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"Herumgereicht wie ein Obstteller": Die Memoiren des Epstein-Opfers

Victoria Roberts Giuffre war drei Jahre lang in den Fängen des Sex-Täters Jeffrey Epstein. Später verklagte sie ihre Peiniger und stürzte Briten-Prinz Andrew. Im April beging sie Suizid, jetzt erscheinen posthum ihre Erinnerungen. Kommen nun weitere Verbrechen ans Licht?

Virginia Roberts Giuffre mit einem Foto von sich selbst in Jugendtagen: "Ich wurde herumgereicht wie ein Obstteller", sagte sie später über ihre Zeit im Umfeld von Jeffrey Epstein
Virginia Roberts Giuffre mit einem Foto von sich selbst in Jugendtagen: "Ich wurde herumgereicht wie ein Obstteller", sagte sie später über ihre Zeit im Umfeld von Jeffrey EpsteinEmily Michot / Zuma / picturedesk.com
Martin Kubesch
Akt. 26.08.2025 00:48 Uhr

Sie war eine der ersten Kämpferinnen für die öffentliche und umfassende Aufarbeitung des Missbrauchs-Skandals um den New Yorker Finanzmagnaten Jeffrey Epstein: die gebürtige Kalifornierin Virginia Giuffre, geborene Roberts. Und sie wusste genau, wovon sie dabei sprach – denn bereits im Alter von 16 Jahren wurde die 1983 geborene Frau selbst für das Missbrauchs-Netzwerk "rekrutiert".

Drei Jahre lang wurde sie ausgebeutet, ehe ihr der Absprung gelang. Doch obwohl sie danach rasch eine Familie gründete, wollten und konnte Virginia Roberts Giuffre mit dem Erlebten nicht abschließen. Mit Klagen hielt sie die Erinnerung an die Verbrechen des Mannes, der sich 2019 in Untersuchungshaft das Leben nahm, aufrecht.

Ihr wahrscheinlich größter Triumph: der Rückzug des britischen Prinzen Andrew von allen öffentlichen Ämtern, nachdem sie ihm mehrfachen Missbrauch vorgeworfen hatte. Drei Jahre lang kämpfte sie dafür. Doch die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen hatten Virginia Roberts Giuffre alles abverlangt.

Als sie Ende April dieses Jahres ihrem Leben selbst ein Ende setzte, dachten viele, eine der engagiertesten Stimmen für Gerechtigkeit für die Opfer von Jeffrey Epstein sei für immer verstummt. Aber Virginia Roberts Giuffre hat ein brisantes Erbe hinterlassen: In Form einer 400 Seiten starken Biografie, die im Okober erscheinen wird und in der sie noch einmal zum Rundumschlag ausholt.
Was Sie über Virginia Roberts Giuffre, ihren Leidensweg und ihr Vermächtnis wissen müssen – der Überblick:

"Nobody's Girl" von Victoria Roberts Giuffre erscheint am 21. Oktober bei Alfred A. Knopf in New York
"Nobody's Girl" von Victoria Roberts Giuffre erscheint am 21. Oktober bei Alfred A. Knopf in New York
Alfred A. Knopf

Worum geht es hier?
Um die Lebens- und Leidenserinnerungen von Virginia Roberts Giuffre, eines der Opfer von Jeffrey Epstein. Diese werden am 21. Oktober posthum unter dem Titel "Nobody's Girl: A Memoir of Surviving Abuse and Fighting for Justice" (etwa "Erinnerungen an das Überleben von Missbrauch und den Kampf für Gerechtigkeit") im Verlag Alfred A. Knopf erscheinen und 400 Seiten haben.

Hat sie das Buch alleine verfasst?
Nein, ihre Co-Autorin war Amy Wallace, eine preisgekrönte Reporterin, deren Arbeiten u. a. in der New York Times erschienen sind. Die beiden Frauen haben insgesamt vier Jahre daran gearbeitet, Victoria Roberts Giuffre hat dafür ein Honorar in Millionenhöhe kassiert.

Warum posthum?
Weil Virginia Roberts Giuffre am 25. April dieses Jahres auf ihrem Anwesen in ihrer Wahlheimat Australien Suizid begangen hat*.

Wird das Buch auch auf Deutsch erscheinen?
Das steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest

Worum wird es darin konkret gehen?
Der Verlag schreibt, das Buch enthalte "intime, verstörende und herzzerreißende neue Details über ihre Zeit mit Jeffrey Epstein, Ghislaine Maxwell und ihren vielen bekannten Freunden, darunter Prinz Andrew, über den sie zum ersten Mal seit ihrer außergerichtlichen Einigung im Jahr 2022 öffentlich spricht." Und Jordan Pavlin, Chefredakteur des Verlags, sagte, "Nobody’s Girl" sei eine "rohe und schockierende" Reise und "die Geschichte eines wilden Geistes, der darum kämpft, sich zu befreien".

Victoria Roberts Giuffre (3. v. r.) mit weiteren Opfern von Jeffrey Epstein und Anwalr David Boies 2019 in New York
Victoria Roberts Giuffre (3. v. r.) mit weiteren Opfern von Jeffrey Epstein und Anwalr David Boies 2019 in New York
Emily Michot / Zuma / picturedesk.com

Wer war Virginia Roberts Giuffre?
Sie wurde im Jahr 2000 im Alter von 16 Jahren von Epsteins Lebensgefährtin Ghislaine Maxwell auf dem Anwesen von Donald Trump in Florida, Mar-a-Lago, wo sie nebenbei jobbte, "entdeckt" und als Masseurin angestellt. In den folgenden Jahren sei sie immer wieder an Freunde und Kunden von Epstein "herumgereicht worden wie ein Obstteller", ehe ihr der Absprung gelang.

Wie war ihre Verbindung zum britischen Prinzen Andrew?
Auch ihm sei sie über Vermittlung von Epstein vorgestellt worden und er hätte sie im Alter von 17 Jahren drei Mal sexuell missbraucht. 2019 reichte Virginia Roberts Giuffre eine Zivilklage gegen Andrew ein, der zwar sämtliche Vorwürfe bestritt, in der Folge aber seine öffentlichen Ämter zurücklegen musste und Roberts Giuffre eine Vergleichszahlung in der Höhe von etwa 14 Millionen Euro zugestand.

Wie gelang ihr die Flucht aus dem "System Epstein"?
Nach drei Jahren in seinen Diensten schickte Jeffrey Epstein die zu dem Zeitpunkt 19-Jährige nach Thailand zu einem Massagekurs. Dort traf sie den australischen Kampfsporttrainer Robert Giuffre verliebte sich in ihn und gründete mit ihm in Australien eine Familie. Victoria Roberts Giuffre war Mutter von drei Kindern.

Wann begann sie damit, ihre Peiniger juristisch zu verfolgen?
2007 wurde sie das erste Mal von US-Strafverfolgungsbehörden kontaktiert, die gegen Epstein ermittelten. Ab 2008 engagierte sich Roberts Giuffre selbst und deckte in der Folge zahlreiche Personen mit Zivilklagen ein, darunter neben Epstein auch Ghislaine Maxwell, den Anwalt Alan Dershowitz und eben Prinz Andrew. Und sie gründete ihre Organisation "Speak Out, Act, Reclaim" (etwa: "Sprich es aus, handle, fordere zurück" für die Opfer von sexuellem Missbrauch.

Briten-Prinz Andrew mit Donald und Melania Trump während dessen erster Amtszeit im Juni 2019 in London
Briten-Prinz Andrew mit Donald und Melania Trump während dessen erster Amtszeit im Juni 2019 in London
Matt Dunham / AP / picturedesk.com

Wie ging es ihr privat?
Obwohl sich Victoria Roberts Giuffre für die Medien immer als starke Frau inszenierte, setzten sich in ihrem Privatleben die Tragödien fort. Wie die Londoner Times in einem einfühlsamen Porträt anlässlich ihres Todes enthüllte, wurde Roberts Giuffre, die bereits als Siebenjährige von einem Bekannten ihrer Eltern sexuell missbraucht worden war, von ihrem Ehemann Robert regelmäßig geschlagen, bis sich das Paar 2023 schließlich trennte.

Und danach?
Nach einer weiteren Auseinandersetzung gelang es ihrem Mann, ihr das Besuchsrecht für die gemeinsamen Kinder temporär entziehen zu lassen – eine Entscheidung, an der Victoria Roberts Giuffre offenbar zerbrach. Am ANZAC-Day 2025, dem Weltkriegs-Erinnerungs-Tag in Australien, nahm sie sich auf ihrer Farm im Westen des Landes das Leben.

War das eine Kurzschlusshandlung?
Offenbar nicht. Ihre Sprecherin erklärte später, Roberts Giuffre habe ihr dieses Vorhaben bereits Wochen vorher angekündigt, woraufhin diese ihre Familie in Amerika alarmiert habe. Ihr Bruder sei schließlich auch bei Victoria Roberts Giuffre gewesen, habe die Tat aber auch nicht verhindern können. Und: Im Lichte dieser Erkenntnis liest sich auch eine Mail-Botschaft an ihren Verlag, die sie wenige Wochen vor ihrem Tod versendet hatte, noch einmal ganz anders.

Welche Botschaft?
Darin heißt es, es sei ihr "herzlicher Wunsch", dass die Memoiren "ungeachtet" ihrer Umstände veröffentlicht würden. "Für den Fall meines Ablebens möchte ich sicherstellen, dass 'Nobody's Girl' dennoch veröffentlicht wird. Ich glaube, dass es das Potenzial hat, viele Leben zu beeinflussen und notwendige Diskussionen über diese gravierenden Ungerechtigkeiten anzuregen."

Ghislaine Maxwell und Jeffrey Epstein an Bord von dessen Privatjet
Ghislaine Maxwell und Jeffrey Epstein an Bord von dessen Privatjet
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Und weiter?
"Der Inhalt dieses Buches ist von entscheidender Bedeutung, da es die systemischen Fehler aufzeigen soll, die den grenzüberschreitenden Menschenhandel mit gefährdeten Personen ermöglichen", heißt es weiter in der E-Mail von Roberts Giuffre. "Es ist zwingend erforderlich, dass die Wahrheit ans Licht kommt und die damit verbundenen Probleme angesprochen werden, sowohl im Interesse der Gerechtigkeit als auch des Bewusstseins."

Was ist von den Memoiren konkret zu erwarten?
Das fragen sich derzeit viele Menschen. Der Verlag hat angekündigt, dass "Nobody’s Girl" "gründlich auf Fakten als auch rechtlich geprüft" worden sei – das schließt die Nennung von bislang unbekannten Namen bzw. eine Verbindung zu strafbaren Taten vermutlich aus. Wobei Knopf bereits erklärt hat, dass im Buch gegen US-Präsident Donald Trump "keine Missbrauchsvorwürfe" erhoben würden.

Weshalb wird das so explizit erwähnt?
Weil der US-Präsident aufgrund seiner früheren Verbindungen zum 2008 verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein seit Monaten massiver Kritik auch von seinen eigenen Anhängern ausgesetzt ist.

Warum das?
In den USA gibt es seit dem Tod Epsteins in der Untersuchungshaft 2019 zahlreiche Verschwörungstheorien rund um die Causa. Dabei geht es immer auch darum, dass angeblich unveröffentlichte Akten und eine "Kundenliste" existieren sollen, auf der jene Menschen verzeichnet seien, denen Epstein junge, oft noch minderjährige Frauen zum sexuellen Missbrauch "zugeführt" haben soll. Diese Kundenliste sei aber auf Treiben der Demokraten immer unter Verschluss gehalten worden. Trump hat diese Erzählung selbst in seinem Wahlkampf immer wieder bemüht und versprochen, er werde die Akten und die Liste veröffentlichen.

Ein Foto von US-Präsident Donald Trump und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, gezeigt während einer Anhörung im Repräsentantenhaus im Jänner 2024
Ein Foto von US-Präsident Donald Trump und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, gezeigt während einer Anhörung im Repräsentantenhaus im Jänner 2024
REUTERS/Kevin Lamarque

Und jetzt?
Nach seiner Wahl hat Trump plötzlich alles Interesse an der Sache verloren und seinen Anhängern lapidar mitgeteilt, es gebe gar keine unveröffentlichten Epstein-Akten mehr bzw. in diesen würde "nichts Erwähnenswertes" mehr stehen. Eine Strategie, die bei seinen eigenen Anhängern noch schlechter ankommt als beim politischen Gegner.

Heißt was?
Trump bemüht sich derzeit nach Leibeskräften, den Anschein zu erwecken, als würde er jetzt doch alles unternehmen, um weiteres Licht in den Epstein-Fall zu bringen. Und ein Teil dieser Strategie ist, dass er soeben die Einvernahme von Ghislaine Maxwell, Epsteins ehemalige Lebensgefährtin, durch einen Sonderermittler des Justizministeriums hat veröffentlichen lassen.

Wo ist Ghislaine Maxwell derzeit?
Sie verbüßt eine 20-jährige Haftstrafe wegen diverser Sexualstrafdelikte während ihrer Zeit an der Seite von Epstein, wozu sie im Jahr 2022 verurteilt worden ist.

Was sagt Maxwell bei dieser Einvernahme?
Vor allem viel Lobendes über Trump. So sagte Maxwell etwa, dass sie nicht glaube, dass Trump und Epstein enge Freunde gewesen seien. Auch erklärte sie, sie habe "den Präsidenten nie bei einer Massage gesehen" – womit sie auf die Massagedienste anspielte, die einige Epstein-Opfer erwähnt hatten. Und: "Der Präsident hat sich nie jemandem gegenüber unangemessen verhalten. ( … ) In der Zeit, in der ich mit ihm zusammen war, war er in jeder Hinsicht ein Gentleman", fügte sie hinzu.

Sprach sie dabei auch über Victoria Roberts Giuffre?
Ja. Eine sexuelle Beziehung zwischen ihr und Prinz Andrew stellte Maxwell rundheraus in Abrede. Und sie erklärte auch, dass das gemeinsame Foto von Andrew und Roberts Giuffre, auf dem sie im Hintergrund ebenfalls zu sehen ist, eine Fälschung sein müsse. Das hatte sie allerdings auch bereits 2019 behauptet, nachdem Victoria Roberts Giuffre den Royal verklagt hat.

Aufgenommen in London 2001: Prinz Andrew, Virginia Roberts Giuffre, und Ghislaine Maxwell (v. l.): "EIne Fälschung", behauptet die Ex-Partnerin von Sexualstraftäter Jeffrey Epstein
Aufgenommen in London 2001: Prinz Andrew, Virginia Roberts Giuffre, und Ghislaine Maxwell (v. l.): "EIne Fälschung", behauptet die Ex-Partnerin von Sexualstraftäter Jeffrey Epstein
HANDOUT / AFP / picturedesk.com

Gibt es Reaktionen dazu?
Victoria Roberts Giuffres Familie äußerte sich inzwischen zu den Interviewpassagen. Das Gespräch wird als "Justizfarce" bezeichnet, es stünde "im Widerspruch zur Verurteilung von Maxwell" (…) und entkräfte die Erfahrungen vieler tapferer Überlebender, die ihre Sicherheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um ihre Verurteilung zu erwirken – darunter auch unsere Schwester".

Mit wem hat Maxwell das Gespräch eigentlich geführt?
Mit Todd Blanche, dem stellvertretenden Justizminister und ehemaligen persönlichen Anwalt von Donald Trump.

Knüpfte Ghislaine Maxwell Bedingungen an das Gespräch?
Sie bat bereits um Begnadigung und hat die Aufhebung ihres Urteils beantragt. Ihr Anwalt erklärte, man würde eine Begnadigung durch den Präsidenten "begrüßen". Das Weiße Haus betonte zwar, dass im Fall Maxwell "keine Milderung gewährt oder diskutiert" werde. Unmittelbar nach der Einvernahme wurde Maxwell allerdings in das "Federal Prison Camp Bryan", eine Anstalt mit geringerer Sicherheitsstufe in Texas, verlegt.

Wurde Maxwell auch zur angeblichen Kundenliste befragt?
Ja, und sie bestritt, dass es je solch eine Liste gegeben hat.

Wie geht es jetzt weiter?
Ob Ghislaine Maxwell ihre Aussagen auch – wie geplant – vor dem Kongress wiederholen wird, ist noch nicht geklärt, ein möglicher Termin dafür wurde erstmal verschoben. Und ob sich Trump für die "freundlichen" Aussagen revanchieren wird, bleibt abzuwarten.

Mehr Feriencamp als Haftanstalt: Seit ihrer Aussage vor Sonderermittler Todd Blanche ist Ghislaine Maxwell im "Federal Prison Camp Bryan" in Texas inhaftiert
Mehr Feriencamp als Haftanstalt: Seit ihrer Aussage vor Sonderermittler Todd Blanche ist Ghislaine Maxwell im "Federal Prison Camp Bryan" in Texas inhaftiert
BRANDON BELL / AFP Getty / picturedesk.com

Und mit dem Buch von Victoria Roberts Giuffre?
Man wird sehen, wie explizit der Verlag – der übrigens zu Penguin Random House, dem größten Verlags-Konglomerat der Welt, gehört – die Autorin hat sein lassen. Davon wird auch abhängen, wieviel politischer Sprengstoff sich in den 400 Seiten tatsächlich findet.

Und wenn ein keinen neuen Sprengstoff birgt?
Selbst dann ist es in jedem Fall das Vermächtnis einer starken und mutigen Frau, die sich gegen Mächte zu behaupten wagte, die weit einflussreicher waren, als sie es jemals hätte sein können. Und die sie dennoch besiegte. Alleine das ist schon ein Signal, dass unzähligen anderen Menschen in ähnlichen Situationen Mut und Hoffnung schenken kann.

* Sollten Sie Suizid-Gedanken haben, dann holen Sie sich bitte Hilfe. Der Notruf 142 steht rund um die Uhr zur Verfügung.

Martin Kubesch
Akt. 26.08.2025 00:48 Uhr