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Soll Österreich auch Cannabis freigeben, Frau Professor?

Cannabis-Legalisierung, neue Drogen, was Österreich wirklich süchtig macht: Psychiaterin Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz der MedUni Wien, im Podcast-Interview.

Die Psychiaterin Gabriele Fischer leitet die Drogenambulanz der MedUni Wien
Die Psychiaterin Gabriele Fischer leitet die Drogenambulanz der MedUni Wien
Picturedesk, iStock (Montage)
Christian Nusser
Akt. Uhr
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Deutschland hat jüngst Cannabis unter bestimmten Bedingungen für legal erklärt. Aus den USA erreichen uns erschreckende Fotos von Suchtkranken, Opfer von Fentanyl. Und wie ist das in Österreich mit Drogen, gesellschaftlich anerkannten, umstrittenen und verbotenen? Mit Rauschmitteln und Suchtmitteln, Mit Alkohol, Zigaretten, Fettleibigkeit, Spielsucht, Handysucht?

Gabriele Fischer ist Universitätsprofessorin, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Suchtforscherin, Leiterin der Drogenambulanz der MedUni Wien, Konsulentin von WHO, UNO und dem Europaparlament. Sie hat über 150 Publikationen zu ihrem Fachgebiet verfasst, mehrere Bücher geschrieben, zuletzt "Sucht" (Manz-Verlag, 23,90 Euro). Die Drogenexpertin über:

Wie sie zur Suchtexpertin wurde
Als ich mein Studium beendet hatte, gab es eine Ärzteschwemme, es gab keine Ausbildungsstelle in Österreich. Ich bin in die USA gegangen und habe einen Teil meiner Ausbildung dort gemacht. Als ich zurückgekommen bin, gab es ein Suchtproblem in der Bundeshauptstadt und da niemand diese Position belegt hatte, bin ich dorthin eingeteilt worden. Ich bin sehr froh, dass sich das so ergeben hat.

Ob sie die Entscheidung je bereut hat
Nein. Ich habe in den USA damals eine sehr breite Ausbildung auch im Bereich der Persönlichkeits-Entwicklungsstörungen bekommen. Letztlich muss man die Psychiatrie in der Breite beherrschen, um Suchtkranke behandeln zu können.

Was Sucht ist
Offiziell spricht man von einer Substanzgebrauchsstörung, das ist die korrekte Version. Es ist im Fächerkanon der Psychiatrie beheimatet und eine der schwersten psychiatrischen Erkrankungen, weil es so viele Begleiterkrankungen hat.

Ob das heißt, dass Sucht immer mit Substanzen verbunden ist
Nein, die Klassifikation spricht von Substanzgebrauchsstörungen ohne direkten Substanzkonsum. Das Glücksspiel und das Gaming, also das Computerspiel, gehören etwa auch dazu.

Gesellschaftlich anerkannt, aber natürlich ist auch Alkohol eine Droge
Gesellschaftlich anerkannt, aber natürlich ist auch Alkohol eine Droge
iStock

Wie man süchtig wird
So ein bisschen ein süchtiges Verhalten kennen viele, sei es die magische Anziehung zu einer berauschenden Musik, zu einem Kaffee, zum guten Essen. Das geht bis zum Alkohol. Dann gibt es auch Einzelne, die illegale Drogen konsumieren. Das hat noch nicht notwendigerweise eine Krankheitswertigkeit. Die entsteht erst durch unterschiedliche Bedingungen. Zentral ist auch, dass eine sehr hohe familiäre Belastung ausschlaggebend dafür ist. Das wissen nur viele nicht.

Das heißt, Sucht ist tatsächlich angeboren?
Ja! Man sagt ungefähr, je nach Suchterkrankung, so zwischen 35 und 50 Prozent haben eine sogenannte genetische Belastung.

Ob die Suchtart dabei eine Rolle spielt
Die Vererblichkeit spielt natürlich keine Rolle im dem Sinn, ob es jetzt um Alkohol geht oder um Kokain. Es wird die Empfindlichkeit vererbt und das süchtige Verhalten und das kennen leider viele, die betroffen sind, aus eigener Erfahrung. Das beste Beispiel ist das Zigarettenrauchen. Es sind in Österreich immer noch viele abhängig und wenn sie es dann schaffen aufzuhören, dann essen sie zu viel. Das ist häufig der Grund, warum Personen rückfällig werden.

Cannabis ist die häufigste illegale Droge in Europa, geschätzt acht Prozent der Bevölkerung sind Konsumenten
Cannabis ist die häufigste illegale Droge in Europa, geschätzt acht Prozent der Bevölkerung sind Konsumenten
iStock

Ob Sucht heilbar ist
Suchterkrankungen sind stigmatisiert. Es dauert sehr lange, bis Betroffene in Behandlung kommen. Viele glauben, sie sind selber schuld, sie erkennen das nicht als Erkrankung. Ich möchte betonen, dass es sich niemand aussucht, suchtkrank zu sein, weil die Krankheit eben einen sehr schweren Verlauf hat. Aber bei der Suchterkrankung ist es nicht anders als bei anderen Erkrankungen. Was heilt die Medizin? Die Medizin ist, Gott sei Dank, im operativen Kontext sehr gut. Wir heilen Knochenbrüche, wir heilen Lungenentzündungen, weil wir Antibiotika haben. Die Mehrheit der Erkrankungen ist aber chronisch. Unser Ziel ist es, eine Stabilisierung zu erreichen.

Wie hoch die Rückfallsquote ist
Eine Stabilisierung zu erreichen heißt, Suchtmittel immer seltener, immer weniger hochfrequent zu konsumieren. Das ist ein jahrelanger Prozess. Rückfälle sind ein integraler Bestandteil der Erkrankung. Was wir wissen im Wissenschaftsbereich: Die schwierigste Prognose, das höchste Abhängigkeitspotenzial von allen hat Nikotin. Korrekt gesagt das Zigarettenrauchen.

Wie Suchtkranke therapiert werden
Das Wesentliche bei jeder Erkrankung ist, den Betroffenen einmal zu erläutern, dass sie eine Erkrankung haben. Sehr häufig sind da – und das macht die Komplexität der Suchterkrankung aus – zuerst andere Erkrankungen. Diese Erkrankungen werden häufig in einer Art Selbstmedikation behandelt, indem Suchtmittel konsumiert werden. Mit der Zeit bleibt die primäre psychiatrische Grunderkrankung bestehen und es kommt dann noch eine Suchterkrankung dazu. Ganz typisch ist das zum Beispiel bei Angststörungen. Man trinkt Alkohol, dann geht es im Moment besser. Letztlich kommt es dann zur Abhängigkeit, zum Toleranzbruch.

Was dann passiert
Man braucht immer mehr, um die Symptome zu lindern. Dann hat man plötzlich neben der Angststörung auch noch eine Alkoholerkrankung. Das heißt, die Erkenntnis, dass man den Betroffenen sagt, sie sind krank, ist zentral. Wenn kein Krankheitsbewusstsein da ist, dann gibt es auch keine Möglichkeit, dass die Leute an einem Therapieplan interessiert sind. Und das ist für viele ein Problem, weil sie glauben: Ich bin ja selber schuld, wenn ich trinke.

Ob eine Teilfreigabe von Cannabis, wie in Deutschland, sinnvoll ist
Zunächst: Sie haben bei Cannabis bis zu 30 Prozent regelmäßigen Konsum bei Personen bis zum 35. Lebensjahr. Das heißt, es ist eine nicht zu leugnende Anzahl von Personen.

Die Anzahl Fettleibiger als Folge einer Esssucht explodiert auch in Europa
Die Anzahl Fettleibiger als Folge einer Esssucht explodiert auch in Europa
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Auch in Österreich?
Ja. Wobei, korrekterweise muss ich sagen, Österreich ist eines von zwei EU-Ländern, die keinen nationalen Suchtplan haben. Es müsste einmal die Häufigkeit bestimmt werden, von Nikotin, Alkohol, Cannabis, anderen illegalen Drogen, bis hin zum Essen. Die Fettsucht ist volkswirtschaftlich unser größtes Problem. Wir haben keine verlässlichen Zahlen, sondern nur Schätzungen.

Ob die deutsche Regelung nun klug ist
Ich finde, die deutsche Regelung nicht wirklich ins letzte Detail durchdacht. Es galt, die Regierungsvereinbarungen umzusetzen.

Was nicht ins letzte Detail durchdacht wurde
Deutschland hat versucht, flankierende Maßnahmen für Jugendliche und junge Erwachsenen zu implementieren. Weil das die große Gefahr ist. Wenn ich eine Liberalisierung habe, ist Cannabis einfacher verfügbar. Und da habe ich eine besondere Schutznotwendigkeit für Minderjährige.

Warum?
Weil da unser Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist. Die sogenannte Myelinisierung, also diese Einbettung der Nervenzellen, geht bis zum 23., 24. Lebensjahr. Hier wissen wir eben, dass ein hochfrequenter Konsum zu Schädigungen führt. Darum muss man Anlaufstellen für Eltern und Lehrer haben, die besorgt sind, weil sie beobachten, dass Minderjährige zu viel konsumieren. Da haben wir in Österreich ein großes Problem: den Mangel von Kinder- und Jugendpsychiatern. Bevor ich für Personen, die betroffen sind, nicht die Versorgung sichergestellt habe, kann ich nicht schon einen übernächsten Schritt andenken.

Ob Cannabis harmlos ist
Ich werde häufig gefragt, ob Cannabis harmloser ist als Alkohol. Cannabis ist eine ganz alte Substanz, schon vor Christi Geburt haben das Leute konsumiert. Es gibt Cannabisprodukte, die in der Medizin Verwendung finden. Sie haben jetzt zwar keine umwerfende wissenschaftliche Evidenz, aber man weiß, sie helfen bei speziellen Formen des Schmerzes, nicht beim akuten Schmerz. Also man weiß, die Pflanze selbst hat heilendes Potenzial, was beim Alkohol ja nicht der Fall ist. Alkohol ist eine zelltoxische Substanz.

US-Generalstaatsanwalt Merrick Garland vor einer Fotowand mit Todesopfern der Droge Fentanyl
US-Generalstaatsanwalt Merrick Garland vor einer Fotowand mit Todesopfern der Droge Fentanyl
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Ob die Menge das Gift macht
Wie immer, und das gilt für alle Substanzen, hängt es von der Intensität des Konsums ab. Ich lasse jetzt einmal das Strafrechtliche beiseite. Es gibt genug Personen, die konsumieren gelegentlich Heroin oder gelegentlich Kokain. Volkstümlich hat man immer geglaubt, naja, da wird man sofort abhängig. Das stimmt nicht. Aber es ist wie beim Essen. Gut zu essen, gesund zu essen, ist kein Problem. Aber wie sich der Body-Mass-Index in Österreich entwickelt, ist dramatisch. Eine Verdoppelung in den letzten 15 Jahren.

Was Cannabis im Körper macht
Cannabis hat ja viele Inhaltsstoffe. THC etwa ist eine psychoaktivierende Substanz. Hier kann es zu Rauschzuständen kommen. Das darf man nicht geringschätzen, ein regelmäßiger und intensiver Konsum kann durchaus zu massiven psychiatrischen Erkrankungsbildern führen. Sehr gefährdet sind Personen, die andere Grunderkrankungen haben, die man gar nicht diagnostiziert. Das ist das große Problem. Die konsumieren dann oft extrem viel.

Wie Eltern reagieren sollten, wenn ihr Kind Cannabis konsumiert
Das Wesentliche ist, jungen Menschen die Auswirkungen von Suchtmitteln näher zu bringen. Eine Suchtprävention gehört in den Schulalltag integriert. Eltern müssen zu Hause informieren. Jugendliche werden Alkohol probieren, zu viel konsumieren, da sind die begleitenden Sicherheitsmaßnahmen wichtig. Die große Gefahr ist: Nicht mehrere Substanzen gleichzeitig.

Welche Trends sie bei Drogen sieht
Die Entwicklung geht in die Richtung, dass über das Internet, über das Darknet, viele Substanzen besorgt werden. Da ist ein gut organisierter Betrieb, die Leute ordern es, es wird postlagernd irgendwo hingeschickt und behoben. Das Gefährliche bei diesen Substanzen ist, dass die Konsumenten häufig nicht wissen, was drinnen ist. Ganz gefährlich ist es, wenn synthetische Opioide dabei sind.

Zivilisationskrankheit Handysucht: Besonders bei Kindern sollte man vorsichtig sein
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Ob die "Zombie-Droge" Fentanyl schon in Österreich angekommen ist
Gemeint ist Opioid Epidemics, also die Opioide-Epidemie in den USA. Die gibt es seit circa 15 Jahren. Dann hat die Regierung Trump begonnen, die Ärzte zu pönalisieren. Wenn sie weiterhin Opiate verschreiben, dann bekommen sie Probleme mit der Lizenz. Personen, die abhängig waren, haben also begonnen, Fentanyl über das Internet zu bestellen. Es ist nicht so kompliziert herzustellen. Das hat zu dramatischen Todesfällen geführt. Gott sei Dank ist das in den meisten Ländern der europäischen Union nicht der Fall.

Ob Drogenmissbrauch durch Medikamente, also etwa Benzos oder Ketamin, ein Problem sind
Österreich hat ein gravierendes Problem, wir stehen auf Platz 3 in der EU bei den so genannten drogenbezogenen Todesfällen. Das verursacht der Mischkonsum und da sind ist in der Regel immer Benzodiazepine dabei. Hier hat sich eine Verschreibungsfreudigkeit eingebürgert, da muss jeder aufpassen. Wenn sie eine Panikstörung haben, sind Benzodiazepine wahnsinnig wichtig. Aber es gibt fast keinen Grund, sie dauerhaft zu nehmen. Wenn sie im Spital sind, ist es ganz in Ordnung, Schlafmittel zu bekommen. Aber das gehört nach der Entlassung wieder abgesetzt.

Wie schädlich Alkohol sein kann
Er schädigt ja nicht bloß die Leber, wie man denken könnte. Alkohol schädigt massiv das Gehirn. Ich möchte das jetzt nicht dämonisieren. Es ist kein Problem, wenn man Alkohol weich konsumiert. Ich kann gelegentlich gesellschaftlich ein Bier oder was immer trinken. Aber der intensive Konsum schädigt halt nicht nur die Leberzellen, sondern auch die Gehirnzellen, die Herzzellen. Und wenn dann noch zu viel Benzodiazepine dazukommen und andere Substanzen, dann ist die therapeutische Breite bald überschritten und dann kann es zu Todesfällen kommen.

Ab wann man bei Alkohol von Sucht spricht
Da gibt es immer Diskussionen. Man weiß, dass ein bis zwei Gläser Wein durchaus, also durch wissenschaftliche Literatur unterstützt, eine positive Auswirkung haben können. Nur man muss halt vorsichtig sein. Wenn man sagt, ein, zwei Gläser Wein sind innerhalb der Toleranzgrenze, dann nehmen Betroffene das eher so als Freibrief wahr und verdoppeln das.

Gabriele Fischer im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Gabriele Fischer im Podcast-Interview mit Christian Nusser (Newsflix)
Konstantin Kaltenegger

Ob sie Alkohol und Nikotin zu den Drogen zählt
Natürlich.

Wie man von von Nikotin am besten wegkommt
Nikotin selbst stört uns gar nicht so, es stören uns die Zigaretten. Es gibt ja E-Zigaretten, Pouches, Verdampfer. Ich bin eine Unterstützerin, wenn das ein Übergangsobjekt ist. Also sie haben ja diese suchvermittelnde Wirkung in unserem Lustsystem, dass da ganz zentral im Gehirn lokalisiert ist und durch einen magischen Neurotransmitter, Dopamin, das Wohlfühlgefühl erzeugt. Ob sie jetzt rauchen oder ein Mousse au Chocolat essen oder einen Rotwein trinken, es ist immer das Gleiche. Wenn das jemand im Rahmen eines therapeutischen Settings macht, also durchaus auch selbst, dann ist das okay. Man steigt jetzt auf Alternativen um, dann stört uns jetzt als Suchtmediziner das Nikotin nicht wahnsinnig.

Wie sie Handysucht, Computersucht sieht
Das ist eine Entwicklung, die man sehr ernst nehmen muss. Auf der einen Seite haben sie durch die neuen Medien einen stimulierenden Effekt für junge Leute, was die neuronale Vernetzbarkeit anbelangt. Aber wissenschaftlich gestützt lässt sich sagen, dass man Kinder nicht vor sechs Jahren mit einem Handy versorgen sollte und die Zeit vorm Fernsehen limitiert sein soll. Bei jungen Burschen kommt häufig dazu, dass die dann durch das Sitzen, Spielen, Essen dick werden und dann noch sehr früh Cannabis rauchen.

Ob sie selbst Süchte hat
Ja, ich trinke sehr gerne Kaffee. Die Amerikaner zählen das inzwischen zu den Süchten. Das ist sehr interessant, weil es Studien gibt, die zeigen, dass Koffeinkaffee sehr gesund für die Leber ist. Gesellschaftlich trinke ich gerne ein Glas Wein.

Ob Österreich ein Drogenland ist
Ja. Wir sind in den OSCE-Statistiken, was den Pro-Kopf-Konsum von Alkohol anbelangt, immer on top. Wir haben da so eine Laissez-Faire-Haltung. Es ist wunderbar, dass wir im Bereich der Weinkultur jetzt wieder ein gutes Exportland sind, dass wir selber guten Wein haben. Aber nicht für die Leute, die krank sind. Ich komme vom Land, da wird um 10 Uhr schon der Schnaps ausgeschenkt. Also da denke ich mir, man kann ja auch lustig sein, aber man muss das nicht um 10 Uhr Vormittag machen.

Akt. Uhr
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