder will sie es nur nicht sagen?
Schwer einzuschätzen. Bislang hat die Polizei nur bekannt gegeben, dass man auf den Überwachungsvideos aus der Garage einen Pkw, konkret einen Audi RS 6 (andere Quellen sprechen von einem Audi RS 8) identifiziert hat, in dem die mutmaßlichen Täter vermummt zu sehen sind und mit dem sie die Garage verlassen haben sollen.
Wann ist das gewesen?
Das ist nicht bekannt. Es gibt aber offenbar Zeugenaussagen, wonach in der Nacht von Samstag, 27. Dezember, auf Sonntag, 28. Dezember, "mehrere Männer mit großen Taschen im Treppenhaus des Parkhauses beobachtet worden" sein sollen.
Was ist mit dem Kennzeichen des schwarzen Audi?
Die Kennzeichen waren aus Hannover und es stellte sich heraus, dass sie dort als gestohlen gemeldet worden waren.
Wie viele Personen saßen vermummt in dem Wagen?
Auch dazu hat sich die Polizei bislang nicht konkret geäußert.
Wie kamen die Täter in den Tresorraum?
Sie bohrten sich von einem angrenzenden Archivraum (der allerdings eher wie ein Lagerraum mit offenen Holzregalen aussieht) mittels eines angeblich 42 Zentimeter breiten Spezialbohrers durch die Wand, die laut Rheinischer Post aus Stahlbeton sein soll.
Wie darf man sich das vorstellen?
Es gibt Spezialbohrer, deren Bohrkronen mit synthetischen Diamanten belegt sind, die sich auch durch Stahlbetonwände arbeiten können. Dafür sei allerdings Expertenwissen notwendig, so ein Bauwerksmechaniker, mit dem die Bild Zeitung gesprochen hat.

Weshalb?
Weil man wissen muss, wo man solche Geräte her bekommt und wie man sie einsetzt. Dafür müssen zunächst Dübelstangen in die Wand getrieben werden, an denen der Bohrständer befestigt wird. Zudem muss der Bohrer mit Wasser gekühlt werden, um nicht zu überhitzen. Man benötigt also entweder einen Wasseranschluss oder Kanister und eine Pumpe.
Weiß man, wie die Täter vorgegangen sind?
Die Polizei äußert sich dazu nicht, aber der Tathergang lässt sich aus dem veröffentlichten Tatortfoto recht gut herleiten. Die Täter haben offenbar zunächst eine Ziegelwand abgetragen und dann zwei Bohrlöcher nebeneinander in den Stahlbeton gesetzt, um einen Zugang zum Tresorraum zu schaffen, durch den ein erwachsener Mensch passt.
Wie lange dauert so etwas?
Zwischen zwei und vier Stunden, so der von der Bild befragte Experte.
Und benötigt man dafür Starkstrom?
Nein, es genügt eine herkömmliche Steckdose.
Was passiert mit dem Bohrkern, der aus der Wand gebohrt wird?
Den haben die Täter laut Polizei am Tatort zurückgelassen, den Bohrer und das weitere Equipment haben sie mitgenommen.
Wie ging es weiter?
Einmal im Tresorraum, konnten sich die Täter daran machen, die Schließfächer aufzubrechen. Bei angeblich 3.200 geknackten Schließfächern allerdings keine Aufgabe, die rasch zu erledigen ist.
Weiß man, wie lange die Täter gearbeitet haben?
Das ist schwer zu sagen. Die Bank war ab dem 24. Dezember geschlossen, der Einbruch wurde am 29. Dezember um kurz nach vier Uhr Früh entdeckt. Die mehr als 100 Stunden dazwischen hatten die Täter theoretisch Zeit für ihren Coup.

Was haben die Täter mit den Schließfachkassetten gemacht?
Sie haben offenbar akribisch eine nach der anderen aufgebrochen und alle Wertsachen, die für sie brauchbar waren, mitgenommen.
Welches Bild bot sich der Polizei im Tresorraum?
Chaos pur, wenn man den Schilderungen Glauben schenken darf. Tausende aufgebrochene Kassetten, unzählige Papiere, Dokumente und sonstige Gegenstände, die nicht mitgenommen worden sind, auf dem Boden verstreut. Offenbar haben die Täter ganz genau ausgesucht, was sie verwerten können und was sie zurücklassen, um nicht unnützen Ballast transportieren zu müssen.
Stimmt es, dass die Polizei schon einmal an den Tatort gerufen worden ist, aber die Einbrecher nicht entdeckte?
Ja, das ist richtig. Bereits am Samstag, dem 27. Dezember, gab es um 6.15 Uhr früh einen Brandmeldealarm in der Filiale. Aber Polizei und Feuerwehr konnten laut Presseaussendung der Polizei "nichts feststellen, was auf einen Schaden schließen ließ". Die genauen Abläufe dieses Einsatzes seien jedoch derzeit ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen.
Waren die Täter zu dem Zeitpunkt noch in der Bank?
Wenn es stimmt, dass zwischen 27. und 28. Dezember verdächtige Männer in dem Parkhaus gesehen wurden, dann ist davon auszugehen, dass der Brandalarm mitten während des Coups losging. Denkbar, dass die Täter fluchtartig die Bank verließen, als der Feueralarm losging und später wieder zurückkehrten als klar war, dass die Polizei ihre Spuren nicht entdeckt hatte.
Aber haben die Täter denn nicht viel Lärm gemacht bei ihrem Einbruch?
Davon ist auszugehen, vor allem die Bohrarbeiten waren vermutlich ziemlich laut. Eine Anrainerin will zudem in einer der Nächte zwei Detonationen wahrgenommen haben. Ob dieser Lärm aber tatsächlich mit dem Einbruch in Zusammenhang steht, war zunächst nicht seriös zu klären.
Wie ermittelt die Polizei jetzt weiter?
Sie möchte vor allem über den schwarzen Flucht-Audi den Tätern auf die Schliche kommen. Dafür sollen Fahrzeugbewegungen ausgewertet und Anwohner befragt werden. Eine heiße Spur habe man bislang allerdings nicht, so die Behörde.

Gab es denn in dem Tresorraum keine Alarmanlage?
Eine gute Frage. Auch dazu gibt es bislang keine befriedigende Antwort. Gut möglich aber auch, dass die Ermittler bewusst einige Fakten zurückhalten, um künftige Verdächtige im Unklaren zu lassen über ihren Wissensstand.
Ist so ein Job überhaupt durchführbar ohne einen Insider mit dem nötigen Hintergrundwissen?
Auch diese Frage wird seit Bekanntwerden des Coups mit Leidenschaft diskutiert. Allerdings gibt es bislang keinerlei gesicherte Informationen, die in die eine oder andere Richtung deuten.
Weiß man bereits, wie groß der entstandene Schaden ist?
Nein. Es wurde zwar kolportiert, dass der entstandene Schaden bis zu 30 Millionen Euro betragen könnte, aber diese Zahl beruht ausschließlich auf der Berechnung "aufgebrochene Schließfächer mal Versicherungssumme pro Schließfach". Bis jetzt ist vollkommen unklar, wie viel bzw. was effektiv gestohlen worden ist.
Warum?
Weil die Bank die Mieter der Schließfächer bisher noch nicht hat nachschauen lassen, was gestohlen wurde bzw. nicht mitgenommen wurde. Deshalb kam es am Dienstag auch bereits zu lautstarken Protesten von Kunden vor der nach wie vor geschlossenen Filiale.
Warum werden die Kunden ausgesperrt?
Weil sich die Bank zunächst selbst ein Bild darüber machen möchte, welche Schließfächer aufgebrochen wurden und was von den Einbrechern zurückgelassen worden ist, so ein Sparkassen-Sprecher. Die zurückgelassenen Unterlagen und Gegenstände würden zudem erst einmal gesichtet und an anderer Stelle aufbewahrt, ehe man die Schließfachbesitzer nach ihren Besitztümern suchen lässt.
Und die Kunden akzeptieren das?
Im Gegenteil, am Dienstag eskalierte die Situation vor der geschlossenen Filiale beinahe, als mehr als 200 aufgebrachte Kunden vor der Bank "Wir wollen rein! Wir wollen rein!" skandierten und sich einige von ihnen an der Bank-Security vorbei ins Innere der Filiale drängten. Erst eine größere Polizeiabordnung, die mit insgesamt acht Mannschaftswägen vor der Bank auffuhr, konnte die Menge beruhigen.

Wie geht es jetzt weiter?
"Aktuell klären wir mit der Versicherung, wie die Schadensabwicklung so kundenfreundlich wie möglich erfolgen kann", schreibt die Sparkasse auf ihrer Homepage. "Dazu werden wir alle betroffenen Kundinnen und Kunden informieren." Bislang sei es "wegen erheblicher Beschädigungen" allerdings noch nicht einmal möglich gewesen, den Tresorraum zu betreten, so ein Sprecher.
Sind die Schließfächer versichert?
Grundsätzlich ja, und zwar mit mindestens 10.300 Euro je Schließfach, sollten die Mieter keine Absprachen bezüglich einer höheren Versicherungssumme getroffen haben. Damit würde der Schaden – hochgerechnet – etwa 33 Millionen Euro betragen (10.300 Euro Versicherungssumme pro Schließfach mal 2.300 aufgebrochene Schließfächer).
Bekommen die Kunden die ihnen zustehende Summe einfach so überwiesen?
Nein, jeder Schließfach-Mieter muss zunächst einmal nachweisen, was er überhaupt in dem Schließfach deponiert hatte. Je detaillierter und nachvollziehbarer diese Dokumentation ist, desto rascher werden allfällige Schadensansprüche abgegolten werden.
Wie dokumentiert man am besten, was man in einem Schließfach aufbewahrt?
Das bespricht man am besten mit seinem Versicherungs- oder seinem Bankberater, um für den Fall der Fälle möglichst gerüstet zu sein.
Gab es in Deutschland überhaupt schon einmal einen solch großen Fall?
Nein. 2024 wurden in Lübeck, über 300 Schließfächer aufgebrochen und Wertgegenstände, Schmuck, Geld sowie persönliche Gegenstände von individuellem Wert entwendet, der Schaden belief sich laut Polizei auf über 10 Millionen Euro. Und im August 2021 wurden in Norderstedt bei Hamburg rund 650 Schließfächer der Hamburger Sparkasse ausgeräumt. Aber über 3.000 aufgebrochene Schließfächer gab es bislang noch nie.

Und in Österreich?
Erinnert man sich noch lebhaft an die Schließfach-Bande, die 2020 insgesamt 68 Schließfächer – einige davon von prominenten Mietern – mittels eines simplen Tricks ganz ohne Gewalt öffnen konnte und dabei angeblich mehr als 17 Millionen Euro Beute machte. Einen Fall von vergleichbarer Größenordnung gab es aber auch hierzulande bislang noch nicht.