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Kopfnüsse

Wie der Sommer 2025 seine Unschuld verlor (und das nicht in Teilzeit)

Die Jahreszeit zum Durchatmen macht uns zunehmend atemlos. Über eine peinliche Ruhestörung bei den Salzburger Festspielen, das Ende einer monatelangen Debatte über 2 Euro und das potentielle Unwort dieses Sommers: "Lifestyle-Teilzeit".

Bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gab es Theater
Bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gab es TheaterPicturedesk
Newsflix Kopfnüsse
Akt. 27.07.2025 08:33 Uhr

Schon seltsam: Ein Land, das sich rühmt, alle möglichen Balkanrouten geschlossen zu haben, schafft es nicht, die Zugänge zu einem Festspielhaus ordentlich zu kontrollieren.

Sommer 2025: Im Supermarkt werden Kirschen für 7 Euro das Kilo angeboten, in der Wachau bemisst ein einzelner, verlorener Marillenknödel am Teller seinen Wert mit 6,40 Euro. Immerhin ist der Staubzucker obenauf im Preis inkludiert. Hoffe ich zumindest.

Richtig reich ist jetzt nicht mehr jemand, der über ein fettes Bankkonto verfügt, sondern der ein paar Steigen Obst im Keller stehen hat. Bis vor Kurzem demonstrierten Gastgeber mit einer Flasche Dom Pérignon ihre Großzügigkeit, jetzt holen sie tiefgekühlte Himbeeren aus dem Gefrierer.

In den Supermärkten gibt es immer mehr kleinere Einkaufswagen, damit nicht auffällt, dass weniger drin ist fürs selbe Geld. Im Juni betrug die Inflation in Österreich 3,3 Prozent. Immerhin eine Rangliste, in der wir beständig im Spitzenfeld liegen. Man wird bescheiden.

Sommerministerrat im Kanzleramt, nur Beate Meinl-Reisinger hatte sich etwas anders zurechtgemacht
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Picturedesk

Die Politik nimmt die Teuerung mit einem Achselzucken zur Kenntnis. Erfahrung muss man nicht zwingend klug machen, Erfahrung kann auch schlicht nur erfahren machen. Schon 2021 ließ man die Inflation ungebremst durchs Land rauschen, der Krieg in der Ukraine stieß ein halbes Jahr später als willkommene Ausrede dazu. Ein fataler Fehler.

Er wiederholt sich gerade. Früher kamen Urlauber aus Italien oder Griechenland zurück und erzählten stöhnend von den hohen Preisen vor Ort. Jetzt fürchten sie sich vor den Lebenshaltungskosten während des Restjahres daheim. Den Urlaub im eigenen Land können sich viele sowieso nicht mehr leisten.

Mit KI-Stimme: Kampfplatz Teilzeit

Am Samstag marschierten Rechtsextreme durch die Wiener Innenstadt, auch das ist der Sommer 2025. Stundenlang ging das so, vorbei an verdutzten Touristen, die nicht wussten, ob sie sich vom "Ausländer raus"-Gebrüll betroffen fühlen sollten.

Die Horde der "Identitären" schob sich langsam die Wollzeile entlang, am Stephansdom vorbei, die Tuchlauben hinunter und in die Wipplingerstraße hinein. Rauch stieg auf, gelb und grau, Bengalos wurden gezündet, ein Bass wummerte. Dazwischen ließen die rund 200 Teilnehmer ihr Leitthema gespenstisch laut durch die engen Gassen hallen: "Remigration".

Der Mann, der über Blut an den Händen brüllte, hatte Blut an den Händen
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Mehrfach kam der Zug zum Stehen, Gegendemonstranten stellten sich in den Weg. Die Polizei löste die Sitzblockaden per Lautsprecher-Durchsagen auf. Alles in allem hatten die "Identitären" einen komfortablen Nachmittag.

300 Kilometer westlich wurden zeitgleich die Salzburger Festspiele offiziell eröffnet und es gab Theater, wo es eigentlich kein Theater hätte geben dürfen. Aktivisten kaperten die Felsenreitschule, aber es habe dadurch "zu keiner Zeit" eine "Gefährdung" bestanden, stellte die Polizei fest. Freilich erst "im Nachhinein."

Karoline Edtstadler hielt ihre Premieren-Rede als Landeshauptfrau mit französischen und rumänischen Einsprengseln. Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnte "Verantwortung" und "moralische Klarheit" ein, von der Politik erwarte er sich Reformen, auch wenn das weh tue. "Weil es noch mehr weh tun wird, nichts zu tun."

Es hätte ein klassischer Nachmittag in einem klassischen Sommer im klassischen Österreich werden können. Geprägt von den immer gleichen Abläufen, den immer gleichen Ansprachen mit den immer gleichen Appellen. Aber dann stand Vizekanzler Andreas Babler am Rednerpult und bemühte die griechische Mythologie. "Andere gleichen Kassandra. Sie mahnen, sie warnen, doch kaum jemand hört zu."

Andreas Babler und Christoph Wiederkehr können sich nicht einigen, wer Stocker nachfolgen soll
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Helmut Graf

Weiter kam der Kulturminister nicht. Dann musste er selbst Kassandrarufen zuhören und alle anderen auch. Der Bundespräsident, sein rumänischer Amtskollege, die First Ladies, der Kanzler, Eröffnungsrednerin Anne Applebaum, die geladenen Politiker, Künstler, Ehrengäste vor Ort, an die 1.500 Personen.

"Stoppt den Völkermord" und "Free Gaza Now" brüllten Aktivisten aus dem Zuschauerraum. "Scheiß Heuchler", war zu hören und "Blut an euren Händen."

Eine Gruppe enterte das mehrstöckige Bühnenbild und entrollte zwei Transparente. "Stoppt den Völkermord" und "Free Gaza Now" war zu lesen. Es dauerte eine Zeitlang bis Security und Polizei die Lage in den Griff bekamen, das Schauspiel wurde live im Fernsehen übertragen. Manches Stück erfüllt Erwartungen, die man gar nicht hatte.

Die Aktivisten hätten sich mit gefälschten Ausweisen Zutritt verschafft, sagt die Polizei, sie wären nicht schlecht gemacht gewesen. Die "Krone" berichtet allerdings, die Dokumente hätten die Aufschrift "Salzburger Festspeiben" getragen, was meiner Erinnerung nach nicht ganz der Bezeichnung der Kulturveranstaltung entspricht.

Es ergeben sich viele Fragen. Warum kannten sich die Aktivisten im Gebäude so gut aus? Der Weg in die Galerie sei "sehr verwinkelt", sagte der Salzburger Polizeidirektor. Deshalb habe das Einschreiten seiner Beamten so lange gedauert. Für die Aktivisten stellte diese Verwinkelung offenbar kein gröberes Problem dar.

Sechs Personen wurden festgenommen, ein Teil sei "amtsbekannt" und der Gruppe "Letzte Generation" zuzuordnen, , sagt die Polizei. Wieso stellte das Amt diese Amtsbekanntheit erst im Nachhinein fest?

Und: Wenn man schon Ausweise mit dem Aufdruck "Salzburger Festspeiben" nicht erkennt, wie kann es sein, dass Transparente in die Felsenreitschule geschmuggelt werden konnten? Oder gab es Hilfe im Haus? Dann liegt das Sicherheitsproblem tiefer.

Eines kann ich euch jetzt schon versprechen, so wahr ich Gerhard Karner heiße ....
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Helmut Graf
... in ein paar Tagen tauche ich mit so einem Tempo ins Meer ein ...
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Helmut Graf
... und Haie fange ich mit der bloßen Hand, nicht wie der Fliegenfischer-Kanzler
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Helmut Graf

Saure-Gurken-Zeit nannte man den nachrichtenarmen Sommer früher. Die Jahreszeit galt als der fröhliche Teil des Jahres, unbeschwerter als der Rest. Eine Gelegenheit zu entschleunigen. In dieser Phase tauchte ungeheuer oft das Ungeheuer von Loch Ness auf, Nil-Krokodile eroberten Schotterteiche und Riesenschlangen schlug in Klomuscheln ihre große Stunde.

Weil es wenig Berichtenswertes gab, wurde über das Wenige viel berichtet. Auch das tat mitunter gut.

Von der Saure-Gurken-Zeit sind nur die sauren Gurken übriggeblieben. Sie sorgen in diesem Monsun-Sommer für eine merkwürdige Stimmung im Land. Ich kann sie noch nicht genau beschreiben, aber sie ist da. Und spürbar.

"Düstere Festspiele" nannte Andreas Babler das heurige Programm in Salzburg, das treffe "den Nerv der Zeit". Tatsächlich steht keine einzige Komödie auf dem Spielplan, so als müsste man sich für Leichtigkeit und Heiterkeit in Zeiten wie diesen genieren. Viele Aufführung stehen unter Endzeitstimmungs-Vorbehalt.

Verflixt, mir will nicht und nicht einfallen, wie der Kerl neben mir heißt ...
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Helmut Graf
... dabei muss ich den ja selber bestellt haben
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Helmut Graf

Die Politik trägt ihre Mitschuld an dieser Düsternis. Sie beklagt eine Stimmung, die sie selbst fortlaufend erzeugt. In Sonntagsreden wird dazu aufgerufen, doch optimistischer zu sein, positiver zu denken, an die Zukunft von Land und Leuten zu glauben, unter der Woche ist ständig von Krise zu hören und von Sparpaketen, Teile der Bevölkerung werden gegeneinander aufgebracht.

Das Mastermind des düsteren Saure-Gurken-Sommers 2025 ist Wolfgang Hattmannsdorfer. Der Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus hat seine Chance erkannt. Warum nicht das schaffen, was Nessie und dem Nil-Krokodil und der Riesenschlange in der Klomuschel gelungen war? In Medien Platz zu finden, sich profilieren, im Sommer scheint das einfacher zu sein.

Also erfand Hattmannsdorfer den Begriff "Lifestyle-Teilzeit". Damit tingelt der ÖVP-Aufsteiger mit großen Ambitionen seit gut zwei Wochen durch die Medienhäuser, inzwischen hat er einige Mitstreiter gefunden. Das Bild kommt an, es bedient das Vorurteil, viele Jüngere seien Drückeberger, Faulenzer und Hängemattenbenutzer. Sie würden das Erbe der älteren Ärmelaufkrempler durchbringen.

Die woke Generation, nur darauf bedacht, die eigene Work-Life-Balance in der Waage zu halten, würde Österreich in den Untergrund führen, auch dieses Szenario soll vermittelt werden. Die Erzählung hat nur einen Haken: sie ist falsch, zumindest aber windschief.

Vollzeit-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (hübsch ist das abgedeckte Wasserglas)
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Picturedesk

Es ist nachvollziehbar, dass ein Land Probleme hat, wenn Teile der Erwerbsbevölkerung teilweise blau machen. Das hemmt die Produktivität, füllt die Töpfe der Sozialversicherung nicht bis zum Rand, bereitet dem Pensionssystem langfristig Probleme. Aber wem gegenüber führt die Politik gegenwärtig eigentlich Klage? Gegen ein System, das sie selbst geschaffen hat?

Es ist ja nicht so, dass junge Menschen daheim sitzen und sich den Kopf darüber zermartern, wie sie dem Staat am besten schaden könnten. Sie versuchen, sich aus dem, was ihnen die Politik an Angeboten übrig lässt, das Bestmögliche zusammen zu basteln. Das mag nicht immer das Beste für den Staat sein, illegal ist es jedenfalls nicht.

Er habe kein Verständnis, wenn gesunde Menschen ohne Betreuungspflichten lediglich in Teilzeit arbeiten, sagt Hattmannsdorfer. Das tut mir leid, aber ich wusste gar nicht, dass in Österreich für Lebensentscheidungen das Verständnis eines Ministers einzuholen ist.

Klaudia Tanner und Alexander Pröll haben jetzt auch einen Teilzeitjob nebenher
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Gut zu wissen, dass das Heereseigentum ab der zweiten Schraube beginnt
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Dazu kommt, dass der Blickwinkel jüngerer Generationen auf das Dasein an sich ein gänzlich anderer ist. Wer heute um die 60 ist, hat sein Berufsleben mit der Perspektive begonnen, nach 40 Jahren in Pension gehen zu können und das im Rahmen einer Altersversorgung, die ein gedeihliches Auskommen ermöglicht.

Diese Perspektive hat ein heute 20- oder 30-Jähriger nicht mehr, das vergisst die Politik allzu gern. Ich habe noch keinen jungen Menschen getroffen, der an eine sichere Pension glaubt, vor allem an keine, mit der sich ein Leben anständig finanzieren lässt.

Aktuell wird über eine Pensions-Antrittsalter von 70 debattiert. Das heißt: Wer gegenwärtig in den Beruf einsteigt, hat 50 Jahre im Job vor sich, vielleicht werden daraus auch einmal 60. Wenn Arbeit aber fast das gesamte Leben dauert, dann stellt man sich darauf ein. Dann hackelt man nicht wie ein Berserker los, sonst ist man früher kaputt, als Hattmannsdorfer dafür Verständnis aufbringen kann.

Sepp, du braucht uns jetzt nicht auch noch zeigen, dass dein A8 billiger ist als ein A6
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Populismus setzt auf Feindbilder, das ist seine Stärke und Schwäche gleichermaßen. Hattmannsdorfer hätte natürlich auch den Spieß umdrehen können. Es ist ja kein Naturgesetz, dass die Politik in Österreich immer die Lage einzelner Bevölkerungsgruppen verschlechtern will, statt die anderer zu verbessern. Sie könnte auch sagen, sie macht jetzt Vollzeit so attraktiv, dass die Teilzeitler die Vollzeitsjobs nur so stürmen werden.

Das hat Hattmannsdorfer nicht gemacht, weil ihn das nicht in die Schlagzeilen gebracht hätte. So hat er eine eher unappetitliche Neid-Debatte losgetreten, noch dazu wenige Tage, nachdem das Parlament eine 75-tägige Sommerpause angetreten hat. Nach 40 Sitzungen zwischen 24. Oktober 2024 und 11. Juli 2025.

Oder anders ausgedrückt: Nach 20 Plenartagen in 261 Tagen. Eine Debatte über Teilzeit hat das nicht ausgelöst.

Halbe Merkel-Raute? Deutschlands Kanzler Friedrich Merz mit Christian Stocker vor dem Jedermann Salzburg
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Als eine der letzten Amtshandlungen wurde am 10. Juli im Nationalrat übrigens die Teilpension beschlossen. Wenn es passt, ist Teilzeit zu arbeiten also doch sehr willkommen.

Ich wünsche einen weiter erholsamen Sommer, soweit möglich. Die Regierung hat sich noch rechtzeitig vor dem Kehraus auf eine Neuregelung beim Trinkgeld geeinigt. Monatelanger Streit, am Ende wird nun das bisherige System weitgehend beibehalten, nur etwas teurer kommt es. Arbeitnehmer müssen 2 Euro pro Monat mehr abführen. Das mit den Reformen wird noch eine zähe Geschichte.

Bis in einer etwas größeren kleinen Weile!

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Akt. 27.07.2025 08:33 Uhr