Wirtschaftlich abgehängt? Unglücklich? Karrieremäßig am absteigenden Ast? Wirtschaftsforscher Martin Klaffke über die aktuell 45- bis 60-Jährigen. "Falsch", nennt er die Abqualifizierung. Die Gen X sei dank ihrer Erfahrung vielmehr ein Garant für Stabilität.
Der britische Economist nennt sie, ganz un-britisch brutal, eine "Verlierer-Generation": Die Generation X, die Menschen, die zwischen 1965 und 1980 geboren wurden und demzufolge heute zwischen 45 und 60 Jahre alt sind. Jene Kohorte also, der der Autor Douglas Coupland 1991 sogar einen eigenen Roman widmete – der allerdings bereits damals zur zynisch-beißenden Abrechnung mit einer Generation geriet, die sich auf dem Weg zu Erfolg und Erfüllung vor allem selbst im Weg stand.
An dieser Sichtweise hat sich bis heute wenig geändert – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Generation X gilt auch jetzt als unzufrieden, unglücklich und weithin unbrauchbar. Keine Altersgruppe fühle sich derzeit unglücklicher, ergab eine Untersuchung in 30 Ländern. Zudem hätten es die Angehörigen dieser Altersgruppe nicht geschafft, jenen wirtschaftlichen und beruflichen Erfolg einzufahren, den die Vorgänger-Generation der Babyboomer (ca. Geburtsjahrgänge 1946 bis 1964) vorgelebt haben.
Alles falsch! Ganz anderer Meinung ist der deutsche Volkswirt und Wirtschaftsforscher Martin Klaffke. Der 54-Jährige – damit selbst im Gen X-Alter – unterrichtet an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und gründete das Hamburger Institut für Change Management. Die Generationen-Frage in der Wirtschaft beschäftigt ihn seit Jahren und er hat sich dabei eine klare Meinung über die Gen X und ihre Bedeutung für die Wirtschaft erarbeitet – die mit der depressiven Schwarzmalerei des Economist nichts zu tun hat.
Wie der Experte den Beitrag der Generation X zur aktuellen Wirtschaftslage einschätzt, welche Zukunftschancen er den "X'lern" in einer zunehmend digitalisierten Welt einräumt (Spoiler: ziemlich gute!), welche Stärken die Gen X im Berufsleben generell auszeichnen und wieso es eigentlich unzulässig ist, von "einer" Generation X" zu sprechen – hier alle Antworten. Martin Klaffke über:
Weshalb es nicht "die eine" Generation X gibt
Generationen sind immer Kontext-abhängig und "funktionieren" in einem Land anders als im anderen Land. Eine sogenannte Generation definiert sich ja dadurch, dass Menschen, die in einem bestimmten Zeitfenster aufgewachsen sind, vom jeweiligen Zeitgeist und ganz spezifischen Ereignissen, die in diese Zeit geschehen sind, geprägt werden.
Was das heißt
Wer zu dieser Generation gezählt wird, in etwa die Geburtenjahrgänge 1965 bis 1980, hatte seine prägende Phase, das ist die Zeit zwischen dem 16. und dem 24. Lebensjahr, in den 80er- und 90er-Jahren. Zentrale ereignisse waren Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges, wie haben erstmals ein freies Europa erlebt. In anderen Regionen waren zu diesem Zeitpunkt natürlich andere Ereignisse prägend. Deshalb ist es auch nicht möglich, von einer einheitlichen Generation X zu sprechen. Und das gilt genauso für alle weiteren Generationen, ob sie nun Y, Z oder Alpha heißen.
Weshalb die Generation X derzeit als besonders unglücklich wahrgenommen wird
Das bezieht sich auf die U-Kurve des Glücks, die besagt, dass die Wahrnehmung der Lebenszufriedenheit in U-Form verläuft. Den Tiefpunkt, die Talsohle, erreicht man üblicherweise mit Ende 40, Anfang 50, das ist jener Zeitpunkt im Leben, in dem man in Beruf und Privat noch stark gefordert ist. Diese Phase machen derzeit viele Menschen, die zur Generation X gezählt werden, durch. Aber das hat nichts mit dieser Generation an sich zu tun, sondern ist eine Frage des Alterns. Und jede Generation wird unweigerlich irgendwann in diese Lebensphase eintreten. Und danach geht es hoffentlich wieder bergauf.
Warum man sich mit Ende 40 bzw. Anfang 50 so unglücklich fühlt
Weil man in diesem Alter für gewöhnlich feststellt, dass viele Dinge, die man angestrebt hat im Leben, nicht mehr realisierbar sind. Dazu kommt, dass sich körperliche Veränderungen und häufig erste Krankheitserscheinungen bemerkbar machen, also all diese Themen, die typischerweise mit der Midlife Crisis verbunden werden, finden zu diesem Zeitpunkt statt. Vor 10 Jahren waren noch die Babyboomer die Unglücklichsten.
Wie man aus dieser Phase wieder herauskommt
Man organisiert sich, findet sich mit gewissen Dingen ab und fühlt sich mit 60 wieder glücklicher und mit 70 dann noch mehr. Denn in dieser Lebensphase konzentriert man sich auf das, was man noch hat und noch kann. Ist man Anfang 20, ist die Perspektive nur auf die Zukunft gerichtet. Ältere und alte Menschen konzentrieren sich auf wenige, qualitativ wertvolle Beziehungen. Sie leben im Hier und Jetzt, die Perspektive ist auf die Gegenwart gerichtet.
Wie sich der Arbeitsmarkt derzeit darstellt
Es ist durch das Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt ein massiver Fachkräfte-Engpass entstanden. Das hat schon vor 5 Jahren begonnen und wird in den nächsten 5 Jahren noch spürbarer werden. Es wird jetzt zwar versucht, diese ältere Generation durch diverse Maßnahmen noch länger im Arbeitsmarkt zu halten, aber das funktioniert nur in Maßen. Denn viele Babyboomer sagen, sie wollen auch noch etwas vom Leben haben und möchten nicht mehr länger arbeiten.
Was das für die Generation X bedeutet
Die Wirtschaft wird sich bei der GenX mehr bemühen müssen, sie länger im Arbeitsleben zu halten als die Babyboomer. Aber die Bindung an ein Unternehmen muss man sich rechtzeitig erkämpfen, die kann man sich nicht einfach erkaufen. Das bedeutet, dass für viele Menschen der gut ausgebildeten Generation X die Chancen, im Markt zu bleiben und sich weiter zu entwickeln, grundsätzlich gut sind.
Weshalb KI für die Generation X keine Gefahr, sondern eine Chance ist
Die Fähigkeit, Dinge einschätzen und hinterfragen zu können, wird umso wichtiger, je mehr sich KI-Anwendungen ausbreiten. Doch dazu benötigt es Erfahrung, und die bringt die Generation X reichlich mit. Anders als zum Beispiel die aktuelle Generation Z (Geburtenjahrgänge 1995 bis 2010, Anm.), die möglicherweise eher sagt, "das macht alles ChatGPT".
Ob nicht die Gefahr besteht, dass die Generation X übergangen wird
Die Gefahr ist tatsächlich real, denn in vielen Unternehmen werden die leitenden Jobs jetzt von den verbliebenen Babyboomern frei gemacht und in vielen Fällen wird dann die Generation X in der Nachfolgefrage übergangen und gleich jemand aus der Generation Y (Geburtenjahrgänge 1980 bis 1994, die so genannten Millennials, Anm.) befördert, weil die noch länger am Start sein werden.
Warum die Generation X keine Lust (mehr) auf Führungsaufgaben hat
Viele aus der Generation X fragen sich heute, ob sie sich den Stress einer Führungsposition so spät im Berufsleben tatsächlich noch antun möchten. Oder ob es nicht noch andere Dinge gibt im Leben. Man darf ja nicht vergessen, dass sich diese Generation Zeit ihres Berufslebens in einem sehr kompetitiven Markt behaupten musste.
Was damit konkret gemeint ist
Als die Gen X ins Berufsleben einstieg, war einerseits der Ton in der Arbeitswelt noch wesentlich rauer als heute, er wurde teilweise noch von Prinzipien der Nachkriegsgeneration bestimmt, also den Eltern der Babyboomer. Und es herrschte ein massiver Wettbewerb um die besten Jobs angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit. Erst mit zunehmender Dynamik des demografischen Wandels hat sich das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt verschoben. Davon profitieren vor allem die jüngeren Generationen.
Ob es die Generationen Y und Z leichter haben am Arbeitsmarkt
Sie haben jedenfalls aktuell die Möglichkeit, sich auf einem Markt nach Jobs umzusehen, in dem wesentlich stärker auf ihre Wünsche und Erwartungen eingegangen wird als früher. Ob dies so bleibt, wird auch von der zukünftigen Nachfrage nach Arbeitskräften abhängen. Hier kommt es nicht zuletzt auf die Beschäftigungswirkung der Digitalisierung an.
Wie die Generation X ihre aktuellen Chancen am Arbeitsmarkt verbessern könnte
Schauen, was die sogenannten "Hot Skills" der Zukunft sind, welche Kenntnisse und Fertigkeiten künftig ausschlaggebend sein werden. Also etwa Innovationsfähigkeit, Kreativität und Offenheit weiter zu kultivieren. Lernfähigkeit an den Tag setzen, sich mit neuen digitalen Techniken auseinandersetzen, also grundsätzlich die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.
Wie wichtig der KI-Faktor dabei sein wird
Wer heute KI nicht nutzt, wird eher früher als später ein massives Problem bekommen. ChatGPT und Co. bieten grundsätzlich enorme Effizienzvorteile. Und gerade für die Gen X, die dank ihrer Erfahrung so ein unglaubliches Einschätzungsvermögen hat, kann KI ein mächtiger Hebel sein, auch um sich gegen die an Erfahrung ärmeren Jüngeren zu behaupten. Hierfür braucht es allerdings Offenheit für die neue Technologie und bewusstes Nutzen.
Wie das aussehen könnte
Indem man die KI in seine Arbeit mit einbezieht, ihr eine konkrete Aufgabe stellt und von dieser Basis aus weiterarbeitet. Also etwa: "Gib mir 10 Slogans für eine Hundefutterwerbung." Und mit dem Ergebnis kann man dann weiterarbeiten und startet nicht von Null. Auf diese Art lassen sich in vielen Bereichen hervorragende Resultate erzielen.
Welchen Platz die Generation X in unserer Gesellschaft einnimmt
Das kann man ganz gut am Beispiel der neuen deutschen Bundesregierung sehen. Der neue Vizekanzler Lars Klingbeil ist Generation X, eine ganze Reihe neuer Minister ebenso. Bundeskanzler Merz ist eigentlich der Einzige, der noch der Babyboomer-Generation angehört. Die GenX ist angekommen und hat in den nächsten Jahren viele Dinge zu regeln, jedenfalls in der Politik und in vielen Unternehmen.
Weshalb trotzdem viele aus der Gen X bei Bewerbungsgesprächen ganz andere Erfahrungen machen
Das ist zum einen vermutlich branchenspezifisch. Es gab und gibt nach wie vor Branchen, in denen eine unglaubliche Bejubelung der Jugend stattfindet, etwa im Bereich Medien und Werbung. Das hat vielleicht auch mit der dortigen Gehaltsstruktur zu tun und dass es nur wenige nach ganz oben schaffen.
Warum "alt" heute nicht mehr gleich "unbrauchbar" bedeutet
Zweitens sehen wir aber auch eine veränderte Wahrnehmung, was das Alter von Mitarbeitern betrifft. Früher war die Gleichung "alt gleich schwach gleich ausrangiert". Heute trifft man viel öfter auf "alt gleich erfahren gleich kann noch etwas leisten". Und es ist ja inzwischen auch wissenschaftlich belegbar, dass Alter zumindest bei Verwaltungs- und Management-Funktionen de facto kein Showstopper ist. Viele körperliche Einschränkungen, also dass man etwa nicht mehr so gut hören oder sehen kann, lassen sich in diesen Bereichen recht einfach kompensieren.
Welche Gefahr die aktuelle Wirtschaftslage für den GenX mit sich bringt
Ich habe die Befürchtung, dass wenn die Konjunktur schwächer wird, Unternehmen vermehrt wieder ältere Mitarbeiter abbauen. Das würde nicht nur die Aufbauarbeit der letzten Jahre konterkarieren. Man würde auch außer acht lassen, dass man die Älteren weiterhin als Fachkräfte benötigt, um das Demografie-Problem in den Griff zu bekommen und Wachstum zu sichern.
Ob für die Generation X dennoch Hoffnung besteht
Auf jeden Fall! Die Gen X hat gelernt diszipliniert zu arbeiten und eine Schippe draufzulegen, wenn es sein muss. Zudem verfügt sie über wertvolles Erfahrungswissen. Das sind für Unternehmen sehr interessante Eigenschaften. Anpacken können natürlich die jüngeren Generationen auch. Aber die Generation X ist anders sozialisiert worden, da gab es strenge Lehrmeister aus der Nachkriegsgeneration und eine große Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Durchhalten, sich durchboxen und neue Dinge aneignen, waren grundlegend für Erfolg.
Was das für Unternehmen bedeutet, die Gen X-Mitarbeiter beschäftigen
Punkto Arbeitsmoral mache ich mir bei der Generation X keine Gedanken. Aber die Frage ist immer die individuelle Karriereplanung, die ist natürlich auch vom Alter abhängig. Nicht jeder, der jetzt 55 ist, hat noch den Ehrgeiz und sagt, ich gehe in eine Führungsposition und leite eine größere Truppe an. Viele von denen wollen interessante Sachen machen, aber sie wollen nicht mehr auf die Errungenschaften der jüngeren Generationen verzichten, wie etwa ein Sabbatical oder eine ausgewogene Work-Life-Balance.
Ob der Arbeitsmarkt den Wert der Generation X bereits erkannt hat
Es wäre wichtig, wenn die Arbeitgeber den Wert der Gen X noch deutlicher sehen würden. Eigentlich müsste die Bedeutung dieser Generation für den Gesamtarbeitsmarkt längst allen klar geworden sein. Die Botschaft ist: Wir haben schon viele der Leute, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland und Österreich fehlen.
Was das gesamtwirtschaftlich bringen würde
Demografie ist nicht Schicksal. Jene Betriebe, die auch auf ältere Mitarbeitende setzen, werden auch in Zukunft keine Probleme haben, ihr Wachstum voranzutreiben. Das muss nur erkannt werden.
Martin Klaffke "Generationen-Management. Konzepte, Instrumente, Good-Practice-Ansätze", Springer Gabler Verlag, erscheint demnächst in 4. Auflage, ca. 50 Euro