In Paris öffnete am Mittwoch der erste physische Store, fünf weitere folgen fix. Gleichzeitig kündigte die französische Regierung an, den Zugang zur Shein-Website zu sperren, da dort Kinder-Sexpuppen verkauft wurden. Die dunklen Geheimnisse hinter dem Mega-Erfolg.

Am Mittwoch, dem 5. Oktober, um 13 Uhr begann eine neue Zeitrechnung. Zumindest in der Welt des Online-Shoppings. Denn da öffnete der weltweit erste stationäre Store des Online-Shopping-Giganten Shein seine Tore.
In der 6. Etage des Traditionskaufhauses BHV Marais im Zentrum von Paris wird der "weltweit erste dauerhafte Store" von Shein ein "komplettes Sortiment" des Warenangebotes offerieren, wie es in einer Aussendung des chinesischen Unternehmens heißt.
Doch während Fans die Stunden bis zur Eröffnung des Stores herunter zählten und schließlich begeistert den Store stürmten, ließ die französische Regierung mitten in die Feierstimmung hinein eine Bombe platzen. Das Büro von Premierminister Sébastien Lecornu teilte mit, man werde den Zugang zur Shein-Homepage in Frankreich sperren, bis das Unternehmen alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt.
Zur Einordnung: Für Modefans ist diese Shop-Eröffnung ungefähr so bedeutend, als würde Amazon einen echten Shop mitten in einer Metropole eröffnen – vollgestopft mit Büchern, Computerspielen, CDs und allem, wofür der Onlinehänder sonst noch so steht.
Aber während man über Amazon, seinen Gründer Jeff Bezos und die Erfolgsgeschichte des Unternehmens so gut wie alles weiß, ist über den erst 2008 gegründeten chinesischen Online-Riesen kaum etwas Näheres bekannt. Dabei arbeitete sich Shein in den letzten Jahren zur Nummer 1 weltweit im Online-Fashion-Business hoch, mit einem Umsatz von knapp 38 Milliarden Dollar im Jahr 2024.
Diese Diskretion kommt nicht von ungefähr. Denn Shein gehört nicht nur zu den erfolgreichsten Playern im Online-Shopping, sondern auch zu den am heftigsten umstrittenen. Ob es um den Umgang mit Lieferanten geht, die Umweltverschmutzung, die durch die Produktion von Shein-Produkten verursacht wird, oder um giftige Chemikalien in der Kleidung, der Online-Riese steht oft in der Kritik.

Der erst vor wenigen Tagen aufgeflogene Skandal um Sexpuppen, die wie Kinder aussahen und auf der Shein-Homepage angeboten wurden, ist nur das jüngste Beispiel für das nicht immer saubere Auftreten des geheimnisvollen Unternehmens – und nun Anlass für die geplante Sperre der Shein-Homepage im Auftrag der Regierung.
Wie sich Shein binnen weniger Jahre vom obskuren Brautmodenversand zum erfolgreichsten Fashion-Anbieter der Welt entwickelt hat, was das Erfolgsgeheimnis der Chinesen ist, was an den zahlreichen Vorwürfen gegen das Unternehmen tatsächlich dran ist und worum es beim Sexpuppen-Skandal und die geplante Sperre des Online-Riesen tatsächlich geht – das müssen Sie über Shein wissen:
Worum geht es?
Am 5. November eröffnete der erste dauerhafte Store des chinesischen Onlinehändlers Shein, und zwar im Pariser Kaufhaus BHV Marais (BHV steht für Bazar de l’Hotel de Ville) vis-à-vis des Pariser Rathauses im mondänen 4. Arrondissement. Der Eröffnung gingen in den letzten Monaten teils hitzige Diskussionen voraus, da der Onlinehändler Shein aufgrund seiner Geschäftspolitik teils umstritten ist.
Was heißt "erster dauerhafter Store"?
Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Pop-up-Stores der Chinesen in verschiedenen Städten, diese schlossen allerdings nach einigen Tagen oder Wochen wieder. Der Shop-in-Shop in Paris ist der erste Shein-Store, der gekommen ist, um zu bleiben.
Und bleibt es bei diesem einen Store?
Nein, in den kommenden Wochen sollen insgesamt fünf weitere Stores in Kaufhäusern der Kette Galeries Lafayette (gehört zur selben Gruppe wie BHV Marais) eröffnen, und zwar in Dijon, Reims, Grenoble, Angers und Limoges.
Warum hat Shein überhaupt Frankreich für seinen Start ins Store-Business gewählt?
Man wolle sich gleich auf "einem der wichtigsten Modemärkte der Welt" beweisen, so das Unternehmen. Zudem ist Frankreich einer der wichtigsten Online-Märkte für Shein weltweit.

Werden weitere Länder folgen?
Das hängt vom Erfolg der Shops in Frankreich ab. Aber grundsätzlich steht eine Ausweitung der Shop-Struktur auf dem Plan, Frankreich wird explizit als Testmarkt bezeichnet.
Was ist Shein eigentlich?
Eine globale E-Commerce-Plattform, die sich auf den Vertrieb von Fast Fashion spezialisiert hat. Das Sortiment umfasst primär Damenbekleidung, dazu kommen Herrenmode, Accessoires, Kosmetik, Schuhe, Taschen und weitere Modeartikel. Außerdem findet man Produkte aus den Bereichen Elektronik, Heimtextilien, Heimwerken, Spielzeug, Sport oder Automobilzubehör.
Und das wird es alles im Shop in Paris geben?
Nein, das wird sich auf etwa 1.000 Quadratmetern Verkaufsfläche schwerlich ausgehen. Es sollen zwar ein "komplettes Sortiment" und "tausende Artikel zu niedrigen Preisen" angeboten werden. Aber damit sind wohl vor allem Mode- und Kosmetikartikel gemeint.
Was bedeutet "Fast Fashion"?
Damit ist gemeint, dass aktuelle Modetrends binnen kürzester Zeit nachgeschneidert und zu einem extrem günstigen Preis angeboten werden. Damit das funktioniert, wird einerseits auf Massenproduktion in Südostasien zurückgegriffen und andererseits wird mit oft billigen, minderwertigen Rohstoffen gearbeitet.
Hat Shein die Fast Fashion erfunden?
Nein, zu den ersten Marken, die im großen Stil auf Fast Fashion gesetzt haben, gehören Zara (aus Spanien) und H&M (Schweden). Außerdem top in diesem Geschäft sind etwa Primark (aus Irland) und Uniqlo (Japan). Shein hat sich aber längst in diesem Kreis etabliert.
Wo ist Shein überall erhältlich?
Mittlerweile in etwa 150 Ländern weltweit. Die App des Unternehmens wurde bislang etwa 250 Millionen Mal downgeloaded. Außerdem ist Shein vor allem auf Social Media massiv präsent und lotst Millionen Kunden von dort auf seine Plattform.

Was ist passiert?
Wenige Tage vor dem Start des ersten Shein-Stores in Paris, wurde bekannt, dass die französische Verbraucherschutzbehörde DGCCRF festgestellt hatte, dass auf der Shein-Homepage Sexpuppen mit kindlichem Aussehen angeboten worden sein sollen (siehe Posting unten) und schaltete die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Kinderpornographie ein.
Gab es weitere Folgen?
Wirtschaftsminister Roland Lescure teilte zunächst nur mit, dass er Shein vom französischen Markt "verbannen werde, sollten sich solche Vorfälle wiederholen – das ist gesetzlich vorgesehen". Und weiter: "In Fällen von Terrorismus, Drogenhandel oder kinderpornografischem Material hat die Regierung das Recht, zu verlangen, dass der Zugang zum französischen Markt untersagt wird."
Wie reagierte Shein?
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe teilte man mit, das die Produkte aus dem Sortiment genommen worden seien und der Fall aufgearbeitet werde. Es hätte sich um Produkte eines Dritt-Anbieters gehandelt, die über den Marketplace-Bereich angeboten wurden.
Keine weiteren Konsequenzen?
"Wir nehmen diese Situation extrem ernst", schrieb der Onlinehändler auf der Plattform X. Und: "Ich übernehme die persönliche Verantwortung", so Shein-Geschäftsführer Donald Tang. Am Montag hieß es zudem, man habe alle Anzeigen und Bilder im Zusammenhang mit "Sexpuppen" entfernt und die Kategorie "Produkte für Erwachsene", wo diese Puppen angeboten worden seien, "vorübergehend aus dem Sortiment genommen". Wie lange "vorübergehend" ist, ließ man indes offen.
Und das genügte jetzt nicht?
In Frankreich sorgt der Fall für enorme Empörung. Zusätzlich zu ohnehin aufgeheizten Lage – Gewerkschaften und Belegschaftsvertreter machen Stimmung gegen das asiatische Unternehmen, eine Online-Protestaktion brachte binnen kurzer Zeit 115.000 Unterschriften gegen den Shein-Store in Paris – formierte sich breiter Protest gegen den Onliner.
Was ist nun passiert?
Am Mittwoch, mitten in die Jubelstimmung um die Eröffnung des Stores, platze die Nachricht, dass die Regierung eine härtere Gangart gegen das Unternehmen umsetzt. Die Regierungsbeauftragte für Kinder und Kinderschutz, Sarah El Haïry, sagte im Fernsehen: "Wir werden die Käufer dieser Puppen ausfindig machen." Und kurz darauf verkündete die Regierung Premierminister Sébastien Lecornu, den Zugang zur Shein-Plattform "im Rahmen eines Suspendierungsverfahrens" zu sperren.
Wie lange gilt die Sperre?
Zunächst für 48 Stunden, bis dahin wollen die verantwortlichen Minister eine erste Bewertung der Lage und der Reaktionen des Unternehmens vorlegen, dann werde entschieden, wie es weiter geht.
Gibt es darauf bereits eine Reaktion von Shein?
Nur wenige Minuten nach der Ankündigung der Regierung erklärte das Unternehmen, seinen kompletten Marketplace für Drittanbieter in Frankreich vorläufig schließen werde und den Dialog mit der Regierung suche.

Ist Shein erfolgreich?
Sehr – jedenfalls im Onlineshopping-Bereich. 2023 erwirtschaftete man einen Umsatz von etwa 32 Milliarden Dollar (knapp 28 Milliarden Euro), 2024 waren es knapp 38 Milliarden Dollar (etwa 33 Milliarden Euro). Der Gewinn lag 2024 bei etwa 1 Milliarde Dollar (ca. 870 Millionen Euro), fiel damit allerdings niedriger aus als ursprünglich erwartet. Damit ist Shein der größte Online-Modehändler der Welt.
Wo ist Shein besonders stark?
Der Händler hat zwar seinen Ursprung in China, bedient aber vorwiegend westliche Märkte. Größter Markt sind die USA, hier wird fast ein Drittel des Umsatzes erwirtschaftet. Weitere große Märkte sind Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien sowie – mit Abstand – Brasilien, Japan, Südkorea und Mexiko.
Was bedeutet Shein eigentlich?
Ursprünglich hieß es "SheInside", sprich "She Inside", also "Sie drinnen" – gemeint war, dass es "alles für die Frau" gibt. Der Onlineshop warb mit dem Slogan "weltweit führendes Unternehmen für Brautkleider", obwohl von Anfang an auch normale Damenbekleidung angeboten wurde. Die Wortkonstruktion erwies sich als zu sperrig, also wurde "Shein" daraus – ausgesprochen wird es "She in".
Warum ist Shein gar so erfolgreich?
Weil man die bisherigen "Tugenden der Fast Fashion", also das rasche erkennen und Nachschneidern von Modetrends, um die Faktoren Social Media und KI-gestützte Markt- und Datenanalyse erweitert hat. Was wohl auch damit zu tun hat, dass Shein im Grunde nicht aus dem Mode-Business heraus gegründet worden ist, sondern von Computeranalysten.

Wer hat das erfunden?
Gegründet wurde Shein 2008 vom chinesischen SEO-Spezialisten Chris Xu sowie zwei Kompagnons als "ZZKKO". Das Unternehmen war bereits auf Online-Handel spezialisiert. 2011 erfolgte die Namensänderung in "SheInside" und die Verlagerung auf Hochzeitskleider und Damenmode, 2015 wurde Shein daraus. Die beiden Mit-Gründer hatten das Unternehmen mittlerweile verlassen – nicht unbedingt freiwillig, wird in diversen Quellen berichtet, aber dazu gibt es verschiedene Sichtweisen, keine davon gilt als gesichert.
Heißt was?
Dass Chris Xu mittlerweile alleiniger Besitzer von Shein ist, zumindest offiziell. 2022 verlegte er den Unternehmenssitz nach Singapur.
Was weiß man über Chris Xu?
Er wurde 1984 in der Provinz Shandong geboren, besuchte die Quingdao-Universität für Wissenschaft und Technologie und erkannte nach seinem Abschluss "die Chancen, die sich durch den Verkauf chinesischer Produkte im Ausland boten", wie es heißt. Mittlerweile gilt er als einer der reichsten chinesischen Unternehmer. Forbes schätzte ihn im Jänner 2025 auf 9,1 Milliarden Dollar (etwa 7,9 Mrd. Euro).
Ist Shein an der Börse?
Nein, bislang nicht. Es gab bzw. gibt zwar immer wieder Gerüchte über angebliche Vorbereitungen für einen Börsengang in New York oder London, bislang kam es aber nicht dazu. Aktuell wird sogar darüber spekuliert, dass das Unternehmen seinen Sitz zurück nach China verlegen könnte, um in Hongkong einen Börsengang in die Tat umzusetzen.

Wo lässt Shein seine Kleidung produzieren?
Anfangs wurde überhaupt nur zugekauft, mit dem Gestalten eigener Designs wurde erst später begonnen. Heute lässt Shein bei tausenden Produzenten in ganz China fertigen (die Rede ist aktuell von etwa 6.000 Herstellern). Dazu kommen hunderte weitere Produzenten, vor allem in Brasilien und der Türkei, aber auch in anderen Ländern.
Es gibt keine eigenen Fabriken?
Nein, Shein ist eine reine Handelsplattform, wie Amazon. Im Unterschied zu Amazon lässt Shein allerdings viele der Produkte, die auf der Plattform angeboten werden, nach den eigenen Wünschen produzieren. Zusätzlich dazu werden aber auch tausende Produkte von anderen Herstellern angeboten, so wie der Amazon Marketplace.
Aber weshalb ist Shein jetzt gar so erfolgreich?
Weil Chris Xu und seine Mitstreiter neben der extrem raschen Produktion von Trends vor allem auf knallhartes Marketing, den Faktor Social Media und extrem niedrige Preise setzen. Und damit vor allem den Sucht-Faktor bei ihren Online-Kunden bedienen.

Was ist ein Shein-Haul?
Als "Haul" bezeichnet man eine Beutezug bzw. eine Ausbeute. Bei Shein-Haul-Videos (siehe oben) präsentieren Frauen ihre jeweils neuesten Produkte aus dem Shein-Sortiment. Meist wird gezeigt, wie sie das Paket auspacken, dann sieht man die Produkte und oft probieren die Frauen ihre Errungenschaften auch noch an. Auf TikTok gibt es mittlerweile abertausende solcher Shein-Haul-Videos.
Und so wurde Shein zum größten Online-Händer der Welt?
Jedenfalls zum größten Mode-Onlinehändler der Welt. Und zwar überraschenderweise während der Corona-Pandemie ab 2020. Während andere Modemarken Umsatzrückgänge hinnehmen mussten, gingen die Shein-Umsätze ab 2020 förmlich durch die Decke.
Wie lassen sich all diese Dinge – die niedrigen Preise, das rasche Reagieren auf Trends, die starke Online-Präsenz – umsetzen und dennoch so große Gewinne machen?
Das ist die Schattenseite des Shein-Erfolges. Denn um so günstig und dennoch so erfolgreich sein zu können, geht Shein viele Kompromisse bei der Herstellung seiner Produkte ein.

Ist Shein jetzt also ein Geschenk oder eine Bedrohung für die Konsumenten?
Das hängt, wie so oft, vom Blickwinkel ab. Das Sortiment ist beeindruckend und die Konditionen, die man bietet, sind nahezu konkurrenzlos günstig. Es muss allerdings auch jedem Kunden klar sein, welches System er durch einen Kauf unterstützt. Letztlich liegt es bei jedem selbst, ob und wie er mit diesem Angebot umgeht. Die Fakten liegen jedenfalls auf dem Tisch.