Dem ewigen Kanzlerkandidaten wurde in dieser Woche die Absolution erteilt. Zwei Buchstaben entschieden sein Gerichtsverfahren. Über Käferbohnen, einen geheimen Mitschnitt und die neue alte Erkenntnis: So oft wie Kurz ist noch niemand nicht zurückgekehrt.
In manchen Wochen des Jahres ist Österreich noch mehr eine Fata Morgana als in anderen. Das war in dieser Woche gut zu beobachten, es gab viel zu sehen, aber wiederum auch nicht. Am Ende des Tages blieb unklar, ob es sich lediglich bei einzelnen Ereignissen um Luftspiegelungen handelt, oder ob vielleicht nicht das Land als Gesamtheit eine Einbildung ist.
Zu erleben war eine Regierung, die sich auf einen gemeinsamen Integrationsweg einigte. Diesen Weg wollen nun aber alle drei Parteien unterschiedlich gleich beschreiten.
Es tauchte ein Video auf, das eigentlich nicht existiert, aber öffentlich angeschaut werden kann. Auch von Richtern, die es gesehen haben, oder auch nicht.
Das spielte in einem Gerichtsverfahren eine Rolle, das gleichermaßen mit einer Verurteilung und einem Freispruch endete. Die Hauptrolle spielte darin ein Kanzler, der nicht mehr Kanzler ist, aber liebend gern wieder Kanzler wäre und dauernd gefragt wird, ob er wieder Kanzler sein will, aber stets brüsk abstreitet, Kanzler werden zu wollen. Österreich halt.
Dazwischen rankten sich Käferbohnen empor. Sie wurden in den vergangenen Wochen in der Steiermark ausgesät, was grundsätzlich ein Ereignis von regionaler Bedeutung ist, in diesem Fall aber nationale Relevanz bekam. Es begann damit, dass Bauer Raphael Eitljörg in der Kronen Zeitung Pflanzen-Intimitäten ausplauderte. "Die Käferbohne", sagte er, "ist eine ziemliche Diva".
Als "ziemliche Diva" wäre die Käferbohne in der Politik gut aufgehoben. Sie könnte aber auch in der Society Karriere machen und sich etwa um eine Karte für den Opernball 2026 bemühen, die kostet nun wohlfeile 410 Euro, erfuhren wir diese Woche. Oder die Käferbohne mietet gar eine Loge und macht den Lugners beim Hollywoodgast Konkurrenz.
Es würden im ORF Sätze für die Ewigkeit fallen. "Schauen wir doch einmal in die Loge der Käferbohne, ob es dort interessante Gesprächspartner gibt", könnte Mirjam Weichselbraun ankündigen. Die Kamera würde dann durch die Tür spechteln, zu sehen wäre vielleicht ein fetter Kohlrabi, daneben ein paar dürre Strankerln und eine ziemliche Gurke. Alles Kraut und Rüben. Aber Bio.
Als Hülsenfrucht von Rang mag es die Käferbohne feucht, aber nicht zu feucht, warm, aber nicht zu warm. So wie die Wiener ihr Italien, wenn sie zu Pfingsten nach Lignano fahren. Auch Käferbohnen geben gern Tutto Gas.
Der Klimawandel schlägt allerdings überall zu. Das hat zur Folge, dass Käferbohnen nicht mehr nur in der Südsteiermark angebaut werden können, sondern auch in der Obersteiermark. Das wäre an sich noch nicht schlimm, würden Käferbohnen deshalb nicht hin und wieder an "Inzucht-Depressionen" erkranken. Und das in einer Zeit, in der unsere Krankenkassen ohnehin schon am Anschlag sind.
Weil es in Österreich immer heißer wird und es viel regnet, oder gar nicht, müssen Käferbohnen resistenter gemacht werden. Man fummelt deshalb an der Pflanze herum, sie wird isoliert und selbst bestäubt, es handelt sich um einen komplexen Vorgang. Wie bei einer künstlichen Befruchtung, nur anders.
Fünf, sechs Jahre müsse man das machen, um eine reine Linie zu erhalten, erklärt Bauer Eitljörg. "Doch dann bekommt die Käferbohne eine sogenannte Inzucht-Depression." Damit sie dort herauskommt, muss man sie mit einer anderen Linie mischen. Ob das dauerhaft erfolgreich ist, werde erst die Praxis zeigen, so Eitljörg, "wir verhätscheln die Pflanzen ja".
Wird auch Sebastian Kurz medial verhätschelt? Die Befundung dieser Frage drängte sich diese Woche auf. Eine erste Diagnose lässt sich jedenfalls reinen Herzens treffen: Verschwiegen wurde der Freispruch des gewesenen Kanzlers nicht. Es gab breite Berichterstattung, auch der Länge nach. Große Fotos auf Titelseiten und in den Innenteilen der Zeitungen, um von den Live-Tickern im Internet erst gar nicht zu reden.
Es folgten ein paar Tage, in denen nicht zum ersten Mal ein Kurz-Comeback mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung erörtert wurde. Die Debatte endete mit der üblichen Erkenntnis: Kurz kehrt definitiv nicht in die Politik zurück. Außer es fragt ihn wer.
"Kurzum Freispruch" titelte die "Krone" am Cover und ich gebe zu, für mich war das ein Sickerwitz. "Wer ist dieser Kurzum?", dachte ich mir im ersten Augenblick. Der nächste Gedanke war: Vielleicht hat sich der Freigesprochene, ermuntert durch den Erfolg vor Gericht und auf hoher See, nun einen Künstlernamen zugelegt, Sebastian Kurzum also. Nicht nur Käferbohnen können ziemliche Diven sein.
Oder Kurz sah sich sogar gezwungen, einen Tarnnamen anzunehmen. Er scheint im Geschäftsfeld Cybersecurity zu einigem Reichtum gekommen zu sein, da herrschen sicher raue Sitten. Wenn er sich hinter einem pfiffigen Pseudonym versteckt, erhöht das eventuell das individuelle Sicherheitsgefühl.
Mit ein paar wenigen Handgriffen ließe sich auch das Aussehen so ändern, dass Sebastian Kurzum auf der Straße nicht mehr erkannt werden würde. Nicht einmal von Elisabeth Köstinger, was gar nicht so leicht erscheint. Ein Seitenscheitel könnte an die Stelle der bisherigen Frisur treten. Sie sähe dann nicht mehr so aus, als wäre ihr Träger mit dem Cabrio durch die Waschstraße gefahren und hätte irrtümlich das Verdeck offengelassen.
Vielleicht handelte es sich aber lediglich um einen Schreibfehler in der "Krone", der bei der Korrektur durchgerutscht war. Tatsächlich sollte es heißen "Kur zum Freispruch". Dass sich der vom Schicksal gebeutelte Kanzler nach dem kräftezehrenden Prozess eine Auszeit zur Erholung gönnt, erscheint mehr als verständlich.
Es stand tatsächlich auf des Mesners Schneide, letztlich entschied ein Wort, machten zwei Buchstaben den Unterschied aus. Dem Jawort fällt im Leben vieler Menschen große Tragweite zu, in diesem Fall entschied ein Ja-Wort, ob Sebastian Kurzum das Gericht als freier Mann verlassen darf oder wie Karl-Heinz Grasser im verschärften Arrest landet. In der österreichischen Variante davon halt, daheim mit Fußfessel.
Vielleicht täuscht der Eindruck, aber am meisten überraschte der Freispruch den Betroffenen selbst. Kurz fiel in seine Form der "Inzucht-Depression", er rang nach Worten. Seine Stellungnahme direkt im Anschluss an die Entscheidung des Oberlandesgerichts am Montag fiel karg aus. Aber er holte am nächsten Tag nach, was manche gar nicht als Versäumnis empfunden hatten.
Rätsel bleiben. Das Oberlandesgericht deutete sein "Ja" anders als das Erstgericht. In einem Fall stand es für die nackte Wahrheit, im anderen Fall für die wahre Nacktheit. Davon kann sich jeder ein eigenes Bild machen, obwohl es das Bild eigentlich nicht geben dürfte.
Im Juni 2020 tastete sich Österreich nach dem ersten Lockdown wieder zaghaft an die Normalität des Lebens heran. Der 24. Juni 2020 war ein weitgehend sonniger Tag und mit 24 Grad recht mild. An diesem Mittwoch fand im Lokal 7 der Hofburg eine Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses statt. Das Parlament befand sich noch im Umbau, also Ausweichquartier.
Dorthin war Sebastian Kurz geladen. Der damalige Kanzler sollte unter anderem über die Umstände der Bestellung von Aufsichtsratsposten bei der Österreichischen Beteiligungs AG befragt werden, die ÖBAG verwaltet die Unternehmensanteile der Republik. Es ging recht hitzig zu, das lässt sich im Protokoll nachlesen, das in diesem Fall öffentlich gemacht wurde.
Dabei blieb es aber nicht. Die Sitzung wurde wie üblich in einem abhörsicheren Raum durchgeführt, was aus heutiger Sicht fast ironisch klingt. Denn aus diesem abhörsicheren Raum wurde das Geschehen auch in zwei Nebenräume übertragen. Es herrschte ein gröberes journalistisches Interesse an den Vorgängen, für die georderten 60 Arbeitsgelegenheiten reichte der Platz im Ausschusslokal nicht.
In einem dieser Nebenräume wurde der Live-Stream vom Fernseher mitgefilmt. Auf dem YouTube-Channel von ZackZack, dem Portal von Peter Pilz, finden sich aktuell fünf Mitschnitte aus diversen Ibiza-Ausschusstagen, etwa die Befragung von Gernot Blümel, damals Finanzminister, oder von Wolfgang Sobotka, der den Ausschuss leitete.
Das brisanteste Video ist 5 Stunden 1 Minute und 13 Sekunden lang und umfasst die Aussage von Sebastian Kurz. Die Aufnahme weist keine Hollywood-Qualität auf, das Bild flirrt, der Ton rauscht. Der Filmemacher ist eher kein Kandidat dafür, von der Käferbohne zum nächsten Opernball eingeladen zu werden.
Es ist nicht die gesamte Befragung zu sehen und zu hören, aber die relevante Passage, die nun vor Gericht eine Rolle spielte, sehr wohl. Der Wortlaut weicht etwas vom offiziellen schriftlichen Protokoll ab, in dem offenbar gekürzt wurde.
Im Video gibt es immer wieder Pausen, wenn sich die Fraktionschefs in "Stehungen" über strittige Vorgangsweisen austauschen. Während dieser Zeit ist ein Standbild zu sehen, es zeigt die Hofburg vom Parlament aus gesehen. Hübsch! Ein Insert informiert darüber, dass "die Übertragung in Kürze fortgesetzt wird", was nicht immer stimmt. Die Kürze hat Längen.
Die meiste Zeit der fünf Stunden nimmt Kai Jan Krainer, Fraktionschef der SPÖ im Ausschuss, für sich in Anspruch. Die Verbindung zwischen ihm und Sebastian Kurzum scheint nicht sehr eng zu sein, das ist selbst bei diesem Gerausche spürbar.
Ehe Krainer aber die erste Geige spielen darf, ist eine andere Sequenz zu hören. Sie ist rund eineinhalb Minuten lang, aber sie sollte fünf Jahre später für einen Freispruch sorgen. Das ist zu sehen:
Standbild, der Timecode am Video zeigt 2 Stunden 40 Minuten und 57 Sekunden. Plötzlich ist ein Hupton zu hören, vermutlich von der Straße, dann ist eine männliche Stimme zu vernehmen: "Endloseschleife fest". Was das zu bedeuten hat und wer das sagt, bleibt unklar. Anschließend geht das Surren weiter. Und das Standbild.
2.41.15 Ein paar Wortfetzen von Wolfgang Sobotka sind zu hören. "Abschnitte angehört. Sie abzuspielen bitte." Dann ist der Ton weg, das Standbild auch. Wir sehen schwarz.
2.41.20 Wie aus dem Nichts taucht Stephanie Krisper auf, sie saß für die NEOS im Ausschuss. "Haben Sie allgemein Wahrnehmungen zu der Frage wie der Aufsichtsrat besetzt wurde?" fragt sie. "Waren Sie da selbst eingebunden?" Das Bild ist wieder da.
2.41.28 Sebastian Kurz antwortet: "Ja, ich weiß, dass es hier im Finanzministerium und im zuständigen Nominierungskomitee Überlegungen und Gespräche gab (ähm). Bei Aufsichtsratsbestell ... Der Ton bricht ab.
2.41.39 Die Frage von Krisper wird noch einmal abgespielt.
2.41.48 Auch die Antwort von Kurz wird wiederholt, nun in voller Länge. "Ja, ich weiß, dass es hier im Finanzministerium und im zuständigen Nominierungskomitee (ähm) Überlegungen und Gespräche gab (ähm). Bei Aufsichtsratsbestellungen wird man als Bundeskanzler (ähm) – das ist von Minister zu Minister unterschiedlich und von Anlassfall zu Anlassfall unterschiedlich (äh) – manchmal mehr, manchmal weniger informiert. Grundsätzlich treffen die Minister, die zuständig sind, ihre Entscheidungen (äh). Im Regelfall werde ich danach informiert, manchmal werde ich vorher um die Meinung gefragt."
2.42.16 Krisper will nachhaken. "Ich habe nicht nach dem Regelfall gefragt …" Aber Sobotka fällt ihr ins Wort. "Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Gerstl. Die Zeit ist aus, es kommt die zweite Runde."
Bei Lebensrettungen zählt jede Minute, bei politischen Lebensrettungen können Sekunden reichen. Das Oberlandesgericht betrachtete das "Ja" von Kurz als korrekte Antwort. Er habe im U-Ausschuss nicht gelogen, weil er bestätigt habe, eingebunden gewesen zu sein. Also Freispruch.
Das Erstgericht hatte das "Ja" anders gedeutet. Kurz habe gar nicht auf die Frage geantwortet, sondern das "Ja" einer sehr allgemeinen Antwort vorangestellt. Also Verurteilung.
Ob sich das Oberlandesgericht das Video auf ZackZack angesehen hat? Die Beantwortung der Frage muss offenbleiben. Der Standard tickerte die Urteilsbegründung, Richter Werner Röggla wird darin mit dem Satz zitiert, der Senat habe sich "die Videoaufnahmen" angeschaut. Ähnlich berichten Kurier oder Profil. Also ja.
"Nein", sagt mir die Sprecherin des Oberlandesgerichts. Gemeint sei nicht ein Video gewesen, sondern der Audio-Mitschnitt der Befragung.
Das ist heikel, denn Videoaufnahmen sind bei U-Ausschüssen nicht erlaubt. Es gibt also im Keller des Parlaments keinen Raum, der aussieht wie früher die Videotheken, und in dem Filme und Hördateien von U-Ausschüssen gelagert werden. Die harten Sachen von Wolfgang Sobotka vielleicht in einem Extrazimmer mit einem Kordelvorhang als Trenner.
Auch die Video-Übertragung in die Nebenräume für Journalisten wird nicht aufgezeichnet. Im Ausschuss-Lokal läuft sehr wohl ein Tonband mit, daraus wird im Anschluss ein schriftliches Protokoll erstellt. Mit Ende des Ausschusses werden dann aber alle Audiomitschnitte vernichtet, außer die Staatsanwaltschaft fordert sie an.
Medienvertreter dürfen keine Video- oder Tonaufzeichnungen machen. Das regelt Paragraph 17 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Es gibt eine Reihe von Sanktionen bei Verstößen, die meisten werden bei einer öffentlichen Person wie Sebastian Kurzum eher nicht schlagend. Aber möglich sind zivil- und strafrechtliche Folgen.
Sehr wohl handelt es sich um eine Verletzung des Hausrechts des Parlaments und um einen Ordnungsverstoß. Das kann zu einem Verweis aus dem Gebäude, dem Entzug der Akkreditierung, oder zu einer Anzeige durch das Parlamentssekretariat führen. Da die Videos immer noch online sind, wurde rechtlich bisher höchstens das kleine Besteck ausgepackt.
Wie bei Sebastian Kurzum.
Ich wünsche einen kurzweiligen Sonntag. Ich bin heute in der Pressestunde im ORF zu Gast, gemeinsam mit Helma Poschner befrage ich Bildungsminister Christoph Wiederkehr. Ich weiß, das Wetter ist prachtvoll und das Wochenende verlängert, aber ich werde mir sehr genau merken, wer zuschaut und wer nicht.
Kurzum: Hoffentlich bis in einer sehr, sehr kleinen Weile.