Noch ist nicht einmal ein Drittel der Signa-Pleite ist aufgearbeitet, aber schon jetzt übersteigt der Schaden sämtliche Vorstellungen. Wie derart hohe Schulden entstehen konnten. Warum das Verfahren 15 Jahre dauern könnte. Und: Stimmen die 40 Milliarden überhaupt?

40 Milliarden Euro – eine 4 mit zehn Nullen – diese gigantische Summe fordern insgesamt mehr als 3.000 Gläubiger mittlerweile von René Benkos Pleite gegangener Signa Holding und ihren hunderten Tochterfirmen.
Diese Summe errechneten Gläubigerschützer anhand der bislang vorliegenden Forderungen in insgesamt 400 Insolvenzverfahren. Endgültig ist diese Zahl allerdings noch nicht, es kommen immer wieder neue Insolvenzen – und damit auch neue Forderungen – dazu. Und: es bestehen Zweifel über den genannten Betrag, die 40 Milliarden also.
Auch wann die Betroffenen zumindest einen Teil ihres Geldes zurückbekommen, steht in den Sternen. Zwischen acht und 15 Jahren lauten die Schätzungen, die es noch braucht, den gigantischen Scherbenhaufen aufzuräumen, den Benko und Co. hinterlassen haben.
Weshalb es so lange dauert, Licht ins Dunkel der Signa-Pleite zu bringen, wie die absurd hohe Forderungssumme von 40 Milliarden Euro zustande kommt und wohin das ganze Geld verschwunden sein könnte – die jüngsten Entwicklungen im Signa-Krimi im Überblick:
Worum geht es hier?
Um die Aufarbeitung der größten Pleite, der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Ende November 2023 meldete die Signa Holding des Tiroler Immobilienunternehmers René Benko, die Muttergesellschaft über alle weiteren Signa-Gesellschaften, Insolvenz an. Im April 2024 wurde aus dem Insolvenz- ein Konkursverfahren, zusätzlich meldete Benko persönlich im März 2024 als Unternehmer Insolvenz an.

Was bedeutet das?
In Folge des Konkurses der Signa Holding, meldeten zahlreiche untergeordnete Gesellschaften ebenfalls Insolvenz an. Von den insgesamt weit über 1.000 Firmen des Signa-Geflechts, haben europaweit bislang etwa 400 Insolvenz angemeldet.
Wie werden diese Firmen "aufgearbeitet"?
Vom Gericht eingesetzte Masseverwalter sind damit beauftragt, die einzelnen Gesellschaften abzuwickeln, also finanziell reinen Tisch zu machen und die Tätigkeit des Unternehmens anschließend zu beenden. Am Ende einer Abwicklung wird ein Unternehmen aus dem Firmenbuch oder dem Handelsregister gelöscht und existiert rein rechtlich gesehen nicht mehr.
Wie funktioniert das?
Der Masseverwalter muss einerseits feststellen, welche Werte in dem insolventen (also zahlungsunfähigen) Unternehmen vorhanden sind, die noch zu Geld gemacht werden können. Und er muss gleichzeitig schauen, welche Forderungen von Gläubigern des Unternehmens bestehen und diese auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Am Ende wird das Geld, das noch vorhanden ist, auf alle Gläubiger des Unternehmens gleichmäßig aufgeteilt.
Und jeder Gläubiger muss sich an den Masseverwalter wenden, um seine Ansprüche geltend zu machen?
Theoretisch ja. Aber vor allem für kleine Betriebe (Lieferanten, Handwerker oder Dienstleister) gibt es in Österreich die Möglichkeit, sich an Gläubigerschutzverbände zu wenden, die dann die Interessen geschädigter Gläubiger gegenüber dem Masseverwalter vertreten.
Was ist der Vorteil?
Für den Masseverwalter, dass er nur mit den Gläubigerschutzverbänden zu tun hat und nicht mit oft hunderten Klein-Gläubigern, die alle Forderungen stellen. Und für die Gläubiger, dass sie sich nicht selbst mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche befassen müssen.
Wie viele Gläubigerschutzverbände gibt es in Österreich?
Vier, nämlich der Österreichische Verband Creditreform, den Alpenländischen Kreditorenverband, den Kreditschutzverband von 1870 und den Insolvenzschutzverband für ArbeitnehmerInnen, letzterer gehört allerdings zum Dunstkreis der Arbeiterkammer und kümmert sich um Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber insolvent ist. Die ersten drei genannten Verbände vertreten in Österreich insgesamt mehrere hundert Gläubiger, die finanzielle Forderungen an ein oder mehrere Unternehmen aus dem Signa-Konglomerat stellen.

Was haben die Gläubigerschutzverbände davon?
Die Verbände firmieren als Vereine, somit agieren sie nicht gewinnorientiert. Finanziert werden sie einerseits aus Mitgliedsbeiträgen – wer die Dienste eines Gläubigerschutzverbandes in Anspruch nimmt, muss dafür entweder Mitglied des Verbandes sein. Oder, wenn er die Hilfe nur einmalig in Anspruch nehmen möchte, wird ihm ein Honorar in Rechnung gestellt. Und andererseits erhalten die Verbände eine sogenannte "Gerichtsbelohnung" am Ende eines Insolvenzverfahrens. Die Höhe dieser "Belohnung" orientiert sich an der Summe, die ein Verband für seine Mitglieder im Zuge des Verfahrens erkämpft hat.
Gibt es solch ein Gläubigerschutz-System auch in anderen Ländern?
Es gibt ähnliche Systeme, aber in dieser Form existiert das System nur in Österreich.
Und was bedeutet das alles für die Signa-Pleite?
Als Gläubigervertreter haben die drei Verbände Akteneinsicht in jedes Insolvenzverfahren, das in Österreich eröffnet wird. Anders gesagt: Neben den Insolvenz- und Masseverwaltern, hat niemand so viel Durchblick in den aktuellen Stand der Signa-Aufarbeitung wie die drei Gläubigerschutzverbände. Und einer der drei, nämlich Creditreform, hat jetzt mit einer aktuellen Schätzung aufhorchen lassen.
Welcher Schätzung?
Dass sich die Gläubiger-Forderungen im Zuge der Signa-Pleite mittlerweile europaweit auf sagenhafte 40 Milliarden Euro summiert hätten. Und laut Gerhard Weinhofer von Creditreform sei auch damit noch nicht Schluss, denn es würden immer wieder neue Forderungen auftauchen, weil auch immer neue Signa-Firmen in die Insolvenz geschickt würden.
Wie kommt man auf 40 Milliarden Euro Schulden?
Laut Gläubigerschützer Gerhard Weinhofer würden alleine die 138 Insolvenzverfahren der Signa in Österreich bereits Forderungen von 37,1 Milliarden Euro nach sich ziehen. Die restlichen drei Milliarden seien eine Schätzung für weitere Forderungen außerhalb Österreichs.
In welchen Ländern sind noch Signa-Gesellschaften insolvent?
In Deutschland (aktuell 177 Insolvenzen), Luxemburg (70), der Schweiz (7) sowie Italien und Liechtenstein. Alles zusammen sind es laut Weinhofer knapp 400 Insolvenzen und insgesamt etwa 3.000 Gläubiger, die bislang Forderungen angemeldet haben.
Und diese Forderungen sind alle auch bereits vom Gericht bestätigt?
Nein. Laut Gerhard Weinhofer seien von den 37,1 Milliarden Forderungen in Österreich bislang 11,8 Milliarden gerichtlich anerkannt.

Ist diese Schätzung seriös?
Naja, es gibt zumindest einige Skepsis diesbezüglich. Weinhofers Kollegin Cornelia Wesenauer vom Alpenländischen Kreditorenverband und Karl-Heinz Götze vom Kreditschutzverband von 1870 setzen die Gesamtsumme der Verbindlichkeiten nicht ganz so hoch an, da viele dieser Forderungen innerhalb der Signa-Gesellschaften gestellt werden.
Was bedeutet das?
"In vielen Fällen haben Signa-Gesellschaften für Schwesterngesellschaften Haftungen über riesige Summen übernommen", schildert Cornelia Wesenauer das übliche Prozedere. Dadurch würden viele Forderungen im Bereich von zig hunderten Millionen Euro mehrfach in den Büchern aufscheinen, obwohl die Summe im Grunde nur einmal geschuldet wird. Die Schätzung von 40 Milliarden an Forderungen sei deshalb "auf dem Papier zwar richtig, aber gleichzeitig dennoch nicht korrekt", so Cornelia Wesenauer.
Wie hoch sind die Schulden der Signa denn nun wirklich?
Fix seien jene 11,8 Milliarden, die vom Gericht bereits anerkannt wurden, darin sind sich die Gläubigerschützer Weinhofer und Wesenauer einig. Alles, was darüber hinaus geht, würde sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen, so Creditreform-Vertreter Gerhard Weinhofer: "Die gesamte Gläubiger-Summe ändert sich in Wahrheit ständig, weil permanent irgendwo Forderungen innerhalb der Signa-Gesellschaften gestrichen werden und gleichzeitig neue Forderungen auftauchen, wenn wieder eine neue Gesellschaft insolvent wird."
Weiß man, wer die insgesamt 3.000 Gläubiger der Signa sind?
Laut Weinhofer von Creditreform seien etwa 95 Prozent der Gläubiger institutionelle Anleger und Investoren, also Versicherungen, Investment- und Pensionsfonds oder vermögende Privatleute. So habe etwa der Hamburger Investor und Milliardär Klaus-Michael Kühne (Kühne & Nagel Logistik) nach eigenen Angaben etwa eine halbe Milliarde Euro durch die Signa-Pleite verloren.
Ist das der größte Einzelverlust?
Es wird erzählt, dass verschiedene Fonds jeweils zwischen 600 und 800 Millionen Euro in die Signa investiert hätten. Aber da Insolvenzverfahren nicht öffentlich sind, wird sich dafür keine unabhängige Bestätigung finden lassen.
Und die restlichen fünf Prozent der Gläubiger?
Das sind dann jene Klein-Gläubiger, die irgendeiner Firma im Signa-Universum Dienstleistungen oder Waren verkauft haben und auf ihren offenen Rechnungen sitzen geblieben sind. Hier geht es meistens um einige tausend Euro, in selteneren Fällen auch um ein paar Zehntausend Euro. Sprichwörtlich Peanuts angesichts des gesamten Schulden-Volumens, aber gerade für Kleinunternehmer oft lebensbedrohend, wenn die Zahlung ausbleibt.

Werden diese Klein-Gläubiger bei der Auszahlung aus der Insolvenz bevorzugt?
Nein, es gelte gleiches Recht für alle, sagt Creditreform-Sprecher Gerhard Weinhofer. "Egal ob es um 1.000 Euro oder 500 Millionen geht, jeder Gläubiger bekommt prozentuell den gleichen Betrag aus der Masse, und zwar sobald das Verfahren abgeschlossen ist."
Wird jede Firma für sich abgerechnet?
Nachdem es sich bei der Signa Holding um ein Firmengeflecht handelt und die meisten Sub-Firmen bloße Zweckgesellschaften waren oder sind, müssen sämtliche Gläubiger warten, bis der gesamte Signa-Komplex aufgelöst worden ist, ehe sie ihren Anteil erhalten.
Wie viele der Insolvenzen sind bereits aufgearbeitet worden?
Gläubigerschützer Gerhard Weinhofer schätzt, dass bislang 20, maximal 30 Prozent der bisher entstandenen Insolvenzen aufgearbeitet werden konnten.
Und lässt sich bereits abschätzen, welche Quote den Gläubigern am Ende ausgezahlt wird?
Nein, dazu sind noch viel zu wenige Firmen liquidiert und zu wenige Immobilien verkauft worden. Eine seriöse Einschätzung wird erst in einigen Jahren möglich sein, so die Gläubigerschutzverbände.
Was wird eigentlich bei den insolventen Signa-Gesellschaften verwertet?
Primär natürlich der vorhandene Immobilien-Bestand sowie alle sonstigen Werte, die zu Geld gemacht werden können.
Und wer macht das?
Die selben Signa-Angestellten, die schon bisher in den einzelnen Unternehmen gearbeitet haben. Allerdings nun unter der Leitung der jeweiligen Insolvenzverwalter.
Was passiert mit den Erlösen, die dabei entstehen?
Die werden auf Treuhandkonten angelegt und am Ende in die Schlussabrechnung mit einbezogen.

Wie lange wird es noch dauern, bis alle Signa-Firmen abgewickelt sind?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Darin sind sich auch die Vertreter der Gläubigerschutzverbände einig. Die optimistischsten Schätzen sagen, dass in frühestens acht Jahren ein Strich unter der Sache gezogen werden kann, es gibt aber auch Stimmen die sagen, es könnte noch zehn, zwölf, sogar bis zu 15 Jahre dauern.
Egal ob die Gesamtschulden der Signa jetzt 11,8 Milliarden, 20 oder 40 Milliarden Euro ausmachen – gibt es eine Vorstellung davon, was mit dem ganzen Geld geschehen ist?
"Der Signa ist es ja bei weitem nicht immer schlecht gegangen", übt sich Creditreform-Mann Weinhofer in höflicher Zurückhaltung. "Da gab es ja über viele Jahre Ausschüttungen an die Investoren, an Berater, Aufsichtsräte, Beiräte etc. Alleine René Benko soll sich selbst ein Jahresgehalt zwischen 60 und 80 Millionen Euro ausbezahlt haben", so der Gläubigerschützer. "Und dann gibt es natürlich noch die Stiftungen, von denen zur Zeit niemand weiß, wie viel Geld da drinnen ist."
Wie geht es mit René Benko persönlich jetzt weiter?
Nach seiner Verurteilung im ersten Strafprozess – Benko erhielt zwei Jahre, weil er seinen Gläubigern 300.000 Euro entzogen haben soll, er hat gegen das Urteil berufen –, bereitet sich der 48-Jährige in der U-Haft auf den nächsten Prozess vor. Dabei wird ihm und seiner Ehefrau Nathalie vorgeworfen, Bargeld, Uhren und Schmuck im Wert von etwa 370.000 Euro vor Gläubigern versteckt zu haben. Dieser Prozess könnte noch dieses Jahr in Innsbruck stattfinden, ein Termin wurde allerdings noch nicht kommuniziert.
Und danach?
Muss zunächst entschieden werden, ob Benkos Berufung gegen das erste Urteil stattgegeben wird. Je nachdem, bleibt der Ex-Milliardär zunächst weiter in U-Haft (falls diese nicht wider erwarten vom Gericht aufgehoben wird) oder wechselt in die Strafhaft (eben für jene zwei Jahre unbedingt). Ob und wann es weitere Anklagen gegen den Pleitier geben wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

Besteht eine Chance, dass René Benko in nächster Zeit freikommt?
Theoretisch ja, je nachdem, wie der zweite Prozess ausgeht (hier drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft) und wie rasch die Staatsanwaltschaft eine weitere Anklage gegen ihn auf den Weg bringt. Immerhin wird derzeit in sage und schreibe 14 verschiedenen Strängen gegen ihn ermittelt, allerdings bislang ohne weitere Anklageerhebung.
Und wie könnte Benko dennoch aus dem Gefängnis gehen?
Gibt es im zweiten Prozess einen Freispruch, könnte Benko etwa eine Fußfessel beantragen, sollte das Strafmaß aus seinem ersten Prozess aufgrund seiner Berufung herabgesetzt werden. Immerhin sitzt er bereits seit bald zehn Monaten in U-Haft, die würden von seiner Haftstrafe sofort abgezogen, sobald er diese antritt. Aber dann müsste das Gericht auch die U-Haft gegen ihn aufheben – und dieses Ersuchen wurde bisher bereits viel Mal abgelehnt. Kurz gesagt: Die Möglichkeit besteht, aber sie ist derzeit sehr theoretisch.