Fliegenfischen für die Krone, Würstelessen für Instagram. Die ÖVP versucht, aus dem Kanzler mit Stockfisch-Image einen kumpelhaften Politiker zum Anfassen zu machen. Keine leichte Aufgabe. Das Ergebnis könnte aber für die Koalitionspartner zum Problem werden.
Es lässt sich nicht behaupten, dass ihm das Wasser bis zum Hals steht. Höchstens bis zu den Knöcheln. Christian Stocker watet in Stiefeln durch die Schwarza und hält seine Rute in den Fluss. Das hört sich vermutlich spektakulärer an als es war, obwohl sich das ganze Geschehen im Höllental zugetragen hat.
Das Höllental befindet sich in diesem Fall im südlichen Niederösterreich und tat sich nicht in der Wiener City auf. Stocker hat sich für die Krone bunt zu Wasser gelassen. In der aktuellen Sonntag-Ausgabe ist er gleich zu Heftbeginn doppelseitig zu sehen, auf krone.at gibt es auch eine Filmfassung davon. Ob mehr Fische oder Hollywood-Studios angebissen haben, ist nicht überliefert.
Der Kanzler trägt Jeans, T-Shirt und eine Anglerweste, deren Taschen sich so ausbeulen, als hätte er mehrere Fassungen des Regierungsprogramms zum Schmökern an die Ache mitgenommen. In einer Gürteltasche steckt ein Messer, das Höllental dürfte noch keine einschlägige Verbotszone sein. Es trägt seinen Namen also eventuell zu Unrecht.
In seiner Gesamtheit wirkt der Kanzler, als hätte er die Ausrüstung extra für den Medientermin im Kaufhaus Österreich erstanden. Ich weiß allerdings nicht, ob es eine Filiale der Kette in Wiener Neustadt gibt.
Der Eindruck könnte täuschen, denn Stocker gibt sich als Serientäter zu erkennen. Er sei ein "leidenschaftlicher Fliegenfischer" und finde "an der Schwarza immer wieder jene Ruhe, die ihm in der Politik oft fehlt", schreibt die Krone. Früher sei er dem Hobby deutlich öfter nachgegangen, jetzt "viel zu selten".
Es sei angefügt, dass noch jeder Kanzler Abstriche von seinem bisherigen Leben machen musste. Bis auf Sebastian Kurz vielleicht, da kamen noch ein paar Anstriche dazu.
Stocker war in diesem Fall nicht allein nah am Wasser gebaut. Er wurde von Peter Schröcksnadel begleitet. Mit 83 ist der frühere Langzeit-Präsident des ÖSV im Fliegenfischen keine Jugendhoffnung mehr. Er widmet sich aber mit fast kindlichem Elan dem Projekt "River and Nature Trust", das sich dem Schutz heimischer Flüsse und Fische verschrieben hat.
Die Forellen und Äschen werden sich vielleicht gefragt haben, warum sie zu diesem Behufe aus der Schwarza gefischt wurden, aber vielleicht haben sie sich das auch nicht gefragt. Die Redewendung "stumm wie ein Fisch" dürfte auf keinem Zufallsbefund beruhen.
Nun handelt es sich beim Fotoroman in der Krone mitnichten um ein Inserat, trotzdem ist die Geschichte pures Gold wert. Eine doppelseitige Einschaltung im Sonntags-Magazin kostet laut Listenpreis 82.807,92 Euro. Der ideele Wert übersteigt die Kosten aber um ein Vielfaches. Aus der Sicht des politischen Marketings war die Auswilderung des Kanzlers ein Glücksgriff.
Als Stocker am 5. Jänner zum Parteiobmann der ÖVP designiert wurde, dachten viele er wäre ein Platzhalter. Ich nehme mich da nicht aus. Ich vermutete, die Volkspartei werde spätestens ein paar Wochen später jemanden aus dem Hut zaubern, der mehr dem Bild eines aufstrebenden Politikers entsprechen sollte. Glatt, telegen, sprachlich gewandt.
Aber Stocker blieb. Er ließ sich zunächst auf Herbert Kickl ein, erkannte die Sackgasse, tat Buße, vollzog eine Kehrtwende um 180 Grad und brachte sie den Menschen als Schilderung eines Canossaganges in der eigenen Familie näher. Das rührte Österreich und es verzieh.
Am 3. März wurde der gelernte Rechtsanwalt Kanzler einer Dreier-Koalition, vier Wochen später wählte ihn seine Partei daheim in Wiener Neustadt zum Vorsitzenden. Mit dem neuen Mann an der Spitze konnten zu diesem Zeitpunkt die wenigsten etwas anfangen. Nicht im Land, nicht einmal in der eigenen Partei. Stocker war ein unbeschriebenes Blatt und das beidseitig.
Vor allem die Strahlkraft fehlte. Stocker ist kein großer Redner, er reißt die Massen nicht mit. Auch nicht die Wassermassen, nebenbei bemerkt. Der fischgebackene Kanzler trat sein Amt auch nicht als Visionär an. Er malte keine Bilder von blühenden Landschaften, er stellte kühnen Zukunftsentwürfen die tollkühne, aber biedere Sanierung des Bundeshaushaltes gegenüber.
Am 13. Mai hielt Finanzminister Markus Marterbauer im Nationalrat seine Budgetrede, der Vorgang dauerte beinahe 80 Minuten. Fast die gesamte Zeit über saß Stocker regungslos da und blickte starr vor sich hin. Körpersprache-Experten hätten die Analyse aus einem Bild heraus machen müssen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste die Marketing-Abteilung der Volkspartei: Aus einem 65-jährigen Vespa-Fahrer machst du keinen Sportwagen mehr. Also trafen die Renn-Ingenieure die Auswahl aus der einzig verbliebenen Strategie-Option: Sie schickten Stocker als Stocker auf die Strecke.
Der neue Kanzler versuchte sich erst gar nicht als Showman. Er gab den ehemaligen Vizebürgermeister, den es in die Stadt verschlagen hatte, nicht einmal einen Anzug habe er zu Beginn dabeigehabt. Auch diese Erzählung saß.
Das Amt sei ihm zugefallen, vermittelte er kokett, er habe es mehr aus Pflichtgefühl heraus als mit Begeisterung übernommen. Die Ehefrau war sowieso dagegen. Sie mochte Fliegenfischen als Hobby ihres Mannes mehr.
Stocker sagte fortan Stocker-Sachen und das in Stocker-Sprache. Die ZiB 1 konnte ab da ohne Ton konsumiert werden, es war zu erahnen, was der Kanzler ungefähr von sich geben wird. Auf den gnadenlosen Eigenvermarkter Sebastian Kurz und den Law-and-Order Karl Nehammer, mit dem das Land nie wirklich warm geworden war, folgte ein Verwalter.
Das kam an, für alles andere waren wir wohl zu ermattet.
Die Strategie begann zu greifen. Nicht zu streiten wurde in der Politik zum höchsten Gut erklärt. Und weil den Menschen im Land häufig gesagt wird, dass nicht zu streiten das höchste Gut in der Politik sei, halten es inzwischen tatsächlich viele für das höchste Gut.
Sollte die Regierung fünf Jahre Bestand haben, wird man sie nicht wegen zahlreicher Errungenschaften in Erinnerung behalten. Die Leute werden sagen: "Keine Ahnung, wer uns zwischen 2025 und 2029 regiert hat, aber nett waren sie zueinander, das weiß ich noch."
Die drei Parteien, zusammengehalten vor allem vom Ziel, Herbert Kickl von der Regierung fernzuhalten, gehen öffentlich miteinander um wie Geschwister. Kein Zwist wird nach außen getragen. Und wenn, war es keiner. Nur Flachserei.
Das war auch diese Woche spürbar. Bei der Bilanz der ersten Monate, als sich die Koalition selbst Rosen streute. Und im Nationalrat, als zwei NEOS-Mandatare gegen die eigene Partei und die eigene Regierung stimmten. Früher hätten Medien seitenweise das bevorstehende Platzen der Koalition herbeiorakelt. Jetzt wirkt das Orakel, als hätte es etwas Gras geraucht. Rebellion, so what?
Ohne viel dafür zu tun, beginnt Stocker mehr und mehr die anderen an den Rand zu drängen und das könnte sich noch zum Problem auswachsen. Der Unvermarktbare funktioniert plötzlich in der Vermarktung. Die Regierung als solche ist in der Bevölkerung nicht rasend beliebt, Stocker aber zumindest angesehen. Er sei da unverschuldet hineingeraten, der Bub, sagen die Leute.
Ende Juni übernahm der nette Onkel vom Ballhausplatz erstmals die Führung im Politiker-Ranking von "Heute". Es handelt sich zwar nur um eine Blitzlichtaufnahme, aber neben Markus Marterbauer ist der Kanzler der einzige Politiker im Ranking, der ein positives Saldo aufweist, also mehr Menschen positiv als negativ aufgefallen ist.
Stocker traut sich nun sogar Medientermine zu, die früher tabu gewesen wären. Mit Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, ging der Kanzler zum Würstelstand, gabelte eine Bratwurst auf, prostete dem Gast mit einer Flasche Bier zu und das am helllichten Tag. Mundl hätte eine Messe lesen lassen. Es entstanden nicht nur vorteilhafte Bilder, aber es war wurscht.
Der Fliegenfischer aus Wiener Neustadt kann sich inzwischen auch Auftritte erlauben, für die Vorgänger medial zerzaust worden wären. Am Montag lud die Regierung einen ausgewählten Kreis von Journalisten zu sich ins Kanzleramt. Es galt, Bilanz über ein Halbjahr zu ziehen, das nur vier Monate gedauert hatte. Mehr hat die Koalition noch nicht am Buckel.
Es war nicht klar, welchen Titel die Veranstaltung tragen sollte, auch der Sinn erschloss sich nicht ganz. Geladen wurde zu einer "Bilanz-Pressekonferenz", auch von einem "Presse-Frühstück" war die Rede. Beate Meinl-Reisinger stieß sich am Begriff Bilanz, ihr wäre Resümee als Bezeichnung lieber, sagte sie. Die gereichten Unterlagen trugen dann wie zum Trotz den Namen "Bilanz".
Es klappte erst im dritten Anlauf. Ursprünglich wollten ÖVP, SPÖ und NEOS schon am 10. Juni ihr Resümee bilanzieren, aber dann passierte der Amoklauf in Graz. Der Termin wurde auf den 2. Juli verschoben, aber nun gab es einen Erkrankungsfall in der Regierungsspitze. Am 7. Juli stand der Zeugnisverteilung dann aber nichts mehr im Weg.
Gute Schulnoten muss man sich erarbeiten. Es fällt zugegebenermaßen etwas leichter, wenn man die Noten selbst vergibt. Das passierte bei der Resümee-Bilanz. Die Regierung stellte sich ein Zeugnis aus, es hätte fast nicht besser ausfallen können. Früher hätte es dafür ein Eis gegeben. Oder eine Playstation.
Vizekanzler Andreas Babler benotete die bisherige Arbeit ungefragt mit einem "Gut". Im Betragen gab er sich und den Seinen sogar ein "Ausgezeichnet". Stocker saß daneben und rührte kein Ohrwaschl. Wir werden nie erfahren, ob ihm die Zensur peinlich war oder nicht. Vielleicht war der Kanzler auch in Gedanken bei den Regenbogenforellen in der Schwarza.
Es gab auch eine Handreichung, die Regierung lobt sich darin auf 14 Seiten über den grünen Klee. Das "Gut" kam nicht aus heiterem Himmel, es handelt sich um ein wohlerworbenes Recht.
67 Vorhaben fanden in die "Arbeitsbilanz" Aufnahme, die Bandbreite reicht vom "Mietpreisstopp" über die "Pensionsreform" bis zur "Änderung Schutzstatus Wolf". Ein guter Teil der genannten Maßnahmen wurde noch nicht vollzogen, sondern bestenfalls angestoßen. Eine Task Force soll die Förderungen reformieren helfen. Die "Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden" begibt sich ebenfalls auf Reformsuche.
Es wäre unfair zu behaupten, die Koalition sei bisher untätig gewesen. Was aber gesagt werden kann: Sie hat das derzeit relevanteste Problemfeld nicht angepackt. Die Wirtschaftspolitik ist nach wie vor eine Wüstenlandschaft. Es lassen sich keine Leuchttürme erkennen, die Österreich Aufbruch und Orientierung geben könnten. Die NoVa-Befreiung für Handwerkerautos wird die Stimmung jedenfalls nicht drehen, zumindest nicht entscheidend.
Die Bilanz-Resümierer ließen auch viel unter den Tisch fallen, seltsamerweise lauter Belastungen. Ab August kostet das Klimaticket für ganz Österreich nicht mehr 1.095 Euro, sondern 1.300 Euro. Ab 1. Jänner steigt der Preis dann sogar auf 1.400 Euro. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Das Thema Klima wird in dem Papier überhaupt nur einmal erwähnt. Gesetze sollen "künftig" darauf abgeklopft werden, ob sie "klimafit" sind.
Wer einen neuen Reisepass braucht, zahlt seit 1. Juli nicht mehr 75,90 Euro, sondern 112 Euro. Für den Führerschein statt 60,50 Euro 90 Euro, für den Personalausweis 91 Euro statt wie bisher 61,50 Euro. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Wer seinen Namen ändern will, muss jetzt 567 Euro zahlen, vorher kostete das 382,60 Euro. Für einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft bezahlt man nunmehr 163 Euro statt 125,60 Euro. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Rauchen wurde teurer, die Gerichtsgebühren stiegen um 23 Prozent. Einvernehmliche Scheidungen muss man sich jetzt erst einmal einvernehmlich leisten können. Die Gebühren für Grundbuchauszüge und Firmenbuchabfragen schnalzten in die Höhe. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Photovoltaikmodule kosten seit April mehr Geld, die Befreiung von der Umsatzsteuer wurde abgeschafft. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Die Regierung verweist in ihrem Resümee zwar auf den "Bonus Made in Europa" für alle, die ihre Photovoltaik nicht beim Chinesen kaufen. Von der paktierten Einspeisegebühr von Photovoltaik-Strom ins Netz, die derzeit viele auf die Palme treibt, steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
Seit 1. Juni zahlen Pensionistinnen und Pensionisten einen höheren Beitragssatz für die Krankenversicherung. Statt 5,1 Prozent sind nun 6 Prozent fällig. Davon steht in der "Arbeitsbilanz" nichts.
In der "Arbeitsbilanz" fehlen auch Hinweise, was gegen die Teuerung unternommen wird. Im Juni lag die Inflation in Österreich bei 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, der Euroraum kam im Schnitt auf 2 Prozent. Die Teuerung frisst nun auch den Fremdenverkehr auf. Österreich, in den Fünfzigerjahren noch Billig-Urlaubsland, ist nun eine Luxus-Destination.
Vielleicht fällt dem Kanzler beim Fliegenfischen demnächst etwas dazu ein. Stille Wasser sind oft tief.
Ich wünsche weiter einen wunderbaren Sommer. Als blutjunger Reporter habe ich die Schwarza übrigens einmal falsch geschrieben, Schwarzer habe ich sie genannt. Da war was los am Redaktions-Telefon. Shitstorm sind keine Erfindung der Neuzeit, es bieten sich nur jedem Furz heutzutage viele Ausdrucksmöglichkeiten.
Bis in einer kleinen Weile also. Diesmal aber wirklich bis in einer größeren kleinen Weile. Vielleicht kann sich der Sommer in der Zwischenzeit entscheiden, ob er tropisch, subtropisch oder einfach ein soziopathischer April sein will.