Sexismus-Skandal
"Mein Chef hat mich auf Mund geküsst, das ist nicht normal"
WM-Finale 2023: Der Präsident des spanischen Fußballverbandes küsst Weltmeisterin Jennifer Hermoso vor den Augen aller auf den Mund. Nun wird ihm der Prozess gemacht. Und die Welt erfährt, was die Fußballerin nach der Attacke ertragen musste.

Die Freude war grenzenlos. So grenzenlos, dass jede rote Linie überschritten wurde. Im Finale der Frauen-Fußball-WM 2023 in Australien und Neuseeland waren Spanien und England aufeinander getroffen. Die Spanierinnen gewannen 1:0. Jubeltänze. Konfettiregen und dann das.
Als die spanischen Fußballerinnen auf dem Podium beglückwünscht werden, küsst Verbands-Chef Luis Rubiales plötzlich Jennifer Hermoso ungefragt auf den Mund. Alle sehen es. Die Mitspielerinnen, das Stadion, die Zuschauer der TV-Übertragungen weltweit.
Das Ereignisse wuchsen sich zum größte Sexismus-Skandal aus, den der Frauen-Fußball bisher erlebt hat. Denn Jennifer Hermoso, die zu den Besten ihrer Equipe gehört, ließ die Kuss-Attacke nicht einfach über sich ergehen, sondern thematisierte den Übergriff in den Medien und erstattete zudem Anzeige gegen Rubiales.

Woraufhin eine beispiellose Kampagne gegen die Spielerin losgetreten wurde, um sie zur Rücknahme der Anzeige zu bewegen und den Präsidenten reinzuwaschen.
Doch Hermoso blieb bei ihrer Darstellung und der Anzeige, die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Seit Montag, dem 3. Februar, wird nun in Madrid verhandelt. Was sie über den Sport-Prozess des Jahres wissen müssen:
Nochmals in aller Kürze: Was ist geschehen?
Am 20. August 2023 entschied die spanische Damen-Auswahl das WM-Finale gegen England mit 1:0 für sich. Es war der erste WM-Titel für die Spanierinnen und im Lager des frischgebackenen Weltmeisters brachen nach dem Schlusspfiff alle Dämme. Mitten in den Jubel hinein begann Verbands-Präsident Luis Rubiales übergriffig zu werden.

Was tat der Verbandspräsident genau?
Rubiales sollte die Medaillen übergeben. Aber er umarmte und küsste mehrere Spielerinnen, mindestens eine nahm er auf die Schulter und trug sie herum, die Hand auf ihren Oberschenkeln. Als er zu Jenni Hermoso kam, nahm er ihren Kopf fest zwischen seine Hände und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
Und die hat ihn daraufhin angezeigt?
Nicht sofort, sondern später. Daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft aktiv und nun kommt es zum Prozess.
Wer ist Jennifer Hermoso?
Eine der besten Spielerinnen der Gegenwart. Die 34-jährige Stürmerin spielt seit 2011 im spanischen Nationalteam und ist mit 57 Toren in 123 Spielen Rekordtorschützin für ihr Land. Auf Vereinsebene spielte sie unter anderem bei Paris St. Germain und beim FC Barcelona und kickt seit 2023 in der mexikanischen Liga. Sie war mehrfach als Weltfußballerin des Jahres sowie für den Ballon d'Or nominiert.

Was wird dem Präsidenten konkret vorgeworfen?
Ein sexueller Übergriff und Nötigung. Sein Präsidentenamt hat er inzwischen zurückgelegt. Für diese Entscheidung benötigte er allerdings 20 Tage.
Wie kam es zum Rücktritt?
Rubiales sah zunächst kein Fehlverhalten bei sich, einen Rücktritt lehnte er entschieden ab. Er nannte sich das "Opfer eine sozialen Hinrichtung". Dann wurde er zunächst vom Internationalen Fußballverband FIFA suspendiert und kündigte schließlich am 10. September seinen Abgang an. Fast drei Wochen nach dem EM-Finale.
Ist Luis Rubiales der einzige Angeklagte?
Nein, neben ihm sind auch noch der ehemalige Trainer der Weltmeistermannschaft, Jorge Vilda, sowie die Funktionäre Ruben Rivers und Albert Luque der Nötigung angeklagt. Sie sollen Hermoso unter Druck gesetzt haben, Rubiales nicht zu beschuldigen.
Welche Strafen drohen den Männern?
Für Rubiales fordert die Staatsanwaltschaft insgesamt zweieinhalb Jahre Haft, für die anderen Männer eineinhalb Jahre. Rubiales soll dem Opfer zudem 50.000 Euro Entschädigung zahlen.

Wo wird verhandelt?
Am Nationalen Gerichtshof in San Fernando de Henares bei Madrid.
Wann wird ein Urteil erwartet?
Für das Beweisverfahren sind jetzt einmal gute zwei Wochen anberaumt, wie lange es danach noch dauern wird, muss man abwarten.
Wer sagt aller aus?
Das Who-is-who der spanischen Fußball-Szene, schließlich sind alle Angeklagten Ex-Spitzenfunktionäre des spanischen Verbandes RFEF.
Findet der Prozess hinter verschlossenen Türen statt?
Nein, er ist öffentlich und wird per Live-Stream übertragen.

Wie lief der erste Prozesstag?
Gleich als erste Zeugin sagte Jennifer Hermoso aus. Sie schilderte haarklein, wie sie den Kuss nach dem Sieg im WM-Finale erlebt hat und was in den Stunden, Tagen und Wochen danach geschah. Wie versucht wurde, ihr eine Erklärung abzuringen, die Präsident Rubiales von allen Vorwürfen befreit und den Kuss als einvernehmlich darstellt.
Wie lief der Kuss aus ihrer Sicht ab?
Nach dem Schlusspfiff waren die Spanier außer Rand und Band. Jenni Hermoso erinnerte sich vor Gericht an die fragliche Minuten: "Ich begrüßte die Königin und ihre Tochter. Als Nächstes traf ich Luis Rubiales. Wir umarmten uns und ich sagte zu ihm: 'Was für ein Chaos wir angerichtet haben.' Er sagte zu mir: 'Ich habe die Weltmeisterschaft dank dir gewonnen.' Dann legte er mir die Hände auf die Ohren und küsste mich auf den Mund." Es sei "mit einer Überschwänglichkeit passiert", auf die sie nicht reagieren konnte.
Ob er sie nicht doch um Erlaubnis gefragt hat?
Im Prozess will die Richterin wissen, ob Rubiales nicht doch gefragt habe, ob er "ihr ein Küsschen geben" dürfe? Die Antwort fällt kalr aus: "Ich habe nichts davon gehört oder verstanden."

Welche Gefühle sie unmittelbar danach hatte?
"Ich hatte das Gefühl, dass das völlig aus dem Zusammenhang gerissen war und wusste, dass mein Chef mich küsste und so etwas nirgendwo passieren sollte", so Jennifer Hermoso vor Gericht. "Ich fühlte mich nicht respektiert. Es war ein Moment, der einen der glücklichsten Tage meines Lebens trübte." Und sie stellt eindeutig klar: "Es ist mir wichtig zu sagen, dass ich diese Tat (den Kuss, Anm.) nie angestrebt habe und sie ganz sicher nicht erwartet habe."
Hat sie über ihre Gefühle danach gesprochen?
Ja, sie habe unmittelbar danach ihre Teamkolleginnen Irene Paredes und Alexia Putellas über den Vorfall informiert: "Ich traf Alexia auf der Bühne und sagte zu ihr: 'Heilige Scheiße, Rubiales hat mich auf den Mund geküsst.'"
Wie ging es danach weiter?
Zunächst überwog auch bei den Spielerinnen die Freude über den gewonnenen Titel. Doch die Kuss-Szene, festgehalten von TV-Kameras und Fotografen, ging auf Social Media viral und sorgte rasch für unzählige negative Reaktionen. Offenbar so sehr, dass sich die Verbandsführung noch im Stadion genötigt sah, Jennifer Hermoso dazu zu drängen, ihrem Präsidenten die Absolution auszusprechen.

Was passierte in der Kabine?
"Ich sprach mit Rubiales in einem der Korridore des Stadions", so Hermoso. "Er sagte, dass in den sozialen Medien viel über das Thema gesprochen werde und die Dinge außer Kontrolle geraten. Ich antwortete: 'Was du getan hast, war nicht richtig.'"
Weshalb feierte sie danach trotzdem mit der Mannschaft den Titel?
"Ich war im Weltmeister-Modus und niemand konnte mir die Freude nehmen, zu feiern, was uns passierte. Ich wollte es herunterspielen, denn alles, was ich in diesem Moment gesagt hätte, hätte unsere Leistung geschmälert", so die Spielerin vor Gericht.
Gingen die Beeinflussungs-Versuche danach weiter?
Ja, bereits am nächsten Tag auf der Fahrt zum Flughafen, erinnert sich Jenni Hermoso: "Man zeigte mir am Mobiltelefon eine Erklärung, die ich verlesen sollte. Ich habe die Meldung nur überflogen und habe nie gesagt, dass ich damit einverstanden bin." Die Meldung wurde dennoch in ihrem Namen veröffentlicht.

Was tat Präsident Rubiales?
Er wurde im Flugzeug zurück nach Spanien wieder aktiv: "Er sagte mir, ich solle ihm helfen und ein Video mit ihm machen, denn er sei in Schwierigkeiten, sie würden ihn einen Stalker nennen und ihn der sexuellen Nötigung bezichtigen." Seine beiden Töchter saßen im Flieger. "Er sagte noch etwas anderes, das mich persönlich sehr gestört hat: 'Du und ich mögen dasselbe' – und zwar in Bezug auf die sexuelle Orientierung."
Wie reagierte die spanische Öffentlichkeit?
Ab dem Moment der Rückkehr seien die Scheinwerfer auf sie gerichtet gewesen: "Ich wurde rund um die Uhr von Fernsehkameras verfolgt, Leute machten Fotos von mir, während ich mit meiner Mutter frühstückte. Ich hatte Angst, habe Morddrohungen erhalten und musste Madrid mit meiner ganzen Familie verlassen, weil die Situation unhaltbar wurde."
Weshalb blieb sie bei ihrer Anklage?
"Niemand kam, um mich zu fragen, wie es mir geht. Mein Chef hat mich geküsst. Ich glaube nicht, dass das zu irgendeinem Zeitpunkt normal ist."