Das Geld fehlt. Also wird beim Wiener Prestige-Projekt "U2xU5" die Bremse gezogen. Erst ab 2030 werden erste Teilstücke befahren, der Endausbau ist in weite Ferne gerückt. Und die neue Linie U5 kommt gleich aufs Abstellgleis. Die Hintergründe der Leerfahrt.

Öffentliche Verkehrsmittel und Verspätungen, das gehört sehr jeher zusammen. Aber vier Jahre Verspätung für die Eröffnung einer eigentlich längst fertiggestellten U-Bahn-Strecke sind eine Nummer, die man den Wiener Linien erst einmal nachmachen muss.
Am Donnerstag, dem 12. November, entgleisten die ehrgeizigen U-Bahn-Pläne der Verkehrsbetriebe der Stadt Wien, kurz Wiener Linien, nach jahrelangen wiederholten Verzögerungen vollends.
Der Inbetriebnahme des Prestigeprojektes "U2xU5", an dem seit mehr als einem Jahrzehnt getüftelt und seit sieben Jahren gebaut wird, wurde auf 2030 verschoben, die finale Ausbaustufe auf einen nicht genauer definierten Zeitpunkt "um 2035" herum gelegt. Schau ma mal …
Damit wurde gleichzeitig auch der Start der neuen Linie U5, die eigentlich bereits im kommenden Jahr hätte in Betrieb gehen sollen, um vier Jahre vertagt – und das ohne Not. Denn im Grunde ist die erste U5-Teilstrecke, die hätte befahren werden sollen, fertiggestellt.
Vom Marketing her ist das natürlich ein Reinfall. Eben erst hatte man kommuniziert, dass die Wiener Linien ab 1. Jänner spürbar teurer werden. Begründung: Die massiven Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes.
Weshalb das U-Bahn-Projekt U2xU5 schon seit längerem aus der Spur war. Was man im Rathaus zum jetzt verkündeten Not-Stop sagt. Und bis wann – frühestens – die aktuellste Ausbaustufe des Wiener U-Bahn-Netzes vollständig befahren werden kann – das müssen Sie über die Wiener U-Bahn-Turbulenzen wissen:

Was ist das Projekt "U2xU5"?
Das jüngste und ambitionierteste Verkehrsprojekt der Wiener Linien im neuen Jahrtausend. Nicht ohne Stolz wird es auf der Homepage der Verkehrsbetriebe seit Jahren als "Wiens wichtigstes Klimaschutz- und Infrastrukturprojekt" vermarktet.
Superlative hin oder her – tut man damit nicht der U2-Verlängerung in den Norden unrecht?
Die beiden Projekte kann man nicht miteinander vergleichen. Die U2-Verlängerung in den Norden der Bundeshauptstadt, an der ab 2006 gearbeitet worden war, verläuft großteils oberirdisch und wurde über weite Strecken "auf die grüne Wiese" gestellt. Das Projekt "U2xU5" umfasst eine Neuordnung der zentralen U-Bahn-Strecken in der Innenstadt sowie die Etablierung einer komplett neuen Linie.
Heißt im Detail?
Einerseits soll mit der U5 eine ganz neue Linie geschaffen werden, die im (vorläufigen) Endausbau Hernals mit der Innenstadt (konkret dem Karlsplatz) verbinden wird. Und gleichzeitig erhält die Linie U2 eine neue Streckenführung und wird ab der Station Rathaus über die Bezirke 7, 6 und 5 zum Verkehrsknotenpunkt Matzleinsdorfer Platz (S-Bahn) und schließlich weiter auf den Wienerberg geführt.
Gibt es dazu ein paar Zahlen?
Die Neubaustrecke für die Linie U5 beschränkt sich zunächst auf 650 Meter von der Station Rathaus zur neuen Station Frankhplatz neben dem Alten AKH. Von dort sollte die U5 dann auf die Gleise der bisherigen U2 einbiegen und bis zum Karlsplatz fahren. Und die Linie U2 bekommt ab der Station Rathaus ein 4,4 Kilometer langes neues Teilstück und vier neue bzw. zum Knotenpunkt ausgebaute Stationen: Neubaugasse (Kreuzung mit der U3), Pilgramgasse (Kreuzung U4), Reinprechtsdorfer Straße und Matzleinsdorfer Platz.
Und was ist mit Hernals und dem Wienerberg?
Das wäre dann die zweite Ausbaustufe des Projektes U2xU5, die allerdings immer erst für die 2030er-Jahre angedacht gewesen ist.

Okay, und wann hätte das alles theoretisch fertig sein sollen?
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Nach jahrelangen Planungen (und diversen Änderungen im Streckenverlauf) wollte man eigentlich spätestens Anfang 2018 mit dem Bau beginnen, Optimisten im Planungsstab sahen da noch 2025 als möglichen Starttermin. Doch dann wurde der Baustart um ein Jahr verschoben, weil Österreich im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft inne hatte und man in der Innenstadt keine Störung des Verkehrsflusses durch weiträumige Baustellen haben wollte.
Gut, also wurde ab Anfang 2019 gebaut …
Fast richtig, Spatenstich war bereits im Oktober 2018 auf dem Matzleinsdorfer Platz, wohin sich auch in Ratspräsidentschaftszeiten kein EU-Würdenträger je verirrt hätte. Und ab dann ging es so richtig zur Sache – zunächst.
Was kam dazwischen?
So manches, das Projekt steht scheinbar unter keinem guten Stern. Ständig gab es neue Probleme – unerwartete Erdbewegungen, "unvorhersehbar komplexe bautechnische Herausforderungen" (O-Ton Wiener Linien) im Bereich Schottentor in der Innenstadt, ein (tatsächlich unvorhersehbarer) Wassereinbruch im Zuge der schweren Regenfälle im September 2024. Es hörte nicht auf.
Und der geplante Starttermin?
Wurde zunächst auf 2026 (für das kurze Teilstück der U5) bzw. 2028 (für das längere neue U2-Teilstück) verschoben.
Was ist dann geschehen?
Dann begann die Wirtschaftskrise auch das Wiener Rathaus zu erreichen. Im Spätsommer 2024 musste man erkennen, dass die Inflation auch vor U-Bahn-Baustellen nicht Halt macht. Satte 300 Millionen Euro mehr für das Projekt U2xU5 prognostizierten die Wiener Linien – sowie eine weitere Verzögerung beim Bau des Streckenabschnitts zum Matzleinsdorfer Platz. Neuer Termin: 2030.
Gut, aber den Start der U5 hätte das nicht beeinflusst, oder?
Theoretisch nicht. Allerdings begann man unter dem herrschenden Spardruck – die Stadt muss Milliarden einsparen – zu kleckern, wo man zuvor lange geklotzt hatte. Soll heißen: Es wurde jeder Stein umgedreht um zu sehen, ob man nicht noch irgendwo ein paar Millionen weniger ausgeben könnte als ursprünglich geplant. Und siehe da, man wurde bei der U5 fündig.

Inwiefern?
Man rechnete sich aus, dass es "zwischen 18 und 20 Millionen Euro" Ersparnis bringt, wenn man die U5 nicht, wie geplant, schon 2026 auf die Schiene schickt sondern erst 2030, wenn auch die U2 hoffentlich endlich den Matzleinsdorfer Platz erreichen wird.
Also wird die U5 nicht auf die Schiene geschickt?
Vorläufig jedenfalls nicht. Das erklärten die zuständige Stadträtin Ulli Sima (SPÖ) und die Chefin der Wiener Linien, Alexandra Reinagl am Mittwoch. Die U5 wird bis 2030 in der Remise bleiben.
Ist das denn sinnvoll?
In diesem ganzen Durcheinander schon. Denn die ursprüngliche Idee – die U2 biegt beim Rathaus Richtung Matzleinsdorfer Platz ab und die U5 übernimmt ihre Strecke bis Karlsplatz – ergibt ja nur dann Sinn, wenn die U2 auch wirklich abbiegt.
Weil?
Nachdem klar war, dass an der U2-Verlängerung länger als geplant gebaut wird, sollten U2 und U5 parallel auf dem selben Gleiskörper zum Karlsplatz fahren. Das ist natürlich Humbug. Vor allem auch deshalb, weil ja in der Gegenrichtung nur mehr eine weitere Station - der Frankhplatz – von der U5 angefahren werden kann.
Sollte die U5 nicht auch die erste autonom fahrende Linie in Wien werden?
Richtig, die U5 soll gänzlich ohne Fahrer auskommen. Dafür hat man in den derzeitigen U2-Stationen Rathaus, Volkstheater, Museumsquartier und Karlsplatz auch bereits Bahnsteigtüren installiert, die unerfahrene U2-Fahrgäste immer noch ein wenig verwirren.
Was passiert jetzt mit den fahrerlosen U-Bahn-Zügen?
Da war man clever (oder hatte Glück). Denn auf der U5 werden künftig die neuen U-Bahn-Modelle namens "X-Wagen" verkehren, die jetzt bereits teilweise auf der U3 im Einsatz sind. Sie können sowohl mit, als auch ohne Fahrer bewegt werden.
Und die Station Frankhplatz?
Die wird ab ihrer Fertigstellung 2026 für die folgenden vier Jahre zur Geisterstation. Zwar wollen die Wiener Linien dort "den Probebetrieb für die vollautomatische U5 auf Herz und Nieren testen", wie man am Mittwoch auf Nachfrage erklärte. Aber es ist nicht anzunehmen, dass dieser Testbetrieb über vier Jahre aufrecht erhalten wird – wozu auch, wenn alles funktioniert.

Und wieviel wird jetzt durch diese Verschiebung des U5-Starts eingespart?
Zwischen 18 und 20 Millionen Euro an Betriebskosten für die Station Frankhplatz, so Wiener Linien-Chefin Alexandra Reinagl.
Und damit saniert man das Budget der Stadt nachhaltig?
Eher nein. Deshalb gibt es im roten Sparplan noch einen weiteren, wesentlich bedeutsameren Punkt. Denn der Baubeginn für Phase 2 des Projektes U2xU5, also die Verlängerung der beiden Linien nach Süden (Wienerberg, U2) bzw. Nordwesten (Hernals, U5), wird nach hinten verschoben.
Um wie lange?
Der Baubeginn für die U5-Verlängerung nach Hernals (über die Station Michelbeuern / AKH und den Elterleinplatz zur S-Bahn-Station Hernals) wird zunächst um ein Jahr verschoben und frühestens 2028 beginnen. Und der Startschuss für die U2-Verlängerung auf den Wienerberg (über die Klinik Favoriten, das ehemalige Kaiser-Franz-Joseph-Spital) wird gleich um zwei Jahre auf 2030 verschoben.
Und das ist schon fix?
Die genannte Verschiebung ist fix, ob es noch später wird, steht in den Sternen. Noch vor einem Jahr hatte niemand auf dem Radar, dass die neue U5, auf die man so stolz ist, für vier Jahre in der Mottenkiste verschwinden könnte.
Inwiefern hilft diese Verschiebung dem Budget?
Die Investitionssumme verteilt sich auf mehr Jahre. Diese "Streckung" bringe die Budget-Entspannung, so Stadträtin Ulli Sima.
Und wann sollen die beiden Verlängerungen dann fertig sein?
"Mitte der 2030er-Jahre", so die eher schwammige Ansage der Wiener Linien. Auf ein genaues Datum will man sich nicht festlegen.

Wie viel kostet das Projekt U2xU5 eigentlich, alles in allem?
Eine sehr gute Frage. Leider möchte man dazu weder bei den Wiener Linien, noch im Rathaus Stellung beziehen. Was freilich Spekulationen Tür und Tor öffnet. So behauptet etwa die Wiener FPÖ seit geraumer Zeit, die Investitionskosten seien von "geplanten 2 auf 10 Milliarden explodiert". Beweise dafür gibt es bis jetzt keine – allerdings auch nichts, was dagegen sprechen würde.
Das bezahlt alles die Stadt?
Nein, die Baukosten für die Wiener U-Bahn tragen Stadt und Bund gemeinsam, im Verhältnis 50:50.
Auch, wenn die ganze Sache teurer wird als geplant?
"Bereits 2020 wurde bei der Finanzierung für den U-Bahn-Ausbau U2xU5 (…) festgehalten, dass bei dreimaligem Überschreiten des Wertes von 2,5 Prozent pro Jahr der U-Bahn-Lenkungsausschuss über die Kostensituation berät und die Vertragspartner (Stadt und Bund, Anm.) über Nachbesserungen sprechen", ist dazu aus dem Büro von Stadträtin Ulli Sima zu erfahren. Und solche Gespräche würden derzeit laufen. Kurz gesagt: Die Kosten des Projektes sind so weit gestiegen, dass nachverhandelt werden muss.
Ist auch daran gedacht, die U5 – so sie irgendwann in Betrieb geht – über den Karlsplatz hinaus zu verlängern?
Dazu gab es diverse Pläne – etwa eine Verlängerung Richtung Favoriten (Gudrunstraße) oder zum Neubauviertel auf den Aspangbahn-Gründen, diese Ideen wurden allerdings mittlerweile alle wieder verworfen. Wie es aussieht, ist für die U5 am Karlsplatz Endstation.